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Urteilskopf

122 IV 344


53. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 25. November 1996 i.S. R. gegen Eidg. Finanzdepartement

Regeste

Art. 103 VStrR. Abwesenheitsverfahren; Wiedereinsetzung.
Ein Schreiben, mit welchem die Verwaltung ein Gesuch um Wiedereinsetzung abweist bzw. auf ein solches nicht eintritt, ist eine Verfügung und als solche mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (E. 3c).
Der Entscheid der Verwaltung über ein Wiedereinsetzungsgesuch unterliegt der Beschwerde an die Anklagekammer des Bundesgerichts (E. 4e).
Mit der (auflösend bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils hört die Verfolgungsverjährung zu laufen auf; gleichzeitig beginnt die Vollstreckungsverjährung (E. 5b).
Der in Abwesenheit Verurteilte kann auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangen (E. 5c und d).
Wann hat sich der Beschuldigte im Sinne von Art. 103 Abs. 2 VStrR gestellt (E. 6b)?

Sachverhalt ab Seite 345

BGE 122 IV 344 S. 345

A.- Im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der D. AG reichte die Eidg. Bankenkommission am 1. Dezember 1988 gegen vier Beschuldigte, darunter auch den deutschen Staatsangehörigen R., beim Eidg. Finanzdepartement Strafanzeige ein wegen Bestellung der Vertretung einer ausländischen Bank in der Schweiz ohne Bewilligung (Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG; SR 952.0). Gestützt darauf eröffnete das Eidg. Finanzdepartement gegen die vier Beschuldigten am 17. Januar 1989 eine Verwaltungsstrafuntersuchung.
Gestützt auf das Schlussprotokoll vom 28. Januar 1991 verurteilte das Eidg. Finanzdepartement R., dessen Aufenthaltsort angeblich nicht in Erfahrung gebracht werden konnte, mit Strafbescheid (Art. 64 Abs. 1 VStrR) vom 8. Mai 1991 im Abwesenheitsverfahren (Art. 103 Abs. 1 VStrR) wegen vorsätzlicher Widerhandlung im Sinne von Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG zu einer Busse von Fr. 8'000.--; ferner wurden ihm die Verfahrenskosten im Betrag von Fr. 2'084.-- auferlegt. R. soll die ihm zur Last gelegten Widerhandlungen vom Spätherbst 1987 bis 1. Februar 1988 begangen haben. Wegen unbekannten Aufenthalts von R. wurde der Strafbescheid gestützt auf Art. 64 Abs. 3 VStrR durch Notifikation im Bundesblatt Nr. 18 vom 14. Mai 1991 eröffnet.
Nachdem R., der sich seit dem 2. November 1988 in der Justizvollzugsanstalt Hakenfeld (Berlin) befindet, von diesem Urteil durch eine Mitteilung des Generalbundesanwalts vom 1. Dezember 1992, es sei im (deutschen) Bundeszentralregister eingetragen worden, Kenntnis erhalten hatte, beantragte der am 16. Dezember 1992
BGE 122 IV 344 S. 346
durch ihn bevollmächtigte Rechtsanwalt Z., Berlin, mit Schreiben vom 5. Januar 1993 beim Eidg. Finanzdepartement vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und legte "gegen die Entscheidung das zulässige Rechtsmittel ein".
Das Eidg. Finanzdepartement teilte dem Vertreter von R. am 10. Mai 1993 mit, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung seien in keiner Weise erfüllt; dem Gesuch um Wiedereinsetzung in den früheren Stand könne daher nicht entsprochen werden.
Mit Eingabe vom 21. Juni 1993 an das Eidg. Finanzdepartement beantragte der Vertreter von R. die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sowie die Wiedereinsetzung "gegen der Rechtsmittelfrist"; zudem legte er vorsorglich das zulässige Rechtsmittel gegen den Strafbescheid vom 8. Mai 1991 ein.
Am 23. Juli 1993 verwies das Eidg. Finanzdepartement auf sein Schreiben vom 10. Mai 1993, das nach wie vor Gültigkeit habe und keiner Ergänzung bedürfe.

B.- Mit Schreiben vom 27. Januar 1996 beantragte R. dem Eidg. Finanzdepartement die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand"; weiter ersuchte er um Übermittlung des Strafbescheides vom 8. Mai 1991, damit er sich rechtfertigen könne.
Mit Schreiben vom 31. Januar 1996 teilte das Eidg. Finanzdepartement R. mit, sein erstes Wiedereinsetzungsgesuch sei am 10. Mai 1993 abschlägig behandelt worden; diesem Entscheid sei auch aus heutiger Sicht nichts beizufügen.
Nachdem das Eidg. Finanzdepartement diese Auffassung nach einer Eingabe von R. vom 4. Februar 1996 am 21. Februar 1996 bestätigt hatte, gelangte dieser am 27. Februar 1996 erneut an das Departement mit dem Ersuchen, ihm die zuständige Beschwerdeinstanz mitzuteilen.
Da das Eidg. Finanzdepartement auf diese und eine weitere Eingabe vom 30. März 1996 nicht reagierte, wandte sich R. mit Beschwerden vom 18., 19. und 21. April 1996 an das "Oberlandesgericht CH 3003 Bern", an das "Bezirksgericht 3003 Bern" und an das Eidg. Finanzdepartement.
Die beiden nicht an das Departement adressierten Beschwerden wurden durch das Obergericht des Kantons Bern und das Untersuchungsrichteramt Bern, wo sie eingegangen sind, an dieses weitergeleitet.

C.- In Anwendung von Art. 8 VwVG überwies die Chefin des Rechtsdienstes des Eidg. Finanzdepartementes die drei bei ihm
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eingegangenen Beschwerden von R. am 13. Mai 1996 zuständigkeitshalber der Anklagekammer des Bundesgerichts, denn diese entscheide gemäss Art. 25 VStrR über die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Beschwerden und Anstände.
Mit Schreiben vom 20. Mai 1996 forderte der Präsident der Anklagekammer gestützt auf Art. 29 Abs. 4 OG R. auf, in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu verzeichnen. Mit Schreiben vom 22. Mai 1996 macht R. geltend, die Strafhaft daure noch an. Sinngemäss beantragt er, ihm allenfalls einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
In ihrer Vernehmlassung vom 1. Juli 1996 beantragt die Chefin des Rechtsdienstes des Eidg. Finanzdepartementes, die Beschwerden abzuweisen.
In seiner Stellungnahme vom 8. November 1996 zur Vernehmlassung des Eidg. Finanzdepartementes hält der Beschwerdeführer sinngemäss an seinen Beschwerden fest; er hält ergänzend fest, er hätte aufgrund seiner Haft auf dem Wege der Rechtshilfe einvernommen werden können.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. a) Das Eidg. Finanzdepartement verurteilte den Beschwerdeführer mit Strafbescheid vom 8. Mai 1991 im Abwesenheitsverfahren gemäss Art. 103 Abs. 1 VStrR; der Strafbescheid wurde ihm wegen unbekannten Aufenthaltes in Anwendung von Art. 64 Abs. 3 VStrR durch Publikation im Bundesblatt eröffnet.
b) In den vorliegenden Eingaben macht der Beschwerdeführer insbesondere geltend, das Abwesenheitsurteil sei, ohne ihn vorgehend darüber zu orientieren und ihn anzuhören, gefällt worden, obwohl seine Anschrift - Justizvollzugsanstalt Berlin - dem Rechtsdienst des Eidg. Finanzdepartementes über das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen in Berlin bekannt gewesen sei. Er macht damit geltend, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens gegen ihn nicht erfüllt gewesen seien.

3. a) Nach Ablauf der für die ordentlichen Rechtsmittel geltenden Fristen wird das Abwesenheitsurteil lediglich auflösend bedingt rechtskräftig (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 262; ARTHUR HAEFLIGER, Kommentar zur Militärstrafgerichtsordnung, Bern 1959, Art. 166 MStGO N. 12; CLAUDIA BÜHLER, Das Abwesenheitsverfahren im zürcherischen Strafprozess, Diss. Zürich 1992, S. 93). Denn gemäss Art. 103 Abs. 2 VStrR kann
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der Beschuldigte, wenn er sich stellt oder ergriffen wird, innert 30 Tagen, seit er vom Strafbescheid Kenntnis erhalten hat, bei der Behörde, die zuletzt gesprochen hat, die Wiedereinsetzung verlangen. Wird das Gesuch rechtzeitig gestellt, so ist das ordentliche Verfahren durchzuführen (Art. 103 Abs. 3 VStrR). Eine solche Regelung ist dadurch charakterisiert, dass der Beschuldigte voraussetzungslos die Wiedereinsetzung verlangen kann (vgl. zur entsprechenden Regelung in Art. 156 MStP: BBl 1977 II 90 und 93; vgl. auch NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 466; HAUSER, a.a.O., S. 262).
b) Dem Gesuch des Vertreters des Beschwerdeführers vom 5. Januar 1993 um Wiedereinsetzung gemäss Art. 103 Abs. 2 VStrR entsprach das Eidg. Finanzdepartement (mit Schreiben vom 10. Mai 1993) nicht; dies mit der Begründung, er erfülle die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in keiner Weise; weder sei er ergriffen worden, noch habe er sich gestellt, noch sei nachgewiesen, dass das Gesuch rechtzeitig eingereicht worden sei; der Strafbescheid sei daher rechtskräftig und vollziehbar. Am 27. Mai 1993 ergänzte das Eidg. Finanzdepartement sein Schreiben vom 10. Mai 1993 dahingehend, dass auf das Begehren auch infolge Ablaufs der Wiedereinsetzungsfrist von 30 Tagen nicht eingetreten werden könne.
Dagegen wandte sich der Vertreter des Beschwerdeführers am 21. Juni 1993 erneut an das Eidg. Finanzdepartement mit dem Begehren um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und dem Begehren um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist; gleichzeitig legte er vorsorglich das zulässige Rechtsmittel gegen den Strafbescheid ein.
c) Mit dem Schreiben vom 10. Mai 1993 hat das Eidg. Finanzdepartement das Gesuch des Verurteilten um Aufhebung des Abwesenheitsurteils und um Durchführung des ordentlichen Verfahrens abgewiesen. Obwohl das Eidg. Finanzdepartement dieses nicht als Entscheid bzw. als Verfügung bezeichnete, handelt es sich zumindest inhaltlich um einen Entscheid, denn darin wird festgestellt, dass die Resolutivbedingung der Rechtskraft des Abwesenheitsurteils nicht mehr bestehe und dass dieses demnach als endgültig rechtskräftig zu betrachten sei (vgl. MKGE 5 Nr. 53). Ein solcher Entscheid muss aber - sofern dagegen ein Rechtsmittel gegeben ist - wie der Strafbescheid selber, um den es im vorliegenden Fall der Sache nach geht, eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (Art. 64 Abs. 1 VStrR). Eine solche fehlte im vorliegenden Fall.
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4. a) Art. 103 VStrR regelt die Frage nicht, ob gegen einen Entscheid, mit welchem die zuständige Behörde auf ein Gesuch um Wiedereinsetzung nicht eingetreten ist oder dieses abgewiesen hat, ein Rechtsmittel gegeben sei; auch in Art. 148 Abs. 3 BStP fehlt eine solche Regelung. Es ist daher zu prüfen, ob sich durch Auslegung ein Rechtsmittel gegen solche Entscheide der Verwaltung ergibt.
b) Das Eidg. Finanzdepartement geht davon aus, dass die Weigerung seines Rechtsdienstes, das gegen den Beschwerdeführer geführte Verwaltungsstrafverfahren wieder aufzunehmen, trotz Fehlens einer gesetzlichen Regelung der Rechtsmittel im Wiederaufnahmeverfahren gestützt auf Art. 25 Abs. 1 VStrR und in Analogie zum Revisionsverfahren (Art. 88 Abs. 4 VStrR) der Beschwerde an die Anklagekammer unterliege.
c) Die in verschiedenen schweizerischen Strafprozessgesetzen bestehenden Bestimmungen über die Regelung des Abwesenheitsverfahrens sind stets auch auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK und den aus der Bundesverfassung abgeleiteten Grundsätzen zu prüfen und im Lichte der sich daraus für ein rechtsstaatliches Strafverfahren ergebenden Mindestanforderungen auszulegen und anzuwenden; dazu ist insbesondere auch die Resolution DH (75) 11 des Ministerkomitees des Europarates vom 21. Mai 1975 über die Grundsätze bei der Durchführung von Strafverfahren in Abwesenheit des Angeklagten (VPB 1984 Nr. 107, im folgenden: Resolution) heranzuziehen; denn letztere ist zwar nicht verbindlich, doch gelten ihre Grundsätze als Mindestanforderungen zur Auslegung und Konkretisierung des Landesrechts (Art. 4 und 58 BV) und der durch die Schweiz ratifizierten europäischen Übereinkommen (insb. Art. 6 EMRK; vgl. BGE 111 Ia 341 E. 3a; VPB 1984 Nr. 108; statt vieler: NIKLAUS SCHMID, Zum zürcherischen Abwesenheitsverfahren nach Abschaffung des ordentlichen Verfahrens gemäss StPO § 197, in: Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für Jörg Rehberg, Zürich 1996, S. 286). Ziffer I.8 der Resolution verlangt, dass der in Abwesenheit Verurteilte, der nicht ordnungsgemäss vorgeladen wurde, über ein Rechtsmittel verfügen muss, um die Nichtigkeit des Abwesenheitsurteils feststellen zu lassen.
d) Der Militärstrafprozess kennt eine entsprechende Regelung: Gemäss Art. 184 Abs. 1 lit. c MStP (SR 322.1) kann gegen Abwesenheitsurteile der Divisionsgerichte Kassationsbeschwerde erhoben werden; subsidiär unterliegt die Verweigerung der Wiederaufnahme des Verfahrens dem Rekurs an das Militärkassationsgericht (Art. 195 lit. d MStP; vgl. dazu auch MICHEL MAILLEFER, Le
BGE 122 IV 344 S. 350
jugement contumacial en procédure pénale militaire, in: ZStrR 104 [1987] S. 191 und 194 f.).
Auch in den meisten Kantonen, die ein Abwesenheitsverfahren kennen, ist die Möglichkeit der Anfechtung der Abweisung eines Wiedereinsetzungsgesuches, wenn nicht explizit in der jeweiligen Strafprozessordnung (vgl. etwa Art. 420 lit. d CPP/VD; Art. 345 Abs. 1 StrV/BE), so doch in der Lehre und Rechtsprechung anerkannt (vgl. etwa JÜRG AESCHLIMANN, Das bernische Strafverfahren, C-Besonderer Teil II, Bern 1993, N. C430; SCHMID, a.a.O., S. 300; HEINZ AEMISEGGER, Die Rechtsbehelfe der Schaffhauser Strafprozessordnung, Diss. Zürich 1976, S. 47).
e) Es ist daher davon auszugehen, dass auch gegen Entscheide der Verwaltung über Wiedereinsetzungsgesuche gemäss Art. 103 VStrR ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen muss, mit welchem der Beschuldigte geltend machen kann, auf das Gesuch sei zu Unrecht nicht eingetreten oder dieses sei zu Unrecht abgewiesen worden.
Da sich das Gesuch um Wiedereinsetzung wie die Revision unmittelbar gegen Urteile wendet, die bereits - beim Abwesenheitsurteil auflösend bedingt (siehe E. 3a oben) - in Rechtskraft erwachsen sind, und bezweckt, ein neues Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wird die Wiedereinsetzung in der Lehre - ohne indessen die erheblichen Unterschiede zu verkennen - etwa auch als Spezialfall der Revision bezeichnet; deshalb können die Bestimmungen über die Revision grundsätzlich auch für die Auslegung der meist nur sehr knappen und unvollständigen Regelungen der Wiedereinsetzung herangezogen werden (vgl. AEMISEGGER, a.a.O., S. 37 mit Hinweis auf PFENNINGER).
Gemäss Art. 88 Abs. 4 VStrR kann der Gesuchsteller gegen den die Revision abweisenden Entscheid der Verwaltung innert 30 Tagen seit der Eröffnung bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde im Sinne von Art. 25 Abs. 1 VStrR führen, wobei die Verfahrensvorschriften von Art. 28 Abs. 2-5 VStrR sinngemäss gelten. Diese Regelung ist bei der Anfechtung eines Entscheides der Verwaltung, mit welchem diese auf ein Gesuch um Wiedereinsetzung nicht eintritt oder dieses abweist, analog anzuwenden. Denn nur eine solche Auslegung entspricht der Absicht des Gesetzgebers, die Anklagekammer des Bundesgerichts im Strafverfahren vor der Verwaltung ganz allgemein als Beschwerdeinstanz einzusetzen (vgl. BBl 1971 I 1009) und damit einen umfassenden richterlichen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. BBl 1971 I 1002).
BGE 122 IV 344 S. 351
f) Da im vorliegenden Fall eine Rechtsmittelbelehrung fehlte und sich das zur Verfügung stehende Rechtsmittel nicht ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, geniesst der Beschwerdeführer den Vertrauensschutz (RENÉ RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 86 B III), zumal er und sein Anwalt nicht Schweizer sind und beide im Ausland wohnen. Man könnte sich zwar fragen, ob es nicht Sache des Anwalts gewesen wäre, sich nach möglichen Rechtsmitteln zu erkundigen. Das Eidg. Finanzdepartement bezeichnete indessen seine verschiedenen Schreiben nie förmlich als Verfügungen - obwohl es sich, wie bereits ausgeführt, zumindest beim Schreiben vom 10. Mai 1993 inhaltlich um eine solche handelte -, ansonsten hätte sich der Betroffene oder sein Anwalt möglicherweise nach Rechtsmitteln erkundigt. Unter diesen Umständen kann auch nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer habe, indem er zwischen dem Schreiben des Eidg. Finanzdepartementes vom 23. Juli 1993 bis zur nächsten Eingabe vom 27. Januar 1996 rund zweieinhalb Jahre verstreichen liess, sein Beschwerderecht verwirkt. Hier kommt hinzu, dass man sich im gegenteiligen Fall fragen müsste, ob seine diversen Schreiben (bzw. jene seines Anwalts) an die Verwaltung - namentlich seine Antwort vom 19. Mai 1993 auf das Schreiben des Eidg. Finanzdepartementes vom 10. Mai 1993 - nicht dem Sinne nach hätten als Beschwerden betrachtet und gemäss Art. 28 Abs. 4 VStrR an die Rechtsmittelinstanz, d.h. an die Anklagekammer des Bundesgerichts, weitergeleitet werden müssen.
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

5. a) Das Eidg. Finanzdepartement geht in seiner Vernehmlassung zunächst davon aus, die vom Beschwerdeführer beantragte Wiedereinsetzung sei schon deshalb nicht mehr möglich, weil inzwischen sowohl die Verfolgungs- als auch die Vollstreckungsverjährung eingetreten sei.
b) Nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung hört mit der (auflösend bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils die Verfolgungsverjährung zu laufen auf; gleichzeitig beginnt die meist längere Vollstreckungsverjährung (vgl. BBl 1977 II 93; Zusammenstellung bei RIKLIN, ZStrR 113 [1995] 161, mit zahlreichen Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung; BÜHLER, a.a.O., S. 22 und 95; MAILLEFER, a.a.O., S. 197; AEMISEGGER, a.a.O., S. 49; HAUSER, a.a.O., S. 263; PFENNINGER, ZStrR 70 [1955], S. 57).
aa) Die Vorinstanz stützt ihre Auffassung betreffend die Verfolgungsverjährung zu Unrecht auf Art. 51 Abs. 3 BankG, denn diese
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Bestimmung gilt ausdrücklich nur für Übertretungen. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte vorsätzliche Widerhandlung im Sinne von Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG wird hingegen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 50'000.-- bestraft. Es handelt sich somit um ein Vergehen, für welches gemäss Art. 51 Abs. 2 BankG die allgemeinen Bestimmungen des VStrR gelten. Gemäss Art. 2 VStrR gelten die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches, soweit das VStrR nichts anderes bestimmt; dies ist in bezug auf die Verjährung von Vergehen nicht der Fall. Gemäss Art. 70 StGB verjährt das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Vergehen in fünf Jahren. Art. 11 Abs. 3 VStrR bestimmt, dass die Verfolgungsverjährung bei Übertretungen und Vergehen ruht, solange der Täter im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüsst (vgl. auch Art. 72 Ziff. 1 StGB). Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen soll dieser bis Anfang 1988 begangen haben. Er verbüsst seit Ende 1988 eine Freiheitsstrafe in Berlin. Entgegen der Auffassung des Eidg. Finanzdepartements ist die Verfolgungsverjährung deshalb noch nicht eingetreten. Da sie bereits aus dem angeführten Grund ruht, stellt sich die umstrittene Frage des Ruhens der Verfolgungsverjährung ab der (resolutiv bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils nicht (vgl. dazu FRANZ RIKLIN, Zur Frage der Verjährung im Abwesenheitsverfahren, in: ZStrR 113 [1995], S. 162 mit Hinweisen).
bb) Hingegen trifft es zu, dass inzwischen die Vollstreckungsverjährung eingetreten ist: Gemäss Art. 51 Abs. 2 BankG in Verbindung mit Art. 2 VStrR und Art. 73 StGB verjährt die Strafe des hier in Frage stehenden Vergehens nach fünf Jahren. Der im Abwesenheitsverfahren erlassene Strafbescheid datiert vom 8. Mai 1991, so dass die fünfjährige Vollstreckungsfrist inzwischen abgelaufen ist.
c) Die Auffassung der Vorinstanz, der Eintritt der Vollstreckungsverjährung stehe einem Wiedereinsetzungsgesuch entgegen, beruht auf dem Vorbild des französischen Code d'instruction criminelle (H.F. PFENNINGER, Die Verjährung im Kontumazialverfahren, ZStrR 70 [1955] S. 55 und 63f.; HAUSER, a.a.O., S. 263; FELIX STRÄULI, Das Verfahren gegen den Abwesenden im schweizerischen Militärstrafprozess, Diss. Zürich 1955, S. 47) und hat einzig in einigen welschen Strafprozessordnungen sowie in derjenigen des Kantons Tessin Niederschlag gefunden (vgl. Art. 403 CPP/VD, Art. 216 Abs. 2 CPP/NE, Art. 53 Ziff. 4 StPO/FR; Art. 316 Abs. 1 CPP/TI; Art. 156 Abs. 1 MStP). Soweit diese Meinung neben RENATE SCHWOB
BGE 122 IV 344 S. 353
(Verwaltungsstrafrecht des Bundes, SJK 1290, S. 20) und GÉRARD PIQUEREZ (Précis de Procédure Pénale Suisse, Lausanne 1994, N. 2238) vertreten wird, stützt sie sich auf die frühere Praxis des Militärkassationsgerichts zu Art. 167 MStGO (EMKG 6 Nr. 72; AEMISEGGER, a.a.O., S. 46 und 52; STRÄULI, a.a.O., S. 52 f.). Auch der Bundesgesetzgeber hat - allerdings ohne nähere Begründung - anlässlich der parlamentarischen Beratung im Jahre 1978 im neuen Militärstrafprozess eine entsprechende zeitliche Beschränkung eingeführt (vgl. Sten.Bull. 1978 NR 644).
d) Eine solche Einschränkung fehlt sowohl im Bundesstrafprozess als auch im Verwaltungsstrafverfahren sowie in den deutschschweizerischen Strafprozessgesetzen; sie ergibt sich auch nicht aus der Natur der Verjährungsbestimmungen (HAUSER, a.a.O., S. 263). Nach heute herrschender Auffassung soll der Beschuldigte zeitlich unbeschränkt - sofern keine ausdrückliche entgegengesetzte gesetzliche Bestimmung besteht -, d.h. auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung noch die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangen können. Der im Abwesenheitsverfahren Verurteilte hat trotz Eintretens der Vollstreckungsverjährung ein legitimes Interesse an der Klärung der Schuldfrage in einem ordentlichen Gerichtsverfahren. Aus demselben Grund ist auch die Revision zu Gunsten des Beschuldigten jederzeit zulässig (Art. 84 Abs. 2 VStrR). Schliesslich bleibt auch der Nachteil des Strafregistereintrages bestehen. Das Interesse des Staates an der Bestrafung des Täters geht zwar durch Zeitablauf verloren, nicht aber jenes an der Richtigstellung eines fehlerhaften richterlichen Erkenntnisses (statt vieler: SCHMID, Strafprozessrecht, N. 865; HAUSER, a.a.O., S. 263).
Die Vollstreckungsverjährung steht daher der Wiedereinsetzung nicht entgegen.

6. a) Das Eidg. Finanzdepartement hat die Wiedereinsetzung sodann abgelehnt, weil sich der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 103 Abs. 2 VStrR weder gestellt habe noch ergriffen worden sei.
b) Diese Frage stellt sich hier indessen noch nicht oder ist jedenfalls noch nicht endgültig zu beantworten. Gegen den Beschwerdeführer wurde der Strafbescheid im Abwesenheitsverfahren ausgefällt, weil er unbekannten Aufenthaltes war. Nachdem er rechtzeitig (dazu noch näher E. 7 hiernach) ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt hat, genügt es deshalb zunächst (vgl. auch oben E. 3a), dass sein Aufenthalt nun bekannt ist, um dem Wiedereinsetzungsgesuch
BGE 122 IV 344 S. 354
in der Weise stattzugeben, dass das ordentliche Verfahren gegen ihn dort wiederaufgenommen und neu durchgeführt wird, wo dies wegen seines unbekannten Aufenthaltes nicht möglich war. Das Abwesenheitsurteil kann aber erst durch einen im ordentlichen Verfahren ergangenen Entscheid ersetzt werden, wenn die Voraussetzungen hiefür im Urteilszeitpunkt (immer noch) erfüllt sind. Ist dies der Fall, wird grundsätzlich davon auszugehen sein, der Beschwerdeführer habe sich gestellt. Trifft dies nicht zu, entfällt eine weitere Durchführung des ordentlichen Verfahrens und wird der im Abwesenheitsverfahren erlassene Strafbescheid endgültig rechtskräftig (vgl. dazu HAUSER, a.a.O., S. 262 oben, mit Hinweisen); darauf wird der Beschwerdeführer hiermit ausdrücklich aufmerksam gemacht.

7. a) Das Eidg. Finanzdepartement begründete seinen Entscheid vom 10. Mai 1993 schliesslich damit, dass das Gesuch um Wiedereinsetzung nicht rechtzeitig gestellt worden sei.
b) Aus den der Anklagekammer vorliegenden Akten ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 2. November 1988 in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde in Berlin in Haft befindet. Es ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, er habe von dem hier in Frage stehenden Abwesenheitsurteil erst durch eine Mitteilung des Generalbundesanwalts vom 1. Dezember 1992 Kenntnis erhalten, mit welcher ihn dieser darüber informierte, dieses sei im (deutschen) Bundeszentralregister eingetragen worden. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Justiz in Bonn vom 9. Juni 1993 an das Eidg. Finanzdepartement (in Beantwortung von dessen Anfrage vom 31. März 1993) hält dieses fest, die Mitteilung des Generalbundesanwalts an R. vom 1. Dezember 1992 betreffend den Strafbescheid vom 8. Mai 1991 sei am 7. Dezember 1992 als normale Briefsendung zur Post gegeben worden; wann sie dem Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt übergeben wurde, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer kann die Mitteilung somit frühestens am nächsten Tag, d.h. am 8. Dezember 1992 erhalten haben. Die Frist von 30 Tagen für das Begehren um Wiedereinsetzung endete somit am 7. Januar 1993. Das am 5. Januar 1993 der deutschen Post übergebene und gemäss Eingangsstempel der Eidg. Finanzverwaltung am 7. Januar 1993 bei dieser eingetroffene Gesuch um Wiedereinsetzung - mit welchem der am 16. Dezember 1992 durch den Beschwerdeführer bevollmächtigte Rechtsanwalt Z. vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand verlangte und "gegen die Entscheidung das zulässige Rechtsmittel" einlegte - ist somit fristgerecht gestellt worden.
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8. Die Vorinstanz hätte nach dem Gesagten daher auf das durch den Verteidiger des Beschwerdeführers von Deutschland aus gestellte Wiedereinsetzungsbegehren eintreten und diesem stattgeben müssen. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der Entscheid des Eidg. Finanzdepartements vom 10. Mai 1993 aufzuheben. Die Sache ist zur Durchführung des ordentlichen Verfahrens im Sinne von Art. 103 Abs. 3 VStrR an die Vorinstanz zurückzuweisen.

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