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Urteilskopf

121 IV 280


45. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 27. Oktober 1995 i.S. G. Etablissement gegen Schweizerische Zollverwaltung, Oberzolldirektion

Regeste

Anwendbarkeit der schweizerischen Zollgesetzgebung im Fürstentum Liechtenstein. Art. 76 ZG; Art. 46 VStrR.
Liegt neben einer Widerhandlung im Sinne der schweizerischen Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen gegenüber Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und anderen serbisch kontrollierten Gebieten vom 3. Oktober 1994 gleichzeitig eine auch in der Schweiz begangene Zollwiderhandlung vor, finden ausschliesslich die Strafbestimmungen des Zollgesetzes Anwendung (E. 4).
Gestützt auf Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29. März 1923 sind das Zollgesetz und das Verwaltungsstrafrecht im Fürstentum Liechtenstein - auch nach dem Inkrafttreten des EWR - ohne nachträgliche integrale Publikation anwendbar (E. 5 und 6).

Sachverhalt ab Seite 281

BGE 121 IV 280 S. 281

A.- Das Sanctions Assistance Missions Communications Centre (SAMCOMM) in Brüssel als europäische UNO-Koordinationsstelle für den Vollzug der Embargo-Bestimmungen gegenüber Jugoslawien (Serbien und Montenegro) informierte am 14. September 1995 die Schweizerische Zollverwaltung darüber, dass im Zusammenhang mit verschiedenen in den EU-Staaten durch deren Zolluntersuchungsbehörden geführten Untersuchungsverfahren wegen internationalen Zigarettenschmuggels bekannt geworden sei, dass durch die Firma P. S.A., Glarus (mit Geschäftsstelle in Lugano), Zigaretten unter falscher Deklaration und in Verletzung des UN-Embargos gegen Serbien und Montenegro von Belgien oder (meistens) der Schweiz aus über die tschechische Republik auch nach Podgorica/Montenegro geliefert worden seien.
Die Sendungen (per Lastwagen oder Bahn) waren mit einer Proforma-Rechnung der Firma P. S.A. begleitet; für die weitere Spedition händigte die Firma P. S.A. dem tschechischen Empfänger Rechnungen aus, die auf die Firma B. Enterprises Ltd./Zypern, deren Geschäfte aber in Athen abgewickelt werden, ausgestellt waren, und deren Aktionäre und Direktoren jugoslawische Staatsangehörige sein sollen; es besteht der Verdacht, dass sämtliche Zigarettensendungen, die an die B. Enterprises Ltd. fakturiert sind, in Montenegro eingeführt wurden.

B.- Da die erwähnten Untersuchungsergebnisse darauf hindeuteten, dass die Zigaretten bereits ab der Schweiz für Montenegro bestimmt waren, und damit der Verdacht bestand, dass die Zigaretten in Verletzung des Embargos und unter unrichtiger Deklaration aus- oder durchgeführt wurden und dadurch auch der Tatbestand des Bannbruchs im Sinne von Art. 76 Ziff. 1 Zollgesetz (ZG) erfüllt wurde, eröffnete die Oberzolldirektion am 15. September 1995 eine Strafuntersuchung gegen die Firma P. S.A., Glarus; am 21. September 1995 wurde die Untersuchung auf die Firma E. Inc., Zürich, ausgedehnt.
Die bei den beiden Firmen vorgenommene Untersuchung ergab, dass auch die Firmen G. Etablissement, T. Establishment und A. Establishment, alle mit Sitz in Schaan/Lie, Zigaretten-Käufer und/oder -Lieferanten der E. Inc.
BGE 121 IV 280 S. 282
waren. Die SAMCOMM teilte der Schweiz. Zollverwaltung am 26. September 1995 ergänzend mit, die Firma G. Etablissement habe Waren nach Zelenika/Montenegro geliefert.

C.- Der Direktor des Zollkreises Schaffhausen erliess am 27. September 1995 einen Durchsuchungsbefehl für die Räumlichkeiten der drei erwähnten liechtensteinischen Firmen bzw. deren Repräsentanz, die sich alle an derselben Adresse bei der P. Patent-Treuhand-Anstalt in Schaan in den Geschäftsräumen der Verwaltungsrätin mit Einzelzeichnungsrecht, U.G., Schaan, befinden. Es wurden 14 Ordner der Firma G. Etablissement und 28 Ordner der beiden anderen Firmen beschlagnahmt. Die Inhaberin erhob lediglich gegen die Durchsuchung der letzteren Einsprache, worauf diese versiegelt wurden.

D.- Mit Beschwerde vom 2. Oktober 1995 beantragt die Firma G. Etablissement der Anklagekammer des Bundesgerichts im Hauptantrag, es sei festzustellen, dass der Durchsuchungsbefehl, die Durchsuchungen und die Beschlagnahme rechtswidrig und nichtig und ihr die Akten unverzüglich zurückzugeben seien.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdeführerin rügt sodann, schweizerische Zollbehörden dürften im vorliegenden Fall auf dem Staatsgebiet des Fürstentums Liechtenstein keine Untersuchungshandlungen vornehmen; für solche fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Denn auf dem Hoheitsgebiet des Fürstentums Liechtenstein finde - mangels integraler Kundmachung der entsprechenden Bestimmungen gemäss liechtensteinischem Kundmachungsgesetz - weder das schweizerische Zollgesetz (SR 631.0; ZG) noch die schweizerische Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen gegenüber Jugoslawien (Serbien und Montenegro) und anderen serbisch kontrollierten Gebieten vom 3. Oktober 1994 (SR 946.209; nachfolgend: Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen) Anwendung.

4. a) Gemäss Art. 4 der Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen sind insbesondere die Aus- und Durchfuhr (lit. b) sowie die Vermittlung von Waren (lit. c) in die betroffenen Gebiete verboten. Nach Art. 10 (Strafbestimmungen) Abs. 4 findet das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) Anwendung. Liegt neben einer Widerhandlung im
BGE 121 IV 280 S. 283
Sinne der Verordnung über Wirtschaftsmassnahmen gleichzeitig u.a. eine Zollwiderhandlung vor, so finden ausschliesslich die Strafbestimmungen des Zollgesetzes Anwendung (Art. 10 Abs. 5).
b) Das im vorliegenden Fall in Frage stehende Verwaltungsstrafverfahren hat seinen Ursprung in der am 15. September 1995 durch die Oberzolldirektion gegen die Firma P. S.A., Glarus (mit Geschäftsstelle in Lugano), eingeleiteten Strafuntersuchung, die am 21. September 1995 auf die Firma E. Inc., Zürich, ausgedehnt wurde.
Der erwähnten Meldung des SAMCOMM ist zu entnehmen, dass beim tschechischen Lagerhaushalter vorgefundene Fax-Kopien erkennen lassen, dass diese Firmen die Gegenstand der Untersuchung bildenden Handlungen in der Schweiz verübten.
Das Ergebnis der gegen diese beiden Firmen geführten Untersuchung zeigte, dass auch die Beschwerdeführerin von der Firma E. Inc. Zigaretten gekauft bzw. an diese verkauft hat; auch von der SAMCOMM ging am 26. September 1995 bei der Oberzolldirektion eine Information ein, wonach die Beschwerdeführerin einerseits von der Firma B. Enterprises Ltd. Zigaretten gekauft und andererseits Zigaretten nach Montenegro geliefert habe.
Wie die Beschwerdegegnerin ausführt, besteht der Verdacht, dass die Zigaretten bereits ab der Schweiz für Montenegro bestimmt waren, weshalb die Waren nicht nur entgegen dem UNO-Embargo sondern auch unter unrichtiger Deklaration aus- oder durchgeführt wurden und damit der Tatbestand des Bannbruchs im Sinne von Art. 76 Ziff. 1 ZG in Frage kommt.
Infolge der bestehenden Geschäftsbeziehungen zwischen der Firma E. Inc. und der Beschwerdeführerin besteht der Verdacht, dass sie an den von der Schweiz aus erfolgten Sendungen beteiligt war.
c) Da es damit auch um Sendungen geht, die unter Umgehung der Deklarationsvorschriften aus der Schweiz ausgeführt oder durch die Schweiz geführt wurden (Art. 76 Ziff. 1 ZG), finden auf das vorliegende Verfahren ausschliesslich die Strafbestimmungen des Zollgesetzes Anwendung, welche durch die Eidg. Zollverwaltung zu verfolgen und zu beurteilen sind; anwendbar ist das Verwaltungsstrafrecht (Art. 87 ZG).

5. a) Gemäss Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29. März 1923 (SR 0.631.112.514; nachfolgend: Zollanschlussvertrag) finden im Fürstentum in gleicher Weise Anwendung wie
BGE 121 IV 280 S. 284
in der Schweiz die zur Zeit des Inkrafttretens des Vertrages geltenden und die während seiner Dauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bestimmungen der gesamten schweizerischen Zollgesetzgebung sowie der übrigen Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt; in bezug auf diese kommt dem Fürstentum Liechtenstein die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen (Art. 6 des Zollanschlussvertrages). Die mit dem Inkrafttreten des Vertrags im Fürstentum anwendbaren Bundeserlasse werden in einer Anlage I eigens angeführt (Art. 9 des Zollanschlussvertrages). Art. 10 des Vertrags sieht vor, dass alle Ergänzungen und Abänderungen der in der Anlage I erwähnten Bundesgesetzgebung vom schweizerischen Bundesrat der fürstlichen Regierung mitgeteilt und von dieser ebenfalls öffentlich bekannt gemacht werden. Dasselbe Verfahren hat Platz zu greifen mit Bezug auf die während der Vertragsdauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und Verordnungen, die unter Art. 4 des Vertrags fallen (vgl. BGE 101 IV 107, E. a).
b) Gemäss Art. 4 Abs. 1 des liechtensteinischen Einführungsgesetzes vom 13. Mai 1924 zum Zollanschlussvertrag hat die Regierung das Inkrafttreten aller auf Grund des Zollanschlussvertrages anwendbaren eidgenössischen Bestimmungen rechtzeitig in den Landesblättern unter Angabe des vollen Titels bekanntzugeben und einen bezüglichen Regierungsbeschluss in das Landesgesetzblatt aufzunehmen.
c) Mit Bekanntmachung vom 28. August 1979 betreffend die Neuausgabe der Anlage I zum Zollanschlussvertrag machte die Fürstliche Regierung gestützt auf Art. 4 und 10 des Zollanschlussvertrages und das Einführungsgesetz die im Anhang angeführten und mit dem Inkrafttreten in der Schweiz auch auf dem Gebiete des Fürstentums Liechtenstein mit sofortiger Wirkung anwendbaren schweizerischen Erlasse bekannt (Liechtensteinisches Landesgesetzblatt [LGBl.] 1979 Nr. 47). Unter den aufgezählten Erlassen befinden sich sowohl das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht wie auch das Zollgesetz.
d) In einem Urteil vom 10. Februar 1982 betreffend die Anwendbarkeit von Art. 19 BetmG (SR 812.121) erkannte der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein (LES 1983 S. 39 ff.), zur Rechtsgültigkeit eines Gesetzes, und zwar auch eines auf Grund des Zollanschlussvertrages übernommenen Schweizer Gesetzes, gehöre die integrale Kundmachung im Landesgesetzblatt; der blosse Verweis auf die schweizerische Amtliche Gesetzessammlung genüge
BGE 121 IV 280 S. 285
nicht. Da eine vollständige Bereinigung der Rechtslage indessen insbesondere praktische Schwierigkeiten mit sich bringen würde, regte der Staatsgerichtshof an, die Regierung zu ermächtigen, Rechtsvorschriften, die auf Grund von zwischenstaatlichen Verträgen als in Liechtenstein geltendes Recht übernommen werden, in vereinfachter Weise im Landesgesetzblatt kundzumachen und den Zeitpunkt des Inkrafttretens festzusetzen.
e) Der liechtensteinische Gesetzgeber erliess in der Folge das Kundmachungsgesetz vom 17. April 1985 (LGBl. 1985 Nr. 41). Dieses bestimmt in Art. 3 lit. c, dass "Staatsverträge" und "Rechtsvorschriften, die aufgrund völkerrechtlicher Verträge anwendbar sind" im Landesgesetzblatt kundzumachen sind; darunter fallen insbesondere der Zollanschlussvertrag - der "Anlass- und Gestaltungsgrund der Neuregelung des Kundmachungsrechtes" war - und alle durch ihn anzuwendenden oder in seinem Gefolge einzuführenden schweizerischen Rechtsvorschriften (LES 1990 S. 6). Gemäss Art. 10 des Kundmachungsgesetzes enthält die Kundmachung den vollständigen Wortlaut der Rechtsvorschriften; ausnahmsweise kann die Kundmachung gemäss Art. 11 des Kundmachungsgesetzes mit Ausnahme von Gesetzen und Beschlüssen des Landtages (LES 90 S. 2 und insb. 6) bei Rechtsvorschriften wegen ihres besonderen Charakters nur in Titel und Fundstelle oder Bezugsquelle bestehen, wenn sie u.a. aufgrund von Verträgen in Liechtenstein gelten (lit. a). Gemäss Art. 19 des Kundmachungsgesetzes sind Rechtsvorschriften, die nach altem Recht nicht im Landesgesetzblatt kundgemacht worden sind, innert fünf Jahren kundzumachen, wenn sie die Voraussetzungen des neuen Rechts erfüllen.
f) Da die im vorliegenden Fall anwendbaren Erlasse (ZG und VStrR) zur schweizerischen Zollgesetzgebung gehören bzw. deren Anwendung durch den Zollanschluss bedingt ist (dies im Gegensatz zum lediglich gestützt auf Art. 33 des Zollanschlussvertrages übernommenen ANAG: vgl. LES 1990 S. 1 ff.), wurden sie mit der unter Angabe der vollständigen Titel sowie SR-Nummer erfolgten Bekanntmachung vom 28. August 1979 (LGBl. 1979 Nr. 47) betreffend Neuausgabe der Anlage I zum Zollanschlussvertrag, d.h. vor dem Inkrafttreten des Kundmachungsgesetzes, nach altem Recht im Landesgesetzblatt in rechtsgenügender Weise kundgemacht; die im Kundmachungsgesetz vorgesehene nachträgliche Kundmachung innert fünf Jahren entfällt damit. Die beiden Erlasse sind daher auch im Fürstentum Liechtenstein ohne weitere Publikation anwendbar.
BGE 121 IV 280 S. 286

6. a) An der Geltung der beiden Erlasse hat auch die am 1. Mai 1995 in Kraft getretene Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein zum Zollanschlussvertrag (AS 1995 S. 3829 ff.) nichts geändert. Denn nach dieser Vereinbarung sollen im Fürstentum Liechtenstein Zollanschlussvertragsrecht (Zollanschlussvertrag und das auf seiner Grundlage im Fürstentum Liechtenstein anwendbare Recht) und EWR-Recht unter Beibehaltung der offenen Binnengrenze nebeneinander zur Anwendung gelangen. Inwieweit im vorliegenden Fall EWR-Recht anzuwenden ist, kann daher offenbleiben, da dieses allein durch die liechtensteinischen Behörden anzuwenden ist; Sanktionen bei Verstössen gegen EWR-Recht bzw. liechtensteinische Strafnormen erfolgen durch das zuständige liechtensteinische Amt (Anhang I zur Vereinbarung, Tabelle; LGBl. 1995 Nr. 77); es ist dies das neu geschaffene Amt für Zollwesen (LGBl. 1995 Nr. 112).
b) Damit kommt eine Überweisung der Akten an die liechtensteinischen Behörden, wie sie die Beschwerdeführerin in ihrem Eventualantrag verlangt, nicht in Frage.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5 6

Referenzen

BGE: 101 IV 107

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