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Urteilskopf

97 V 144


36. Urteil vom 15. Juni 1971 i.S. Hochberger gegen Ausgleichskasse Bernischer Geschäftsinhaber-Verband und Verwaltungsgericht des Kantons Bern

Regeste

Art. 16 Abs. 3 und 30 ter AHVG.
Die absolute Verwirkungsnorm, wonach "zuviel bezahlte Beiträge" nach 5 Jahren nicht mehr rückzahlbar sind, findet keine Anwendung auf ungeschuldete Zahlungen Nichtversicherter. Von diesen als Beiträge entrichtete Summen werden jedenfalls nicht vor Ablauf von 10 Jahren rentenbildend, bleiben aber bis dahin rückzahlbar.

Sachverhalt ab Seite 145

BGE 97 V 144 S. 145

A.- Der 1904 geborene österreichische Staatsangehörige Anton Hochberger liess sich im Jahre 1961 endgültig in der Schweiz nieder. Bereits 1954 war er, von Kolumbien kommend, zusammen mit seiner 1953 wieder in das Schweizerbürgerrecht aufgenommenen Ehefrau und der 1935 geborenen Tochter in unser Land eingereist. Anscheinend hielt sich seither die Ehefrau fast immer, die Tochter ununterbrochen in der Schweiz auf. Anton Hochberger selbst begab sich 1956 erneut nach Kolumbien, wo er bis 1961 weilte, um sein Unternehmen sowie sein Haus zu liquidieren. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz meldete er sich am 16. Oktober 1961 in Bern fremdenpolizeilich an. Am 11. Dezember 1961 wurde Anton Hochberger von der Ausgleichskasse als Nichterwerbstätiger rückwirkend ab 1956 der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung unterstellt. Diese Verfügung blieb unangefochten. Die Beiträge wurden vom Pflichtigen jeweils regelmässig bezahlt und seinem individuellen Konto gutgeschrieben.

B.- Durch Verfügung vom 17. Juni 1969 sprach die Ausgleichskasse dem inzwischen 65jährig gewordenen Anton Hochberger mit Wirkung ab 1. Mai 1969 eine Ehepaar-Altersrente von monatlich Fr. 196.-- zu. Nachdem seine Ehefrau am 17. Juni 1969 gestorben war, verfügte die Kasse am 10. Juli 1969, ihm ab 1. Juli 1969 nurmehr eine einfache Altersrente von Fr. 106.-- im Monat zu gewähren. Bei der Berechnung beider Renten wurden von der Kasse nur die ab 1. Oktober 1961 entrichteten Beiträge berücksichtigt. Sie ging dabei von der Annahme aus, der Ansprecher sei frühestens ab diesem Datum in der Schweiz wohnhaft und der obligatorischen AHV unterstellt gewesen. Anton Hochberger sei irrtümlich bereits ab 1956 beitragspflichtig erklärt worden. Die von ihm ab 1956 bis Ende September 1961 bezahlten Beiträge seien nicht geschuldet gewesen und deshalb nicht rentenbildend. Eine Rückvergütung der bezahlten
BGE 97 V 144 S. 146
Nichtschuld sei wegen Eintritts der Verwirkung heute nicht mehr möglich.
Die von Anton Hochberger gegen die Kassenverfügungen vom 17. Juni und 10. Juli 1969 gerichtete Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 26. November 1969 in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass die dem Rekurrenten vom 1. Mai bis Ende Juni 1969 zustehende Ehepaar-Altersrente von Fr. 196.-- monatlich auf Fr. 203.-- erhöht wurde. Im übrigen wies die Vorinstanz die Beschwerde als unbegründet ab.

C.- Anton Hochberger hat gegen dieses kantonale Erkenntnis beim Eidg. Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er beantragt, dass die für die Zeit von 1. Januar 1956 bis Ende September 1961 bezahlten Beiträge bei der Bemessung der Rente zu berücksichtigen seien und demgemäss die entsprechende günstigere Skala angewandt werden müsse. Wenn die Ausgleichskasse beim Erlass der Verfügung vom 11. Dezember 1961 in der Annahme, der Wohnsitz in der Schweiz habe bereits 1956 bestanden, die Beitragspflicht schon von diesem Jahre an als gegeben erachtet habe, so gehe es jedenfalls nicht an, dass sie diese Verfügung, die übrigens auf Grund einer durchaus vertretbaren Würdigung des damaligen Sachverhalts ergangen sei, im Jahre 1969 ungültig erkläre. Ein solcher Widerruf würde Treu und Glauben zuwiderlaufen und wäre um so stossender, als eine Erstattung der 1956 bis Herbst 1961 bezahlten Beiträge wegen Verwirkung des Rückforderungsanspruches nicht mehr möglich wäre.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung tragen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an, letzteres insoweit, "was das AHV-Recht betrifft". Grund dieser Einschränkung ist die Auffassung, dass für die Frage einer allfälligen Rückerstattung der nicht rentenbildenden Beiträge wegen Fehlens eines Versicherungsverhältnisses in den Jahren 1956 bis 1961 anstelle der AHV-rechtlichen Verwirkungsfrist von 5 Jahren (Art. 16 Abs. 3 AHVG) die 10jährige Frist von Art. 67 OR anzuwenden sei.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Anton Hochberger hat von 1956 bis 1961 unbestrittenermassen in der Schweiz keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Ausgleichskasse, Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung sind der Meinung, er sei bis Ende September 1961 auch nie in
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unserem Lande wohnhaft gewesen. Sollte diese Annahme zutreffen, so wäre er bis dahin nicht der schweizerischen AHV unterstellt gewesen.
Vorausgesetzt, die Unterstellungsbedingung des schweizerischen Wohnsitzes sei tatsächlich nicht erfüllt gewesen, so stellt sich die Frage, ob die Ausgleichskasse am 17. Juni 1969 (Festsetzung der Ehepaar-Altersrente) bzw. am 10. Juli 1969 (Festsetzung der einfachen Altersrente) befugt war, die Beiträge, die sie vom Rekurrenten durch Verfügung vom 11. Dezember 1961 für die Zeit von 1956 bis Ende September 1961 gefordert und die dieser auch bezahlt hatte, nicht als rentenbildend zu anerkennen. Es fragt sich m.a.W., ob die Verwaltung 1969 auf eine acht Jahre zuvor erlassene rechtskräftige Verfügung, in welcher sie einen Nichtversicherten rückwirkend für die Zeit von 1956 bis Ende September 1961 der AHV unterstellt und zur Beitragszahlung veranlasst hatte, zurückkommen konnte mit der Begründung, die entrichteten Beiträge seien nicht geschuldet gewesen und mithin nicht rentenbildend.
Zur Beantwortung dieser Frage ist von der - trotz des Marginale "Verjährung" - als Verwirkungsnorm (EVGE 1955 S. 194) geltenden Bestimmung des Art. 16 AHVG auszugehen. Gemäss Abs. 3 desselben erlischt "der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge mit Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit Ablauf von fünfJahren seit der Zahlung".

2. a) Nach Ansicht des Bundesamtes für Sozialversicherung werden durch die Verwirkung des Rückerstattungsanspruches die zuviel bezahlten Beiträge eines Versicherten nicht rentenbildend. Es macht geltend, nach einem allgemeinen Grundsatz der Verwaltungspraxis seien nur geschuldete Beiträge anrechenbar; nicht oder nicht mehr geschuldete Beiträge fielen somit bei der Rentenberechnung ausser Betracht. Demnach könne die AHV jederzeit eine Korrektur des individuellen Beitragskontos vornehmen, wenn sich nachträglich herausstelle, dass der Konteneintrag auch nicht geschuldete Beiträge umfasst. Zur Begründung verweist das Bundesamt auf Rz. 318 seiner bis Ende 1970 in Kraft gewesenen Wegleitung über die Renten, wo namentlich die verjährten, erlassenen oder an eine ausländische Sozialversicherung überwiesenen Beiträge als nicht rentenbildend bezeichnet werden. Gemäss lit. d der nämlichen Bestimmung sind zudem
BGE 97 V 144 S. 148
die von einem Versicherten bezahlten, aber nicht geschuldeten Beiträge (so z.B. die von einem Erwerbstätigen gleichzeitig als Nichterwerbstätiger oder die von fiktiven Löhnen entrichteten Beiträge) nicht anrechenbar. - Diese Verwaltungspraxis ist sicher insoweit gesetzesgemäss, als sie sich auf Beiträge bezieht, die die AHV nicht entgegengenommen hat, bzw. nicht mehr entgegennehmen kann (vorbehalten bleibt der Fall von Art. 138 Abs. 1 AHVV) oder die sie zurückerstattet hat, bzw. in irgendeiner Form (durch Rückzahlung oder Überweisung) noch zurückerstatten kann. Anders verhält es sich jedoch dann, wenn die AHV von einem Versicherten tatsächlich ungeschuldete Beiträge bezogen hat. Dass in einem solchen Falle nach Ablauf der fünfjährigen Frist nur der Rückerstattungsanspruch des Versicherten der Verwirkung unterliege, nicht aber das Recht der Kasse, nachträglich eine Korrektur des individuellen Beitragskontos vorzunehmen, würde dem Sinn und Zwecke der Verwirkungsnorm des Art. 16 AHVG widersprechen, laut welchem "aus Gründen der Rechtssicherheit und aus verwaltungstechnischen Erwägungen ... nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes in einem bestimmten Schuldverhältnis zwischen AHV und Beitragspflichtigen Ruhe eintreten" solle (vgl. Botschaft vom 5. Mai 1953 S. 39 letzter Absatz). Diese Gründe sowie das Gebot rechtsgleicher Behandlung führen dazu, nach Ablauf der fünfjährigen Frist des Art. 16 Abs. 3 AHVG nicht nur den Anspruch des Versicherten auf Rückerstattung der zuviel bezahlten Beiträge, sondern auch das Recht der AHV, diese nachträglich für nicht rentenbildend zu erklären, als verwirkt zu erachten; denn es wäre stossend, wenn die AHV nach Eintritt der Verwirkung zwar dem Versicherten die Unabänderlichkeit des Versicherungsverhältnisses entgegenhalten, ihrerseits aber dieses Verhältnis jederzeit modifizieren könnte. Der Umstand, dass die seit 1. Januar 1971 gültige neue Wegleitung über die Renten den in lit. d von Rz. 318 der alten Wegleitung enthaltenen Passus, wonach die bezahlten, aber nicht geschuldeten Beiträge nicht angerechnet werden, nicht mehr enthält, kann möglicherweise darauf hindeuten, auch das Bundesamt für Sozialversicherung erachte nach Eintritt der fünfjährigen Verwirkungsfrist die von einem Versicherten bezahlten, aber nicht geschuldeten Beiträge als rentenbildend (vgl. Rz. 414 der neuen Wegleitung, die der Rz. 318 der alten entspricht). Vorbehalten bleiben die Fälle, in denen ein Versicherter durch bewusste
BGE 97 V 144 S. 149
Irreführung der AHV dieser zu hohe Beiträge entrichtet, um rechtswidrig eine höhere als die ihm zustehende Rente zu erlangen: die zuviel bezahlten Beiträge sind selbstverständlich auch nach Ablauf der Verwirkungsfrist nicht rentenbildend.
b) Es stellt sich nun die Frage, ob Art. 16 Abs. 3 AHVG, aus dem zu schliessen ist, dass gutgläubig zuviel entrichteten Beiträgen eines Versicherten nach Ablauf der Verwirkungsfrist von fünf Jahren rentenbildende Kraft zukommt, auch auf Fälle anwendbar ist, in denen, wie im vorliegenden, jemand der AHV als Nichtversicherter Beiträge leistet. Wie das Gesamtgericht, dem diese Rechtsfrage unterbreitet wurde, befunden hat, ist hierbei zu beachten, dass Art. 16 Abs. 3 AHVG als Verwirkungsnorm eine Ausnahmebestimmung darstellt, die nicht extensiv interpretiert werden darf. Deren Auslegung hat nach dem Wortlaut zu erfolgen. Art. 16 Abs. 3 AHVG spricht einzig von Beiträgen, die ein "Beitragspflichtiger" bezahlt und - bezeichnenderweise - von "zuviel bezahlten Beiträgen", was ebenfalls das Bestehen einer Beitragspflicht und mithin die Eigenschaft des Versichertseins voraussetzt. Art. 16 Abs. 3 AHVG ist demnach nicht auf Fälle von Beitragszahlungen Nichtversicherter anwendbar. Hinsichtlich solcher Sachverhalte liegt somit eine Lücke vor, die vom Richter auszufüllen ist.
Es könnte vorab als naheliegend erscheinen, in analoger Anwendung von Art. 16 Abs. 3 AHVG auch die von einem Nichtversicherten bezahlten "Beiträge" nach fünf Jahren als rentenbildend zu erachten, was für den vorliegenden Fall zur Folge hätte, dass das Recht der Ausgleichskasse, im Jahre 1969 auf ihre 1961 erlassene rechtskräftige Beitragsverfügung zurückzukommen, zu verneinen wäre. Gewichtige Gründe sprechen indessen gegen eine solche Lückenfüllung per analogiam. Diese könnte beispielsweise zur Folge haben, dass einem Nichtversicherten, der der AHV bloss während eines Jahres Beiträge geleistet hat, schon nach fünfJahren, also bereits nach einem Neuntel der in der Regel 45 Jahre betragenden Aktivitätsperiode, ein potentieller Anspruch auf eine Altersrente entstünde, vorausgesetzt, die Zahlung sei gutgläubig erfolgt. Aussichten dieser Art könnten einen Nichtversicherten veranlassen, wissentlich nicht geschuldete Beiträge zu entrichten in der Absicht, sich dadurch auf den Versicherungsfall hin eine Rente zu verschaffen. Durch gleichermassen bösgläubige Zahlungen könnte ein nur zeitweise Versicherter - namentlich seit der Einführung der
BGE 97 V 144 S. 150
Rentenberechnung pro rata temporis - versucht sein, Beitragslücken zu schliessen für Zeiten, in denen er nicht der AHV unterstellt ist. In solchen Fällen würde selbstverständlich auch nach Ablauf der fünfjährigen Verwirkungsfrist kein Anspruch auf Rente, bzw. auf eine höhere Rente entstehen. Indessen ist zu beachten, dass sich vielfach erst anlässlich des der Rentenfestsetzung vorausgehenden Zusammenrufs der individuellen Konten herausstellt, dass jemand als Nichtversicherter Beiträge bezahlt hat. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung zutreffend bemerkt, wird es in diesem Zeitpunkt meist zu spät sein, um zuverlässig abklären zu können, ob die nicht geschuldeten Beiträge in gutem Glauben oder aber bösgläubig entrichtet wurden, so dass in praxi fast immer auf gutgläubige Bezahlung geschlossen und der Rentenanspruch demnach bejaht werden müsste. Es besteht somit die durchaus reale Gefahr, dass Nichtversicherte versucht sein könnten, sich durch bösgläubige Beitragszahlungen einen Anspruch auf Rente zu sichern. Die schwere Nachweisbarkeit des bösen Glaubens hätte in vielen Fällen zur Folge, dass solchen Personen, würde man Art. 16 Abs. 3 AHVG analog auf sie anwenden, bereits nach fünf Jahren ein potentieller Rentenanspruch entstünde. Dies wäre stossend und widerspräche den Interessen der Gesamtheit der Versicherten. Die Notwendigkeit, solchen Missbräuchen zu steuern, schliesst es gemeinhin aus, die von Nichtversicherten geleisteten Beiträge bereits nach fünf Jahren als rentenbildend zu betrachten. Auf entsprechende unrichtige Beitragsverfügungen soll deshalb auch nach Ablauf dieser Frist zurückgekommen werden können. Dies will indessen nicht besagen, dass eine Verfügung, in der ein Nichtversicherter zur Beitragszahlung veranlasst wird, von der Ausgleichskasse jederzeit korrigiert werden kann. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es an sich wünschenswert, das Recht auf Rücknahme einer solchen Verfügung zu befristen, wobei die Frist aus Gründen der Rechtsgleichheit sowohl für die Verwaltung als auch für den Beitragszahlenden zu gelten hätte. Eine direkt auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbare Verwirkungsnorm besteht indessen nicht.
Das VwG enthält keinerlei Fristen für das Zurückkommen auf eine Verfügung, wohl aber - in Art. 67 Abs. 2 - eine zehnjährige Frist für das revisionsweise Zurückkommen auf einen Beschwerdeentscheid (sofern dieser nicht durch ein Verbrechen oder Vergehen beeinflusst wurde). Dieselbe Frist gilt
BGE 97 V 144 S. 151
gemäss Art. 141 Abs. 2 OG auch für die Revision bundesgerichtlicher Urteile. Die Praxis des Bundesgerichts sieht - im fiskalischen Bereich - nebst einer fünfjährigen ebenfalls eine zehnjährige Frist vor ( BGE 83 I 220 ). Im Interesse der Gesamtheit der Versicherten erscheint es in Anlehnung an die dargelegten Regelungen als gerechtfertigt, der Verwaltung das Recht zuzugestehen, eine Verfügung, in der sie zu Unrecht einen Nichtversicherten als beitragspflichtig erklärt hat, jedenfalls auf zehn Jahre zurück aufzuheben. Ob ein Zurückkommen nach Ablauf von zehn Jahren und in allen Fällen unzulässig sei, kann dahingestellt bleiben, nachdem im vorliegenden Falle die rückwirkende Beitragsverfügung vom 11. Dezember 1961 in den Rentenverfügungen vom 17. Juni 1969 bzw. 10. Juli 1969, also nach acht Jahren, von der Ausgleichskasse als inexistent erachtet und damit implizite aufgehoben wurde. Somit ergibt sich, dass die Rücknahme der Verfügung vom Jahre 1961 zulässig war, vorausgesetzt, diese sei wirklich unrichtig gewesen, was nicht zuträfe, wenn Anton Hochberger, wie er behauptet, bereits bei seiner ersten Einreise in die Schweiz im Jahre 1954 die Absicht gehabt haben sollte, in unserem Lande zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ZGB zu begründen.

3. Das Bundesamt für Sozialversicherung weist in seiner Vernehmlassung darauf hin, wohl habe sich Anton Hochberger bereits vom September 1954 bis 1956 in der Schweiz aufgehalten. Aus seinen Angaben gehe indessen hervor, dieser Aufenthalt sei mit der Krankheit der Schwiegermutter begründet gewesen, bei der er in ... mit seiner Familie geweilt habe. Dieser Umstand rechtfertige die Annahme eines zumindest anfänglich nur als vorübergehend gedachten Aufenthaltes in der Schweiz. Auch der Umstand, dass die Liquidation des unbeweglichen Vermögens in Kolumbien erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen wurde, müsse als Indiz dafür gewertet werden, mit der ersten Einreise in die Schweiz sei eine Absicht dauernden Verbleibens nicht verbunden gewesen. Dass die fremdenpolizeiliche Anmeldung sowie die Anmeldung bei der Ausgleichskasse erst im Oktober 1961 erfolgte, stelle ebenfalls ein Anzeichen dafür dar, diese Absicht habe erst dann und nicht schon anlässlich der erstmaligen Einreise in die Schweiz bestanden.
Die in den Akten enthaltenen Angaben sind indessen zu dürftig, um über die Richtigkeit der Annahme der Ausgleichskasse, der Vorinstanz und des Bundesamtes, der schweizerische Wohnsitz
BGE 97 V 144 S. 152
sei erst im Herbst 1961 begründet worden, zu befinden. Ob allein die Krankheit der Schwiegermutter den Beschwerdeführer veranlasst habe, vom September 1954 bis 1956 in der Schweiz zu verweilen, ist eine Vermutung, deren Begründetheit der Beschwerdeführer in Abrede stellt und die sich bei näherer Abklärung vielleicht als unzutreffend erweisen könnte. Auch sind die Gründe, die Anton Hochberger veranlassten, sein unbewegliches Vermögen in Kolumbien erst später zu liquidieren, nicht bekannt; je nach deren Beschaffenheit wäre trotz der Rückkehr nach Südamerika eine spätestens 1956 erfolgte Wohnsitznahme in der Schweiz nicht völlig ausgeschlossen, zumal wenn es zutrifft, dass die Ehefrau ab 1954 fast ständig und die Tochter ununterbrochen in unserem Lande weilten. Sodann ist zu beachten, dass ein zivilrechtlicher Wohnsitz unabhängig von der Anmeldung bei der Fremdenpolizei oder der AHV begründet werden kann. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, die Ausgleichskasse anzuweisen, durch eingehende Erhebungen über die Aufenthaltsverhältnisse der verschiedenen Familienangehörigen in den verschiedenen Ländern abzuklären, ob sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen Anton Hochbergers wirklich erst ab 1961 in der Schweiz befand. Dabei werden insbesondere Abklärungen an Ort und Stelle in Kolumbien zu veranlassen sein. Sollten diese ergeben, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner Rückkehr nach Südamerika im Jahre 1956 einen schweizerischen Wohnsitz begründet und in der Folge beibehalten hatte, so erwiese sich die Verfügung vom 11. Dezember 1961 nicht als unrichtig und die gestützt auf sie entrichteten Beiträge wären bei der Rentenberechnung mitzuberücksichtigen, was eine Berichtigung der Rentenverfügungen vom 17. Juni und 10. Juli 1969 notwendig machen würde.

4. a) Falls die ergänzenden Abklärungen ergeben sollten, Anton Hochberger sei tatsächlich erst ab Oktober 1961 in der Schweiz wohnhaft, die Beitragsverfügung vom 11. Dezember 1961 somit unrichtig und deren Rücknahme durch die Ausgleichskasse deshalb zulässig gewesen, so stellt sich die Frage, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Rückerstattung der für die Zeit von 1956 bis Ende September 1961 zu Unrecht bezahlten Beiträge zusteht. Ein Antrag auf Rückerstattung derselben ist in der Rekursschrift zwar nicht gestellt worden. Aus den verschiedenen Eingaben des Beschwerdeführers geht jedoch unmissverständlich hervor, dass er jedenfalls eventualiter die Rückzahlung der Beiträge begehrt.
BGE 97 V 144 S. 153
Eine die Rückerstattung verweigernde Verfügung liegt nicht vor. Die anscheinend hiefür zuständige Ausgleichskasse des Kantons Bern hat sich im erstinstanzlichen Verfahren gegen die Anerkennung eines Rückzahlungsanspruches ausgesprochen, da dieser gemäss Art. 16 Abs. 3 AHVG verjährt sei. Trotz der Empfehlung im kantonalen Urteil, ihren Standpunkt in dieser Frage zu überprüfen, hat die Ausgleichskasse - nach den glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers - an ihrer Auffassung festgehalten. Diese vom Bundesamt unter dem Gesichtspunkte des AHV-Rechts gebilligte Stellungnahme der Ausgleichskasse während des Prozesses kann einer abweisenden Verfügung gleichgestellt werden, so dass sich der Richter - aus Gründen der Verfahrensökonomie - mit der Rückerstattungsfrage befassen kann.
Wie in Ziff. 2b) der vorstehenden Erwägungen dargetan wurde, findet Art. 16 Abs. 3 AHVG, wonach der Anspruch des Beitragspflichtigen auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge spätestens mit Ablauf von fünf Jahren seit der Zahlung erlischt, auf Nichtversicherte keine Anwendung. Art. 16 Abs. 3 AHVG als lex specialis weist somit hinsichtlich dieser Personenkategorie eine Lücke auf, die vom Richter zu füllen ist, nach Ansicht des Bundesamtes für Sozialversicherung möglicherweise durch Rückgriff auf die allgemeine Regel des Obligationenrechts, wonach derjenige, der eine Nichtschuld bezahlt, diese vom bereicherten Zahlungsempfänger zurückfordern kann, und zwar (absolut) innert einer Frist von zehn Jahren seit Entstehung des Bereicherungsanspruches (Art. 62 ff., insbesondere Art. 67 OR). Die analoge Anwendung privatrechtlicher Vorschriften auf öffentlichrechtliche Verhältnisse kann indessen nur dann erfolgen, wenn das öffentliche Recht über das in Frage stehende Rechtsinstitut selbst keine Bestimmung enthält, die im Verhältnis zum Privatrecht als lex specialis zu erachten ist (vgl. z.B. IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Nr. 121, insbesondere Nr. 122 Ziff. I und II). Wird ein Rechtsinstitut vom öffentlichen Recht geregelt, so müssen grundsätzlich allfällige Gesetzeslücken primär im Rahmen dieser Regelung gefüllt werden, sekundär - falls dies zu stossenden Ergebnissen führen sollte - durch analoge Anwendung der in verwandten Gebieten des öffentlichen Rechtes hinsichtlich der Rückerstattung getroffenen Lösungen. Erst in dritter Linie, bei Fehlen solcher Lösungen, wäre aufanaloge Regelungen des Privatrechts zurückzugreifen.
BGE 97 V 144 S. 154
b) Nach dem Gesagten wäre die in Art. 16 Abs. 3 AHVG aufgestellte absolute Verwirkungsfrist von fünf Jahren, innert welcher den Versicherten zuviel bezahlte Beiträge zurückerstattet werden, grundsätzlich analog anzuwenden, wenn Nichtversicherten Beiträge zurückvergütet werden müssen. Dies hätte indessen zur Folge, dass, während die Verwaltung bei Nichtversicherten jedenfalls bis auf zehn Jahre zurück eine unrichtige Beitragsverfügung zurücknehmen und die gestützt darauf ungeschuldet bezahlten Beiträge als nicht rentenbildend erklären könnte, dem Betroffenen bereits nach fünf Jahren kein Rückerstattungsanspruch mehr zustünde. Gerade das träfe bei Anton Hochberger zu, denn als die Ausgleichskasse im Jahre 1969 auf die rückwirkende Beitragsverfügung von 1961 zurückkam - was sie, sofern diese tatsächlich unrichtig sein sollte, nach acht Jahren noch tun durfte -, waren seit der Bezahlung der entsprechenden Beiträge schon mehr als fünf Jahre verflossen. Diese stossende Rechtsfolge macht offenbar, dass Art. 16 Abs. 3 AHVG auch nicht per analogiam auf Nichtversicherte angewendet werden darf. - Es ist somit zu prüfen, ob gegebenenfalls die Verwirkungs-oder Verjährungsfristen, die verwandte Gebiete des öffentlichen Rechts für die Rückerstattung zu Unrecht bezahlter Gelder vorsehen, analog auf den Anspruch Nichtversicherter auf Rückforderung ungeschuldet entrichteter AHV-Beiträge anwendbar sei. Im Bereiche fiskalischer Abgaben hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung die (absolute) Verjährung des Rückforderungsanspruches bei gewissen Steuern auf zehn, bei andern auf fünf Jahre festgesetzt (vgl. BGE 83 I 220 ). Die längere zehnjährige Frist erscheint hier als angemessen. Sie lässt sich um so zwangsloser analog auf das Rückforderungsrecht Nichtversicherter anwenden, als sie derjenigen des Zivilrechts (Art. 67 OR) entspricht und sich zudem mit der Minimalfrist von zehn Jahren für das Zurückkommen auf unrichtige Beitragsverfügungen von der Art der vorliegenden decken würde, sofern die Rechtsprechung diese Frist einmal verbindlich erklären sollte.
Da feststeht, dass seit der Zahlung der am 11. Dezember 1961 nachgeforderten Beiträge noch nicht zehn Jahre verflossen sind, hat die Ausgleichskasse diese dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten, sofern die vorzunehmende nähere Abklärung der Wohnsitzverhältnisse ergeben sollte, Anton Hochberger halte sich erst seit Herbst 1961 mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz auf.
BGE 97 V 144 S. 155
Die Frage, ob die Lücke, die Art. 16 Abs. 3 AHVG hinsichtlich der Nichtversicherten aufweist, auch in bezug auf die nichterwerbstätigen Witwen und Ehefrauen besteht, kann im vorliegenden Falle offen bleiben.

Dispositiv

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Sache zur näheren Abklärung der Wohnsitzfrage im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurückgewiesen.
II. Je nach dem Ergebnis der Abklärung wird die Kasse die für 1956 bis Ende September 1961 entrichteten Beiträge entweder als rentenbildend zu berücksichtigen oder dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten haben.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Dispositiv

Referenzen

BGE: 83 I 220

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