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Urteilskopf

149 III 34


5. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Erbschaft von B. selig (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_103/2022 vom 31. Oktober 2022

Regeste

Art. 39 Abs. 2 LugÜ; Art. 49 und 52 SchKG; Exequatur- und Arrestbegehren, unverteilte Erbschaft; Betreibungsort des Arrestes.
Prüfung und Kognition mit Bezug auf den Arrestort als Ort gemäss Art. 39 Abs. 2 LugÜ, wo die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (E. 3.1-3.3).
Art. 49 SchKG erlaubt die Betreibung gegen die unverteilte Erbschaft am Ort, wo der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes betrieben werden konnte. Für den Betreibungsort des Arrestes ist nicht vorausgesetzt, dass der Arrest zu Lebzeiten des Schuldners vollzogen sein muss; ein Arrest ist auch gegen den Nachlass möglich (E. 3.4-3.6).

Sachverhalt ab Seite 35

BGE 149 III 34 S. 35

A.

A.a Am 23. November 2021 reichte A. beim Bezirksgericht Zürich ein Arrestgesuch gegen die Erbschaft von B. selig ein. Sein Bruder war am x.x.2021 in U. verstorben. A. verlangte für eine Arrestforderung von insgesamt Fr. x nebst Zinsen die Verarrestierung von näher bezeichneten, dem Verstorbenen gehörenden Vermögenswerten bei der Bank C. AG und Bank D. AG, beide in Zürich, sowie bei der Bank E. S.A. in W.

A.b Gleichzeitig mit dem Arrestgesuch stellte A. das Gesuch um (teilweise, d.h. im vollstreckbaren Umfang mögliche) Vollstreckbarerklärung eines "Lugano"-Urteils (Urteil Nr. y des Berufungsgerichts X.), mit welchem in einer Streitsache gegen B. am y.y.2021 (vor seinem Tod) entschieden und welches am z.z.2021 veröffentlicht wurde.

A.c Mit Urteil vom 6. Dezember 2021 wies das Bezirksgericht das Arrestgesuch ab.

B. Gegen das Urteil gelangte A. an das Obergericht des Kantons Zürich, welches die Beschwerde mit Urteil vom 6. Januar 2022 abwies.

C. Mit Eingabe vom 9. Februar 2022 hat A. Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und in der Sache (wie im kantonalen Verfahren), es sei das Arrestgesuch gutzuheissen und das ausländische Urteil als vollstreckbar zu erklären. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung an das Bezirksgericht zurück.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. (...)

3.1 Das Obergericht verweigerte das Arrestgesuch gegen die Erbschaft infolge Fehlens eines Betreibungsstandes im Zeitpunkt des Todes des Erblassers in der Schweiz und verneinte folglich ein Interesse an der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils. Der Beschwerdeführer wendet sich sowohl gegen die Abweisung des Arrestgesuchs als auch das Nichteintreten der Vollstreckbarerklärung. Er rügt im Wesentlichen eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 49 und Art. 52 SchKG) und des Willkürverbots (Art. 9 BV).
BGE 149 III 34 S. 36

3.2 Der Beschwerdeführer beruft sich in seinem Arrestgesuch auf ein gegen B. (als Titelschuldner) im Ausland ergangenes Urteil vom y.y.2021/z.z.2021 als definitiven Rechtsöffnungstitel (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG). Bei diesem Vorgehen gelten zunächst folgende Grundsätze.

3.2.1 Wie das Obergericht zu Recht festgehalten hat, entscheidet das Arrestgericht bei Vorliegen eines definitiven Rechtsöffnungstitels (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG) bei einem - wie hier - in U. ergangenen Urteil, das nach dem Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 (LugÜ; SR 0.275.12) zu vollstrecken ist, auch über dessen Vollstreckbarkeit (Art. 271 Abs. 3 SchKG i.V.m. Art. 38 ff. LugÜ). Nach den Anhaltspunkten betrifft das Urteil aus U. eine vertragsrechtliche Streitigkeit bzw. Zivil- und Handelssache und fällt in den Anwendungsbereich des LugÜ (Art. 1 Abs. 1 LugÜ).

3.2.2 Der Richter, welcher den Arrest gestützt auf ein "Lugano"-Urteil bewilligen will, hat über dessen (anbegehrte) Vollstreckbarkeit zu entscheiden; die Praxis, über diesen Punkt nur vorfrageweise zu entscheiden, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (BGE 147 III 491 E. 6.2.1). Die Vollstreckbarerklärung ist Voraussetzung und nicht Konsequenz der Arrestbewilligung (STAEHELIN, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ], Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, N. 61 zu Art. 47 LugÜ; BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 30 zu Art. 39 LugÜ; vgl. BGE 143 III 693 E. 3.4.1).

3.2.3 Die Frage der Vollstreckbarkeit des "Lugano"-Urteils, auf welches sich das Arrestbegehren stützt, ist im Rahmen der Beschwerde nach Art. 327a ZPO zu prüfen, während die arrestspezifischen Einwände im Rahmen der Arresteinsprache zu erheben sind (BGE 147 III 491 E. 6.2.2). Gegen die Abweisung des Arrestgesuchs steht dem Gläubiger die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. (i.V.m. Art. 309 lit. a Ziff. 6) ZPO offen (Urteil 5A_508/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1 mit Hinweisen; VOCK/MEISTER-MÜLLER, SchKG-Klagen nach der Schweizerischen ZPO, 2. Aufl. 2018, S. 318).

3.3 Mit Blick auf die dem Bundesgericht zustehende Kognition ist zunächst zu klären, in welche Richtung die vom Beschwerdeführer erhobene Kritik an der vom Obergericht ausgesprochenen Verweigerung des Arrestes gegen die ungeteilte Erbschaft geht. Erfasst sie die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils, ist - wie dargelegt (nicht publ. E. 1.2) - die Kognition des
BGE 149 III 34 S. 37
Bundesgerichts frei, währenddem arrestspezifische Kritik der eingeschränkten (Willkür-)Kognition unterliegt.

3.3.1 Gemäss Art. 39 Abs. 2 LugÜ bestimmt sich die Zuständigkeit der Schweiz für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung durch den Wohnsitz des Schuldners oder durch den "Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll" (BOVEY, La révision de la Convention de Lugano et le séquestre, JdT 2012 II S. 93). Wo die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden kann, richtet sich nach nationalem Recht (BGE 124 III 505 E. 3). Die Anwendung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ - ein Vollstreckungsort als Prozessvoraussetzung zur Beurteilung des Exequaturbegehrens - unterliegt freier bundesgerichtlicher Prüfung (vgl. Urteil 5A_364/2012 / 5A_375/2012 vom 20. Dezember 2012 E. 4.2).

3.3.2 Unter dem Blickwinkel von Art. 39 Abs. 2 LugÜ genügt, dass am entsprechenden Ort eine Vollstreckung möglich sein könnte, um auf den Antrag auf Vollstreckbarerklärung eintreten zu können (STAEHELIN/BOPP, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ], Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, N. 8 zu Art. 39 LugÜ); ausreichend ist, wenn das Vorgehen zum Exequatur nach den Zuständigkeitsregeln korrekt ist (DONZALLAZ, La Convention de Lugano [...], Bd. II, 1997, S. 713 Rz. 3617). Häufigster Vollstreckungsort (Betreibungsort) für Schuldner im Ausland ist der Arrestort (Art. 52 SchKG), auch wenn noch keine Vermögenswerte verarrestiert worden sind (Urteil 5A_364/2012 / 5A_375/2012 vom 20. Dezember 2012 E. 4.1).

3.3.3 Im vorliegenden Fall hat das Obergericht die Möglichkeit einer Vollstreckung (Betreibung) gestützt auf einen Arrest gegen den unverteilten Nachlass in der Schweiz verneint; es hat einen Arrestvollzug zu Lebzeiten des Erblassers vorausgesetzt. In Frage steht damit der Arrestort als Betreibungsort (Art. 52 SchKG), d.h. eine bestimmte Voraussetzung, um die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte für ein Begehren um Vollstreckbarerklärung nach LugÜ in Anspruch zu nehmen, wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht. Wenn das Obergericht eine Vollstreckung (Betreibung) am Arrestort gegenüber der Erbschaft ausgeschlossen hat, geht es nicht um die blosse Durchführung des Arrestes, d.h. eine arrestspezifische Kritik, sondern um die korrekte Anwendung der nationalen Zuständigkeitsregeln im Hinblick darauf, ob in der Schweiz (Zürich) eine Vollstreckung überhaupt möglich sein könnte, was das Obergericht verneint hat. Damit erfasst die Kritik des Beschwerdeführers die
BGE 149 III 34 S. 38
Anwendung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ, d.h. die Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils, und die Kognition des Bundesgerichts ist frei.

3.3.4 Wird - wie hier - auf das Begehren um Vollstreckbarerklärung gemäss Art. 38 ff. LugÜ nicht eingetreten (oder dieses abgewiesen), so steht dem Gläubiger die Beschwerde gemäss Art. 327a ZPO offen (STAEHELIN/BOPP, a.a.O., N. 14 zu Art. 43 LugÜ; HOFMANN/KUNZ, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. 2016, N. 37 f. zu Art. 43 LugÜ; BUCHER, a.a.O., N. 4 zu Art. 43 LugÜ). Dass der Beschwerdeführer hier die (normale) Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO ergriffen hat, hindert nicht, die Anwendung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ zu überprüfen. Ob nach nationalem Recht eine Zwangsvollstreckung und damit ein Vorgehen nach Art. 39 Abs. 2 LugÜ möglich ist, bleibt im Folgenden zu erörtern.

3.4 Gemäss Art. 52 SchKG kann im Fall, dass ein Arrest gelegt ist, die Betreibung dort eingeleitet werden, wo sich der Arrestgegenstand befindet. Gemäss Art. 49 SchKG kann eine Erbschaft, solange die Teilung noch nicht erfolgt, eine vertragliche Gemeinderschaft nicht angeordnet, eine amtliche Liquidation nicht angeordnet ist, in der auf den Verstorbenen anwendbaren Betreibungsart an dem Ort betrieben werden, wo der Erblasser zur Zeit seines Todes betrieben werden konnte. Betrieben werden kann die unverteilte Erbschaft für Schulden des Erblassers und Erbgangsschulden (SCHMID, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 3. Aufl. 2021, N. 1 zu Art. 49 SchKG). Unstrittig hatte der im Ausland und Domizilstaat verstorbene Erblasser im vorliegenden Fall keinen ordentlichen Betreibungsort (Art. 46 SchKG) und steht von den besonderen Betreibungsorten nur der Betreibungsort des Arrestes nach Art. 52 SchKG in Frage.

3.4.1 Der Betreibungsort des Arrestes (Art. 52 SchKG) wird durch den vollzogenen Arrest begründet (SCHMID, a.a.O., N. 6 zu Art. 52 SchKG). Streitpunkt ist, ob gegen die unverteilte Erbschaft durch Arrest nur dann ein Vollstreckungsort (Betreibungsort) bestehen kann, wenn der Arrest gegen den Erblasser bereits zur Zeit seines Todes vollzogen wurde, oder ob - was die Vorinstanz verneint hat - eine Betreibung auch am Ort des Arrestes gegen die unverteilte Erbschaft möglich ist.

3.4.2 Eine vor Jahrzehnten begründete kantonale (auch zürcherische) Rechtsprechung erlaubt den Betreibungsort des Arrestes und
BGE 149 III 34 S. 39
hält fest, dass das Arrestgesuch nicht nur gegen einzelne Erben, sondern auch gegen die ungeteilte Erbschaft als Schuldnerin gerichtet werden kann (Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 2. Juli 2002 E. 3b/bb, in: Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung [ZWR] 2003 S. 181; Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. Juli 1974, in: ZR 74/1975 Nr. 42 S. 78; vom 10. März 1955, in: ZR 55/1956 Nr. 145 S. 289; vom 10. Oktober 1951, in: ZR 51/1952 Nr. 81 S. 139; Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich NN010090/U vom 27. August 2001 E. 2.2; ferner Urteil 14.2020.105 des Tribunale d'appello/TI vom 17. Dezember 2020 E. 7.2; Entscheid DCSO/677/06 der Commission de surveillance des offices des poursuites et des faillites/GE vom 23. November 2006 E. 3b; Urteil des Obergerichts [Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs] des Kantons Solothurn vom 26. April 1949, in: BlSchK 1952 S. 43.
Das Bundesgericht hat schon Rechtsfragen zur Betreibung beurteilt, die auf einem Arrest beruhen, der gegen eine ungeteilte Erbschaft angeordnet wurde, ohne indes die hier umstrittene Frage zu erörtern (BGE 102 III 1 Bst. A, E. 1b: Gültigkeit des Zahlungsbefehls an den Vertreter der Erbschaft; ferner BGE 80 III 161 Bst. A). In BGE 120 III 39 hat es weiter erkannt, dass ein gegen den Verstorbenen eingeleitetes Betreibungs- und Arrestverfahren von Amtes wegen eingestellt werden müsse (E. 1a); den Gläubiger treffe die Last, neue Arrest- und Betreibungsverfahren gegen die Erben des Schuldners einzuleiten (E. 1d).

3.4.3 Ein Teil der Lehre zitiert BGE 120 III 39 und hält fest, dass gegen einen Nachlass kein Arrest gelegt werden könne; die Arrestlegung setze voraus, dass der Schuldner noch lebe (D. SCHWANDER, Arrestrechtliche Neuerungen [...], ZBJV 146/2010 S. 667 Fn. 104; JEANNERET/STRUB, in: SchKG, 2. Aufl. 2014, Art. 10a zu Art. 49 SchKG; LORANDI, Erblasser, Erbengemeinschaft, Erbe[n] und Erbschaft als Schuldner, AJP 2012 S. 1384; gl. M. ohne nähere Begründung SCHMID, a.a.O., N. 3 zu Art. 49 SchKG; KREN KOSTKIEWICZ, Schuldbetreibungs- & Konkursrecht, 3. Aufl. 2018, Rz. 335; KRÜSI, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG, 4. Aufl. 2017, N. 16 zu Art. 49 SchKG). Zur Arrestlegung gegen die Erbschaft genüge daher nicht, wenn der Erblasser einzig Vermögenswerte in der Schweiz hinterlässt (SCHMID, a.a.O., N. 3 zu Art. 49 SchKG, in Ablehnung der erwähnten Zürcher Praxis); der Gläubiger könnte somit einzig gegen die Erben persönlich vorgehen.
BGE 149 III 34 S. 40
Ein anderer Teil der Lehre zieht aus dem Umstand, dass eine Betreibung gegen die unverteilte Erbschaft grundsätzlich zulässig ist, den Schluss, dass auch ein entsprechender Arrest - als Sicherungsmassnahme zur Betreibung - möglich sei (REISER, Arrest in Theorie und Praxis, BlSchK 2015 S. 176, mit Hinweis auf BGE 102 III 1 und die Praxis; REISER/THALMANN, Sicherung von Vermächtnisansprüchen [...], ZZZ 2016 S. 95; im gl. Sinn SCHÜPBACH, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 15 zu Art. 49 SchKG; REYMOND, La poursuite contre une succession, JdT 2009 II S. 56; ABT/BLESKIE, Sicherung und Durchsetzung von Vermächtnisansprüchen: ZGB, ZPO und/oder SchKG?, AJP 2020 S. 858; PESTALOZZI-FRÜH, Vorsorgliche Massnahmen und besondere Vorkehrungen im Erbrecht, AJP 2011 S. 606; MATTMANN, Die materiellen Voraussetzungen der Arrestlegung nach Art. 271 SchKG, 1981, S. 9 f.; vgl. ferner LAYDU MOLINARI, La poursuite pour les dettes successorales, Diss. Lausanne 1999, S. 257), wobei zum Teil auf den Fall hingewiesen wird, dass der Gläubiger ein rechtskräftiges Urteil gegen den Schuldner zu dessen Lebzeiten erwirkt hat (KREN KOSTKIEWICZ/PENON, Zur Arrestprosequierung [...], BlSchK 2012 S. 218). Danach kann der Gläubiger auch gegen die ungeteilte Erbschaft, nicht nur gegen die Erben vorgehen.

3.5 Die in der Rechtsprechung und Lehre behandelte Frage, ob ein Arrest - und darauf gestützt die Prosequierungsbetreibung - gegen den Nachlass möglich sei, gibt im vorliegenden Fall Anlass, den Rechtssinn der Regelung zu klären (vgl. BGE 146 V 28 E. 4.2; BGE 145 III 133 E. 6).

3.5.1 Das Obergericht hat auf den klaren Wortlaut von Art. 49 SchKG verwiesen, wonach die Erbschaft am Ort "betrieben" werden kann, wo der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes "betrieben werden konnte" ("pouvait être lui-même poursuivi", "egli poteva essere escusso"). Daraus hat die Vorinstanz gelesen, dass ein Betreibungsort des Arrestes (Art. 52 SchKG) im Zeitpunkt des Todes tatsächlich bestanden haben muss, d.h. in dem Sinne, dass ein Arrest bereits vollzogen wurde. Diese Lesart ist nicht zwingend. "Wo der Erblasser betrieben werden konnte", kann sich auf die örtliche Anknüpfung beziehen, im Sinne des Ortes, wo der Erblasser im Todeszeitpunkt u.a. seinen Wohnsitz hatte (vgl. Art. 46 SchKG), wo der Erblasser seine Geschäftsniederlassung hatte (Art. 50 SchKG), oder wo sich die zu verarrestierenden Vermögensgegenstände befanden (vgl. Art. 52 SchKG). Die obergerichtliche Auffassung zum
BGE 149 III 34 S. 41
Wortlaut lässt sich nicht von der Frage trennen, ob das Gesetz der ungeteilten Erbschaft nur die passive Betreibungs-, nicht aber Arrestfähigkeit zugesteht. Mit dem Umstand, dass in Art. 49 SchKG nur von der "Betreibung" die Rede, und der Arrest gegen den Nachlass nicht ausdrücklich vorgesehen sei, hat sich das Obergericht jedoch bereits vor über 70 Jahren befasst (Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10. Oktober 1951, in: ZR 51/1952 Nr. 81 S. 139; vom 10. März 1955, in: ZR 55/1956 Nr. 145 S. 289). Damals verneinte es ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzes und erwog, dass der Arrest eine vorausgehende Sicherungsmassnahme im Rahmen des Betreibungsverfahrens sei und daher ebenfalls zum Begriff der "Betreibung" gehöre. Richtig ist, dass der Arrest seit jeher die Sicherung einer eingeleiteten oder erst noch bevorstehenden Vollstreckung bzw. Betreibung bezweckt (BGE 133 III 589 E. 1 mit Hinweisen). Insoweit hat sich entgegen der Annahme der Vorinstanz im heute angefochtenen Entscheid an der begrenzten Tragweite des Wortlautes in Art. 49 SchKG nichts geändert.

3.5.2 Wohl steht Art. 49 SchKG im Zusammenhang mit dem Ort der Betreibung (Art. 46 ff. SchKG); die Bestimmung regelt indes auch die Betreibungsart (vgl. Art. 38 ff. SchKG) und die Betreibungsfähigkeit, welche sich normalerweise nach dem anwendbaren Zivilrecht (oder öffentlichen Recht) richtet (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 8 Rz. 3; STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, 3. Aufl. 2016, § 3 Rz. 7 f.). Die Sonderbestimmung von Art. 49 SchKG verleiht jedoch der ungeteilten Erbschaft die passive Parteifähigkeit im Zusammenhang mit Betreibungen (BGE 116 III 4 E. 2a; BGE 113 III 79 E. 3; BGE 102 II 385 E. 2; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 1984, § 9 Rz. 3, S. 73). Der Kontext der Bestimmung schliesst nicht aus, dass erst das Vorliegen dieser beschränkten passiven Parteifähigkeit die Frage nach dem Betreibungsort nach sich zieht (und nicht umgekehrt), so dass der fehlende Arrestvollzug zu Lebzeiten des Erblassers die Arrestfähigkeit der Erbschaft nicht zwingend ausschliesst, wie bereits die überlieferte Praxis des Obergerichts angenommen hat (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10. Oktober 1951, in: ZR 51/1952 Nr. 81 S. 139).

3.5.3 Die Sonderbestimmung von Art. 49 SchKG geht historisch auf bestimmte kantonale Rechte zurück, wonach eine ruhende Erbschaft betrieben werden konnte (BGE 116 III 4 E. 2a; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 11 Rz. 10, S. 109 f.). Deutlich wird damit, dass der
BGE 149 III 34 S. 42
Erbschaft - obwohl ihr die Rechtspersönlichkeit fehlt - die passive Betreibungsfähigkeit nur zugestanden wird, solange die Teilung noch nicht erfolgt, eine vertragliche Gemeinderschaft nicht angeordnet, eine amtliche Liquidation nicht angeordnet ist. Nur in diesen genannten - engen - Grenzen ist die Betreibung der Erbschaft möglich (FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 11 Rz. 10, S. 110) und kann der Gegenstand der Vollstreckung auf die Vermögenswerte der Erbschaft, d.h. auf die in den Nachlass fallenden Vermögenswerte sämtlicher Erben beschränkt werden (BGE 116 III 4 E. 2a). Dass ein Arrest nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich sein soll, lässt sich daraus nicht entnehmen.

3.5.4 Nach der Rechtsprechung bringt die Vorschrift von Art. 49 SchKG unabhängig vom auf den Nachlass anwendbaren Recht (BGE 147 III 106 E. 3.4.4) eine Sachhaftung aller Erben zur Anwendung, solange die Teilung des Nachlasses bzw. eine amtliche Liquidation - unter Berücksichtigung ausländischen Rechts (BGE 145 III 205 E. 4.4.6) - nicht vorgenommen worden ist. Zweck der Bestimmung ist, dem Gläubiger in beschränktem Rahmen ein Vorgehen zu ermöglichen, wenn noch unklar ist, wer Erbe ist oder wenn die Erben auswärts wohnen und der Nachlass nach der Teilung in alle Winde verweht wird (BGE 146 III 106 E. 3.4.2; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 11 Rz. 10, S. 110). Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz keinen Grund, die (eigene) kantonale Rechtsprechung (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10. Oktober 1951, in: ZR 51/1952 Nr. 81 S. 139) aufzugeben und auszuschliessen, dass das Arrestgesuch (auch) gegen die ungeteilte Erbschaft gerichtet werden kann, wenn die in der Schweiz belegenen Vermögenswerte des Erblassers im Zeitpunkt des Todes mit Arrest belegt und damit ein Betreibungsort (Art. 52 SchKG) hätte geschaffen werden können.

3.5.5 Diesem Ergebnis steht der in der Literatur teilweise angeführte BGE 120 III 39 nicht entgegen. Mit dem Urteil hat das Bundesgericht lediglich klargestellt, dass ein gegen einen Verstorbenen eingeleitetes Arrest- und Betreibungsverfahren von Amtes wegen einzustellen ist, weil es an einem Rechtssubjekt fehlt (E. 1a), und dass eine gegen den verstorbenen Schuldner erwirkte Arrestlegung und -prosequierung keine Fortsetzung gegen den Nachlass erlaubt (E. 1b), weil unter diesen Umständen eine "zu Lebzeiten des Erblassers" erhobene Betreibung (gemäss Art. 59 Abs. 2 SchKG) nicht vorliegt (AMONN, Die Rechtsprechung [...], ZBJV 132/1996 S. 32). Ein Arrest gegen die Erbschaft wird damit nicht ausgeschlossen.
BGE 149 III 34 S. 43
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass "neue Arrest- und Betreibungsverfahren gegen die Erben" einzuleiten seien (E. 1c am Ende). Das Urteil grenzt vom Vorgehen gegen den verstorbenen Schuldner ab (vgl. REISER/THALMANN, a.a.O., S. 94). Wenn man den Blick auf die reine Sachhaftung richtet, welcher alle Erben gemeinsam (für die noch ungeteilten Aktiven der Erbschaft) ausgesetzt werden (vgl. u.a. PIOTET, Droit successoral, TDPS Bd. IV, 1975, S. 584), kann mit der Formulierung die Betreibung "gegen die Erbschaft" nicht ausgeschlossen werden, ebenso wenig ein diese Betreibung sichernder Arrest. Schliesslich spricht auch gegen die Annahme, dass das Bundesgericht in BGE 120 III 62 die Möglichkeit des Arrestes gegenüber der Erbschaft auschliessen wollte, die Erwägung im vorangegangenen BGE 118 III 62 (E. 2d), worin die Abgrenzung zwischen dem Arrest gegenüber der Erbschaft (Art. 49 SchKG) und dem Arrest gegenüber dem Schuldner für den Anteil an einer ungeteilten Erbschaft (gemäss der Verordnung vom 17. Januar 1923 über die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen [VVAG; SR 281.41]) vorgenommen wird.

3.6 Nach dem Dargelegten hat das Obergericht zu Unrecht angenommen, dass in der Schweiz gegen die ungeteilte Erbschaft keine Betreibung am Ort des Arrestes (Art. 52 SchKG) durchgeführt werden könne. Die vom Obergericht hier aufgestellte Voraussetzung zur Vollstreckung in der Schweiz (Arrestvollzug zu Lebzeiten des Erblassers) ist mit Bundesrecht nicht vereinbar; die Beschwerde ist begründet und das angefochtene Urteil ist aufzuheben.

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Erwägungen 3

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