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Urteilskopf

80 I 113


20. Urteil vom 26. Mai 1954 i.S. Häfliger gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Solothurn.

Regeste

Nulla poena sine lege: Es verstösst gegen Art. 4 BV, die Bestimmung einer kantonalen Ladenschlussverordnung, wonach der "Geschäftsinhaber" strafbar ist, anzuwenden auf den Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft, der blosser Angestellter ohne Aktienbesitz ist.

Sachverhalt ab Seite 113

BGE 80 I 113 S. 113

A.- Die Dibona AG in Zürich veranstaltete im November 1952 in einem Gasthof in Grenchen Backvorführungen, die nach Weisungen ihres Geschäftsführers Josef Häfliger von einer Haushaltungslehrerin geleitet wurden. Dabei soll die kantonale Verordnung über den Ladenschluss von 1951 (LSV) übertreten worden sein. Häfliger wurde daher vom Gerichtsstatthalter von Solothurn-Lebern zu einer Busse von Fr. 30.- verurteilt. Sein Kassationsbegehren wurde vom Obergericht des Kantons Solothurn am 14. Oktober 1953 abgewiesen.
BGE 80 I 113 S. 114

B.- Gegen dieses Urteil führt Häfliger staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 31 und des Art. 4 BV. Er beantragt, es sei aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es ihn freispreche. Zur Begründung macht er unter anderm geltend, die Auffassung des Obergerichts, er könne gestützt auf § 18 lit. a LSV bestraft werden, sei willkürlich, verstosse gegen Art. 1 StGB; denn er sei nicht "Geschäftsinhaber" im Sinne jener Verordnungsbestimmung, sondern blosser Angestellter der Dibona AG ohne Aktienbesitz.

C.- Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Solothurn beantragen Abweisung der Beschwerde.

D.- § 18 LSV lautet:
"Übertretungen dieser Verordnung werden mit Geldbussen von Fr. 10.- bis Fr. 200.-- bestraft. Strafbar sind:
a) der Geschäftsinhaber,
b) der Kunde, der einen Geschäftsinhaber oder das Bedienungspersonal zu einer Übertretung veranlasst,
c) das Bedienungspersonal, das ohne ausdrückliche Weisung des Arbeitgebers während der verbotenen Zeit Kunden bedient."

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Beschwerdeführer konnte wegen Übertretung der Ladenschlussverordnung nur bestraft werden, wenn § 18 lit. a daselbst anwendbar ist; lit. b und c scheiden von vornherein aus, was nicht bestritten ist. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Anwendung der lit. a sei willkürlich und verstosse gegen Art. 1 StGB - der nach § 1 des solothurnischen Einführungsgesetzes zum StGB, als kantonales Recht, auch für das nach Art. 335 StGB dem Kanton vorbehaltene Strafrecht gilt. Er behauptet damit eine Verletzung des Grundsatzes "Keine Strafe ohne Gesetz", der in Art. 1 StGB aufgestellt ist, dem Bürger aber auch schon durch das verfassungsrechtliche Verbot der Willkür (Art. 4 BV) gewährleistet wird (BGE 75 I 215 Erw. 4). Die Rüge der Verletzung des Art. 1 StGB fällt zusammen mit der Behauptung, § 18 lit. a LSV sei willkürlich angewendet worden.
BGE 80 I 113 S. 115
Diese Bestimmung ist auf Geschäfte zugeschnitten, deren Inhaber eine natürliche Person, ein Einzelkaufmann ist; erklärt sie doch "den Geschäftsinhaber" für strafbar. Das Obergericht anerkennt das, hält jedoch dafür, dass man selbstverständlich auch juristische Personen habe unter Strafe stellen wollen und dass bei ihnen als Geschäftsinhaber derjenige zu betrachten sei, dem die Leitung des Geschäftes überhaupt oder bestimmter Veranstaltungen übertragen sei, wobei es nicht darauf ankomme, ob er am Geschäft finanziell beteiligt sei oder nicht. Es mag zutreffen, dass die juristische Person, die ein Geschäft betreibt, wegen einer in ihrem Betriebe vorkommenden Übertretung der Ladenschlussverordnung nicht selbst bestraft werden kann, obwohl sie ebenfalls als Geschäftsinhaber bezeichnet werden kann. Die Frage braucht indessen im vorliegenden Fall nicht erörtert zu werden; sie könnte übrigens nur unter dem beschränkten Gesichtspunkte des Art. 4 BV geprüft werden, da es sich um die Anwendung kantonalen Rechts handelt. Die Auffassung aber, dass anstelle der juristischen Person die natürliche Person, die von jener als Geschäftsleiter eingesetzt ist, selbst dann strafbar sei, wenn sie am Geschäft finanziell nicht beteiligt ist, findet im Wortlaut von § 18 lit. a LSV keine Stütze. Die Bestimmung erlaubt auch bei weitester Auslegung nicht, den Beschwerdeführer, der blosser Angestellter der in Frage stehenden Aktiengesellschaft ohne Aktienbesitz ist, als "Geschäftsinhaber" zu bestrafen. Die Überlegung des Obergerichts, dass seine Ansicht der Regelung in anderen Gesetzen (Lebensmittelgesetz, Uhrenstatut) entspreche, geht fehl; denn massgebend ist die Ordnung, die in der Ladenschlussverordnung getroffen ist. Die Anwendung von § 18 lit. a LSV im vorliegenden Fall überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung von Strafnormen. Der kantonale Richter hat dadurch im Wege der Analogie einen neuen Straftatbestand geschaffen, was ihm der in Art. 4 BV gewährleistete Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" verwehrt (BGE 58 I 39 Erw. 1, BGE 65 I 11; vgl.
BGE 80 I 113 S. 116
BGE 72 IV 103). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.
Was von den übrigen in der Beschwerde erhobenen Rügen zu halten ist, braucht nicht geprüft zu werden.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil aufgehoben.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Dispositiv

Referenzen

Artikel: Art. 4 BV, § 18 lit. a LSV, Art. 1 StGB, § 18 LSV mehr...