Avis important:
Les versions anciennes du navigateur Netscape affichent cette page sans éléments graphiques. La page conserve cependant sa fonctionnalité. Si vous utilisez fréquemment cette page, nous vous recommandons l'installation d'un navigateur plus récent.
Retour à la page d'accueil Imprimer
Ecriture agrandie
 
Chapeau

98 Ia 356


59. Urteil vom 4. Oktober 1972 i.S. Dr. X. gegen Anwaltskammer des Kantons Bern.

Regeste

Art. 4 et 58 Cst, art. 5 Disp. trans. Cst.; procédure disciplinaire contre un avocat.
1. Il n'y a pas de violation de l'art. 5 Disp. trans. Cst. dans le fait qu'un avocat bâlois est puni disciplinairement dans le canton de Berne (consid. 1).
2. Compétence de la Chambre bernoise des avocats à l'égard d'un avocat bâlois qui conduit des procès dans le canton de Berne et se fait couvrir par l'établissement de titres hypothécaires sur un bien-fonds situé dans ce canton (consid. 2).
3. La Chambre bernoise des avocats pouvait sans arbitraire appliquer, pour fonder sa décision disciplinaire, les règles professionnelles de l'Association bernoise des avocats à côté de la loi cantonale sur les avocats (consid. 3 a).
4. Quand un avocat viole-t-il son devoir d'indépendance en créant des liens financiers avec son client? (consid. 3 b).

Faits à partir de page 357

BGE 98 Ia 356 S. 357

A.- Dr. X. ist Anwalt der Frau L. Er hat sie u.a. in ihrem Scheidungsprozess vertreten. Im Anschluss an die Scheidung übernahm Frau L. in der güterrechtlichen Auseinandersetzung eine Liegenschaft in Bern mit den darauf lastenden Grundpfandschulden. Gegenwärtig sind zwischen ihr und ihrem früheren Ehemann noch sieben Prozesse hängig, die von Dr. X. geführt werden. Da eine Bank die Rückzahlung einer Grundpfandschuld
BGE 98 Ia 356 S. 358
von Fr. 120'000.-- verlangte und Frau L. in Basel ein Geschäft eröffnete, brauchte sie Geld. Dr. X. gewährte und vermittelte ihr Darlehen in der Höhe von rund Fr. 210'000.--. Diese sind durch die genannte Berner Liegenschaft pfandgesichert. Verschiedene Schuldbriefe, die zugunsten von Dr. X. auf der Liegenschaft lasten, sichern zum Teil auch Honorarforderungen des Anwalts, von denen einzelne noch nicht fällig sind. An das fällige Honorarguthaben von rund Fr. 43'000.-- hat Frau L. Vorschüsse im Betrage von rund Fr. 29'000.-- geleistet (Stand 31. Dezember 1971).

B.- Die Anwaltskammer des Kantons Bern belegte Dr. X. am 18. April 1972 "wegen Verletzung von Ziff. 3 Abs. 1 der Standesregeln (Beschränkung der Unabhängigkeit des Anwaltes durch Gewährung von Darlehen und Annahme grundpfändlicher Sicherheit für Darlehens- und Honorarforderungen gegenüber der Klientschaft)" mit einer Disziplinarbusse von Fr. 200.--. Zur Begründung führte die Kammer u.a. aus, indem Dr. X. seiner Klientin Darlehen gewährt und sich zur Sicherung seiner Darlehens- und Honorarforderungen Schuldbriefe auf der Liegenschaft der Klientin habe geben lassen, sei er wirtschaftliche Bindungen eingegangen, die weit über das Mandatsverhältnis hinaus gingen. Als Darlehens- wie als Grundpfandgläubiger habe er zwangsläufig eigene Rechte gegenüber der Klientin zu wahren, und seine Interessen könnten damit den ihrigen entgegenstehen. Wenn er beispielsweise in die Lage käme, zur Verwirklichung seiner Ansprüche die ihm eingeräumten Pfandrechte geltend zu machen und die Verwertung der Liegenschaft der Mandantin zu verlangen, würde dies unter Umständen ihren Interessen zuwiderlaufen. Ein Anwalt, der eigene Interessen und eigene Rechte gegenüber der Klientin zu verfechten habe, könne die ihm anvertrauten Mandate nicht unabhängig und desinteressiert führen. Er laufe Gefahr, in eine offene Interessenkollision zu seiner Auftraggeberin zu geraten, was gerade im genannten Beispiel der Pfandverwertung der Fall sein könnte. Der Anwalt aber, der seine Unabhängigkeit nicht wahre, mache sich nach ständiger Praxis der Kammer disziplinarisch verantwortlich.

C.- Gegen den Entscheid der Anwaltskammer hat Dr. X. gestützt auf Art. 4 und 58 BV sowie Art. 5 der Übergangsbestimmungen der BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er verlangt damit die Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
BGE 98 Ia 356 S. 359

D.- Die Anwaltskammer des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Considérants

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Eine Verletzung des Art. 5 der Übergangsbestimmungen der BV liegt nicht vor, da dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Entscheid nicht untersagt wird, weiterhin im Kanton Bern als Anwalt zu praktizieren. Er hat dabei bloss die Standesregeln zu beachten, wie sie in diesem Kanton gelten.

2. Der Beschwerdeführer behauptet, der angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 58 BV. Frau L. wohne in Basel, und er selber führe am nämlichen Ort sein Anwaltsbüro. Die Anwaltskammer leite ihre Zuständigkeit davon ab, dass Schuldbriefe im Kanton Bern errichtet worden seien und Honorare für in diesem Kanton geführte Prozesse in Frage stünden. Keiner dieser Umstände vermöge eine Zuständigkeit der Anwaltskammer des Kantons Bern zu begründen.
Ob Art. 58 BV auch für Disziplinarverfahren gilt, kann dahingestellt sein. Die Verfassungsregel wäre auf jeden Fall nur verletzt, wenn sich die Anwaltskammer eine Entscheidkompetenz angemasst hätte, die ihr nach dem geltenden Recht oder nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht zukommt (BGE 83 I 85, BGE 91 I 401; FAVRE, Droit constitutionnel suisse, S. 397). Da die Anwendung kantonalen Gesetzesrechts in Frage steht, könnte das Bundesgericht nur eingreifen, wenn die Annahme der Zuständigkeit auf einer willkürlichen oder die Rechtsgleichheit missachtenden Rechtsanwendung beruhte (BGE 91 I 401 /02). Insofern fällt die Rüge der Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV mit der Willkürbeschwerde zusammen (FAVRE, a.a.O., S. 397; vgl. auch BGE 91 I 402 f.).
Der Beschwerdeführer besitzt die Bewilligung zur Berufsausübung im Kanton Bern, und er hat dort Prozesse für eine Klientin geführt, mit der er als Darlehensgeber und Grundpfandgläubiger finanziell eng verbunden ist. Zudem sind die zu seinen Gunsten ausgestellten Grundpfandtitel, die zum Teil Honorarforderungen sicherstellen, auf einer in Bern gelegenen Liegenschaft der Klientin errichtet worden. Was dem Beschwerdeführer im Disziplinarverfahren zur Last gelegt wurde, hat sich demnach zu einem wesentlichen Teil im Kanton Bern abgespielt. Wenn sich bei dieser Sachlage die Anwaltskammer für zuständig hielt, als Disziplinarbehörde das Verhalten des
BGE 98 Ia 356 S. 360
Beschwerdeführers zu beurteilen, so bildet dies weder einen offensichtlichen Verstoss gegen kantonale Vorschriften noch einen solchen gegen allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. dazu DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 1951, S. 104 a). Im übrigen hat das Appellationsgericht Basel-Stadt, das in seinem Kanton die Disziplinaraufsicht über die Rechtsanwälte ausübt, sich nicht nur damit einverstanden erklärt, dass die bernische Anwaltskammer das Disziplinarverfahren durchführe, sondern es hat das sogar empfohlen (Schreiben an die Anwaltskammer vom 6.12.1971). Von einer Verletzung des Art. 58 BV kann keine Rede sein.

3. a) Nach der Ansicht des Beschwerdeführers hat die Anwaltskammer Art. 4 BV verletzt, indem sie ihm eine Disziplinarbusse auferlegte. Willkür erblickt er zunächst darin, dass der Disziplinarbusse "die privatrechtlichen Standesregeln des Bernischen Anwaltsverbandes" zugrunde gelegt worden seien, von denen im Dekret über die Anwaltskammer gar nicht die Rede sei.
Das bernische Gesetz über die Advokaten von 1840 zählt die Berufspflichten nur stichwortartig auf. Wie in andern Kantonen werden auch in der bernischen Praxis in Disziplinarfällen seit langem die Standesregeln des Anwaltsverbandes herangezogen (DUBACH, a.a.O., S. 51 a ff.). Das Bundesgericht hat das schon bisher für zulässig gehalten, und es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Auch wenn der Beschwerdeführer selber nicht dem Bernischen Anwaltsverband angehört, steht nichts entgegen, dass die Disziplinarbehörde die Standesregeln dieses Verbandes anwendet. In ihnen ist im einzelnen ausgeprägt, was in den gesetzlichen Normen allgemein bestimmt ist, und sie haben in diesem Sinne über den privaten Kreis der Vereinsmitglieder hinaus Bedeutung für die Anwaltstätigkeit im Kanton Bern im allgemeinen. Der angefochtene Entscheid ist somit nicht deshalb unhaltbar, weil er sich auf die erwähnten Standesregeln stützt.
b) Die Anwaltskammer nahm an, der Beschwerdeführer habe gegen Ziff. 3 der Standesregeln verstossen, wonach der Fürsprech in seinem Beruf unabhängig zu bleiben hat. Der Beschwerdeführer bezeichnet diese Annahme als willkürlich. Die Kammer hielt dafür, der Beschwerdeführer sei seiner Klientin gegenüber deswegen nicht mehr unabhängig, weil er deren Darlehens- und Grundpfandgläubiger sei und sich seine (verfallenen
BGE 98 Ia 356 S. 361
und laufenden) Honorarforderungen zum Teil grundpfändlich habe sicherstellen lassen.
Es versteht sich, dass es nicht schlechthin standeswidrig ist, wenn ein Anwalt für einen Klienten, dessen Gläubiger er ist, Prozesse führt. Wie der Beschwerdeführer mit Recht ausführt, wird zum Beispiel ein Anwalt und Hauseigentümer für einen Mieter, der ihm den Mietzins schuldet, ohne weiteres Prozesse führen dürfen. Ob ein Anwalt, der ausserhalb des Mandatsverhältnisses finanzielle Bindungen zu seinem Klienten hat, deshalb seine Unabhängigkeit verliert, ist eine Frage des Masses. Nach den Akten verfügt Frau L. nur über bescheidene flüssige Mittel; in verschiedenen Prozessen wurde für sie der unentgeltliche Rechtsbeistand verlangt. Wird einerseits berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seiner Klientin Darlehen in der Höhe von über Fr. 200'000.-- teils gewährte, teils - offenbar durch nahe Verwandte - vermittelte, und anderseits in Rechnung gestellt, dass nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers noch immer sieben von ihm geführte Prozesse zwischen Frau L. und ihrem früheren Ehemann hängig sind, so ist die Annahme nicht unhaltbar, durch diese weitgehende Kreditgewährung in Verbindung mit grundpfändlicher Sicherstellung von Darlehens- und Honorarforderungen sei ein Verhältnis zwischen Klientin und Anwalt entstanden, in welchem dieser nicht mehr unabhängig und desinteressiert sei. Am 31. Dezember 1971 belief sich die gesamte Honorarforderung (inkl. Auslagen) auf Fr. 43'000.--, und bis zum Abschluss der sieben noch hängigen Prozesse wird sich der Betrag noch um einiges erhöhen. Kann die Klientin die nicht bereits durch Vorschüsse beglichenen Honorarrechnungen nicht bezahlen, was bei ihren sehr bescheidenen Verhältnissen sehr wohl möglich ist, so könnte Dr. X. versucht sein, seine Pfandrechte geltend zu machen und die Verwertung der Berner Liegenschaft zu verlangen. Käme es dazu, was wiederum im Bereich realer Möglichkeit liegt, so geriete er in eine bedeutende Interessenkollision. Die Akten zeigen, dass der Beschwerdeführer als Anwalt der Frau L. insbesondere darnach zu trachten hat, seiner Klientin die Liegenschaft zu erhalten und eine Zwangsverwertung zu verhindern. Bei dieser Sachlage sind die eigenen Interessen, die er im Verhältnis zu seiner Klientin zu wahren hat, derart gewichtig, dass die Anwaltskammer mit sachlichen Gründen annehmen durfte, der Beschwerdeführer sei bei der
BGE 98 Ia 356 S. 362
Führung der Prozesse nicht mehr so unabhängig, wie es ein Fürsprech seinem Klienten gegenüber nach den Standesregeln sein sollte. Die Dinge würden wohl in einem etwas andern Lichte erscheinen, wenn feststünde, dass Dr. X. einer bedrängten Klientin ganz uneigennützig und aus reinem Helferwillen beigesprungen wäre. Die Anwaltskammer hat indessen unwidersprochen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich für einzelne Darlehen einen Zins von 12% versprechen lassen und sei "auf die Wahrung seiner finanziellen Ansprüche offenbar recht bedacht" gewesen, weshalb die Gefahr der Interessenkollision nicht rein theoretisch sei.
Bei Berücksichtigung all dieser Umstände erscheint die Annahme, Dr. X. habe durch sein Vorgehen seine Standespflichten verletzt, insbesondere gegen Ziff. 3 der bernischen Standesregeln verstossen, nicht unhaltbar.

4. Der Beschwerdeführer kritisiert schliesslich den angefochtenen Entscheid auch deswegen, weil die ausgesprochene Busse von Fr. 200.-- die höchste vom Gesetz vorgesehene Strafe darstelle. Er sagt jedoch nicht, inwiefern die Anwaltskammer mit der Bemessung der Busse die Verfassung verletzt haben sollte. Da somit die Rüge den Anforderungen des Art. 90 OG nicht genügt, ist in diesem Punkt auf die Beschwerde nicht einzutreten. Immerhin sei beigefügt, dass die höchste vom Gesetz zulässige Busse Fr. 300.-- beträgt (vgl. Gesetz über die Advokaten vom 10.12.1840, Art. 17, in Verbindung mit dem Dekret über die Umwandlung der Bussen von der alten in die neue Währung vom 2.3.1853) und dass als strengere Disziplinarstrafen noch die Einstellung in der Berufsausübung und der Entzug des Patentes vorgesehen sind.

Dispositif

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

contenu

document entier:
résumé partiel: allemand français italien

Considérants 1 2 3 4

références

ATF: 91 I 401, 83 I 85, 91 I 402

Article: Art. 4 et 58 Cst, Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 4 BV, Art. 90 OG

navigation

Nouvelle recherche