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Urteilskopf

129 III 641


100. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. von Senger und Mitb. gegen Ammann und Gosteli sowie Eidgenössisches Departement des Innern, Eidg. Stiftungsaufsicht (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
5A.14/2003 vom 20. August 2003

Regeste

Stiftungsaufsicht (Art. 84 ZGB).
Soweit die Stiftungsurkunde oder -reglemente nichts anderes bestimmen, ist in organisatorischer Hinsicht das Vereinsrecht auf körperschaftlich organisierte Stiftungen analog anzuwenden. Nichtigkeit von Vereins- und entsprechend auch von Stiftungsratsbeschlüssen ist von Amtes wegen festzustellen (E. 3.4).
Ist der Stiftungsrat in seiner internen Handlungsfähigkeit blockiert, weil Stiftungsräte in ihrem Amt eingestellt worden sind, kommt der Aufsichtsbehörde, die diese Einstellungen verfügt hat, kraft ihrer Aufsichtsgewalt die Befugnis zu, an deren Stelle bei der Ernennung neuer Stiftungsräte mitzuwirken (E. 3.5).

Sachverhalt ab Seite 642

BGE 129 III 641 S. 642

A.- Die Antonie Deusser-Stiftung ist eine Stiftung im Sinne von Art. 80 ff. ZGB mit dem Zweck, das künstlerische Oeuvre von Prof. August Deusser (1870-1942) zu erhalten und es öffentlich zugänglich zu machen. Sie hat ihren Sitz im Schloss Zurzach. Am gleichen Ort hat die Arthur und Estella Hirzel Callegari-Stiftung ihren Sitz. Sie ist ebenfalls eine Stiftung gemäss Art. 80 ff. ZGB und bezweckt die Unterstützung von Unternehmungen der Wohlfahrt, Wohltätigkeit, Gemeinnützigkeit und ähnlichen Institutionen und Sozialwerken.
Seit der Gründung war Hugo Ammann Stiftungsratspräsident beider Stiftungen. Durch spätere Zuwahl wurden auch Kurt Gosteli und Eliane Pires Mitglieder der Stiftungsräte. Am 1. Januar 1998 nahm Alexander von Senger seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Schlossbetriebs Zurzach auf; gleichzeitig wurde er als Stiftungsrat der beiden Stiftungen gewählt. Nachdem er sich im Frühling 1999 mit Hugo Ammann überworfen hatte, wurde er mit Beschluss vom 27. März 1999 als Stiftungsrat der beiden Stiftungen abgewählt.
Infolge Aufsichtsanzeige setzte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) mit Entscheid vom 12. April 2002 Alexander von Senger, aber auch die zwischenzeitlich in ihrem Amt eingestellten Hugo Ammann, Kurt Gosteli und Eliane Pires wieder als Stiftungsräte ein und erteilte ihnen den Auftrag, sich innerhalb von sechs Monaten mit zwei weiteren Personen je Stiftung zu ergänzen. Auf Beschwerde des Alexander von Senger hin stellte das Bundesgericht
BGE 129 III 641 S. 643
mit Entscheid vom 20. August 2002 die Nichtigkeit der Wahl von Eliane Pires vom 27. März 1999 in die beiden Stiftungsräte fest. Im Übrigen wies es die Dossiers zur Abklärung der gegen Hugo Ammann und Kurt Gosteli erhobenen Vorwürfe an das EDI zurück.
In der Folge verfügte das EDI am 14. Februar 2003, dass Hugo Ammann und Kurt Gosteli unter Entzug der Unterschriftenberechtigung in ihrer Funktion als Stiftungsräte eingestellt blieben, und zwar bis zum Widerruf der Einstellung oder bis zur definitiven Abberufung nach Beendigung der aufsichtsrechtlichen Abklärungen. Entsprechend erscheinen Hugo Ammann und Kurt Gosteli im Handelsregister als Mitglieder des Stiftungsrats ohne Zeichnungsberechtigung. Demgegenüber ist Alexander von Senger als Stiftungsrat mit Kollektivunterschrift zu zweien eingetragen.

B.- Ohne Rücksprache mit dem EDI oder dem bereits am 20. August 2000 ernannten Stiftungsbeistand wählte Alexander von Senger am 7. Mai 2003 in seiner Funktion als Stiftungsrat seine beiden Rechtsvertreter in der Stiftungsangelegenheit, Michael E. Dreher und Bruno Baer, deren ebenfalls mit dem Dossier betrauten Mitarbeiter Andreas Textor sowie Roland Anton Brun und Roland Paul Dirk Friedrich zu Stiftungsräten. Diese Ernennungen wurden dem Handelsregisteramt sogleich mitgeteilt und von diesem im Handelsregister eingetragen.
Mit Eingaben vom 12. Mai 2003 teilten die beiden Stiftungen dem EDI mit, die Stiftungsräte seien nun ordentlich besetzt, und verlangten die Aufhebung der Stiftungsbeistandschaft. Am 14. Mai 2003 teilten die Stiftungsräte die Neubesetzung allen Banken mit, bei denen die Stiftungen Vermögensanlagen besitzen; ausserdem baten sie diese um Auszüge über sämtliche Konti und Depots sowie um Neuordnung der Unterschriftenkarten. Des Weiteren veranlassten sie eine Postumleitung.
Mit Verfügung vom 23. Mai 2003 ordnete das EDI im Wesentlichen an, dass die Geschäftsführung beim Stiftungsbeistand verbleibe, und es untersagte den Stiftungsräten unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB, ohne Einverständnis des Beistandes irgendwelche Handlungen vorzunehmen oder vor Dritten aufzutreten, und zwar bis zu einer neuen Verfügung der Aufsichtsbehörde.

C.- Gegen diese Verfügung haben Alexander von Senger und die fünf neu gewählten Stiftungsräte am 25. Juni 2003 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht erhoben.
BGE 129 III 641 S. 644

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.3 Es bleibt zu klären, ob Alexander von Senger einziger verbleibender Stiftungsrat und damit zur Ergänzung des jeweiligen Stiftungsrates berechtigt war, wie dies die Beschwerdeführer behaupten. Dabei geht es nicht etwa um die Vertretungsmacht gegen aussen (Art. 54 und 55 ZGB), sondern vielmehr um die aktiven Wahlbefugnisse und damit um die Bestellung der Organe (Art. 83 Abs. 1 ZGB). Diese richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen in den Statuten, die wie folgt lauten: "Nach dem Tod der Stifterin ... sind das oder die dannzumaligen Mitglieder des Stiftungsrates ermächtigt, diesen durch die Ernennung weiterer Mitglieder zu ergänzen oder zu erweitern" (Art. 5 Abs. 2 der Statuten der Deusser-Stiftung bzw. Art. 5 lit. a Abs. 2 der Hirzel Callegari-Stiftung).
Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass die Konstellation "das dannzumalige Mitglied des Stiftungsrates" vorgelegen habe. Damit überspielen sie jedoch den Umstand, dass Hugo Ammann und Kurt Gosteli als Stiftungsräte weder abgesetzt noch im Handelsregister gelöscht, sondern bis zur Klärung der Vorwürfe unter Entzug der Unterschriftenberechtigung in ihrem Amt eingestellt sind. Die Löschung ihrer Unterschriftenberechtigung im Handelsregister tangiert ausschliesslich ihre organschaftlichen Vertretungsbefugnisse und damit ihre Handlungsmacht gegen aussen im Sinne von Art. 54 und 55 ZGB. Zwar kann ihnen für die Zeit ihrer Einstellung ebenso wenig ein aktives Wahlrecht hinsichtlich der Ernennung weiterer Stiftungsräte zustehen, aber es lässt sich deshalb nicht sagen, dass sie als Stiftungsräte nicht mehr vorhanden seien; dies wäre erst nach einer definitiven Abberufung der Fall. Sind sie folglich nach wie vor - wenn auch im Amt eingestellte - Mitglieder des Stiftungsrats, besteht unverändert eine Mehrzahl von Stiftungsratsmitgliedern. Entsprechend wäre für die Ernennung neuer Stiftungsräte nach den einschlägigen Statutenbestimmungen ein Mehrheitsbeschluss nötig. Es lässt sich deshalb auch nicht sagen, Alexander von Senger habe gewissermassen mit sich selbst eine Universalversammlung durchgeführt.

3.4 Soweit die Stiftungsurkunde oder -reglemente nichts anderes bestimmen, ist in organisatorischer Hinsicht, namentlich betreffend Willensbildung und Beschlussfassung, das Vereinsrecht auf körperschaftlich organisierte Stiftungen analog anzuwenden (RIEMER, Berner Kommentar, N. 32 zu Art. 83 ZGB; vgl. auch Entscheide
BGE 129 III 641 S. 645
5A.23/1999 vom 27. März 2000, E. 2b; 5A.2/2002 vom 20. März 2002, E. 4c; 5A.8/2002 vom 20. August 2002, E. 2.3). Liegt wie vorliegend gar kein Beschluss, sondern lediglich ein Scheinbeschluss vor, ist der Schein durch Nichtigerklärung zu beseitigen (RIEMER, a.a.O., N. 95 zu Art. 75 ZGB).
Nichtige Beschlüsse sind grundsätzlich unwirksam und insbesondere zeitigt der Handelsregistereintrag keine heilende Wirkung (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 25 N. 135 f.). In der Regel sind auch juristische oder praktische Probleme bei der Wiederherstellung des früheren Zustandes kein hinreichender Grund, um über die Nichtigkeit hinwegzugehen (BGE 116 II 713 E. 4 S. 715 ff. betr. nichtigen Fusionsbeschluss einer Krankenkasse). Anders zu entscheiden wäre einzig, wenn die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit ernsthaft gefährdet würde. So wäre allenfalls das Vertrauen gutgläubiger Dritter in einen jahrelang unangefochten andauernden Zustand zu schützen (vgl. BGE 78 III 33 E. 9 S. 44 ff.). Im vorliegenden Fall wird die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährdet. Insbesondere werden weder die Interessen Dritter tangiert noch ist die - ohnehin bereits weitgehend erfolgte - Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes mit Problemen verbunden.
Nichtigkeit von Vereins- und entsprechend auch von Stiftungsratsbeschlüssen ist von Amtes wegen festzustellen (RIEMER, a.a.O., N. 132 zu Art. 75 ZGB, m.w.H.). Im Übrigen wird dies auch in der Vernehmlassung des Stiftungsbeistandes verlangt und in derjenigen von Hugo Ammann und Kurt Gosteli erwähnt. Somit ist als Zwischenergebnis festzustellen, dass die am 7. Mai 2003 erfolgte Ernennung von Michael E. Dreher, Bruno Baer, Andreas Textor, Roland Anton Brun und Roland Paul Dirk Friedrich als Stiftungsräte der Antonie Deusser-Stiftung sowie der Arthur und Estella Hirzel Callegari-Stiftung nichtig ist.

3.5 Dies bedeutet nun freilich nicht, dass bis zum Abschluss der aufsichtsrechtlichen Abklärungen die Ernennung zusätzlicher Stiftungsräte - namentlich die seinerzeit vom EDI gewünschten Fachpersonen für den kulturellen und den operativen Bereich - von vornherein ausgeschlossen wäre:
Ist nicht die statutarisch vorgesehene Konstellation gegeben, dass das (verbleibende) Stiftungsratsmitglied den Stiftungsrat durch Kooptation ergänzen kann, sind vielmehr mehrere Stiftungsräte vorhanden und demnach die Stiftungsräte als Gesamtheit dazu berufen, und ist dieses Kollektiv in seiner internen Handlungsfähigkeit blockiert,
BGE 129 III 641 S. 646
weil zwei der drei Stiftungsräte in ihrem Amt eingestellt sind, muss der Aufsichtsbehörde, die diese Einstellungen gestützt auf Art. 84 ZGB verfügen konnte, kraft ihrer Aufsichtsgewalt ebenfalls die Befugnis zukommen, an deren Stelle bei der Ernennung neuer Stiftungsräte mitzuwirken. Umso mehr muss ihr diese Kompetenz zustehen, als sie nach anerkannter Praxis bei Abberufung aller Stiftungsräte die neuen Organe bestimmen kann, soweit hierfür nicht die Statuten eine andere Instanz bezeichnen (vgl. RIEMER, a.a.O., N. 102 zu Art. 84 ZGB).
Im Rahmen seiner Mitwirkungskompetenz könnte das EDI gemeinsam mit Alexander von Senger nach weiteren Stiftungsräten suchen, soweit es dies für notwendig erachtet. Es wäre aber auch denkbar, dass jener allfällige Stiftungsräte vorschlägt. Diesfalls dürfte es entbehrlich sein, dass das EDI bei der Ernennung neuer Stiftungsräte an einer förmlichen Sitzung teilnimmt; vielmehr wird es seine Befugnisse auch so wahrnehmen können, dass es allfällige Ernennungsvorschläge prüft und anschliessend über die Genehmigung eine positive oder negative Verfügung erlässt.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 116 II 713

Artikel: Art. 84 ZGB, Art. 80 ff. ZGB, Art. 54 und 55 ZGB, Art. 75 ZGB mehr...