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Urteilskopf

110 IV 39


14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Oktober 1984 i.S. B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 27 Abs. 1 SVG; Art. 36 Abs. 1, 75 Abs. 1 und 2 SSV.
Das Stopsignal (3.01; 3.011) ist auch dann gültig und beachtlich, wenn die das Signal ergänzenden Bodenmarkierungen - Haltelinie (6.10), "STOP" (6.11) und Längslinie (6.12) - nicht (mehr) vorhanden sind.

Erwägungen ab Seite 39

BGE 110 IV 39 S. 39
Aus den Erwägungen:

1. Am Unfalltag war unbestrittenermassen infolge Abnützung nur ein kleiner Teil der zum Stopsignal gehörenden Bodenmarkierungen sichtbar, nämlich der Buchstabe "P" des Wortes "STOP" (6.11) sowie der rechte Teil der Haltelinie (6.10), und auch dieser noch vorhandene Teil der Markierung war etwas verwaschen.
Die Beschwerdeführerin behauptet, angesichts des Fehlens einer korrekten Markierung sei das Stopsignal nicht vorschriftsgemäss angebracht und deshalb nichtig gewesen und sie dürfe daher nicht wegen Missachtung eines Stopsignals verurteilt werden. Sie macht geltend, das Signal und die gemäss Art. 75 Abs. 2 SSV vorgeschriebene Bodenmarkierung stellten eine Einheit dar und das eine sei ohne das andere ungültig. Der Einwand ist unbegründet.

2. Vorerst sei darauf hingewiesen, dass ein Fahrzeuglenker bei der gebotenen Aufmerksamkeit aufgrund des noch sichtbaren
BGE 110 IV 39 S. 40
Teils der Bodenmarkierung im Bereich der Einmündung die Vorderdorfstrasse ohne weiteres als Stopstrasse erkennen konnte. Dass der sich auf der Vorderdorfstrasse der Strasse Bern-Thun nähernde Fahrzeugführer wartepflichtig ist, ergibt sich zudem aus verschiedenen weiteren Umständen (sichtbare Führungslinie, 6.16, längs der Strasse Bern-Thun, vgl. dazu Art. 76 Abs. 3 SSV; Pflastersteine, welche die Fahrbahn der Strasse Bern-Thun von jener der Vorderdorfstrasse abgrenzen) und ist schliesslich aufgrund des Gesamtbildes, das die Verzweigung vermittelt, klar erkennbar. Wie es sich damit im Einzelnen verhält, kann indessen dahingestellt bleiben; denn die Vorinstanz begründete die Verurteilung der Beschwerdeführerin nicht damit, dass die Vorderdorfstrasse angesichts der sichtbaren Markierungen und der Anlage der Verzweigung bei der gebotenen Aufmerksamkeit als Stopstrasse erkennbar war, sondern sie hielt fest, dass ein Stopsignal für sich allein, also auch bei Fehlen der gemäss Art. 36 Abs. 1 2. Satz in Verbindung mit Art. 75 Abs. 2 SSV vorgeschriebenen Bodenmarkierungen (6.10, 6.11, 6.12), gültig und zu beachten ist. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend.

3. a) Das Signal "Stop" (3.01, 3.011) verpflichtet den Führer, anzuhalten und den Fahrzeugen auf der Strasse, der er sich nähert, den Vortritt zu gewähren (Art. 36 Abs. 1 1. Satz SSV). Die das Signal ergänzende Haltelinie (Art. 36 Abs. 1 2. Satz SSV) zeigt an, wo die Fahrzeuge beim Signal "Stop" und gegebenenfalls bei Lichtsignalen, Bahnübergängen und Fahrstreifen für den abbiegenden Verkehr usw. halten müssen; der vorderste Teil des Fahrzeugs darf die Haltelinie nicht überragen (Art. 75 Abs. 1 SSV). Die Pflicht zum Anhalten wird demnach durch das Stopsignal und gegebenenfalls durch eine der in Art. 75 Abs. 1 SSV beispielhaft erwähnten Verkehrssituationen (Rotlicht, geschlossener Bahnübergang, Gegenverkehr usw.) begründet. Die Haltelinie zeigt lediglich an, wo genau angehalten werden muss. Mit der Haltelinie, die beim Stopsignal auf Strassen mit Hartbelag angebracht wird (Art. 75 Abs. 2 SSV), will dem Wartepflichtigen, wie in BGE 97 IV 42 ff. zu Art. 21 Abs. 1 und Art. 54 Abs. 3 altSSV ausgeführt wurde, "deutlich sichtbar gemacht werden, wo die Querstrasse beginnt, um jeden Irrtum auszuschliessen und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse eine klare und gefahrenfreie Verkehrslage zu schaffen. Die Bodenmarkierung hat somit die Bedeutung einer verbindlichen Abgrenzung zwischen Stopstrasse und Querstrasse; sie bestimmt im einzelnen Falle eindeutig die Stelle,
BGE 110 IV 39 S. 41
die in Art. 21 Abs. 1 (alt)SSV allgemein umschrieben wird" (S. 44). Das ist gerade bei Stopsignalen mit Distanztafel (5.01) sinnvoll. Das Stopsignal (3.01, 3.011) ist somit auch dann gültig und beachtlich, wenn die Haltelinie nicht (mehr) vorhanden ist (ebenso SJZ 67/1971 S. 57 Nr. 22 (Obergericht Zürich), zitiert bei SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht 1968/1972, S. 83; RStrS 1958 S. 109 Nr. 198 (Obergericht Solothurn), zitiert bei SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, S. 303, mit kritischer Anmerkung; RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. I, N. 681; vgl. ferner das nicht veröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 14. Februar 1983 i.S. H.c.AI zum insoweit analogen Fall des Fehlens einer Wartelinie beim Signal "Kein Vortritt", Art. 36 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 3 und 4 SSV). Das Fehlen der Haltelinie beim Stopsignal könnte aber unter Umständen dann von Bedeutung sein, wenn dem Fahrzeuglenker zur Last gelegt wird, er sei zu weit vorgefahren, d.h. er habe zu spät angehalten. Das ist vorliegend nicht der Fall; die Beschwerdeführerin hielt unbestrittenermassen überhaupt nicht an.
b) Die Bestimmung, dass auf Stopstrassen mit Hartbelag bei der Haltelinie zusätzlich die Markierung "STOP" (6.11) angebracht wird (Art. 75 Abs. 2 SSV), lässt sich damit begründen, dass Haltelinien noch in verschiedenen andern Fällen Verwendung finden, so bei Lichtsignalen, Bahnübergängen und Fahrstreifen für den abbiegenden Verkehr usw. (Art. 75 Abs. 1 SSV). Vor diesen Haltelinien muss, anders als vor der Haltelinie beim Stopsignal, nicht immer, sondern "gegebenenfalls" angehalten werden. Es ist daher sinnvoll, die Haltelinie beim Stopsignal durch die zusätzliche Bodenmarkierung "STOP" besonders zu kennzeichnen. Dass diese Bodenmarkierung "das signalisierte Haltegebot dem Fahrzeugführer zugleich eindringlicher zum Bewusstsein bringt, ist eine gewollte Nebenwirkung, die aber nichts daran ändert, dass die Vorschrift allein schon durch das Signal ... verbindlich angekündigt ist" (Obergericht Zürich in SJZ 67/1971 S. 58).
Das Stopsignal (3.01, 3.011) ist somit nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz auch dann gültig und beachtlich, wenn die gemäss Art. 75 Abs. 2 SSV vorgeschriebenen Bodenmarkierungen nicht (mehr) vorhanden sind.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

BGE: 97 IV 42

Artikel: Art. 75 Abs. 2 SSV, Art. 75 Abs. 1 SSV, Art. 36 Abs. 1 2, Art. 27 Abs. 1 SVG mehr...