Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Urteilskopf

121 II 447


58. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Dezember 1995 i.S. Bundesamt für Polizeiweisen (BAP) gegen C. und Regierungsrat des Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG, Art. 45 Abs. 1 und 4 VZV; Aberkennung und Herausgabe eines italienischen Führerausweises.
Die Einziehung des aberkannten ausländischen Führerausweises ist keine Vollzugshandlung im Sinne von Art. 101 lit. c OG (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, E. 1).
Soweit Art. 45 Abs. 4 VZV generell vorschreibt, dass der aberkannte ausländische Führerausweis dem Berechtigten beim Verlassen der Schweiz nicht auszuhändigen ist, wenn er hier Wohnsitz hat, verstösst er - mangels Rechtsgrundlage - gegen das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip (E. 2-5).

Sachverhalt ab Seite 448

BGE 121 II 447 S. 448
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern aberkannte C. am 14. Juli 1994 seinen italienischen Führerausweis auf unbestimmte Zeit und zog diesen ein. Es begründete sein Vorgehen damit, dass C. den Ausweis im Jahr 1980 unter Umgehung der schweizerischen Zuständigkeitsbestimmungen in Italien erworben habe.
Der Regierungsrat des Kantons Luzern hiess eine Beschwerde hiergegen insofern gut, als er anordnete, C. sei der italienische Führerausweis mit dem Vermerk zurückzugeben, dass das Dokument für die Schweiz ungültig sei; dessen Einziehung wäre völkerrechtswidrig.
Das Bundesamt für Polizeiwesen hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Es beantragt, den regierungsrätlichen Entscheid vom 7. Februar 1995 im Sinne der Erwägungen aufzuheben und den italienischen Führerausweis C. nicht auszuhändigen bzw. wieder einzuziehen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. a) Der angefochtene Entscheid des luzernischen Regierungsrats ist kantonal letztinstanzlich und unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958, SVG; SR 741.01). Das Bundesamt für Polizeiwesen besitzt das Beschwerderecht kraft Gesetzesvorschrift (Art. 24 Abs. 5 lit. c SVG; Art. 103 lit. c OG). Ein Ausschlussgrund gemäss Art. 99 ff. OG liegt nicht vor; insbesondere ist die Einziehung des aberkannten ausländischen Führerausweises keine Vollzugshandlung im Sinne von Art. 101 lit. c OG (unveröffentlichtes Urteil vom 14. Oktober 1980 i.S. Sch., E. 1). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.
b) Das Bundesgericht kontrolliert auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin die Anwendung des Bundesrechts von Amtes wegen; an die Begründung der Begehren ist es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 in fine OG; BGE 117 Ib 114 E. 4a S. 117, mit Hinweis). Es kann vorfrageweise Verordnungen des Bundesrats auf ihre Gesetzes- und Verfassungsmässigkeit (BGE 120 Ib 97 E. 3a S. 102, mit Hinweisen) und auf ihre Übereinstimmung mit übergeordneten staatsvertraglichen Bestimmungen (vgl. BGE 118 Ib 277 E. 3b
BGE 121 II 447 S. 449
S. 281, mit Hinweisen) prüfen.

2. a) Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat dem Beschwerdegegner seinen italienischen Führerausweis gestützt auf Art. 45 Abs. 1 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) auf unbestimmte Zeit aberkannt, weil dieser ihn in Umgehung der schweizerischen Zuständigkeitsbestimmungen erworben habe. Die Aberkennung als solche ist nicht umstritten. Hingegen macht das Bundesamt geltend, die Vorinstanz habe entgegen Art. 45 Abs. 4 VZV den aberkannten ausländischen Führerausweis nicht zugleich beschlagnahmt und dadurch Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a OG).
b) Nach Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG erlässt der Bundesrat Vorschriften über "ausländische Motorfahrzeuge und Fahrräder und ihre Führer sowie internationale Fahrzeug- und Führerausweise". Der revidierte Art. 45 Abs. 4 VZV (Änderung vom 7. März 1994, in Kraft seit 1. April 1994) hat folgenden Wortlaut:
"Aberkannte ausländische Führerausweise werden bei der Behörde
hinterlegt. Sie sind dem Berechtigten auszuhändigen:
a) nach Ablauf der Aberkennungsfrist oder Aufhebung der Aberkennung;
b) auf Verlangen beim Verlassen der Schweiz, wenn er hier keinen Wohnsitz
hat. Bei unbefristeter Aberkennung kann die Ungültigkeit in der Schweiz
vermerkt werden, wenn die Gefahr von Missbräuchen besteht."
Während nach der entsprechenden alten Regelung ein aberkannter ausländischer Ausweis nicht in jedem Fall einzuziehen war (unveröffentlichtes Urteil vom 14. Oktober 1980 i.S. Sch., E. 2b), ist er nunmehr aufgrund der zitierten (revidierten) Bestimmung bei der Behörde zu hinterlegen und kann dem Berechtigten, solange er in der Schweiz Wohnsitz hat, nicht ausgehändigt werden.
c) Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, es sei völkerrechtswidrig, wenn eine schweizerische Behörde einem italienischen Bürger verbieten wollte, mit einem von Italien ausgestellten Führerausweis in Italien zu fahren: Gemäss Art. 7 Abs. 4 des italienisch-schweizerischen Abkommens vom 19. September 1957 über den Motorfahrzeugverkehr und die Strassentransporte (SR 0.741.619.454; AS 1960 329 ff.) könne ein Vertragsstaat einen vom andern ausgestellten Führerausweis nur für sein Gebiet ungültig erklären. Nach Art. 42 Abs. 1 lit. a des Übereinkommens vom 8. November 1968 über den Strassenverkehr ("Wiener Übereinkommen"; für die Schweiz in Kraft seit dem 11. Dezember 1992; SR 0.741.10; AS 1993 402 ff.), dem Italien zwar nicht
BGE 121 II 447 S. 450
beigetreten sei, müsse ein aberkannter ausländischer Führerausweis zurückgegeben werden, sobald der Betroffene die Schweiz verlasse.
Das beschwerdeführende Bundesamt bringt demgegenüber vor, der umstrittenen Bestimmung stehe kein internationales Recht entgegen: Art. 42 Abs. 1 des "Wiener Übereinkommens" betreffe lediglich den Lenker ohne Wohnsitz in der Schweiz; diesem sei der aberkannte Führerausweis beim Verlassen der Schweiz wieder auszuhändigen, wie Art. 45 Abs. 4 VZV dies vorsehe. Weder das Übereinkommen noch das erwähnte Abkommen (von 1957), das Italien im übrigen auf den 31. Dezember 1969 "aufgekündet" habe, bestimme, was beim Wohnsitzwechsel des Führers aus dem Ausland mit dessen ausländischem Führerausweis zu geschehen habe, insbesondere wenn ein Entzugs- oder Aberkennungsgrund vorliege.

3. a) Ausländische Führerausweise können nicht entzogen werden, jedoch für die Schweiz nach den Bestimmungen aberkannt werden, die für den Entzug schweizerischer Führerausweise gelten (BGE 118 Ib 518 E. 3a S. 521, mit Hinweisen). Der aberkannte ausländische Ausweis kann dem Inhaber abgenommen, muss ihm aber zurückgegeben werden, "wenn er das Land verlässt" (vgl. Art. 45 Abs. 4 aVZV; PETER STAUFFER, Der Entzug des Führerausweises, Diss. Bern 1966, S. 93 f.). Dies folgt aus dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz der Territorialität der Staatsgewalt (dazu JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., Bern 1982, S. 248 ff.; ROLF BÄR, Extraterritoriale Wirkung von Gesetzen, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1988, Bern 1988, S. 3 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt es deshalb einen unzulässigen Eingriff in ausländische Hoheitsrechte dar, wenn dem Inhaber eines aberkannten Führerausweises verwehrt wird, mit dem ausländischen Ausweis im Ausland zu fahren (BGE 102 Ib 290 E. 1 S. 292, BGE 108 Ib 57 E. 3b S. 61; vgl. auch BGE 118 Ib 518 E. 3a S. 521). Ein solcher Eingriff bedarf einer speziellen Grundlage im internationalen Recht; daran fehlt es hier.
b) Die umstrittene Verordnungsbestimmung kann sich - mit Bezug auf ihre Geltung über den schweizerischen Hoheitsbereich hinaus - weder auf die einschlägige Delegationsnorm (Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG) noch auf anderes Bundesrecht der Gesetzes- oder Verfassungsstufe stützen (vgl. dagegen z.B. Art. 56 Abs. 2 SVG betreffend Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer). Die heikle Frage, in welchem Verhältnis derartiges
BGE 121 II 447 S. 451
Landesrecht zum völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatz stünde (vgl. Art. 114bis Abs. 3 BV; vgl. BGE 118 Ib 277 E. 3b S. 281, mit Hinweisen), braucht deshalb nicht geprüft zu werden. Das erwähnte Abkommen aus dem Jahre 1957 ist zwar in den amtlichen Sammlungen immer noch publiziert (vgl. Inhaltsverzeichnis 1994 der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts und der Systematischen Sammlung des Bundesrechts, S. 396, Chronologisches Register, Bd. 2, S. 992; Art. 10 des Publikationsgesetzes; SR 170.512); es wurde jedoch von Italien, wie das Bundesamt für Polizeiwesen nachweist, bereits auf den 31. Dezember 1969 "aufgekündet". Es kommt schon deshalb als Rechtsgrundlage für den hier zur Diskussion stehenden Eingriff in italienische Hoheitsrechte nicht in Frage; ebensowenig das "Wiener Übereinkommen" von 1968, dem Italien nicht beigetreten ist. Abgesehen davon, enthalten auch diese internationalen Verträge keine ausdrückliche Bestimmung, wonach aberkannte ausländische Führerausweise in jedem Fall eingezogen werden müssten bzw. dürften (unveröffentlichtes Urteil vom 14. Oktober 1980 i.S. Sch., E. 2a u. 2b; das Bundesgericht hatte schon damals die Einziehung eines aberkannten italienischen Ausweises gestützt auf die zitierte Rechtsprechung grundsätzlich abgelehnt).
c) Die Schweizer Behörden können somit dem Beschwerdegegner mangels (internationaler) Rechtsgrundlage nicht verbieten, mit seinem ausländischen Führerausweis im Ausland zu fahren. Sie können ihm wohl den aberkannten italienischen Ausweis während der Dauer seines Aufenthalts in der Schweiz abnehmen, müssen ihn aber wieder aushändigen, wenn er die Schweiz verlässt (vgl. BGE 102 Ib 290 E. 1 S. 292); das gilt auch dann, wenn der Aufenthalt in der Schweiz - wie hier - auf Wohnsitznahme beruht. Daran ändert nichts, dass die Regelung in Art. 45 Abs. 4 VZV auf Gründen der Gleichbehandlung aller Motorfahrzeugführer mit Wohnsitz in der Schweiz und solchen der Verkehrssicherheit beruht, wie das beschwerdeführende Bundesamt ausführt; sie vermag als rein landesrechtliche Norm die fehlende zwischenstaatliche Grundlage für einen Eingriff in italienische (oder andere ausländische) Hoheitsrechte nicht zu ersetzen.
Der Regierungsrat des Kantons Luzern weist zutreffend darauf hin, dass die Verkehrssicherheit in der Schweiz nicht berührt ist, wenn ein (in der Schweiz aberkannter) ausländischer Führerausweis vom Inhaber mit Wohnsitz in der Schweiz im Ausland verwendet wird, und dass jene im betreffenden Staat in dessen alleinige Hoheit fällt. Das übersieht das Bundesamt, wenn es argumentiert, die Verkehrssicherheit könne nicht "an der Grenze
BGE 121 II 447 S. 452
aufhören". Diesem (durchaus berechtigten) Anliegen trägt das "Wiener Übereinkommen" im Bereich der Führerausweise etwa dadurch Rechnung, dass es die Vertragsparteien verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit die anzuerkennenden Führerscheine "nicht ohne eine vernünftige Gewähr für die Befähigung des Führers und seiner körperlichen Eignung ausgestellt werden" (Artikel 41 Ziff. 3); oder dass die Vertragspartei, die einem Führer das Recht auf Verwendung des Führerscheins aberkannt hat, die Behörde, die diesen ausgestellt hatte, davon benachrichtigen kann (Artikel 42 Ziff. 1 lit. b); oder dass die Aberkennung, wenn es sich um einen internationalen Führerschein handelt, auf dem Ausweis selber vermerkt wird (Artikel 42 Ziff. 1 lit. c). Eine weitergehende Regelung, kraft derer ein Staat einen aberkannten ausländischen Ausweis mit Wirkung auch für ausländisches Hoheitsgebiet einziehen könnte, besteht aber im geltenden internationalen Strassenverkehrsrecht nicht.

4. Die Vorinstanz ordnete an, auf dem aberkannten Ausweis des Beschwerdegegners sei in Anwendung von Art. 45 Abs. 4 lit. b zweiter Satz VZV die Ungültigkeit für die Schweiz zu vermerken und das Dokument sei ihm auszuhändigen.
Das "Wiener Übereinkommen" sieht eine Anmerkung der Ungültigkeit explizit nur für internationale Führerscheine vor (Art. 42 Ziff. 1 lit. c). Das Bundesgericht hielt im unveröffentlichten Urteil vom 14. Oktober 1980 fest, die Aberkennung eines ausländischen Führerausweises für das Gebiet der Schweiz könne auch in nationale Ausweise eingetragen werden, wenn sich der Inhaber dieses Ausweises mit einer solchen Anmerkung ausdrücklich einverstanden erkläre (E. 2a; vgl. auch BGE 108 Ib 57 E. 3c S. 61). Der Beschwerdegegner hat vorliegend gegen einen entsprechenden Vermerk keine Einwendungen erhoben; er hat sich verpflichtet, "den in Italien erworbenen Führerschein in der Schweiz nie zu verwenden", und um Rückgabe des Dokuments gebeten. Das Vorgehen der Vorinstanz ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden: Der Führerausweis wurde dem Beschwerdegegner auf unbestimmte Zeit aberkannt und kann ihm während des Aufenthalts in der Schweiz abgenommen werden (oben E. 3c). Wie das Bundesgericht im erwähnten unveröffentlichten Urteil erwog, ist eine Ungültigerklärung des Ausweises durch Anmerkung und Stempelung der Urkunde zweckmässig, weil dadurch der betreffende ausländische Ausweis für das Gebiet der Schweiz unmittelbar entwertet wird. Die polizeiliche Kontrolle ist damit ebenso gut gewährleistet wie bei einer Einziehung; gleichzeitig wird dem Umstand
BGE 121 II 447 S. 453
Rechnung getragen, dass die Aberkennung im Unterschied zur Einziehung des Führerausweises territorial beschränkt gilt. Die Anmerkung direkt auf dem Dokument verringert zudem nicht nur den Verwaltungsaufwand der Behörde; auch mit Rücksicht auf die Umtriebe, die dem Beschwerdegegner durch die Hinterlegung des Ausweises entstehen würden, erscheint sie praktikabel und verhältnismässig.

5. a) Soweit Art. 45 Abs. 4 VZV generell vorschreibt, dass der aberkannte ausländische Führerausweis dem Berechtigten beim Verlassen der Schweiz nicht auszuhändigen ist, wenn er hier Wohnsitz hat (lit. b e contrario), verstösst er - mangels Rechtsgrundlage - gegen das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5

Referenzen

BGE: 118 IB 277, 118 IB 518, 102 IB 290, 108 IB 57 mehr...

Artikel: Art. 45 Abs. 4 VZV, Art. 25 Abs. 2 lit. b SVG, Art. 101 lit. c OG, Art. 45 Abs. 1 und 4 VZV mehr...