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Urteilskopf

141 IV 178


20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und C. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_419/2014 vom 27. April 2015

Regeste

Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 56 lit. f StPO; Anschein der Befangenheit des Staatsanwalts.
Ausstandspflicht der beiden verfahrensleitenden Staatsanwälte wegen wiederholter und krasser Verfahrensfehler bejaht (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 178

BGE 141 IV 178 S. 178

A. Die Staatsanwaltschaft X. (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt ein Strafverfahren unter anderem gegen den türkischen Staatsangehörigen A. Sie wirft ihm vor, am 20. November 2010 als Mittäter an einer vorsätzlichen Tötung beteiligt gewesen zu sein. Überdies habe er mit Betäubungsmitteln gehandelt.
Seit Juli 2012 befindet er sich in Untersuchungshaft.

B. Am 16. Juni 2014, ergänzt am 30. Juni 2014, verlangte A. den Ausstand von Staatsanwalt B. und (...) Staatsanwältin C., welche gemeinsam das Strafverfahren gegen ihn leiten.
Am 16. Oktober 2014 wies das Obergericht des Kantons Thurgau das Ausstandsgesuch ab. (...)

C. A. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. B. und C. seien zu verpflichten, im Strafverfahrenskomplex "Y." in den Ausstand zu treten. (...)
BGE 141 IV 178 S. 179
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde, soweit es darauf eintritt, gut, hebt den Entscheid des Obergerichts auf und stellt die Ausstandspflicht von B. und C. im Verfahren gegen den Beschwerdeführer fest.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, bei den Beschwerdegegnern bestehe der Anschein der Voreingenommenheit. Die Vorinstanz hätte deshalb das Ausstandsgesuch gutheissen müssen.

3.2

3.2.1 Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art. 56 lit. a-e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten des Richters begründet sein. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 140 I 326 E. 5.1 S. 328; BGE 138 IV 142 E. 2.1 S. 144 f.; je mit Hinweisen).

3.2.2 Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sind bei der Ablehnung eines Staatsanwalts nur anwendbar, wenn er ausnahmsweise in richterlicher Funktion tätig wird, wie das bei Erlass eines Strafbefehls zutrifft. Amtet er jedoch als Strafuntersuchungsbehörde, beurteilt sich die Ausstandspflicht nach Art. 29 Abs. 1 BV. Wohl darf der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen
BGE 141 IV 178 S. 180
werden. Hinsichtlich der Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Sinne von Unabhängigkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV allerdings ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu. Auch ein Staatsanwalt kann abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 f. mit Hinweisen).
Das gilt allerdings nur für das Vorverfahren. Gemäss Art. 61 lit. a StPO leitet die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zur Anklageerhebung. Die Staatsanwaltschaft gewährleistet insoweit eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens (Art. 62 Abs. 1 StPO). Sie untersucht die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Art. 6 Abs. 2 StPO). Zwar verfügt sie bei ihren Ermittlungen über eine gewisse Freiheit. Sie ist jedoch zu Zurückhaltung verpflichtet. Sie hat sich jeden unlauteren Vorgehens zu enthalten und sowohl die belastenden als auch die entlastenden Umstände zu untersuchen. Sie darf keine Partei zum Nachteil einer anderen bevorteilen (BGE 138 IV 142 E. 2.2.1 S. 145 mit Hinweisen).
Nach Erhebung der Anklage wird die Staatsanwaltschaft dagegen wie die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft zur Partei (Art. 104 Abs. 1 StPO). In diesem Verfahrensstadium ist die Staatsanwaltschaft definitionsgemäss nicht mehr zur Unparteilichkeit verpflichtet und hat sie grundsätzlich die Anklage zu vertreten (Art. 16 Abs. 2 StPO). Insoweit gewähren weder Art. 29 Abs. 1 noch Art. 30 Abs. 1 BV noch Art. 6 Ziff. 1 EMRK dem Beschuldigten einen besonderen Schutz, der es ihm erlauben würde, sich über die Haltung des Staatsanwalts und dessen Äusserungen in den Verhandlungen zu beschweren (BGE 138 IV 142 E. 2.2.2 S. 145 mit Hinweisen).

3.2.3 Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts begründen für sich keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorliegen, die eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen (BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146; BGE 125 I 119 E. 3e S. 124; BGE 115 Ia 400 E. 3b S. 404; je mit Hinweisen; REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 105 f.). Sodann kann eine unangebrachte Äusserung des Staatsanwalts den Anschein der Befangenheit erwecken, wenn sie eine schwere Verfehlung darstellt (BGE 127 I 196 E. 2d f. S. 200 ff. mit Hinweisen).
BGE 141 IV 178 S. 181

3.3 Die Rechtsprechung zum Untersuchungsrichter vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung bleibt insoweit massgeblich (BGE 138 IV 142 E. 2.2.1 S. 145). Das Bundesgericht hat verschiedentlich bei Staatsanwälten bzw. Untersuchungsrichtern den Anschein der Befangenheit wegen schwerer Verfahrensfehler bejaht.
Im Fall, der dem Urteil 1B_263/2009 vom 11. Dezember 2009 zugrunde lag, hatte jemand Strafanzeige gegen Verantwortliche der Kantonspolizei eingereicht. Der Staatsanwalt trat nicht darauf ein, ohne die erforderlichen Abklärung getroffen und den Anzeiger angehört zu haben. Dieser konnte in objektiv begründeter Weise den Eindruck erhalten, dass sich der Staatsanwalt seiner Sache nicht annehmen wolle und dieser gegenüber auch im Falle weiterer Erhebungen nicht offen sei. Das Bundesgericht mass sodann dem Umstand Bedeutung zu, dass der Anzeiger auf sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege keine Antwort erhalten hatte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, das Vorgehen des Staatsanwalts weise schwerwiegende Mängel auf, die objektiv geeignet seien, das Vertrauen in seine Unvoreingenommenheit und die Offenheit des Verfahrens zu erschüttern (E. 3.3).
Im Urteil 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 ging es um einen Untersuchungsrichter, der wegen Vermögensdelikten ermittelte. Er missachtete den nach kantonalem Strafprozessrecht bestehenden Anspruch der Beschuldigten und ihres Verteidigers auf Teilnahme an der Befragung von Zeugen und Auskunftspersonen mehrfach (E. 5). Zudem äusserte er ohne hinreichenden Grund den Verdacht, die Beschuldigte habe sich der Nötigung oder Erpressung schuldig gemacht (E. 8). Überdies bezeichnete er den zu untersuchenden Sachverhalt in einer Einvernahme von Auskunftspersonen als "Betrugsfall". Dadurch wertete er das Verhalten der Beschuldigten gegenüber Prozessbeteiligten voreilig, was geeignet war, Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu erwecken (E. 9). Das Bundesgericht befand, bei einer gesamthaften Würdigung dieser Gesichtspunkte sei der Anschein der Befangenheit des Untersuchungsrichters objektiv begründet (E. 11).
Im Fall, über den das Bundesgericht im Urteil 1P.51/2000 vom 5. Juli 2000 zu befinden hatte, führte der Untersuchungsrichter mit Dritten Einvernahmen durch, ohne dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger (rechtzeitig) Gelegenheit zur Teilnahme gegeben zu haben. Der Untersuchungsrichter beschränkte zudem das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten ohne zureichenden Grund und ohne Einhaltung der vom kantonalen Strafprozessrecht vorgesehenen Verfahrensvorschriften. Der Untersuchungsrichter gewährte sodann einer Amtsstelle
BGE 141 IV 178 S. 182
Akteneinsicht, ohne den Beschuldigten dazu vorher angehört zu haben. Das Bundesgericht befand, aus diesen wiederholten Verfahrensfehlern ergebe sich der Anschein der Befangenheit, der durch zweifelhafte weitere Vorgehensweisen des Untersuchungsrichters erhärtet werde (E. 2a).

3.4 Im hier zu beurteilenden Verfahren ist das Folgende zu erwägen:

3.4.1 Am 30. Oktober 2013 widerrief die Staatsanwaltschaft die amtliche Verteidigung des Beschwerdeführers durch Rechtsanwalt D. und entliess diesen mit sofortiger Wirkung. Gleichzeitig setzte sie Rechtsanwalt E. als neuen amtlichen Verteidiger ein.
Die vom Beschwerdeführer und Rechtsanwalt D. gegen den Widerruf erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Thurgau am 6. Februar 2014 gut. Es hob die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30. Oktober 2013 auf und beliess Rechtsanwalt D. im Amt. Es erachtete die von der Staatsanwaltschaft für den Widerruf angeführten Gründe als nicht stichhaltig. Soweit Rechtsanwalt D. der Tochter des Beschwerdeführers geraten habe, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, sei dies zulässig gewesen. Die Weitergabe von Aktenkopien an Familienangehörige des Beschwerdeführers könne Rechtsanwalt D. ebenso wenig vorgeworfen werden, da die Staatsanwaltschaft kein entsprechendes Verbot verfügt habe. Das Obergericht erwog, aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Rechtsanwalt D. sei gerichtsnotorisch, dass er den Beschwerdeführer ausgesprochen engagiert verteidige. Er möge für die Staatsanwaltschaft ein unbequemer Verteidiger sein. Unbequem zu sein sei jedoch - bis zu einem gewissen Grad - mitunter die Aufgabe der Verteidigung.
Der Widerruf der amtlichen Verteidigung war demnach rechtsfehlerhaft. Er war unter den gegebenen Umständen zudem ungewöhnlich. In der Regel verlangt der Beschuldigte die Auswechslung des amtlichen Verteidigers, da er sich von diesem ungenügend verteidigt fühlt. Hier verhielt es sich anders. Die Staatsanwaltschaft widerrief von sich aus die amtliche Verteidigung, obwohl der Beschwerdeführer Rechtsanwalt D. vertraute und weiterhin von diesem verteidigt sein wollte. Grund für diesen unüblichen Schritt war offensichtlich die engagierte Mandatsführung von Rechtsanwalt D.

3.4.2 Am 28. November 2013 führten die Beschwerdegegner mit dem Beschwerdeführer in Anwesenheit von Mitbeschuldigten eine Einvernahme durch. Dabei sagte der Beschwerdeführer,
BGE 141 IV 178 S. 183
Rechtsanwalt D. habe ihm geraten, zu schweigen. Darauf bemerkte die Beschwerdegegnerin 2 nach der Feststellung der Vorinstanz Folgendes: "Wir werden nachher noch darüber sprechen, ob das sinnvoll ist."
Die Beschwerdegegner bestreiten, dass die Beschwerdegegnerin 2 die Aussage gemacht hat. Die Vorinstanz stützt ihre gegenteilige Feststellung auf die Angaben eines an der Einvernahme anwesenden Anwalts eines Mitbeschuldigten. Danach hat die Beschwerdegegnerin 2 die Bemerkung gemacht. Dieser Anwalt, der an der Einvernahme anstelle eines verhinderten Bürokollegen teilnahm, hielt deren Ablauf für diesen auf dem Smartphone fest. Darin ist die fragliche Aussage der Beschwerdegegnerin 2 wörtlich enthalten. Angesichts dessen ist die Feststellung der Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig und deshalb für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
Die beschuldigte Person muss sich nicht selbst belasten. Sie hat namentlich das Recht, die Aussage und ihre Mitwirkung im Strafverfahren zu verweigern (Art. 113 Abs. 1 StPO). Darauf müssen sie die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu Beginn der ersten Einvernahme hinweisen (Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO).
Wieweit es sinnvoll ist, dass der Beschuldigte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, muss er bzw. sein Verteidiger entscheiden. Das ist eine Frage der Verteidigungsstrategie, die den Staatsanwalt nichts angeht (vgl. Urteil 1B_187/2013 vom 4. Juli 2013 E. 2.4, in: SJ 2004 I S. 205). Die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 war daher unangebracht. Sie erweckt objektiv den Eindruck, dass die Beschwerdegegnerin 2 darauf abzielte, den Beschwerdeführer dazu zu verhalten, weitere Aussagen zu machen, was der Verteidigungsstrategie von Rechtsanwalt D. widersprach, der dem Beschwerdeführer riet, nach einer ersten umfassenden Aussage zu schweigen.

3.4.3 Die Bestimmungen über die Protokollierung nach Art. 76 ff. StPO beruhen auf der Dokumentationspflicht. Danach sind die Strafbehörden verpflichtet, alle verfahrensrelevanten Vorgänge schriftlich festzuhalten (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 vor Art. 76-79 StPO). Die Protokollierungspflicht ist grundsätzlich streng zu handhaben (Urteil 1P.399/2005 vom 8. Mai 2006 E. 3.1).
Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz machte die Beschwerdegegnerin 2 die (E. 3.4.2) erwähnte Bemerkung nicht vor, sondern während der Einvernahme. Die Dokumentationspflicht hätte es daher nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz geboten, nicht
BGE 141 IV 178 S. 184
nur den Hinweis des Beschwerdeführers zu protokollieren, Rechtsanwalt D. habe ihm geraten zu schweigen, sondern ebenso die Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2. Dies tat der Beschwerdegegner 1, welcher das Protokoll führte, jedoch nicht, was beim Beschwerdeführer auch bei objektiver Betrachtungsweise den Eindruck erwecken konnte, dass die Bemerkung hätte vertuscht werden sollen.

3.4.4 Am Tag der Einvernahme vom 28. November 2013 erteilte das Obergericht der Beschwerde des Beschwerdeführers und von Rechtsanwalt D. gegen den Widerruf der amtlichen Verteidigung aufschiebende Wirkung und führte aus, Rechtsanwalt D. sei damit nach wie vor amtlicher Verteidiger, weshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden dürften. Dies wurde dem Beschwerdegegner 1 um 14.45 Uhr mitten in der Einvernahme telefonisch mitgeteilt. Die Beschwerdegegner setzten diese in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. gleichwohl fort. Sie missachteten somit die Anordnung des Obergerichts. Ein zwingender Grund für dieses Vorgehen ist nicht zu erkennen. Dass der Beschwerdeführer an der Einvernahme durch Rechtsanwalt E. verteidigt war und nunmehr entgegen dem Rat von Rechtsanwalt D. aussagen wollte, änderte nichts daran, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung Rechtsanwalt D. wieder amtlicher Verteidiger war und deshalb ohne ihn keine Einvernahmen durchgeführt werden durften. Die Fortsetzung der Einvernahme vom 28. November 2013 in Abwesenheit von Rechtsanwalt D. stellt einen krassen Verfahrensfehler dar, zumal das Obergericht die Tragweite der aufschiebenden Wirkung noch ausdrücklich erläutert hatte. Die Beschwerdegegner konnten darüber also nicht im Unklaren sein.

3.4.5 Mit Verfügung vom 29. November 2013 wies die Staatsanwaltschaft die Gefängnisleitung an, nur gemeinsame Besuche des Beschwerdeführers durch die Rechtsanwälte D. und E. zuzulassen, es sei denn, der eine Verteidiger willige jeweils schriftlich in den alleinigen Besuch des anderen ein. Zudem wies die Staatsanwaltschaft die Kantonspolizei an, zu allfälligen Einvernahmen beide Verteidiger einzuladen, dies unter dem entsprechenden Vorbehalt der jeweils schriftlichen Einwilligung des einen Verteidigers zur alleinigen Teilnahme des anderen.
Für diese Anordnungen bestand kein Grund. Zufolge der Gewährung der aufschiebenden Wirkung durch das Obergericht war wieder allein Rechtsanwalt D. amtlicher Verteidiger. Das stellte die Vizepräsidentin des Obergerichts mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 an die Staatsanwaltschaft und die Rechtsanwälte D. und E. klar. Der
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Beschwerdeführer benötigte offensichtlich nicht zwei amtliche Verteidiger. Da die Rechtsanwälte D. und E. unterschiedliche Verteidigungsstrategien verfolgten (der eine riet dem Beschwerdeführer zu schweigen, der andere nicht), hätte die Mitwirkung beider die Verteidigung nur erschwert und sich damit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgewirkt. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb ein - in seiner Funktion bestätigter - amtlicher Verteidiger seinen Mandanten nicht alleine sollte besuchen dürfen, selbst wenn neben ihm noch ein weiterer amtlicher Anwalt im Amt sein sollte.

3.4.6 Da aufgrund der aufschiebenden Wirkung weiterhin Rechtsanwalt D. amtlicher Verteidiger war, hätten die Beschwerdegegner das Protokoll der Einvernahme vom 28. November 2013 diesem zustellen müssen. Das taten sie jedoch zunächst nicht. Vielmehr sandten sie das Protokoll Anfang Dezember 2013 ausschliesslich Rechtsanwalt E. und den Verteidigern der Mitbeschuldigten zu. Auf das Begehren von Rechtsanwalt D. vom 8. Januar 2014, ihm das Protokoll der Einvernahme ebenfalls zuzustellen, reagierten sie nicht. Es bedurfte des Drucks der Rechtsverweigerungsbeschwerde des Beschwerdeführers vom 18. Februar 2014, bis die Beschwerdegegner das Protokoll der Einvernahme am 26. Februar 2014 auch an Rechtsanwalt D. übermittelten.

3.5 Die Beschwerdegegner haben demnach zahlreiche und teilweise krasse Verfahrensfehler begangen. Hinzu kommt die unangebrachte Bemerkung der Beschwerdegegnerin 2 zu Beginn der Einvernahme vom 28. November 2013. In der Summierung wiegt dies schwer. Rechtsanwalt D. setzte sich stark für den Beschwerdeführer ein. Dieser vertraute ihm und wollte deshalb weiterhin von ihm verteidigt werden. Der Beschwerdeführer konnte objektiv den Eindruck gewinnen, dass die Beschwerdegegner Rechtsanwalt D. aus dem Verfahren drängen und durch einen ihnen genehmen Verteidiger mit einer ihnen zusagenden Verteidigungsstrategie (Bereitschaft zur Aussage) ersetzen wollten, weil Rechtsanwalt D. ihnen unbequem war und eine ihnen widerstrebende Verteidigungsstrategie (Schweigen nach anfänglicher umfassender Aussage) verfolgte, welche eine Verurteilung erschwerte. Der Anschein der Befangenheit ist deshalb zu bejahen. Ob die Beschwerdegegner tatsächlich befangen waren, ist nach der dargelegten Rechtsprechung belanglos.
Der angefochtene Entscheid würdigt die Verfahrensfehler der Beschwerdegegner bzw. die unangebrachte Äusserung der Beschwerdegegnerin 2 jeweils gesondert. Entscheidend ist jedoch, wie das
BGE 141 IV 178 S. 186
Bundesgericht im erwähnten Urteil 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 dargelegt hat, die Gesamtwürdigung. In der Summierung wiegen die Verfehlungen der Beschwerdegegner mindestens so schwer wie jene, bei denen das Bundesgericht in den (E. 3.3) erwähnten Urteilen den Anschein der Befangenheit bejaht hat.

3.6 Die Beschwerdegegner leiteten das Strafverfahren zusammen, weshalb davon auszugehen ist, dass sie sich jeweils absprachen. Die erwähnten Verfahrensfehler haben sie im Wesentlichen gemeinsam zu verantworten. Der Anschein der Befangenheit fällt deshalb auf beide.

3.7 Die Beschwerdegegner waren somit zum Ausstand verpflichtet; dies ab ihrem zu beanstandenden Vorgehen in der Einvernahme vom 28. November 2013 (oben E. 3.4.2 ff.). Der Beschwerdeführer kann somit gemäss Art. 60 Abs. 1 StPO die Aufhebung und Wiederholung jener Verfahrenshandlungen verlangen, welche die Beschwerdegegner ab diesem Zeitpunkt vorgenommen haben (Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 3.3.1 mit Hinweisen).

3.8 Die Ausstandspflicht gilt nur im Verfahren gegen den Beschwerdeführer. Die Frage, ob auch gegenüber den Mitbeschuldigten der Anschein der Befangenheit besteht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antrag des Beschwerdeführers, die Beschwerdegegner seien zu verpflichten, im gesamten Strafverfahrenskomplex "Y.", der auch die weiteren Mitbeschuldigten betrifft, in den Ausstand zu treten, geht deshalb zu weit. Soweit der Antrag auch die Mitbeschuldigten betrifft, kann darauf nicht eingetreten werden.

3.9 Der Ausstand der Beschwerdegegner wird voraussichtlich zu einer Verlängerung des Verfahrens führen, was das Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO) beeinträchtigt. Die Anforderungen an den Anschein der Befangenheit dürfen deshalb jedoch nicht überdehnt werden (BGE 127 I 196 E. 2d S. 199 mit Hinweis). Ist dieser gegeben, besteht die Ausstandspflicht. Nur so kann ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet werden (Urteil 1P.51/2000 vom 5. Juli 2000 E. 2b). Dem kommt hier umso mehr Gewicht zu, als für den Beschwerdeführer, der im Falle einer Verurteilung mit einer langen Freiheitsstrafe rechnen muss, viel auf dem Spiel steht.

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Sachverhalt

Erwägungen 3

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