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Urteilskopf

148 II 198


14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Pro Natura, Schweizerischer Bund für Naturschutz und Mitb. gegen Bezirk Schwyz sowie gegen Gemeinderat Ingenbohl und Regierungsrat des Kantons Schwyz (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_453/2020 / 1C_693/2020 vom 21. September 2021

Regeste

Festlegung des Gewässerraums der Muota im BLN-Gebiet Nr. 1606 gemäss Art. 41a Abs. 1 GSchV.
Die Mindestbreite des Gewässerraums eines Fliessgewässers bestimmt sich in Landschaften von nationaler Bedeutung nach Art. 41a Abs. 1 (und nicht Abs. 2) GSchV, wenn für das Gebiet gewässerbezogene Schutzziele gelten. Dies ist vorliegend der Fall: Das Objektblatt für das BLN-Gebiet Nr. 1606 enthält Schutzziele für die Gewässer und ihre Uferräume; diese sind auch auf das Teilgebiet Rigi, in dem sich die Muota befindet, anwendbar (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 199

BGE 148 II 198 S. 199

A. Der Bezirk Schwyz ist Eigentümer der Liegenschaft KTN 661 in Ingenbohl (36'314 m 2 ). Darauf befinden sich ein Campingplatz sowie - im Südosten, an der Mündung der Muota in den Vierwaldstättersee - ein Kiesverladeplatz (Nauenhafen). Die Parzelle liegt im Teilraum Rigi des Objekts Nr. 1606 "Vierwaldstättersee mit Kernwald, Bürgenstock und Rigi" des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). Im Westen und Norden grenzt sie an das Flachmoorobjekt von nationaler Bedeutung Nr. 2906 "Hopfräben", im Süden an den Vierwaldstättersee und im Osten an die Hopfräbenstrasse und die Muota.

B. (Erneuerung des Campingplatzes; Verfahren 1C_453/2020).

C. Die grundeigentümerverbindliche Festlegung des Gewässerraums am rechten (westlichen) Ufer der Muota ist Gegenstand einer Nutzungsplanrevision der Gemeinde Ingenbohl. Eine erste Auflage erfolgte am 14. März 2014, eine 2. Auflage mit geänderten Unterlagen am 28. Oktober 2016. Am rechten Muota-Ufer ist ein Gewässerraum von 15 m vorgesehen; im Bereich des Campingplatzes beträgt er bis zu 20 m. Die dagegen erhobene gemeinsame Einsprache des WWF Schweiz, des Schweizer Heimatschutzes, Pro Natura, der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und des Landschaftsverbands Vierwaldstättersee wies der Gemeinderat Ingenbohl am 17. Juli 2017 ab.
Dagegen gelangten die genannten Verbände mit Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Schwyz. Dieser wies die Beschwerde am 23. Oktober 2018 ab, soweit er darauf eintrat. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Verbände wies das Verwaltungsgericht am 24. April 2019 ab.
Mit Abstimmung vom 9. Februar 2020 nahmen die Stimmberechtigten der Gemeinde Ingenbohl die Teilrevision der Nutzungsplanung an. Diese wurde vom Regierungsrat am 18. August 2020 genehmigt. Mit Einzelrichterentscheid vom 9. November 2020 eröffnete das Verwaltungsgericht seinen Entscheid vom 24. April 2019 fristauslösend mit einer Rechtsmittelbelehrung und stellte fest, dass der regierungsrätliche Genehmigungsentscheid keinen Anlass für eine inhaltliche Koordination gebe.
BGE 148 II 198 S. 200

D. Gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheide vom 24. April 2019 und vom 9. November 2020 haben der WWF Schweiz, Pro Natura Schweiz und die Stiftung Landschaftsschutz am 10. Dezember 2020 gemeinsam Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben (Verfahren 1C_693/2020).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt die Urteile des Verwaltungsgerichts Schwyz vom 9. November 2020 und vom 24. April 2019 auf und weist die Sache an den Gemeinderat Ingenbohl zurück, um den Gewässerraum am rechten Ufer der Muota (vom See bis und mit KTN 473) im Sinne der Erwägungen neu festzulegen.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:

Erwägungen

4. Streitig ist zunächst, welche Bestimmung vorliegend zur Anwendung kommt: Das Verwaltungsgericht hielt Art. 41a Abs. 2 GSchV (SR 814.201) für einschlägig; die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verlangen eine Berechnung nach Art. 41a Abs. 1 GSchV.

4.1 Abs. 1 ist anwendbar in Biotopen von nationaler Bedeutung, in kantonalen Naturschutzgebieten, in Moorlandschaften von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung, in Wasser- und Zugvogelreservaten von internationaler oder nationaler Bedeutung sowie, bei gewässerbezogenen Schutzzielen, in Landschaften von nationaler Bedeutung und kantonalen Landschaftsschutzgebieten.
Der streitige Abschnitt der Muota liegt im BLN-Gebiet Nr. 1606, d.h. in einer Landschaft von nationaler Bedeutung. Im Objektblatt (Ziff. 3) werden die Schutzziele für das gesamte Inventargebiet definiert. Diese enthalten verschiedene Ziele, die sich (nur oder auch) auf Gewässer beziehen:
3.2 Die vielfältige Seen- und Berglandschaft in ihrer Authentizität erhalten.
(...)
3.5 Das Mosaik aus gestalteten und genutzten Landschaften und natürlichen Lebensräumen erhalten.
3.6 Die Feucht- und Trockenlebensräume in ihrer Qualität sowie ökologischen Funktion und mit ihren charakteristischen Pflanzen- und Tierarten erhalten.
3.7 Die Gewässer und ihre Lebensräume in einem natürlichen und naturnahen Zustand erhalten.
BGE 148 II 198 S. 201
3.8 Die natürlichen Seeufer, die Flachwasserzonen und die Unterwasserwiesen mit ihren charakteristischen Pflanzen- und Tierarten erhalten.
(...)
3.10 Die ökologische Vernetzung der Lebensräume erhalten.
Für den Teilraum 3 Rigi werden in Ziff. 9 mehrere nicht gewässerbezogene Schutzziele aufgeführt und abschliessend festgehalten:
Die Schutzziele für das gesamte Gebiet des BLN-Objektes 1606 sind auch für diesen Teilraum gültig.

4.2 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass für den Teilraum Rigi - anders als für den Teilraum 6 (Kernwald und Alpnachersee) - spezifische gewässerbezogene Schutzziele fehlten. Zwar werde ausdrücklich auf die Geltung der allgemeinen Schutzziele verwiesen. Dieser Verweis finde sich jedoch gleichermassen bei den Schutzzielen aller sechs Teilräume. Das BLN-Objekt Nr. 1606 sei mit einer Fläche von rund 37 km2 sehr gross und heterogen; den allgemeinen Schutzzielen komme daher nur Leitliniencharakter zu; sie könnten nicht Geltung für den gesamten Perimeter beanspruchen (mit Verweis auf SCHIBLI/BÜHL, Revision der VBLN und zu erwartende Auswirkungen, URP 2016 S. 671). Würde man der Auffassung der Beschwerdeführer folgen, wäre im Bereich des gesamten BLN-Objekts die Gewässerraumausscheidung undifferenziert nach Art. 41a Abs. 1 GSchV vorzunehmen. Ein solch pauschales Vorgehen könne jedoch nicht Sinn und Zweck dieser Bestimmung entsprechen und würde die spezifischen gewässerbezogenen Schutzziele der Teilräume weitgehend obsolet machen.
Der Regierungsrat und die Gemeinde Ingenbohl teilen diese Auffassung: Es wäre realitätsfremd, im gesamten BLN-Gebiet Nr. 1606, das auch grössere Siedlungsgebiete umfasse, die Gewässerräume nach Art. 41a Abs. 1 GSchV festzulegen.

4.3 Art. 41a Abs. 1 GSchV verlangt gewässerbezogene Schutzziele. Vorliegend beziehen sich die Ziff. 3.2, 3.7 und 3.8 des betreffenden Objektblatts explizit auf Gewässer und ihre Lebensräume; weitere Schutzziele (z.B. Ziff. 3.6 Feuchtlebensräume, Ziff. 3.10 ökologische Vernetzung) sind zumindest auch auf die Gewässer und ihre Uferräume anwendbar. Diese Schutzziele sind auf das Teilgebiet Rigi, in der sich die Muota befindet, anwendbar: Zum einen wird in Ziff. 9 ausdrücklich auf die allgemeinen Schutzziele verwiesen; zum anderen beziehen sich diese z.T. auf Lebensräume (wie die in Ziff. 3.8 genannten Flachwasserzonen und Unterwasserwiesen), die nur im
BGE 148 II 198 S. 202
Teilgebiet Rigi vorkommen (vgl. Objektblatt Ziff. 8.3 S. 18). Die vom Verwaltungsgericht zitierte Aussage von SCHIBLI/BÜHL bezieht sich auf die allgemeinen Schutzziele nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vom 29. März 2017 über das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (VBLN; SR 451.11) und nicht auf die im Objektblatt für jedes BLN-Objekt verbindlich festgelegten spezifischen Schutzziele (vgl. Art. 1 Abs. 2 VBLN und SCHIBLI/BÜHL, a.a.O., S. 671 und 675 f.).

4.4 Die breiteren Gewässerräume gemäss Art. 41a Abs. 1 GSchV gewährleisten die Freihaltung des für die Förderung der Biodiversität erforderlichen minimalen Raumbedarfs und dessen extensive Bewirtschaftung (vgl. Art. 41c Abs. 1, 3 und 4 GSchV). Dies ist grundsätzlich auch innerhalb von Siedlungsgebieten sinnvoll. Bestehende Bauten geniessen ohnehin Bestandesschutz (vgl. Art. 41c Abs. 2 GSchV), und es besteht die Möglichkeit, den Gewässerraum in dicht überbauten Gebieten (z.B. Zentrumsgebieten) zu reduzieren (vgl. Art. 41a Abs. 4 lit. a GSchV) und Ausnahmebewilligungen zu erteilen (vgl. Art. 41c Abs. 1 lit. a und abis GSchV).

4.5 Nach dem Gesagten ist vorliegend Art. 41a Abs. 1 GSchV anwendbar.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 4

Referenzen

Artikel: Art. 41a Abs. 1 GSchV, Art. 41a Abs. 2 GSchV, Art. 1 Abs. 2 VBLN, Art. 41c Abs. 1, 3 und 4 GSchV mehr...