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Urteilskopf

93 I 554


68. Auszug aus dem Urteil vom 18. Oktober 1967 i.S. Gugger gegen Einwohnergemeinde Wettingen und Obergericht des Kantons Aargau.

Regeste

Kantonales Enteignungsrecht. Art. 4 BV und Eigentumsgarantie.
Berechnung der Enteignungsentschädigung bei Teilenteignung auf Grund der Differenz zwischen dem Wert des Gesamtgrundstücks vor und dem Wert des Restgrundstücks nach der Enteignung. Zulässigkeit dieser Berechnungsmethode (Erw. 3 und 4).
Anwendung der Methode auf die Enteignung für die Anlage einer Strasse. Wenn der Überbauungsplan, der die Strasse erstmals vorsah, gleichzeitig mit einem Zonenplan erlassen wurde, durch den das betreffende Gebiet in eine Zone mit höherer Ausnützung versetzt wurde, ist es willkürlich, bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung den Wert des Gesamtgrundstücks vor der Umzonung dem Wert des Restgrundstücks nach der Umzonung gegenüberzustellen (Erw. 5).

Sachverhalt ab Seite 555

BGE 93 I 554 S. 555
Aus dem Tatbestand:

A.- Am 4. Dezember 1959 fasste die Einwohnergemeindeversammlung von Wettingen gestützt auf §§ 103 ff. aarg. EG/ZGB zwei rechtlich selbständige, jedoch sachlich in einem gewissen Zusammenhang stehende Beschlüsse. Sie erliess
a) einen neuen Überbauungsplan, der die künftigen Hauptverkehrsstrassen festlegt und u.a. vorsieht, dass die aus dem Zentrum des Baugebietes nach Osten bis zur Jurastrasse führende Zentralstrasse über die Jurastrasse hinaus verlängert und als Direktverbindung nach Baden ausgebaut werden soll.
b) eine neue Zonenordnung mit Zonenplan, durch welchen das Baugebiet der Gemeinde in 8 Zonen mit verschiedener Bauweise eingeteilt wird und in welchem auch das Strassennetz gemäss dem neuen Überbauungsplan berücksichtigt ist. Die Bauzonen I-VIII sind im Zonenplan in verschiedenen Farben wiedergegeben, während die Strassenzüge weiss gelassen sind, gleichgültig ob es sich um bestehende oder erst projektierte Strassen handelt und ob sie eine Zone durchqueren oder die Grenze zwischen zwei Zonen bilden.
Der Überbauungsplan und die Zonenordnung mit Zonenplan wurden vom Grossen Rat des Kantons Aargau am 24. August 1961 genehmigt und traten damit in Kraft.
Am 17. Dezember 1963 genehmigte die Einwohnergemeindeversammlung das Projekt für den Ausbau der Zentralstrasse und den dafür erforderlichen Kredit.

B.- Der Beschwerdeführer Paul Gugger ist Eigentümer der 1287 m2 haltenden, etwa 40 m langen und 32 m breiten Parzelle Kat. Nr. 4835, die gegenüber der Einmündung der Zentralstrasse in die Jurastrasse liegt und mit der westlichen Schmalseite an die Jurastrasse grenzt. Im südlichen Teil des Grundstücks steht ein im Jahre 1951 erstelltes Einfamilienhaus mit 7 Zimmern und einem Garageanbau; der nördliche Teil ist als Garten ausgestaltet.
Nach der alten Zonenordnung lag das Grundstück in der Zone II (offene Wohnzone in der Ebene), wo zweigeschossig mit einer Ausnutzung von 0,45 gebaut werden konnte.
Die im neuen Überbauungsplan vorgesehene Verlängerung der Zentralstrasse über die Jurastrasse hinaus führt über den nördlichen Teil des Grundstücks des Beschwerdeführers. Demgemäss
BGE 93 I 554 S. 556
ist dieser Teil des Grundstücks im Zonenplan weiss gelassen. Der südliche Teil ist der Zone V (Wohn-, Gewerbe- und Ladenzone) zugewiesen, wo dreigeschossig mit einer Ausnutzung von 0,8 gebaut werden kann.
Nach dem am 17. Dezember 1963 genehmigten Projekt werden für die Verlängerung und den Ausbau der Zentralstrasse 560 m2 Land des Beschwerdeführers benötigt. Die Gemeinde bot ihm dafür Fr. 50.- pro m2. Der Beschwerdeführer lehnte dieses Angebot als ungenügend ab.
Am 31. Juli 1964 reichte die Gemeinde beim Obergericht des Kantons Aargau Klage ein mit dem Begehren, die Entschädigung für die abzutretenden 560 m2 sei auf Fr. 50.- pro m2 oder total Fr. 28'000.-- festzulegen. Der Beschwerdeführer verlangte Fr. 180.-- pro m2 sowie eine beträchtliche Entschädigung für den Minderwert der Restliegenschaft und für die Erstellung einer Mauer an der Strassengrenze.
Das Obergericht führte einen Augenschein durch, liess sich vom Architekten Josef Schmidlin in Aarau ein Gutachten erstatten und setzte hierauf mit Urteil vom 25. März 1966 die von der Gemeinde zu bezahlende Entschädigung auf Fr. 32'000.-- fest. Es ging von den auf 1. Juni 1965 vorgenommenen Bewertungen des Experten aus. Dieser hatte, entsprechend den ihm vom Obergericht gestellten Fragen, den Verkehrswert der Liegenschaft vor der Enteignung unter der Voraussetzung, dass sie als Wohnliegenschaft benützt wurde und in der Zone II lag, auf Fr. 232'000.-- geschätzt; für den Verkehrswert nach der Enteignung war er für den Fall, dass der Zonenwechsel berücksichtigt werde, zu einem Verkehrswert von Fr. 200'000.-- gelangt, während er für den Fall, dass der Zonenwechsel nicht berücksichtigt werde, einen Verkehrswert von Fr. 187'000.-- angenommen hatte. Das Obergericht stellte die erste dieser beiden Schätzungen, d.h. Fr. 200'000.-- dem Verkehrswert vor der Enteignung von Fr. 232'000.-- gegenüber und kam so zu einer Enteignungsentschädigung von Fr. 32'000.--.

C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Paul Gugger den Antrag, das Urteil des Obergerichts vom 25. März 1966 sei wegen Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 22 KV) und der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) aufzuheben. - Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das angefochtene Urteil auf.
BGE 93 I 554 S. 557

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer erblickt eine Verletzung der Eigentumsgarantie schon darin, dass ihm das Obergericht weniger als den vom Experten errechneten Verkehrswert zugesprochen hat. In der Tat hat der Experte zwei verschiedene Berechnungen angestellt und ist dabei zu einem Verkehrswert von Fr. 80.- bzw. 150.-- pro m2 gelangt, während der Beschwerdeführer mit der ihm für 560 m2 zugesprochenen Entschädigung von Fr. 32'000.-- nur Fr. 57.15 pro m2 erhält. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie ist damit jedoch nicht dargetan. Die Enteignungsentschädigung ist grundsätzlich so zu bemessen, dass der Enteignete durch die Enteignung weder einen Verlust erleidet noch einen Gewinn erzielt; er soll nach der Enteignung wirtschaftlich gleichgestellt sein wie ohne diese (HESS N. 3 zu Art. 16 EntG; vgl. BGE 89 I 347, BGE 92 I 477). Bei einer teilweisen Enteignung entspricht der Unterschied in der wirtschaftlichen Lage des Enteigneten vor und nach der Enteignung nicht notwendig dem Verkehrswert des abgetretenen Teils. Er kann grösser oder kleiner sein. Bei der Enteignung des Vorgartens eines neuen Miethauses, durch welche die bauliche Ausnützung der Liegenschaft nicht beschränkt wird, ist die Werteinbusse klein und erreicht bei weitem nicht den Verkehrswert pro m2, der für das ganze Grundstück anzunehmen ist; bei einem vor dem Abbruch stehenden Haus oder bei einem unüberbauten Grundstück dagegen kann die Abtrennung des Vorgartens bzw. eines entsprechenden Landstreifens zu einer Einbusse führen, die den für das ganze Grundstück pro m2 geltenden Verkehrswert übersteigt (vgl. WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966 S. 69 ff.). Der vorliegende Fall liegt in der Mitte zwischen diesen Extremen. Darin, dass die vom Obergericht zugesprochene Enteignungsentschädigung den vom Experten errechneten Verkehrswert des abgetretenen Landes unterschreitet, liegt daher für sich allein weder Willkür noch eine Verletzung der Eigentumsgarantie.

4. Der Beschwerdeführer bezeichnet die vom Obergericht vorgenommene Wertdifferenz-Ermittlung als rechtlich unhaltbar. Sollte sich dieser Vorwurf nicht nur gegen die vom Obergericht angewendeten und in der Beschwerde im Einzelnen kritisierten Faktoren richten, sondern - was nicht ganz klar
BGE 93 I 554 S. 558
ist - auch gegen die Methode als solche, so wäre diese Rüge unbegründet. Es entspricht herrschender Ansicht und Praxis, dass die Entschädigung bei einer Teilenteignung nach der Wertdifferenz-Methode errechnet, d.h. der Wert des Gesamtgrundstücks vor der Enteignung mit dem Wert der Restparzelle nach der Enteignung verglichen und die Differenz als der durch die Enteignung bewirkte und zu entschädigende Minderwert betrachtet wird (WIEDERKEHR a.a.O. S. 74/75).

5. Das Obergericht hat den Verkehrswert der Gesamtparzelle vor der Enteignung auf Grund ihrer Einteilung in Zone II und den Wert der Restparzelle auf Grund ihrer Einteilung in Zone V ermittelt und auch die Expertenfragen entsprechend formuliert. Es ging davon aus, die neue Zonenordnung mit Zonenplan sei untrennbar mit dem Überbauungsplan und der darin vorgesehenen neuen Strassenführung verbunden; ohne die Verlängerung der Zentralstrasse, wofür die Enteignung erfolge, wäre es bei der alten Zoneneinteilung geblieben, und es könne daher für die Berechnung des Verkehrswertes vor der Enteignung nicht auf die neue Einzonung abgestellt werden. Diese Betrachtungsweise hält indessen nicht stand.
Es ist zwar richtig, dass der Zonenplan die erst geplante Weiterführung der Zentralstrasse bereits berücksichtigte und die Zonengrenzen wohl etwas anders zog, als wenn diese Weiterführung nicht oder anders vorgesehen gewesen wäre. Es ist auch richtig, dass Überbauungsplan und Zonenordnung von der Gemeinde gleichzeitig beschlossen worden sind. Das vermag indes die angefochtene Berechnung nicht zu rechtfertigen. Obwohl der Überbauungsplan zu einem Bauverbot für das künftige Strassenareal führte (§ 106 EG/ZGB), behielt das Land seinen vollen Wert für den Beschwerdeführer sowohl als Garten seiner Villa wie auch hinsichtlich der Berechnung der Ausnutzungsziffer bei einer neuen Überbauung. Erst die Enteignung entzog ihm das Land mit seinen tatsächlichen und rechtlichen Vorteilen. Ob und wann die Strasse gebaut und die Enteignung durchgeführt würde, war bei Erlass und Inkrafttreten der Zonenordnung noch ungewiss. Hier wurde die Ausführung etwas über zwei Jahre nach dem Inkrafttreten beschlossen. Doch dauert das sich aus einem Überbauungsplan ergebende Bauverbot oft viel länger (vgl. BGE 93 I 338 ff., insb. 343). Auch sind spätere Änderungen des Planes und der
BGE 93 I 554 S. 559
darin vorgesehenen Strassenführung nicht selten, und solche Änderungen sind in der Regel ohne Einfluss auf den Zonenplan, selbst wenn dadurch gewisse Privatgrundstücke vom Bauverbot befreit und an ihrer Stelle andere enteignet werden. Für die Bewertung des Landes während des Schwebezustandes muss daher die tatsächliche Einzonung massgebend sein und kann es nicht darauf ankommen, zu welcher Zone das Land früher gehörte und aus welchen Gründen es aufgezont wurde.
Das Land des Beschwerdeführers gehörte - von dem hiernach zu erörternden, im Plan weiss gelassenen Strassenareal abgesehen - vom Inkrafttreten des Zonenplans am 24. August 1961 bis zur Einleitung der Enteignung im Jahre 1964 wie auch an dem vom Experten und vom Obergericht angenommenen Stichtag für die Bewertung (1. Juni 1965) zur Zone V. Bei der Wertdifferenz-Berechnung den Wert des Gesamtgrundstücks auf Grund einer fiktiven, seit drei Jahren nicht mehr geltenden Zoneneinteilung zu bestimmen, die Restparzelle aber auf Grund der neuen Zoneneinteilung entsprechend höher zu bewerten, ist schlechterdings unhaltbar und verletzt die Eigentumsgarantie, nach welcher der Enteignete Anspruch auf volle Entschädigung hat.
Der Gemeinderat wendet zu Unrecht ein, das enteignete Land könne keinesfalls der Zone V zugeteilt werden, da es im Zonenplan weiss gelassen worden sei, also zu keiner Zone gehöre. Es mag noch angehen, das Areal bestehender öffentlicher Strassen keiner Zone zuzuweisen, obwohl im Falle einer Strassenverlegung und Zuteilung von Strassengebiet an Private ebenfalls ein Bedürfnis nach Klarheit über die Zonenzugehörigkeit besteht. Dagegen können Teile privater Parzellen, die möglicherweise später einmal für eine vorerst nur geplante Strasse beansprucht werden, nicht einfach ausgezont werden, wenn das umgebende Land bestimmten Zonen zugeteilt wird. Wenn das Strassenprojekt geändert oder aufgegeben und dadurch privates Land freigegeben wird, so muss über dessen Zonenzugehörigkeit Klarheit bestehen. Wird das Projekt aber ausgeführt, so ist die Zonenzugehörigkeit für die Bemessung der Enteignungsentschädigung wesentlich. Es geht nicht an, diese Entschädigung dadurch herabsetzen zu wollen, dass inmitten eingezonter Gebiete Teile privater Grundstücke ausgezont werden. Das Obergericht hat denn auch den Hinweis der Gemeinde auf die Auszonung zurückgewiesen und angenommen, das Strassenareal
BGE 93 I 554 S. 560
sei für die Bewertung der Gesamtparzelle vor der Enteignung mit der Restparzelle der Zone II zuzuteilen. Das ist jedoch nach dem Gesagten unhaltbar. Für die Bewertung ist vielmehr zu prüfen, zu welcher Zone das enteignete Land nach dem neuen Zonenplan richtigerweise gehört. Nach diesem Plan liegt der grössere Teil des Grundstücks des Beschwerdeführers in Zone V. Von dem an das Grundstück angrenzenden, jenseits der verlängerten Zentralstrasse gelegenen Land gehört ein Stück zu Zone II und etwas mehr zu Zone VII. Bei dieser Sachlage drängt sich die vom Experten gewählte Lösung als wohl einzig vertretbare auf, nämlich die Annahme, dass die Zonengrenzen gegenüber projektierten Strassen mit deren Mitte zusammenfallen. Geht man hievon aus, so fallen gemäss Berechnung des Experten vom Grundstück des Beschwerdeführers 66,5 m2 in die Zone II, 88,5 m2 in die Zone VII und 1137 m2 in die Zone V.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5

Referenzen

BGE: 89 I 347, 92 I 477, 93 I 338

Artikel: Art. 4 BV, Art. 16 EntG