Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Urteilskopf

129 III 301


50. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG und Mitb. gegen B. und Mitb. sowie Präsident des Kassationsgerichts des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde)
4P.141/2002 vom 25. November 2002

Regeste

Aktienrecht; Sonderprüfung; Zivilrechtsstreitigkeit (Art. 697d Abs. 2 OR; Art. 45 und 46 OG).
Das Drittverfahren, in welchem die Auskunfts- und Editionspflicht nach Art. 697d Abs. 2 OR in Frage steht, hat keine Zivilrechtsstreitigkeit zum Gegenstand (E. 1).

Sachverhalt ab Seite 301

BGE 129 III 301 S. 301

A.- B., C., D., E. und F. besitzen zusammen die Mehrheit der Aktien der Z. AG. Sie erwirkten gegen die Aktionärs-Stimmen des Präsidenten des Verwaltungsrates, A., einen Beschluss der Generalversammlung der Z. AG, dass eine Sonderprüfung durchzuführen sei. Auf ihr gegen die Z. AG gerichtetes Gesuch entschied der Präsident des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen am 10. Dezember 2001, es werde eine Sonderprüfung über die Z. AG zu bestimmten Fragen durchgeführt. Zu diesen Fragen gehören die Organisation der Z. AG mit ihren Tochtergesellschaften in den Jahren 1997 bis 1999, die finanziellen Beziehungen zwischen der Holding und ihren Tochtergesellschaften im gleichen Zeitraum sowie die Liquiditätsplanung der Holding und/oder ihrer Tochtergesellschaften und die Bewertungen in den Jahresrechnungen im Zeitraum 1997 bis 2000. Zur Sonderprüferin wurde die G. AG ernannt.
BGE 129 III 301 S. 302

B.- Die Sonderprüferin nahm im Januar 2002 ihre Arbeit auf. Sie stellte A., welcher den Verwaltungsräten der Z. AG und deren Tochtergesellschaft X. AG angehörte, eine Liste der benötigten Unterlagen zu. A. verweigerte jedoch die Herausgabe. Er wies darauf hin, dass ihm der am 21. Januar 2002 neu gewählte Verwaltungsratspräsident der X. AG verboten habe, ohne dessen vorgängiges ausdrückliches Einverständnis irgendwelche Auskünfte über die X. AG zu erteilen. Mit Schreiben vom 29. Januar 2002 brachte die Sonderprüferin diese Vorgänge dem Präsidenten des Handelsgerichts zur Kenntnis, welcher hierauf die erwähnten Mehrheitsaktionärinnen, die Z. AG, A. persönlich und die X. AG sowie die Sonderprüferin zur Stellungnahme im Hinblick auf einen Entscheid betreffend Auskunftserteilung (Art. 697d Abs. 2 OR) aufforderte. Die X. AG sowie die Y. AG, welche die Aktien der X. AG mit Kaufvertrag vom 25. Juni 2001 erworben hatten, bestritten eine Pflicht zur Herausgabe von Unterlagen. Sie machten geltend, die X. AG sei nicht Partei des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderprüfung gewesen, weshalb sie aus dem Entscheid des Handelsgerichtspräsidenten vom 10. Dezember 2001 nicht in Anspruch genommen werden könne. Die Z. AG vertrat ihrerseits den Standpunkt, dass sie ihrer Pflicht zur Herausgabe von Unterlagen bereits vollständig nachgekommen sei.

C.- Der Präsident des Handelsgerichts des Kantons St. Gallen fällte am 12. März 2002 folgenden Entscheid:
"1. Herr A. ist als Verwaltungsratspräsident der Z. AG zur Auskunft verpflichtet über die Beziehungen dieser Gesellschaft zu ihren Tochtergesellschaften.
Sofern für die Untersuchung der Prüfungsgegenstände gemäss Ziff. 1 des Entscheids vom 10. Dezember 2001 die erforderlichen Geschäftsakten bei der Z. AG fehlen, kann die Sonderprüferin diese Unterlagen bei den Tochtergesellschaften einverlangen.
2. ... (Kosten)."

D.- Die X. AG, die Y. AG und A. reichten gegen den Entscheid des Handelsgerichtspräsidenten vom 12. März 2002 gemeinsam kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ein. Diese Beschwerde wurde vom Präsidenten des Kassationsgerichts des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 2. Mai 2002 abgewiesen.

E.- Die X. AG, die Y. AG und A. haben gegen den Entscheid des Präsidenten des Kassationsgerichts gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde eingelegt mit den Anträgen, diesen aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen zurückzuweisen.
BGE 129 III 301 S. 303
Auf Gesuch der Beschwerdeführer ist ihrer Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 30. Juli 2002 die aufschiebende Wirkung gewährt worden.
Die B., C., D. und F. beantragen mit gemeinsamer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
Die Z. AG (Beschwerdegegnerin 6) schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde.
Der Präsident des Kassationsgerichts des Kantons St. Gallen hat auf Vernehmlassung verzichtet.

F.- Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat an ihrer Sitzung vom 19. November 2002 mit Zwischenentscheid beschlossen, dass die mit der staatsrechtlichen Beschwerde erhobenen Rügen unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität gegenüber der Berufung (Art. 84 Abs. 2 OG) zulässig sind (vgl. die Begründung in der nachfolgenden E. 1).

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde unzulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung sonst wie beim Bundesgericht gerügt werden kann (Grundsatz der absoluten Subsidiarität). Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführer den Entscheid des Handelsgerichtspräsidenten vom 12. März 2002 mit eidgenössischer Berufung (Art. 43 ff. OG) hätten anfechten können.

1.1 Zulässig ist die staatsrechtliche Beschwerde von vornherein, soweit darin Verfassungsverletzungen geltend gemacht werden, welche sich nicht im Vorwurf einer unrichtigen Anwendung von Bundesrecht erschöpfen. Diese Rügen sind vom Berufungsverfahren ausgeschlossen (Art. 43 Abs. 1 OG).

1.2 Soweit die Beschwerdeführer ausdrücklich oder sinngemäss eine Verletzung von Vorschriften des Bundesrechts (insbes. Art. 697a ff. OR) geltend machen, stellt sich die Frage, ob insoweit eine die staatsrechtliche Beschwerde ausschliessende Zivilrechtsstreitigkeit gegeben ist. Sie ist zu verneinen.

1.2.1 Nach dem im Lichte seiner Erwägungen (BGE 115 II 187 E. 3c; BGE 116 II 614 E. 5a) zu verstehenden Dispositiv des Entscheids des Handelsgerichtspräsidenten vom 12. März 2002 wurde A. als Organ der Z. AG zur Auskunft über deren Beziehungen zu ihren Tochtergesellschaften verpflichtet. Darüber hinaus wurde die Sonderprüferin ermächtigt, allenfalls erforderliche Geschäftsakten bei den Tochtergesellschaften einzuverlangen. Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde ist einzig diese zweite Anordnung. Die
BGE 129 III 301 S. 304
X. AG als frühere Tochtergesellschaft der Z. AG, deren heutige Muttergesellschaft, die Y. AG, und A. als formell Auskunftspflichtiger widersetzen sich der Herausgabe von Geschäftsakten der X. AG im Sonderprüfungsverfahren über die Z. AG.

1.2.2 Soweit hier von Interesse steht die Berufung einzig in Zivilrechtsstreitigkeiten offen (Art. 45 und 46 OG). Darunter versteht die Rechtsprechung im gegebenen Umfeld ein kontradiktorisches Verfahren zwischen verschiedenen Personen als Trägerinnen privater Rechte, einen Streit um Ansprüche des Bundeszivilrechts (BGE 128 III 250 E. 1a mit Hinweisen; CORBOZ, Le recours en réforme au Tribunal fédéral, SJ 2000 II S. 1 ff., 16 f.).
Art. 697a OR gibt jedem Aktionär einen an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Anspruch auf Durchführung einer Sonderprüfung. Dieser Anspruch ist ein solcher des materiellen Bundesrechts, der Anlass zu einer Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG geben kann (Art. 697b OR; BGE 120 II 393 E. 2). Parteien dieser Zivilrechtsstreitigkeit sind die eine Sonderprüfung verlangenden Aktionäre auf der einen und die Aktiengesellschaft auf der andern Seite.

1.2.3 Art. 697d Abs. 2 zählt die im Sonderprüfungsverfahren auskunftspflichtigen Personen auf und lässt im Streitfall über deren Auskunftspflicht den Richter entscheiden. Diese Personen sind persönlich weder Gläubiger noch Schuldner des Anspruchs auf Sonderprüfung, sondern Dritte, und als solche weder am Anspruch noch an der darüber angehobenen Zivilrechtsstreitigkeit beteiligt. Schuldnerin der Sonderprüfung ist allein die Aktiengesellschaft und ihr gegenüber erschöpft sich der Zivilrechtsstreit mit den Aktionären.
Art. 697d Abs. 2 OR ist seinem Wesen nach eine bundesrechtliche Beweis- oder Prozessvorschrift, welche keinen privatrechtlichen Anspruch des Sonderprüfers gegenüber den auskunftspflichtigen Dritten, sondern bloss deren verfahrensbezogene Auskunfts- oder Editionspflicht begründet. Streitigkeiten über solche Pflichten in einem Drittverfahren aber sind keine Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne von Art. 46 OG (vgl. analog zu Art. 963 OR: BGE 55 II 203; BGE 71 II 244; BGE 93 II 60; KUMMER, ZBJV 105/1969 S. 75 f.; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, N. 1.2.72 und 2.3.28 ad Titre II). Damit sind sie vom Berufungsverfahren ausgeschlossen und auf die staatsrechtliche Beschwerde ist unter dem Blickwinkel deren absoluten Subsidiarität insgesamt einzutreten.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1

Referenzen

BGE: 115 II 187, 116 II 614, 128 III 250, 120 II 393 mehr...

Artikel: Art. 697d Abs. 2 OR, Art. 45 und 46 OG, Art. 84 Abs. 2 OG, Art. 697a ff. OR mehr...