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Urteilskopf

106 IV 48


16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. Februar 1980 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 90 Ziff. 2 SVG.
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln durch unvorsichtiges Überholen in einem Tunnel.

Sachverhalt ab Seite 48

BGE 106 IV 48 S. 48

A.- H. fuhr am Morgen des 27. Juni 1978 mit einem Personenwagen (VW-Golf auf der Schanfigger Strasse von Langwies in Richtung Chur. Im Frauentobeltunnel überholte er auf dem geraden Teilstück vor dem Tunnelende trotz ungenügender Sichtweite einen VW-Transporter.

B.- Auf Anzeige des Überholten sprach der Kreisgerichtsausschuss Schanfigg H. der groben Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 35 Abs. 2 SVG und Art. 39 Abs. 1 VRV in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 2 SVG) schuldig und verurteilte ihn zu fünf Tagen Gefängnis, auf zwei Jahre bedingt aufgeschoben, und zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 300.--.
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden wies die von H. eingereichte Berufung am 28. Juni 1979 ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Wer Verkehrsregeln grob verletzt und dadurch eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder
BGE 106 IV 48 S. 49
in Kauf nimmt, wird nach Art. 90 Ziff. 2 SVG mit Gefängnis oder Busse bestraft. Die beiden Strafen können verbunden werden (Art. 50 Abs. 2 StGB).
a) Objektiv grob ist die Verletzung einer Verkehrsregel, wenn der Verstoss nach den konkreten Umständen als schwerwiegend bezeichnet werden muss, die Regelwidrigkeit oft zu Unfällen führt. Das weitere Erfordernis der ernstlichen Gefährdung der Sicherheit anderer setzt nicht voraus, dass es zu einem Unfall kommt oder jemand konkret gefährdet wird; nach ständiger Rechtsprechung genügt die Schaffung einer abstrakten Gefahr (BGE 95 IV 2), woraus allerdings nicht abgeleitet werden kann, dass jeder konkreten Gefährdung eine grobe Verkehrsregelverletzung zugrunde liege.
Der Beschwerdeführer hat durch sein Überholmanöver im Tunnel den objektiven Tatbestand des Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt. Er hatte jederzeit mit Gegenverkehr zu rechnen und überholte, obschon ihm die dazu benötigte übersichtliche Strecke nicht zur Verfügung stand und somit auch die Gewissheit fehlte, dass das Überholen gefahrlos beendet werden könne. Das Manöver war umso gefährlicher, als ein aus der Gegenrichtung kommender Automobilist im Tunnel keine Ausweichmöglichkeit hatte und darauf vertrauen durfte, es werde ihm auf seiner Fahrbahn im Tunnel kein anderes Fahrzeug entgegenfahren (Art. 39 Abs. 1 VRV). Das Verhalten des Beschwerdeführers erweist sich als grobe Verletzung von Verkehrsregeln; sie hat eine ernstliche Gefahr geschaffen, die leicht zu einem Unfall hätte führen können. Dass eine konkrete Gefährdung ausgeblieben ist, war nur dem Zufall zuzuschreiben.
b) Subjektiv ist nicht Vorsatz nötig, doch verlangt Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 99 IV 280, BGE 95 IV 2, BGE 92 IV 145 f.). Diese Voraussetzung trifft immer dann zu, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt (SCHULTZ, Strafrechtliche Rechtsprechung zum Strassenverkehrsgesetz 1968 - 1972, S. 160). In solchen Fällen bedarf
BGE 106 IV 48 S. 50
jedoch die Annahme grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung.
Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz, ohne Bundesrecht zu verletzen, grobes Verschulden bejaht. Bei der gegebenen Verkehrslage war es für jeden Automobilisten erkennbar, dass das Überholen im Tunnel, das der Beschwerdeführer trotz ungenügender Sichtweite und verbotenerweise auf der dem Gegenverkehr vorbehaltenen Fahrbahn ausführte, in hohem Masse unfallträchtig war. Erst recht hätte der Beschwerdeführer, der früher ACS-Instruktor war, sich über die Gefährlichkeit seines Unternehmens Rechenschaft geben müssen und sich nicht über die Sicherheit anderer Strassenbenützer hinwegsetzen dürfen. Zudem war er durch die 1976 wegen unzulässigen Überholens im San-Bernardinotunnel und 1978 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln auferlegten Bussen zusätzlich gewarnt. Besondere Umstände, die das neu zu beurteilende Verhalten subjektiv milder erscheinen liessen, bestehen nicht; was der Beschwerdeführer zu diesem Zweck vorbringt, knüpft an eine Darstellung des Sachverhalts an, welcher mit den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz unvereinbar ist.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 95 IV 2, 99 IV 280, 92 IV 145

Artikel: Art. 90 Ziff. 2 SVG, Art. 39 Abs. 1 VRV, Art. 35 Abs. 2 SVG, Art. 50 Abs. 2 StGB