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Urteilskopf

117 II 530


97. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. November 1991 i.S. A. gegen S. (Berufung)

Regeste

Art. 620 ff. ZGB; bäuerliches Erbrecht.
Verkauft der Erblasser sein landwirtschaftliches Gewerbe zu seinen Lebzeiten einem zukünftigen Erben, so finden die Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts keine Anwendung. Der Erwerber muss daher zur Übernahme des Gewerbes bzw. zur Selbstbewirtschaftung nicht geeignet sein.

Sachverhalt ab Seite 530

BGE 117 II 530 S. 530

A.- Mit öffentlich beurkundetem Kauf- und Verpfründungsvertrag vom 9. Juni 1967 verkaufte Anna A.-B. ihrer Tochter Emma S.-A. die Grundstücke und Gebäude ihres Landwirtschaftsbetriebs sowie das Wohn- und Gasthaus "Krone" in X. zum Preise von Fr. 380'000.--. Gleichzeitig verpflichtete sich die Tochter, ihrer Mutter lebenslänglich Wohnung, Nahrung und Pflege zu gewähren. Da der Verkauf der Liegenschaften unter dem Verkehrswert erfolgte, vereinbarten die Vertragsparteien ein Gewinnanteilsrecht im Sinne von Art. 619 ff. ZGB zugunsten der Verkäuferin und deren Miterben für die Dauer von 25 Jahren. Für die Berechnung dieses Gewinnanteilsrechts wurden die folgenden Übernahmepreise festgelegt: für das Mobiliar Fr. 17'000.--, für das Wohn- und Gasthaus Fr. 150'000.--, für die landwirtschaftlichen Gebäude Fr. 80'000.-- und für sämtliches Land Fr. 133'000.--. Am 20. September 1984 verstarb Anna A.-B.
BGE 117 II 530 S. 531

B.- Karl und Emil A. verlangten mit Klage vom 26. August 1985 die Feststellung des Nachlasses ihrer Mutter Anna A.-B., unter Einbezug der im Jahre 1967 und später verkauften Grundstücke, sowie die Festlegung ihrer Erbansprüche. Das Bezirksgericht trat am 2. November 1987 auf die Klage nicht ein. Eine dagegen gerichtete Appellation der Kläger hiess das Obergericht des Kantons Aargau am 16. Dezember 1988 teilweise gut und wies die Streitsache zur materiellen Beurteilung an das Bezirksgericht zurück. Dieses wies die Klage mit Urteil vom 29. Dezember 1989 ab.
Gegen dieses Urteil erhoben die Kläger wiederum Appellation an das Obergericht, die mit Entscheid vom 6. Dezember 1990 abgewiesen wurde.

C.- Mit Berufung an das Bundesgericht beantragen die Kläger, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage gutzuheissen.
Die Beklagte stellt Antrag auf Abweisung der Berufung. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Das Obergericht ist davon ausgegangen, dass die Parteien als Kinder der Erblasserin hinsichtlich des Kaufvertrages vom 9. Juni 1967 grundsätzlich ausgleichungspflichtig seien, falls die übrigen Voraussetzungen hiefür erfüllt seien. Die Ausgleichungspflicht sei gegeben, soweit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine unentgeltliche Zuwendung vorliege. Dabei müsse es sich um ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung handeln. Die objektive Bewertung der beidseitigen Leistungen richte sich im allgemeinen nach dem Verkehrswert, während bei landwirtschaftlichen Liegenschaften der Ertragswert massgebend sei. Dies gelte aber nur, wenn der Präsumptiverbe die landwirtschaftlichen Grundstücke tatsächlich weiterhin landwirtschaftlich nutze. Hingegen sei nicht nötig, dass er die Grundstücke selbst bewirtschafte und zur Selbstbewirtschaftung geeignet sei. Gestützt auf die Ausführungen im bezirksgerichtlichen Urteil gelangte das Obergericht zum Schluss, dass es sich beim Kaufvertrag vom 9. Juni 1967 nicht um eine gemischte Schenkung gehandelt habe, weshalb auch keine Ausgleichungspflicht der Beklagten gegeben sei.

4. Die Kläger erblicken in der Integralzuweisung des Landwirtschaftsbetriebs an die Beklagte einen Verstoss gegen Bundesrecht.
BGE 117 II 530 S. 532
Sie weisen darauf hin, dass es im bäuerlichen Erbrecht möglich sei, den ganzen Nachlass einem Erben auszuhändigen; dabei gehe es aber um agrarpolitische Ziele. Demgemäss verlange auch Art. 620 ZGB, dass ein möglicher Übernehmer eines landwirtschaftlichen Betriebes bestimmte Voraussetzungen erfülle. Nach Auffassung des Obergerichts gelte diese Regel nur beim Erbgang, nicht aber bei einem Rechtsgeschäft zu Lebzeiten des Erblassers. Diese Unterscheidung sei rechtsdogmatisch nicht haltbar. Komme einem solchen Rechtsgeschäft unter Lebenden praktisch die Wirkung der Enterbung aller übrigen Erben zu, so müssten auch in diesem Fall die Bedingungen für die Integralzuweisung erfüllt sein. Damit sei auf seiten des Übernehmers Eignung im Sinne von Art. 620 Abs. 1 ZGB zu verlangen. Im vorliegenden Fall habe das Obergericht überhaupt nicht geprüft, ob die Beklagte diese Eignung aufweise. Tatsächlich fehle ihr aber die Eignung zur Führung eines Landwirtschaftsbetriebs, wie sie in Lehre und Rechtsprechung umschrieben werde. Die Integralzuweisung zum Ertragswert an die Beklagte sei deshalb unhaltbar und verletze Bundesrecht.
Im übrigen existiere der Landwirtschaftsbetrieb längst nicht mehr. Das Land sei an mehrere Bauern verpachtet worden, das Bauernhaus stehe leer und die Ökonomiegebäude würden anderweitig genutzt. Daraus erhelle, dass mit der Integralzuweisung kein einziges Ziel der bäuerlichen Gesetzgebung - weder auf dem Gebiete der Struktur- noch der Agrarpolitik - erreicht worden sei.

5. a) Art. 620 ZGB enthält den Grundsatz, dass ein landwirtschaftliches Gewerbe einem Erben, der sich zu dessen Übernahme bereit erklärt und als hiefür geeignet erscheint, ungeteilt zum Ertragswert zuzuweisen ist. Subjektive Voraussetzung für die Integralzuweisung bildet somit die Eignung des Bewerbers für die Führung des Landwirtschaftsbetriebs. Indessen darf nicht übersehen werden, dass Art. 620 ZGB zum bäuerlichen Erbrecht gehört, ja dessen eigentliches Herzstück darstellt (ESCHER, N. 1 zu Art. 620 ZGB). Die Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts sind aber einzig auf Erbschaften anwendbar, die noch nicht geteilt worden sind. Sie enthalten nur besondere Teilungsvorschriften für den Fall, dass sich ein landwirtschaftliches Gewerbe in der Teilungsmasse befindet. Das bäuerliche Erbrecht wurde erlassen, um die Zerstückelung des bäuerlichen Grundbesitzes und die Verschuldung des landwirtschaftlichen Bodens durch die Realteilung zu
BGE 117 II 530 S. 533
verhindern. Zu diesem Zwecke schuf das ZGB aber keine besondere Erbfolgeordnung, sondern nahm das für das bäuerliche Erbrecht wichtige Institut der Integralzuweisung und das Ertragswertprinzip in die Bestimmungen über die Erbteilung auf. Der Ansatzpunkt für diese Sonderregelung liegt somit in der Erbteilung, deren Bestandteil das bäuerliche Erbrecht bildet (STEIGER, Zur Frage des Anwendungsbereiches und der Geltungskraft des bäuerlichen Erbrechts sowie der allgemeinen Voraussetzungen der Integralzuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes, Diss. Bern 1966, S. 16 f.). Ausserhalb des Erbteilungsverfahrens bleibt demnach kein Raum für die Anwendung des bäuerlichen Erbrechts. Insbesondere finden die Bestimmungen von Art. 620 ff. ZGB keine Anwendung bei Übergabe landwirtschaftlicher Grundstücke oder Heimwesen zu Lebzeiten des Erblassers (ESCHER, N. 19 der Vorbemerkungen zu Art. 616-625 ZGB; NEUKOMM/CZETTLER, Das bäuerliche Erbrecht, 5. Aufl., S. 24 Ziff. 3.1).
Freilich hat es nicht an Versuchen gefehlt, gewisse Grundsätze des bäuerlichen Erbrechts auf die Übernahme eines landwirtschaftlichen Gewerbes durch einen Präsumptiverben zu Lebzeiten des Erblassers auszudehnen. Bereits anlässlich der ersten Revision des bäuerlichen Erbrechts schlug der Schweizerische Bauernverband im Jahre 1935 eine Regelung für den Fall vor, dass der Erblasser schon zu seinen Lebzeiten den Betrieb einem künftigen Erben verkauft hat. Dieser Vorstoss blieb jedoch erfolglos. Auch ein entsprechender Antrag im Ratsplenum in Jahre 1937 wurde vom Nationalrat abgelehnt (Amtl.Bull. Nr. 1937, S. 760, 764, 767 und 770). Später wurde in das Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG) ein gesetzliches Vorkaufsrecht aufgenommen. Dieses wirkt sich zwar in gewisser Weise als Beschränkung der Verfügungsfreiheit unter Lebenden aus, doch dient es nur dem Ziel, den bäuerlichen Grundbesitz der Familie des Eigentümers zu erhalten, und es kann nur von einem gesetzlich festgelegten Kreis von Berechtigten ausgeübt werden (Art. 6 und 11 EGG). Trotz Einführung dieses Vorkaufsrechts ist dem Erblasser die Möglichkeit nicht entzogen worden, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden seinen Betrieb auf einen Präsumptiverben, der die Kriterien von Art. 620 ZGB nicht erfüllt, zu übertragen (STEIGER, a.a.O., S. 45).
Im Rahmen der Revision des bäuerlichen Zivilrechts vom 6. Oktober 1972 wurde die Testierfreiheit des Erblassers erheblich eingeschränkt, indem Art. 621bis ZGB bestimmt, dass einem
BGE 117 II 530 S. 534
Erben, der das Gewerbe selber bewirtschaften will und dafür geeignet erscheint, das Recht auf ungeteilte Zuweisung vom Erblasser weder durch letztwillige Verfügung noch durch Erbvertrag entzogen werden kann. Hingegen wurde wiederum auf eine Regelung des Kindskaufs zu Lebzeiten des Erblassers verzichtet. In der Lehre wurde dies bedauert (STEIGER, a.a.O., S. 45; NEUKOMM/CZETTLER, a.a.O., S. 165; BÜHLER, Zwei Lücken der Gesetzgebung über den Kindskauf (Art. 218quinquies OR), SJZ 72/1976, S. 377). Gleichzeitig wurde aber darauf hingewiesen, dass bei einer künftigen Revision der Gesetzgeber die Übergabe eines landwirtschaftlichen Gewerbes an ungeeignete Nachkommen bzw. an Dritte zu Lebzeiten des Erblassers ebenso verhindern müsse, wie dies im bäuerlichen Erbrecht der Fall sei (STUDER, Die Integralzuweisung landwirtschaftlicher Gewerbe nach der Revision des bäuerlichen Zivilrechts von 1972, Diss. Freiburg 1975, S. 76).
Im gegenwärtigen Zeitpunkt besteht demnach keine gesetzliche Regelung, die analog zu Art. 621bis ZGB das Vorrecht des geeigneten Selbstbewirtschafters zu Lebzeiten des Erblassers gewährleisten würde (NEUKOMM/CZETTLER, a.a.O., S. 165; STEIGER, a.a.O., S. 45). Wird ein landwirtschaftliches Gewerbe noch vom Erblasser selber an einen künftigen Erben verkauft, der den Voraussetzungen von Art. 620 ZGB nicht genügt, so kann ein solcher Kauf nach dem Erbgang nicht mehr rückgängig gemacht werden (ESCHER, N. 19 der Vorbemerkungen zu Art. 616-625 ZGB, N. 7 zu Art. 620 ZGB; RÜEGG, Die Einschränkung der Testierfreiheit im bäuerlichen Erbrecht des schweizerischen ZGB, Diss. Zürich 1950, S. 47).
b) Im vorliegenden Fall fand der mit einer Verpfründung kombinierte Verkauf des landwirtschaftlichen Heimwesens und der Gastwirtschaft "Krone" durch Anna A.-B. an ihre Tochter Emma S.-A. am 9. Juni 1967, also 17 Jahre vor dem Tod der späteren Erblasserin, statt. Es handelt sich dabei eindeutig um die Übertragung eines landwirtschaftlichen Gewerbes an eine Präsumptiverbin zu Lebzeiten der Erblasserin. Da nach dem Ausgeführten der Käufer den Voraussetzungen von Art. 620 ff. ZGB nicht zu genügen braucht, kommt dem Eignungsprinzip keine entscheidende Bedeutung zu (ESCHER, a.a.O.). Das Obergericht hat daher nicht gegen Bundesrecht verstossen, wenn es angenommen hat, dass bei der Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebs zu Lebzeiten der Erblasserin an einen zukünftigen Erben die Selbstbewirtschaftung bzw. dessen Eignung zur Führung des Betriebs keine unerlässliche Voraussetzung bilde, wie dies bei der
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Integralzuweisung gemäss Art. 620 ZGB der Fall ist. Die Berufung erweist sich damit als unbegründet. Auf die weitern Ausführungen in der Berufungsschrift, mit welchen die Kläger die fehlende Eignung der Beklagten zur Führung bzw. zur Verpachtung des von ihrer Mutter erworbenen landwirtschaftlichen Heimwesens dartun wollen, braucht unter diesen Umständen nicht weiter eingegangen zu werden. Was schliesslich die Behauptung der Kläger, der Landwirtschaftsbetrieb existiere gar nicht mehr, anbetrifft, so bezieht sich diese auf tatsächliche Verhältnisse und kann daher nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden. Im übrigen ist diese Behauptung im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren widerlegt worden.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5

Referenzen

Artikel: Art. 620 ff. ZGB, Art. 616-625 ZGB, Art. 621bis ZGB, Art. 619 ff. ZGB mehr...