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Urteilskopf

97 V 162


39. Auszug aus dem Urteil vom 24. August 1971 i.S. R. gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Versicherungsgericht des Kantons Luzern

Regeste

Art. 18 Abs. 2 IVG: Voraussetzungen der Kapitalhilfe.
Die dauernde existenzsichernde Tätigkeit beurteilt sich nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten (Art. 7 IVV). Der Gesundheitszustand ist für die Beurteilung der Dauerhaftigkeit des erstrebten Eingliederungserfolges massgebend (Art. 8 Abs. 1 IVG).

Sachverhalt ab Seite 163

BGE 97 V 162 S. 163
Der 1910 geborene R. leidet an Herzinsuffizienz bei Myodegeneratio cordis, Asthma bronchiale und Spondylose der lumbalen Wirbelsäule. Zusammen mit seinem ebenfalls kränklichen Schwager, seiner Ehefrau und seiner Tochter bearbeitet er einen Landwirtschaftsbetrieb von 1,05 ha Wald und 8,9 ha Land. Der Betrieb umfasst ferner 12 Stück Gross- und 5 Stück Jungvieh sowie einige Schweine und Hühner.
Der Versicherte, Bezüger einer Invalidenrente, ersuchte im Frühjahr 1970 die Invalidenversicherung um Kapitalhilfe für die Anschaffung eines motorisierten Ladewagens zum Preis von 23000 Franken. Seine Frau und er seien nicht mehr imstande, Gras und Heu aufzuladen, und seinem Schwager könne er nicht zumuten, allein zu grasen. Im September 1970 teilte er der Ausgleichskasse mit, dass er den Ladewagen mit Hilfe der landwirtschaftlichen Kreditkasse anfangs Juni angeschafft habe.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 18 Abs. 2 IVG kann einem eingliederungsfähigen invaliden Versicherten zur Finanzierung von invaliditätsbedingten betrieblichen Umstellungen eine Kapitalhilfe gewährt werden. Die nähern Voraussetzungen für diese Versicherungsleistung umschreibt Art. 7 Abs. 1 IVV. Nach dieser Bestimmung kommt eine Kapitalhilfe nur in Frage, wenn sich der Invalide fachlich und charakterlich für eine selbständige Erwerbstätigkeit eignet, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine dauernde existenzsichernde Tätigkeit gegeben sind und für eine ausreichende Finanzierung Gewähr geboten ist.
Ferner sind die folgenden, von der Praxis entwickelten allgemeinen Grundsätze zu berücksichtigen: Auch der Bezüger einer ganzen oder halben Invalidenrente hat Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, sofern diese eine - wenn auch nur teilweise - Tätigkeit mit oder ohne Einkommen zum Ziel haben. Immer muss aber zwischen Kosten und Nutzen der
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Eingliederungsmassnahmen ein vernünftiges Verhältnis bestehen (EVGE 1964 S. 239 und ZAK 1970 S. 231).
Im Sinne dieser Voraussetzungen hat das Eidg. Versicherungsgericht einem selbständigen Reisephotographen eine Kapitalhilfe verweigert, weil medizinisch feststand, dass er eine Erwerbstätigkeit nur sitzend ausüben konnte und sich sein Herzleiden eher weiter verschlimmern würde (ZAK 1963 S. 173). Sodann hat sich das Gericht zur Gewährung von Kapitalhilfen für die Anschaffung landwirtschaftlicher Maschinen dahin geäussert, dass Kapitalhilfen nicht gewährt werden könnten, wenn derartige Geräte hauptsächlich der Betriebsrationalisierung bzw. der Erhaltung des Betriebes dienten; wenn jedoch eine Anschaffung eindeutig invaliditätsbedingt sei, so schliesse der Umstand, dass sie gleichzeitig auch betriebswirtschaftlich vorteilhaft oder erwünscht sei, den Anspruch auf eine Kapitalhilfe der Invalidenversicherung nicht aus (ZAK 1971 S. 107).

2. Es ist mit Recht unbestritten, dass der Beschwerdeführer invalidenversicherungsrechtlich invalid ist. Ferner darf ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass er grundsätzlich im Beruf als Landwirt richtig eingegliedert ist. Hingegen ist die Rechtmässigkeit der verlangten Kapitalhilfe im Hinblick auf die Eingliederungsfrage noch besonders zu prüfen.
In diesem Zusammenhang ist Art. 8 Abs. 1 IVG zu beachten, wonach invalide Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen haben, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen, zu verbessern, zu erhalten oder ihre Verwertung zu fördern, wobei die gesamte noch zu erwartende Arbeitsdauer berücksichtigt werden muss. Den Akten lässt sich entnehmen, dass die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers mit Hilfe des Selbstfahrladewagens zur Zeit beträchtlich verbessert werden kann, ist er doch gerade dank diesem Gerät in der Lage, weiterhin einen beachtlichen Teil der anfallenden landwirtschaftlichen Arbeiten zu erledigen und damit zusammen mit seinem Schwager den Betrieb zu halten. Der kantonale Richter und das Bundesamt machen jedoch geltend, zufolge des sich verschlechternden Gesundheitszustandes des Versicherten sei die existenzsichernde Tätigkeit auf die Dauer nicht gewährleistet. Das Erfordernis der dauernden existenzsichernden Tätigkeit wird in Art. 7 Abs. 1 IVV aber nur im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Voraussetzungen erwähnt; d.h. die Bestimmung verlangt, dass die wirtschaftlichen und nicht auch die gesundheitlichen Voraussetzungen
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für eine dauernde existenzsichernde Tätigkeit erfüllt seien. Der Faktor Gesundheit ist lediglich im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 IVG erheblich, wo die Rücksichtnahme auf die gesamte noch zu erwartende Arbeitsdauer gefordert wird. Im gleichen Zusammenhang muss auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zwischen den Kosten des Aufwandes und dem voraussichtlichen Nutzen beachtet werden. Deshalb ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob nicht schon der wahrscheinliche künftige Leidensverlauf die Gewährung einer Kapitalhilfe ausschliesst. Der Umfang einer allfälligen Kapitalhilfe - als ein für das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen wesentliches Merkmal - ist allerdings noch nicht bekannt und wäre erst noch zu bestimmen, verlangt der Beschwerdeführer doch nur einen Anteil an die Gesamtkosten von Fr. 23000.--. Auch genügen die vorhandenen medizinischen Akten nicht zur Beantwortung der Frage, ob in zeitlicher Hinsicht ein wesentlicher Eingliederungserfolg zu erwarten sei. In seinem Bericht vom November 1969 hat der Arzt den Gesundheitszustand in recht unbestimmter Weise lediglich als stationär bzw. sich verschlechternd bezeichnet, ohne die Frage der voraussichtlichen Arbeitsfähigkeit zu berühren. Die Invalidenversicherungs-Kommission wird daher durch den Arzt, gegebenenfalls unter Mitwirkung eines landwirtschaftlichen Experten, feststellen lassen müssen, inwieweit und wie lange der Beschwerdeführer seine bisherige landwirtschaftliche Tätigkeit noch wird ausüben können.
Im übrigen darf ohne Bedenken angenommen werden, dass der Beschwerdeführer die besondern Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 IVG für die Gewährung von Kapitalhilfe erfüllt. Seine fachliche und charakterliche Eignung zur weitern selbständigen Ausübung der landwirtschaftlichen Tätigkeit ist von keiner Seite angefochten. An und für sich sind auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer dauernden existenzsichernden Tätigkeit in seinem Betrieb gegeben, denn ohne Behinderung oder mit den entsprechenden Arbeitsgeräten würde der Beschwerdeführer nach wie vor auf dem verhältnismässig kleinen Gut sein bescheidenes Auskommen finden. Die Voraussetzung der ausreichenden Finanzierung ist ebenfalls erfüllt, konnte der Ladewagen doch schon angeschafft werden, wobei es sich nun nur noch darum handelt, die gegenüber der landwirtschaftlichen Kreditkasse eingegangene Verpflichtung auf Rückzahlung des Darlehens aufein wirtschaftlich tragbares Mass zurückzuführen.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Referenzen

Artikel: Art. 18 Abs. 2 IVG, Art. 8 Abs. 1 IVG, Art. 7 Abs. 1 IVV, Art. 7 IVV