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Urteilskopf

149 II 385


34. Auszug aus dem Urteil der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Stiftung A. und B. AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_87/2023 vom 24. August 2023

Regeste

Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG; Art. 34 und 35 MWSTV; steuerbare Heilbehandlungen im Bereich "Traditionelle Chinesische Medizin" (TCM).
Unter Zulassung zur Ausübung einer Heilbehandlung nach der kantonalen Gesetzgebung (im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. a und b MWSTV) kann nur eine positive Genehmigung verstanden werden, nicht aber ein blosses Dulden (E. 4.3). Aufgrund des Verweises im Mehrwertsteuergesetz auf die kantonale Gesundheitsgesetzgebung kann eine Leistung, erbracht durch denselben Leistungserbringer resp. dieselbe Leistungserbringerin, je nach Ort der Leistung, von Kanton zu Kanton unterschiedlich, d.h. steuerbar oder von der Steuer ausgenommen sein. Hiermit erfährt das Prinzip der einheitlichen Anwendung der Mehrwertsteuer auf dem Gebiet der gesamten Schweiz eine Schwächung (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 386

BGE 149 II 385 S. 386

A.

A.a Die B. AG (nachfolgend: die Steuerpflichtige 2), welche gemäss Handelsregistereintrag namentlich den Betrieb von Rehabilitationskliniken unter einheitlicher Führung an den Standorten U. und V. sowie an allfälligen weiteren Standorten bezweckt, war vom 1. Januar 2002 bis am 30. Juni 2013 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingetragen. In diesem Zeitraum rechnete die Steuerpflichtige 2 die Mehrwertsteuer nach der Pauschalsteuersatzmethode zu den entsprechenden, ihr von der ESTV bewilligten Pauschalsteuersätzen ab.

A.b Seit dem 1. Januar 2013 ist die Steuerpflichtige 2, welche zusammen mit diversen weiteren Gesellschaften der Unternehmensgruppe der Stiftung F. angehört, Mitglied der Stiftung A. (nachfolgend: die Steuerpflichtige 1). Da die MWST-Gruppe per 1. Januar 2013 (systemtechnisch bedingt) noch nicht bereit war für die Umsetzung der Gruppenbesteuerung, änderte die ESTV das Löschdatum der Steuerpflichtigen 2 sowie der übrigen Einzelsteuersubjekte bzw. Gruppenmitglieder vom 31. Dezember 2012 auf 30. Juni 2013 und gestattete diesen, die Mehrwertsteuer für das 1. und 2. Quartal 2013 noch unter ihrer bisherigen MWST-Nummer abzurechnen.

A.c Die ESTV führte bei den Steuerpflichtigen 1 und 2 im Oktober 2017 eine Kontrolle durch. Diese führte bei der Steuerpflichtigen 2 zu einer Mehrwertsteuernachbelastung für den kontrollierten Zeitraum (1. Januar 2012 bis 30. Juni 2013) von insgesamt Fr. 329'378.- (mitgeteilt mittels Einschätzungsmitteilung Nr. 215'655 vom 16. Juli 2018). Bei der Steuerpflichtigen 1 führte die Kontrolle zu einer Mehrwertsteuernachbelastung für den kontrollierten Zeitraum (1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2016) von insgesamt Fr. 958'835.- (mitgeteilt mittels Einschätzungsmitteilung Nr. 215'654 vom 9. Juli 2018).

A.d Diese Nachsteuern rührten unter anderem aus der Aufrechnung von Mehrwertsteuern auf Umsätzen aus ambulant erbrachten Leistungen im Bereich "Traditionelle Chinesische Medizin" (nachfolgend: TCM).
BGE 149 II 385 S. 387

B.

B.a Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 und vom 14. Januar 2019 wandte sich die damalige Vertreterin der Steuerpflichtigen 1 und 2 an die ESTV, bezahlte die Steuernachforderungen zwecks Vermeidung von Verzugszinsen unter ausdrücklichem Vorbehalt und bestritt die Steuernachforderungen im Zusammenhang mit Umsätzen aus ambulant erbrachten TCM-Leistungen.

B.b

B.b.a Mit Verfügung vom 7. Mai 2020 setzte die ESTV die mittels Einschätzungsmitteilung Nr. 215'655 vorgenommene Nachbelastung (von Fr. 329'378.-) um den Betrag von Fr. 19'755.- herab und forderte für den streitbetroffenen Zeitraum (1. Januar 2012 bis 30. Juni 2013) noch Fr. 309'623.- zuzüglich Verzugszins ab dem 15. Januar 2013 nach. Die Gutschrift von Fr. 19'755.- zugunsten der Steuerpflichtigen 2 erfolgte deshalb, weil die ESTV bezüglich der Aufrechnung zum Schluss gelangt war, dass zusätzliche Umsätze im Umfang von Fr. 323'845.- aus ambulanten TCM-Leistungen (erbracht an diversen Standorten in den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich), welche im Rahmen der Kontrolle noch als steuerbar behandelt worden waren, aufgrund der nachträglich eingereichten Berufsausübungsbewilligungen als Entgelte aus steuerausgenommenen Heilbehandlungen zu qualifizieren seien.

B.b.b Ebenfalls mit Verfügung vom 7. Mai 2020 setzte die ESTV die mittels Einschätzungsmitteilung Nr. 215'654 vorgenommene Nachbelastung (von Fr. 958'835.-) um den Betrag von Fr. 79'085.- herab und forderte für den streitbetroffenen Zeitraum (1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2016) dementsprechend Mehrwertsteuern im Betrag von Fr. 879'750.- zuzüglich Verzugszins ab dem 31. Oktober 2015 nach. Auch hier begründete die ESTV die Gutschrift von Fr. 79'085.- zugunsten der Steuerpflichtigen 1 damit, dass zusätzliche Umsätze im Umfang von Fr. 1'249'476.- aus ambulanten TCM-Leistungen (erbracht an diversen Standorten in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen, Thurgau, Zug und Zürich), welche im Rahmen der Kontrolle noch als steuerbar behandelt worden waren, aufgrund der nachträglich eingereichten Berufsausübungsbewilligungen als Entgelte aus steuerausgenommenen Heilbehandlungen zu qualifizieren seien.

B.c Die gegen die genannten Verfügungen vom 7. Mai 2020 erhobenen Einsprachen wurden mit zweien, jeweils am 31. Mai 2021 ergangenen Einspracheentscheiden abgewiesen.
BGE 149 II 385 S. 388

B.c.a Im Rahmen der Begründungen führte die ESTV unter anderem aus, dass sämtliche seitens der Steuerpflichtigen 1 und 2 im vorliegend zu beurteilenden Zeitraum 2012 und 2016 erzielten Umsätze aus den an den Standorten im Kanton Aargau erbrachten TCM-Leistungen als steuerbar zu qualifizieren seien, da die entsprechenden TCM-Therapeuten im fraglichen Zeitraum nicht über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinne von Art. 35 Abs. 1 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV 2009; SR 641.201) verfügt hätten.

B.c.b Sodann hielt die ESTV auch betreffend die Umsätze aus im Kanton Zürich erbrachten TCM-Leistungen fest, dass diese - soweit sie nicht bereits im Rahmen der Kontrolle oder im Rahmen der Verfügungen vom 7. Mai 2020 als steuerausgenommen qualifiziert worden seien - zu versteuern seien, zumal die fraglichen TCM-Therapeuten im zu beurteilenden Zeitraum nicht über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinne von Art. 35 Abs. 1 MWSTV verfügt hätten.

B.d

B.d.a Mit zwei Eingaben vom 1. Juli 2021 erhoben die Steuerpflichtigen 1 und 2 jeweils Beschwerde gegen die Einspracheentscheide vom 31. Mai 2021 beim Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragten die Aufhebung der Einspracheentscheide der ESTV vom 31. Mai 2021, die Umqualifizierung der als steuerbar erfassten TCM-Heilbehandlung als von der Steuer ausgenommene Leistungen, die Reduktion der auf die TCM-Heilbehandlungen entfallende Mehrwertsteuerforderung für die Periode vom 1. Quartal 2012 bis zum 2. Quartal 2013 um Fr. 164'311.- sowie die Reduktion der auf die TCM-Heilbehandlungen entfallende Mehrwertsteuerforderung für die Periode vom 3. Quartal 2013 bis zum 4. Quartal 2016 um Fr. 508'625.-. Im Eventualstandpunkt beantragten sie die Reduktion der auf die TCM-Heilbehandlungen entfallende Mehrwertsteuerforderung für die Periode vom 1. Quartal 2012 bis zum 2. Quartal 2013 um Fr. 145'229.- sowie die Reduktion der auf die TCM-Heilbehandlungen entfallende Mehrwertsteuerforderung für die Periode vom 3. Quartal 2013 bis zum 4. Quartal 2016 um Fr. 501'535.-. Im Subeventualstandpunkt beantragten sie die Rückweisung.

B.d.b Zur Begründung führten die Steuerpflichtigen 1 und 2 im Wesentlichen aus, sämtliche Erbringerinnen der strittigen TCM-Leistungen in den Kantonen Aargau und Zürich hätten im fraglichen
BGE 149 II 385 S. 389
Zeitraum über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinne von Art. 35 Abs. 1 MWSTV verfügt, weshalb deren Leistungen nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG 2009; SR 641.20) von der Steuer ausgenommen seien.

B.e Mit Urteil vom 30. November 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 27. Januar 2023 beantragen die Steuerpflichtigen 1 und 2 das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2022 (recte: 30. November 2022) aufzuheben, die TCM-Heilbehandlungen als von der Steuer ausgenommene Leistungen zu qualifizieren, die Mehrwertsteuerforderung für die Periode 2012 um Fr. 116'912.83 und für das 1. und 2. Quartal 2013 um Fr. 47'398.08 zu reduzieren, sowie die Mehrwertsteuerforderung für das 3. Quartal 2013 bis zum 4. Quartal 2016 um Fr. 508'625.- zu reduzieren. Eventualiter fordern sie die Rückweisung zwecks rechtlicher Beurteilung und ergänzender Sachverhaltsfeststellung.
Die ESTV beantragt mit Schreiben vom 23. Februar 2023, die Beschwerde infolge Eintritts der absoluten Verjährung betreffend die Steuerperiode 2012 im Umfang von Fr. 116'912.83 gutzuheissen und im Übrigen vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Steuerpflichtigen 1 und 2 replizieren.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Vorliegend ist die die jeweilige Perioden betreffende, subjektive Steuerpflicht (gemäss Art. 10 MWSTG resp. Art. 13 MWSTG) der Beschwerdeführerinnen 1 und 2 unbestritten. Die im Inland durch Personen mit subjektiver Steuerpflicht erbrachten Leistungen gegen Entgelt sind steuerbar, soweit das Mehrwertsteuergesetz keine Ausnahme vorsieht (vgl. Art. 18 Abs. 1 MWSTG).

3.2 Sogenannte "unechte" Ausnahmen von der Steuerpflicht sind in Art. 21 Abs. 2 MWSTG aufgelistet als die von der Steuer ausgenommenen Leistungen (vgl. Urteile 2C_476/2017 vom 21. August 2018 E. 3.2; 2C_1076/2015 vom 9. Dezember 2016 E. 4.2.1). Zentral für den vorliegenden Fall sind Ziff. 2 und 3 genannter Liste:
BGE 149 II 385 S. 390
Gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 2 MWSTG sind Spitalbehandlungen und die ärztliche Heilbehandlung in Spitälern im Bereich der Humanmedizin einschliesslich der damit eng verbundenen Leistungen, die von Spitälern sowie Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik erbracht werden, von der Steuer ausgenommen (stationäre Heilbehandlungen).
Auch ausgenommen von der Mehrwertsteuer sind gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG (soweit hier interessierend) die von Ärzten, Naturärzten oder Angehörigen ähnlicher Heil- und Pflegeberufe erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, soweit die Leistungserbringer und Leistungserbringerinnen über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen; der Bundesrat bestimmt die Einzelheiten (ambulante Heilbehandlungen). Dabei beachtet er das Gebot der Wettbewerbsneutralität (Art. 21 Abs. 5 MWSTG).

3.3 Entgegen der Vorinstanz und der ESTV sind die Beschwerdeführerinnen der Auffassung, die in den Steuerperioden 2013 bis 2016 erbrachten (ambulanten und stationären) TCM-Leistungen seien von der Steuer ausgenommen, weil die entsprechenden Therapeuten über die nach dem kantonalen Recht erforderliche Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung verfügt hätten oder zur Ausübung der Heilbehandlung nach der kantonalen Gesetzgebung zugelassen gewesen seien. Streitig und zu prüfen ist demnach, ob die in den Kantonen Aargau und Zürich (ambulanten und angeblich auch stationär) erbrachten TCM-Leistungen steuerbar oder von der Steuer ausgenommen sind.
(...)

4.

4.1 Die MWSTV präzisiert die für Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG relevanten Begriffe, deren Vorliegen zu prüfen ist, wie folgt:

4.1.1 Als Angehörige von Heil- und Pflegeberufen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG gelten gemäss Art. 35 Abs. 2 lit. h MWSTV namentlich "Naturärzte, Naturärztinnen, Heilpraktiker, Heilpraktikerinnen, Naturheilpraktiker und Naturheilpraktikerinnen". Vorliegend ist die Zugehörigkeit zu den Heil- und Pflegeberufen im genannten Sinne nicht umstritten.

4.1.2 Gemäss Art. 34 Abs. 1 MWSTV gelten als Heilbehandlungen die Feststellung von Behandlungen von Krankheiten, Verletzungen und anderen Störungen der körperlichen und seelischen Gesundheit
BGE 149 II 385 S. 391
des Menschen sowie Tätigkeiten, die der Vorbeugung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen des Menschen dienen. Nach Art. 34 Abs. 3 lit. a MWSTV gelten namentlich nicht als Heilbehandlungen Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen, die lediglich der Hebung des Wohlbefindens oder der Leistungsfähigkeit dienen oder lediglich aus ästhetischen Gründen vorgenommen werden, ausser die Untersuchung, Beratung oder Behandlung erfolge durch einen Arzt, eine Ärztin, einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin, die im Inland zur Ausübung der ärztlichen oder zahnärztlichen Tätigkeit berechtigt sind. Auch das Vorliegen einer Heilbehandlung im genannten Sinne ist nicht umstritten.

4.1.3 Ein Leistungserbringer oder eine Leistungserbringerin verfügt über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinn von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG, wenn er oder sie im Besitz der nach kantonalem Recht erforderlichen Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung ist (Art. 35 Abs. 1 lit. a MWSTV); oder zur Ausübung der Heilbehandlung nach der kantonalen Gesetzgebung zugelassen ist (Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV). Vorliegend ist strittig, ob die Leistungserbringer und Leistungserbringerinnen über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinne der Bestimmung verfügen oder nicht resp. ob daran geknüpft die durch sie erbrachten Leistungen von der Mehrwertsteuer ausgenommen oder steuerpflichtig sind.

4.2 Im Fokus steht vorliegend aufgrund des bundesgesetzlichen Verweises die jeweilige kantonale Gesundheitsgesetzgebung der Kantone Aargau und Zürich in Bezug auf die Berufsausübungsbewilligungen. Diese sind, für die relevanten Steuerperioden, wie folgt ausgestaltet:

4.2.1

4.2.1.1 Im Kanton Aargau benötigt u.a. eine Berufsausübungsbewilligung der zuständigen Behörde, wer fachlich selbständig an Kranken, Verletzten, gesundheitlich anderweitig Beeinträchtigten, Schwangeren oderim Rahmen der Gesundheitsförderung oder Prävention instrumentale Eingriffe in Körperöffnungen oder körperverletzend unter der Haut vornimmt (§ 4 Abs. 1 lit. f des Gesundheitsgesetzes des Kantons Aargau vom 20. Januar 2009 [GesG/AG; SAR 301.100;in der für die Perioden relevanten Fassung]). Weiter benötigt u.a.eine Berufsausübungsbewilligung der zuständigen Behörde, wer fachlich selbständig eine Tätigkeit ausübt, die unter einem eidgenössisch anerkannten Diplom der Komplementärmedizin geregelt ist
BGE 149 II 385 S. 392
(§ 4 Abs. 1 lit. g GesG/AG). Der Regierungsrat kann ungefährliche Tätigkeiten nach Abs. 1 lit. f von der Bewilligungspflicht befreien (§ 4 Abs. 3 GesG/AG). Der Regierungsrat bezeichnet die gemäss § 4 bewilligungspflichtigen Berufe und regelt die für die einzelnen Bewilligungen erforderlichen Voraussetzungen. Vorbehalten bleibt das Bundesrecht (§ 5 Abs. 2 GesG/AG).

4.2.1.2 In § 10 Abs. 1 der Verordnung des Kantons Aargau vom 11. November 2009 über die Berufe, Organisationen und Betriebe im Gesundheitswesen (VBOB/AG; SAR 311.121) finden sich entsprechend der Systematik des GesG/AG die Berufe, für welche eine Berufsausübungsbewilligung erforderlich ist, in abschliessender Weise. Gemäss § 10 Abs. 1 VBOB/AG (in der bis Ende 2017 gültigen Fassung) e contrario war für Naturheilpraktikerinnen und Naturheilpraktiker unter eidgenössisch anerkanntem Diplom keine Berufsausübungsbewilligung erforderlich. Eine solche wurde erst mit § 10 Abs. 1 lit. p VBOB/AG, welcher per 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist, eingeführt. Die (per 1. Januar 2018 eingeführte) Bewilligungspflicht zur selbständigen Tätigkeit als Naturheilpraktikerin oder Naturheilpraktiker setzt voraus, dass sich die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller über das eidgenössische Diplom oder einen als gleichwertig anerkannten Ausbildungsabschluss in Naturheilpraktik ausweist (§ 25a Abs. 1 VBOB/AG). Gemäss Ziff. 2 des Merkblatts "Tätigkeiten im Bereich Naturheilpraktik; Komplementärtherapie und ähnliches" des Departements Gesundheit und Soziales, Version August 2021, betrifft dies u.a. TCM. Bis Ende 2017 war in § 11 Abs. 1 VBOB/AG noch geregelt, dass die Akupunktur von der Bewilligungspflicht befreit ist (im Sinne der Delegation in § 4 Abs. 3 GesG/AG, wonach der Regierungsrat ungefährliche Tätigkeiten nach Abs. 1 lit. f von der Bewilligungspflicht befreien kann). Diese Befreiung wurde mit der Einführung der Bewilligungspflicht für Naturheilpraktikerinnen und Naturheilpraktiker unter eidgenössisch anerkanntem Diplom (per 1. Januar 2018) aufgehoben (vgl. dazu Merkblatt "Tätigkeiten im Bereich Naturheilpraktik; Komplementärtherapie und ähnliches" des Departements Gesundheit und Soziales, Version August 2021, Ziff. 3).

4.2.2

4.2.2.1 Im Kanton Zürich benötigt eine Bewilligung der Direktion u.a., wer instrumentale Eingriffe in den Körperöffnungen oder körperverletzend unter der Haut vornimmt (1) an Kranken, Verletzten, gesundheitlich anderweitig Beeinträchtigten oder Schwangeren (2)
BGE 149 II 385 S. 393
im Rahmen der Gesundheitsförderung oder Prävention (§ 3 Abs. 1 lit. e des Gesundheitsgesetzes des Kantons Zürich vom 2. April 2007 [GesG/ZH; LS 810.1; in der für die Perioden relevanten Fassung]). Eine Bewilligung der Direktion benötigt sodann, wer unter einemeidgenössisch anerkannten Diplom der Komplementärmedizin tätig wird (sog. "Titelführungsbewilligung", § 3 Abs. 1 lit. g GesG/ZH). Bis zur Schaffung eidgenössisch anerkannter Diplome der Komplementärmedizin kann der Regierungsrat die Bewilligungspflicht nach diesem Gesetz auf Personen ausdehnen, die unter einem von ihm anerkannten, von einem gesamtschweizerischen Berufsverband ausgestellten Diplom mit Qualifikation für Homöopathie, TCM, Phytotherapie oder Osteopathie tätig werden (§ 65 GesG/ZH). Für ungefährliche Eingriffsarten kann der Regierungsrat die Bewilligungspflicht nach Abs. 1 lit. e aufheben (§ 3 Abs. 2 GesG/ZH).

4.2.2.2 Im Kanton Zürich ist die selbständige Ausübung des Berufs als Akupunkteur oder Akupunkteurin im vorliegend zu beurteilenden Zeitraum bewilligungspflichtig (§ 2 lit. a der Verordnung des Kantons Zürich vom 24. November 2010 über die nichtuniversitären Medizinalberufe [nuMedBV/ZH; LS 811.21] i.V.m. § 3 Abs. 1 lit. e GesG/ZH). Die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung wird erteilt, wenn die gesuchstellende Person die fachlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft bei der Schweizerischen Berufsorganisation für Traditionelle Chinesische Medizin (SBO-TCM) erfüllt (§ 11 nuMedBV/ZH). Die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung berechtigt Akupunkteure und Akupunkteurinnen zur Behandlung von Patienten und Patientinnen durch Einstechen von Akupunkturnadeln (§ 12 nuMedBV/ZH).

4.2.2.3 Die Ausübung der übrigen (nichtinvasiven) Tätigkeiten im Bereich der nichtärztlichen Alternativ- und Komplementärmedizin (so namentlich im Bereich TCM) ist gemäss § 3 GesG/ZH i.V.m. § 2 nuMedBV/ZH e contrario indes nicht bewilligungspflichtig (vgl. dazu auch S. 1 des Merkblatts vom Juli 2022 der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich betreffend "Nichtärztliche Alternativ- und Komplementärmedizin im Kanton Zürich"). Allerdings gibt es diesbezüglich - wie bereits aus § 3 Abs. 1 lit. g GesG/ZH hervorgeht - eine Titelführungsbewilligung. Der Regierungsrat hat den ihm in § 65 GesG/ZH eingeräumten Spielraum genutzt und in § 9 Abs. 1 lit. b nuMedBV/ZH geregelt, dass bis zur Schaffung eidgenössisch anerkannter Diplome der Komplementärmedizin (im Sinne von § 3 Abs. 1 lit. g GesG/ZH) eine Bewilligung der Gesundheitsdirektion benötigt,
BGE 149 II 385 S. 394
wer unter einem von der SBO-TCM verliehenen Diplom berufstätig sein will. Die Bewilligung gilt bis fünf Jahre nach Schaffung eines eidgenössischen anerkannten Diploms im entsprechenden Gebiet der Komplementärmedizin (§ 9 Abs. 2 nuMedBV/ZH; vgl. dazu auch S. 2 und 3 des vorgenannten Merkblatts). Seit der Einführung der Höheren Fachprüfung für Naturheilpraktiker und Naturheilpraktikerinnen sowie für Komplementär-Therapeuten und Komplementär-Therapeutinnen muss für folgende Titel eine Bewilligung zur Titelführung beantragt werden: Naturheilpraktiker und -praktikerinnen mit eidgenössischem Diplom in [...] TCM (vgl. dazu auch S. 2 des vorgenannten Merkblatts).

4.3 Im Lichte dieser kantonalen Gesundheitsgesetzgebung ist die Vorinstanz zur Auffassung gelangt (mit Blick auf die Zielsetzung des Gesetzgebers, nur die einen staatlich anerkannten Heilberuf ausübenden Leistungserbringer von der Ausnahme profitieren zu lassen), dass unter Zulassung zur Ausübung der Heilbehandlung nach der kantonalen Gesetzgebung (im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. a und b MWSTV) nur eine positive Genehmigung verstanden werden kann, nicht aber ein blosses Dulden. Auch ein bewusster Verzicht des kantonalen Gesetzgebers auf eine entsprechende Regelung genüge rechtsprechungsgemäss nicht für die Anwendbarkeit der Steuerausnahmevorschrift (so auch bereits in Urteil 2A.331/2005 vom 9. Mai 2006 E. 3.1 für Homöopathieleistungen). In der Rechtsprechung werde in diesem Zusammenhang zudem ausgeführt, dass ein Dokument, welches bestätige, dass ein Beruf ohne Bewilligung ausgeübt werden könne, nicht als positive Genehmigung im massgebenden Sinne zu qualifizieren sei (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-389/2017 vom 13. September 2017 E. 2.3.2.2). Hingegen genüge eine Grundlage im kantonalen Recht, wonach die Ausübung der Heilbehandlung ausdrücklich zugelassen sei (mit Verweis auf Urteil 2C_476/2017 vom 21. August 2018 E. 4.4 und 4.9 zu Ostheopathieleistungen; vgl. zum Ganzen: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6966/2018 vom 24. Oktober 2019 E. 2.3.2.2).

4.4 Im Einklang mit genannten Ausführungen erwägt die Vorinstanz zu den in den Kantonen Aargau und Zürich erbrachten Leistungen konkret was folgt:

4.4.1 Die Erbringer von TCM-Behandlungen (inkl. Akupunktur) seien (bis Ende 2017) gemäss Recht des Kantons Aargau, mangels positiver Genehmigung, nicht zur Ausübung von Heilbehandlungen
BGE 149 II 385 S. 395
im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV zugelassen gewesen:
Für die Perioden 2012 bis 2017 sei der Beruf in § 10 Abs. 1 VBOB/ AG nicht aufgeführt gewesen. Bis Ende 2017 sei für Naturheilpraktikerinnen und Naturheilpraktiker unter eidgenössisch anerkanntem Diplom keine Berufsausübungsbewilligung erforderlich gewesen (betreffend TCM-Behandlungen, ohne Akupunktur). Dabei würde es sich eindeutig nicht um eine positive Genehmigung bzw. eine ausdrückliche Zulassung handeln, was aber für eine Berufsausübungsbewilligung (gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV) erforderlich wäre.
Akupunktur sei bis Ende 2017 in § 11 Abs. 1 VBOB/AG von der Bewilligungspflicht befreit gewesen. Da unter einer Zulassung nur eine positive Genehmigung verstanden werden könne und eine Zulassung im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV sich nicht aus einem Umkehrschluss ergeben könne, erfülle § 11 Abs. 1 VBOB/ AG die Anforderungen an eine Zulassung nicht. Dementsprechend hätten die Erbringer von Akupunkturleistungen nicht über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen können (gemäss Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV).
Die altrechtlich vom Kanton Aargau an Herrn D. ausgestellte Berufsausübungsbewilligung im Bereich Akupunktur vom 8. April 2005 (nach Massgabe des Gesundheitsgesetzes des Kantons Aargau vom 10. November 1987 [aGesG/AG]) entspreche den Anforderungen gemäss Art. 35 Abs. 1 lit. a MWSTV nicht mehr, zumal mit dem Inkrafttreten des nun geltenden GesG/AG für den vorliegend relevanten Zeitraum die gesetzliche Grundlage für die besagte Berufsausübungsbewilligung entfallen sei. Im zu beurteilenden Zeitraum sei Herr D. weder gemäss Art. 35 Abs. 1 lit. a MWSTV noch gemäss Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV (mangels positiver Genehmigung bzw. kantonalgesetzlich geregelter Zulassung wie z.B. einer Meldepflicht oder Titelführungsbewilligungspflicht) als Erbringer von Heilbehandlungen anerkannt gewesen. Dasselbe gelte für andere TCM-Therapeuten resp. TCM-Therapeutinnen, welche im fraglichen Zeitraum an den verschiedenen Standorten des MWST-Gruppenmitglieds E. AG im Kanton Aargau tätig gewesen seien.

4.4.2 Hinsichtlich des Kantons Zürich lasse sich festhalten, dass die selbständige Ausübung des Berufs als Akupunkteur/in im vorliegenden zu beurteilenden Zeitraum bewilligungspflichtig sei. Da die
BGE 149 II 385 S. 396
Therapeutinnen und Therapeuten, vorbehältlich Herrn D. ab 8. August 2014, was bereits berücksichtigt worden sei, im relevanten Zeitraum über keine entsprechende Bewilligung verfügt hätten, seien sämtliche noch strittigen Akupunktur-Behandlungen steuerbar.
Die übrigen (nichtinvasiven) Tätigkeiten im Bereich der nichtärztlichen Alternativ- und Komplementärmedizin (so namentlich im Bereich TCM) seien gemäss § 3 GesG/ZH i.V.m. § 2 nuMedBV/ZH (e contrario) nicht bewilligungspflichtig. Allerdings benötige eine Titelführungsbewilligung, wer unter einem eidgenössischen anerkannten Diplom der Komplementärmedizin tätig werde (§ 3 Abs. 1 lit. g GesG/ZH); und bis zur Schaffung eidgenössisch anerkannter Diplome der Komplementärmedizin (im Sinne von § 3 Abs. 1 lit. g GesG/ZH) benötige eine Bewilligung der Gesundheitsdirektion, wer unter einem von der SBO-TCM verliehenen Diplom berufstätig sein wolle. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung könne diese Titelführungsbewilligung als kantonal geregelte Zulassung zur selbständigen Ausübung des entsprechenden Berufs gelesen werden (mit Verweis auf Urteile 2C_476/2017 vom 21. August 2018 E. 4.4; 2A.331/2005 vom 9. Mai 2006 E. 3.1). Die genannte Zulassung sei jedoch nur für Komplementärmediziner geregelt, die unter einem der genannten Diplome der Komplementärmedizin tätig sein möchten. Mit anderen Worten sei die Berufsausübung im Bereich der (nichtinvasiven) nichtärztlichen Alternativ- und Komplementärmedizin im Kanton Zürich zwar (ohne Bewilligung) erlaubt, soweit nicht ein bewilligungspflichtiger Titel geführt werde. Jedoch ergebe sich dies lediglich im Umkehrschluss und nicht aus einer im kantonalen Recht geregelten positiven Genehmigung bzw. ausdrücklichen Zulassung. Damit seien im Kanton Zürich nur TCM-Therapeuten im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV zugelassen, welche unter einem anerkannten Titel (entweder SBO-TCM oder eidgenössisch) tätig seien und die entsprechende Titelführungsbewilligung eingeholt hätten. Die übrigen Erbringer von TCM-Behandlungen im Kanton Zürich hätten im hier zu beurteilenden Zeitraum nicht über eine Berufsausübungsbewilligung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV verfügt. Wie die Beschwerdeführerinnen ausführen würden, verfügten die hier in Frage stehenden Therapeutinnen und Therapeuten nicht über eine Titelführungsbewilligung. Die diesbezügliche Tatsachenfeststellung wurde auch soweit hier relevant nicht weiter vor Bundesgericht gerügt. Sie seien demnach im relevanten Zeitraum
BGE 149 II 385 S. 397
nicht nach Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV zur Ausübung der Heilbehandlung zugelassen gewesen. Dies gelte unabhängig davon, ob sie über die entsprechenden Titel verfügt hätten oder nicht. Im Kanton Zürich brauche es für die Zulassung ein entsprechendes Schriftstück (Titelführungsbewilligung).

4.5 Die umfangreichen Ausführungen der Beschwerdeführerinnen zur Auslegung der Bestimmung vermögen kein anderes Bild der Rechtslage zu skizzieren. Zusammenfassend ist das Ergebnis der Vorinstanz im Einklang mit dem Gesetz, der Rechtsprechung und der Verwaltungspraxis, mit nachfolgenden Ergänzungen und Präzisierungen:

4.5.1 Insbesondere mit Blick auf die grammatikalische Auslegung zeigt sich - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen -, dass die französische Fassung von Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV von "autoriser", die italienische von "ammettere" spricht. Wie auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil A-6966/2018 vom 24. Oktober 2019 E. 3.1.3 festgestellt hat, bringen diese Formulierungen, insbesondere die Französischsprachige, deutlicher als die deutschsprachige Version zum Ausdruck, dass es sich beim Zulassen um eine positive Anordnung handeln muss und reines Dulden nicht genügt.

4.5.2 In Bezug auf die Ausführungen betreffend den Kanton Zürich (vorne E. 4.4.2) ist der ESTV - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen - beizupflichten, dass vorliegend die Frage, ob es für die Zulassung im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV stets eines entsprechenden bestätigenden (individuell-konkreten) Schriftstückes bedarf, nicht entscheidwesentlich ist und daher offengelassen werden kann.

4.5.3 Aufgrund der neuen kantonalen Gesundheitsgesetzgebung im Kanton Aargau (im Gegensatz zu den vorliegend relevanten Perioden) ist sodann zu erkennen, dass im Kanton Aargau ab 1. Januar 2018 eine Berufsausübungsbewilligungspflicht für Naturheilpraktiker und Naturheilpraktikerinnen eingeführt wurde (§ 10 Abs. 1 lit. p VBOB/AG, in Kraft gesetzt per 1. Januar 2018). Die Berufsausübungsbewilligung zur selbständigen Tätigkeit als Naturheilpraktiker oder Naturheilpraktikerin setzt ein eidgenössisches Diplom oder einen als gleichwertig anerkannten Ausbildungsabschluss in Naturheilpraktik voraus (§ 25a Abs. 1 VBOB/AG). Gemäss Ziff. 2 des Merkblatts "Tätigkeiten im Bereich Naturheilpraktik;
BGE 149 II 385 S. 398
Komplementärtherapie und ähnliches" des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau, Version August 2021, betrifft die per 1. Januar 2018 eingeführte Bewilligungspflicht unter anderem TCM-Behandlungen. Bis Ende 2017 war in § 11 Abs. 1 VBOB/AG noch geregelt, dass die Akupunktur von der Bewilligungspflicht befreit ist (im Sinne der Delegation in § 4 Abs. 3 GesG/AG, wonach der Regierungsrat ungefährliche Tätigkeiten nach Abs. 1 lit. f von der Bewilligungspflicht befreien kann). Diese Befreiung wurde mit der Einführung der Bewilligungspflicht für Naturheilpraktiker und Naturheilpraktikerinnen unter eidgenössisch anerkanntem Diplom (per 1. Januar 2018) aufgehoben (vgl. dazu auch genanntes Merkblatt Ziff. 3).

4.5.4 In Bezug auf die Vorbringen, dass die an den Standorten im Kanton Zürich (Winterthur und Flughafen Zürich) in unselbständiger Stellung tätig gewesenen TCM-Therapeuten auch ohne entsprechende Berufsausübungsbewilligungen steuerausgenommene Akupunktur-Behandlungen hätten erbringen können (mit Hinweis auf § 3 GesG/ZH, § 6 Abs. 1 und 2 GesG/ZH, § 7 Abs. 1 und 2 nuMedBV/ ZH in Betrieben mit Betriebsbewilligung), ist gemäss den für das Bundesgericht relevanten Sachverhaltsfeststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) nicht erstellt, inwiefern die Leistungserbringer auch über die subjektiven Voraussetzungen verfügt haben. Zumal gilt gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG, dass neue Tatsachen und Beweismittel im bundesgerichtlichen Verfahren lediglich insoweit vorgebracht werden dürfen, als der angefochtene Entscheid hierzu Anlass gibt. Die angeblichen Betriebsbewilligungen, über welche die Zentren angeblich verfügen, hätten sodann bereits vorinstanzlich beigebracht werden müssen. Es ist nicht ersichtlich, dass erst der angefochtene Entscheid zu deren Einbringung Anlass gegeben hat.

5.

5.1 Im Ergebnis zeigt sich zusammengefasst, dass aufgrund des Verweises auf die kantonale Gesundheitsgesetzgebung (vgl. vorne E. 4.2) eine Leistung, erbracht durch denselben Leistungserbringer resp. Leistungserbringerin mit gleicher Berufsausbildung und Qualifikation - je nach Ort der Leistung, von Kanton zu Kanton unterschiedlich - steuerbar ist oder von der Steuer ausgenommen.

5.2 Der Gesetzgeber hat aus sozialpolitischen Gründen nur gewisse Umsätze im Gesundheitswesen ausgenommen, wobei dabei die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen steuerbaren und
BGE 149 II 385 S. 399
ausgenommenen Leistungen bewusst in Kauf genommen wurden (vgl. u.a. BBl 2008 6885 Ziff. 6.2.4 [S. 7049]; BBl 2008 6885 Ziff. 8.1.4.1 [S. 7078 ff.]; AB 2009 N 1077 ff.). Diese Abgrenzungsschwierigkeiten zeigten sich bereits in der ursprünglichen Ratsdebatte, wonach die Steuerausnahme ursprünglich nur gelten sollte, sofern sie ärztlich verordnet wurde, wobei erkannt wurde, dass auch mit Verzicht auf eine ärztliche Verordnung von Fall zu Fall zu entscheiden ist, ob eine erbrachte Leistung als Heilbehandlung zu qualifizieren ist oder nicht. Auch wurde erkannt, dass im Bereich des Gesundheitswesens grundsätzlich die Kantone zuständig sind, wobei mit dem Verweis unbefriedigende Situationen entstehen können (vgl. BBl 1996 V 713 [S. 743 f., S. 895]; AB 1999 Bd. I N 321 ff.; AB 1999 Bd. II S 356 ff.; AB 1999 Bd. III N 814 ff.; AB 1999 Bd. III S 408 ff.). So wurde mit Blick auf das Abstellen auf eine kantonale Regelung zu den Berufsausübungsbewilligungen bereits erkannt, dass das Prinzip der einheitlichen Anwendung der Mehrwertsteuer auf dem Gebiet der gesamten Schweiz eine Schwächung erfährt, weil jede kantonale Regelung ihre spezifischen Besonderheiten hat (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6966/2018 vom 24. Oktober 2019 E. 2.3.5 m.w.H.). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Problematik Gegenstand der aktuellen parlamentarischen Debatte ist (Postulat Nr. 23.3132 von Ständerat Ruedi Noser "Neuregelung der Mehrwertsteuer im Bereich der Gesundheit. Vereinfachung, Wettbewerbsneutralität und Entlastung der Konsumentinnen und Konsumenten", vom Ständerat am 31. Mai 2023 angenommen; AB 2023 S 376).
Die Anwendung von Bundesrecht kann vom Bundesgericht nicht versagt werden, selbst wenn diese verfassungswidrig sein sollte (Art. 190 BV; BGE 146 V 129 E. 4.4; BGE 139 I 257 E. 4; Urteil 2C_852/ 2021 vom 10. Dezember 2021 E. 2.3.2 m.w.H.). Zwar handelt es sich bei Art. 190 BV um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot. Es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu überprüfen; wird eine solche jedoch festgestellt, muss das Gesetz dennoch angewendet werden. Vorliegend kann nicht gesagt werden, dass die Regelung offensichtlich Grundrechte verletzen würde.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5

Referenzen

BGE: 146 V 129, 139 I 257

Artikel: Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV, Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG, Art. 35 Abs. 1 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV 2009; SR 641.201), Art. 35 Abs. 1 lit. a MWSTV mehr...