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Urteilskopf

110 Ib 340


56. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Juli 1984 i.S. Staat Bern gegen Ammann, Berger, Kleiner und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Enteignung von Nachbarrechten; Entschädigung für die vom Strassenverkehr ausgehenden Lärmimmissionen.
Die Spezialität der Immissionen und die Schwere des Schadens sind zwei grundsätzlich voneinander unabhängige Voraussetzungen für die Zusprechung einer Entschädigung, die gesondert zu prüfen sind (E. 2).
Bei der Beurteilung einer Lärmsituation aufgrund der Grenzrichtwerte kann nicht auf kurzzeitige Messungen während des Spitzenverkehrs, ohne Berücksichtigung der ganzen Bezugszeit, abgestellt werden (E. 3).
Die im Bericht "Lärmbekämpfung in der Schweiz" 1963 provisorisch festgelegten L1-Grenzrichtwerte für die Nacht betreffend die Geräuschzonen II-V sind um 5 dB zu erhöhen (E. 4).
Bei der Ermittlung des massgebenden Lärmpegels ist grundsätzlich von der tatsächlich vorhandenen Verkehrsmenge, das heisst vom täglichen bzw. nächtlichen Durchschnittsverkehr im Jahresmittel auszugehen. Die Lärmbeeinträchtigung durch den sogenannten Normverkehr ist nur unter besonderen Umständen ebenfalls mit in Betracht zu ziehen (E. 5).
Eine Überschreitung des Grenzricht- oder Immissionsgrenzwertes um 5 dB ist als klare Überschreitung anzuerkennen (E. 6).
Neben den statistischen Schallpegeln L1 und L50 sind auch der Mittelungspegel Leq und die Immissionsgrenzwerte beizuziehen, die 1979 von der Eidg. Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten für den Strassenverkehr festgesetzt worden sind (E. 7).
In den vorliegenden Fällen ist die Voraussetzung der Spezialität bzw. der Schwere des Schadens nicht erfüllt (E. 9-11).

Sachverhalt ab Seite 341

BGE 110 Ib 340 S. 341

A.- Das zweigeschossige Wohnhaus des Paul Ammann (nun der Erben) steht am südlichen Dorfrand von Oberwangen (Gemeinde Köniz) an der Wangentalstrasse, die an dieser Stelle quer über das Tal führt und vor dem Bau der Nationalstrasse N 12 das Dorf mit der Kantonsstrasse Bern-Freiburg verband. Die Kantonsstrasse verläuft, teils durch das Gelände, teils durch Gebäude verdeckt, in einem Abstand von etwa 70 m östlich des Hauses
BGE 110 Ib 340 S. 342
Ammann. Westlich an das Grundstück Ammann schliesst die SBB-Doppelspur Bern-Freiburg an, hinter der die mit einer Lärmschutzwand versehene Nationalstrasse liegt.
Mit Eingabe vom 30. Mai 1978 gelangte Paul Ammann an die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 6, und verlangte eine Entschädigung in Höhe von mindestens Fr. 20'000.-- für die Entwertung seiner Liegenschaft durch den Autobahnlärm. Der Kanton Bern widersetzte sich dem Entschädigungsbegehren und machte gestützt auf vor und nach dem Autobahnbau durchgeführte Messungen geltend, die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung umschriebenen Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch seien nicht erfüllt. Die Einigungsverhandlung verlief erfolglos.

B.- Das Mehrfamilienhaus der Erben Berger liegt ebenfalls in Oberwangen, jedoch im Norden des Dorfes und westlich der rund 50 m entfernten N 12. Der Abstand zur SBB-Linie beträgt ca. 80 m, zur Kantonsstrasse ca. 170 m. Zwischen der Autobahn und dem Hause Berger ist ein rund 5 m hoher Erdwall errichtet worden, der die unteren Etagen abdeckt. Von der im obersten Stockwerk liegenden Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung aus bleiben indessen die Aufbauten vorbeifahrender Lastwagen sichtbar.
Die Erben Berger stellten mit Eingabe vom 9. Juni 1978 eine Entschädigungsforderung für Minderwert in Höhe von Fr. 200'000.--. Sie erklärten sich indessen auch mit weiteren Massnahmen einverstanden, durch die der Lärm spürbar gesenkt würde. Der Kanton Bern bestritt jeden Entschädigungsanspruch der Grundeigentümer und wies darauf hin, dass die Wohnungen in der Liegenschaft Berger nach wie vor vermietet seien und die Eigentümer keine Mietzinseinbussen erlitten. An der Schätzungsverhandlung schränkten die Erben Berger ihr Gesuch um Minderwertsentschädigung auf die im obersten Stockwerk gelegenen Wohnungen ein.

C.- Die dritte in Frage stehende Liegenschaft, die Einfamilienhaus-Parzelle des Walter Kleiner, liegt mitten in Thörishaus (Gemeinde Neuenegg) am Abhang gegen das Sensetal. Die Wohn- und Schlafräume des zweistöckigen Gebäudes sind gegen Südwesten, in Richtung der in einem Abstand von etwa 50 m vorbeiführenden N 12 orientiert. Die Sichtverbindung zur Autobahn wird, abgesehen von einer kleinen Lücke, durch eine Schallschutzwand unterbrochen. Die rund 100 m entfernt liegende Bahnlinie und die am
BGE 110 Ib 340 S. 343
gegenüberliegenden Hang des Tales entlangführende Kantonsstrasse fallen lärmmässig kaum ins Gewicht.
Walter Kleiner beklagte sich mit Schreiben vom 23. April 1977 über den Autobahnlärm und verlangte zusätzliche Schallschutzmassnahmen oder sinngemäss eine Entschädigung für die Entwertung seines Hauses. Auch in diesem Fall brachte der Staat Bern vor, dass die von der Rechtsprechung verlangten Merkmale der Unvorhersehbarkeit und der Spezialität der Immissionen fehlten.

D.- Nach Vornahme weiterer Lärmmessungen auf den Liegenschaften Ammann und Kleiner fällte die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 6, am 16. Juni 1981 ihren Entscheid. Sie verpflichtete den Kanton Bern, Paul Ammann eine Enteignungsentschädigung von Fr. 15'000.--, den Erben Berger eine Entschädigung von Fr. 10'000.-- und Walter Kleiner eine solche von Fr. 8'000.--, je mit Zins ab 7. Dezember 1977 bzw. 10. Dezember 1976, zu bezahlen. Die weitergehenden Begehren wurden abgewiesen.
Im Falle Ammann führte die Kommission zur Begründung ihres Entscheides im wesentlichen aus, Immissionen des Strassenverkehrs seien entlang von öffentlichen Strassen in der Regel zu dulden. Erst wenn die Auswirkungen des Verkehrs schwer und intensiv seien, den Eigentümer in besonderer Weise träfen und nicht vorausgesehen werden könnten, sei ausnahmsweise eine Entschädigung für die Enteignung des nachbarrechtlichen Unterlassungsanspruches geschuldet. Die Aspekte der Besonderheit und der Schwere griffen ineinander über und seien deshalb gemeinsam zu behandeln. Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, habe das Bundesgericht bisher weitgehend anhand der von der Eidgenössischen Expertenkommission für Lärmfragen im Jahre 1963 erarbeiteten Richtlinien (Grenzrichtwerte 1963) entschieden. Auch die Schätzungskommission gehe deshalb davon aus, dass enteignungsrechtlich relevante Schallimmissionen vorlägen, sobald die gemessenen Lärmwerte die Grenzrichtwerte spürbar, das heisst um mindestens 5 dB(A), überträfen. Die für die Liegenschaft Ammann - die in die gemischte Zone III zu weisen sei - ermittelten und auf 2400 Personenwageneinheiten pro Stunde "normalisierten" Tageswerte lägen nicht spürbar über dem massgeblichen Grenzrichtwert. Anders dagegen der nächtliche Lärmpegel. Hier sei vornehmlich auf den L1-Wert abzustellen, und zwar auf den nach dem Wegfallen des Nachtfahrverbotes für Lastwagen effektiv gemessenen Wert. Dieser liege bei 66,5 dB(A), also um 11,5 dB(A)
BGE 110 Ib 340 S. 344
über dem massgebenden Grenzrichtwert von 55 dB(A). Das entspreche, bezogen auf den Grenzrichtwert, einer Verdoppelung des Schallpegels. Wenn man zudem mit dem Bundesgericht davon ausgehe, dass der Lärm dann als besonders störend empfunden werde, wenn er über die bei 45-50 dB liegende Weckschwelle deutlich hinausgehe, so sei klar, dass hier hinsichtlich der Nachtsituation das Übermass und damit die Spezialität und die Schwere der Lärmeinwirkungen bejaht werden müsse. Was die Voraussehbarkeit betreffe, so habe nicht damit gerechnet werden müssen, dass in der unmittelbaren Umgebung der Liegenschaft eine Autobahn erstellt werde; auch dieses Erfordernis sei somit erfüllt. Zu entschädigen seien allerdings nur die Nachteile, die durch den nächtlichen Lärm verursacht würden. Die Kommission sei wie der Gesuchsteller selbst zur Auffassung gelangt, dass durch den Einbau von Schallschutzfenstern der Lärm in den Schlafzimmern auf ein annehmbares Mass herabgesetzt werden könnte. Hiefür scheine ein Betrag von Fr. 15'000.-- als angemessen.
Im Entscheid Berger erwog die Kommission, zwar seien auf der Mehrfamilienhaus-Parzelle keine Nachtwerte erhoben worden, doch könne auf die beim Hause Ammann durchgeführten Messungen abgestellt werden, da beide Häuser in annähernd gleichem Abstand zur Autobahn stünden und die topographischen Verhältnisse miteinander vergleichbar seien. Mit der gleichen Argumentation wie im Falle Ammann gelangte die Kommission zum Schluss, dass eine Entschädigung geschuldet sei, jedoch lediglich für die unmittelbar gegen die Autobahn gerichtete Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock, und dass der Entschädigungsbetrag anhand des Aufwandes für den Einbau von Schallschutzfenstern zu bemessen sei.
Im Urteil Kleiner wurden die selben Erwägungen angestellt. Die Kommission hielt abschliessend fest, dass mehrere Sanierungsmöglichkeiten für die im ersten Stock liegenden Schlafzimmer bestünden (Versetzen der Fenster an die Aussenwände, Einrichten eines geeigneten Ventilationssystems); mit dem Kostenaufwand von Fr. 8'000.-- könne eine Lösung des nächtlichen Lärmproblems gefunden werden.

E.- Der Kanton Bern hat die drei Entscheide der Schätzungskommission mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten und in allen Fällen geltend gemacht, die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Enteignungsentschädigung seien nicht erfüllt. Beanstandet wird insbesondere, dass die Schätzungskommission auf
BGE 110 Ib 340 S. 345
die gemessenen nächtlichen Spitzenwerte abgestellt und von einer Umrechnung auf den Durchschnittsverkehr abgesehen hat, und dass die Tageswerte auf einen Normverkehr und nicht auf die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse bezogen worden sind. In diesem Zusammenhang schlägt der Beschwerdeführer vor, zu untersuchen, ob sich der sogenannte Mittelungspegel Leq nicht besser zur Charakterisierung einer Lärmsituation eigne als die bisher verwendeten statistischen Schallpegel L1 und L50; zur Prüfung dieser Frage sei eine entsprechende Oberexpertise einzuholen. Im weiteren könne eine schwere und übermässige Beeinträchtigung nur angenommen werden, wenn ein Minderwert in der Grössenordnung von 10% des Verkehrswertes der betroffenen Liegenschaft eingetreten sei, was in den vorliegenden Fällen offensichtlich nicht zutreffe. Schliesslich wird auch die Zuweisung der Liegenschaft Ammann zur gemischten Zone III sowie die Übernahme der auf dem Grundstück Ammann gemessenen Lärmwerte im Falle Berger kritisiert.
Die Beschwerdegegner und die Schätzungskommission stellen den Antrag, die Beschwerden abzuweisen.

F.- Zur Instruktion der Beschwerden hat das Bundesgericht Prof. Dr. E. J. Rathe, Russikon, und Dr. R. Hofmann, Abteilung für Akustik und Lärmbekämpfung der EMPA, Dübendorf, als Experten beigezogen. Nach Durchführung eines Augenscheins und einer internen Beratung sind auf Anraten der Gutachter zusätzliche Lärmmessungen während der Nacht vorgenommen worden. Gestützt auf den Messbericht der EMPA und unter Berücksichtigung der inzwischen bekanntgewordenen Verkehrsmenge des Jahres 1982 haben die Experten nach weiteren internen Beratungen im Oktober 1983 ihren Bericht erstattet, der den Parteien zugestellt und mit ihnen an einer Verhandlung besprochen worden ist. Nach dem Expertenbericht ergeben sich unter Annahme folgender Verkehrsmengen
heutiger Verkehr tags: 1309 Fzg/h Lastwagenanteil 0.13
nachts: 223 Fzg/h Lastwagenanteil 0.065
Normverkehr tags: 2000 Fzg/h Lastwagenanteil 0.13
nachts: 340 Fzg/h Lastwagenanteil 0.065 für die drei Liegenschaften die nachstehenden Immissionspegel:
BGE 110 Ib 340 S. 346
Mittelungspegel Leq in dB(A) beim
Messort mittleren Verkehr 1982 Normverkehr
tags nachts tags nachts
Ammann 63 55 65 57
Berger 62 55 64 57
Kleiner 58 50 60 52
Statistischer Pegel L1 in dB(A,F) beim
Messort mittleren Verkehr 1982 Normverkehr
tags nachts tags nachts
Ammann 69 64 69 65
Berger 68 63 68 64
Kleiner 64 60 65 61

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die drei Beschwerden betreffen ähnliche Sachverhalte und enthalten weitgehend die selben Rügen; zudem werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben.
Die Fälle Ammann, Berger und Kleiner sind deshalb im Instruktionsverfahren gemeinsam behandelt worden und können auch durch ein einziges Urteil erledigt werden.

2. Nach ständiger Praxis des Bundesgerichtes gelten die vom Schienen- und Strassenverkehr ausgehenden Immissionen nur dann als übermässig im Sinne von Art. 684 ZGB und lassen den Enteigner ersatzpflichtig werden, wenn sie für den Grundeigentümer nicht voraussehbar waren, ihn in spezieller Weise treffen und einen schweren Schaden verursachen (BGE 94 I 301; BGE 110 Ib 48, BGE 108 Ib 500, BGE 106 Ib 384, BGE 102 Ib 271, BGE 101 Ib 405, BGE 100 Ib 200, BGE 98 Ib 329, BGE 95 I 490). Nach dieser Rechtsprechung sind die Spezialität und die Schwere des Schadens zwei voneinander unabhängige Voraussetzungen, die - zusammen mit der Bedingung der Unvorhersehbarkeit - kumulativ erfüllt sein müssen, wenn sie auch, wie im Entscheid Werren eingeräumt wurde, gewisse gemeinsame Aspekte aufweisen (vgl. BGE 94 I 301 E. 8b).
Die Voraussetzung der Spezialität ist insbesondere dann gegeben, wenn die Lärmimmissionen eine Intensität erreichen, die das Mass des Üblichen und Zumutbaren übersteigt; nach der bisherigen Rechtsprechung ist dies anzunehmen, wenn die von der Eidgenössischen
BGE 110 Ib 340 S. 347
Expertenkommission 1963 im Bericht "Lärmbekämpfung in der Schweiz" (Bericht 1963) festgelegten Grenzrichtwerte überschritten werden. Die Spezialität steht in solchen Fällen in Zusammenhang mit der Höhe des Lärmpegels. Die Voraussetzung der Schwere bezieht sich dagegen auf den durch die Immissionen entstehenden Schaden. Sie findet ihre Rechtfertigung im Verhältnismässigkeitsprinzip, das heisst im Grundsatz, dass ein Entschädigungsanspruch nicht für jeden beliebigen staatlichen Eingriff und damit auch nicht für jede beliebige Beeinträchtigung durch den Verkehr auf öffentlichen Strassen besteht. Solange ein solcher Schaden nur gering ist, kann - wie im Entscheid Werren ausgeführt - die ihn verursachende Einwirkung nicht übermässig sein (BGE 94 I 302 E. 9c: "Tant que le tort causé est bénin, il ne procède pas d'un excès qui engendre un droit à indemnité"). In dieser Hinsicht ist die bundesgerichtliche Rechtsprechung verschiedentlich kritisiert (vgl. die Zitate in BGE 110 Ib 48 E. 4) und behauptet worden, das Erfordernis der Schwere des Schadens laufe auf eine Privilegierung des Gemeinwesens gegenüber dem privaten Unternehmer und seinem lärmigen Betrieb hinaus. Nun kann aber bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der "übermässigen" Einwirkung (Art. 684 ZGB) nicht darüber hinweggesehen werden, dass das Gemeinwesen beim Bau und bei der Inbetriebnahme einer Strasse eine rechtmässige und im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit ausübt, dass dieses öffentliche Interesse den nachbarlichen Abwehrrechten vorgeht und die Unterlassungsklage aus diesem Grunde von vornherein ausgeschlossen ist (BGE 110 Ib 50). Es besteht daher kein Anlass, die Voraussetzung der Schwere fallenzulassen oder sie zu mildern.
Die Schätzungskommission hat in ihren Entscheiden, ohne die Praxis zur Voraussetzung der Schwere ausdrücklich in Frage zu stellen, auf BGE 102 Ib 275 E. 4 hingewiesen und daraus geschlossen, wenn die Grenzrichtwerte in enteignungsrechtlich relevanter Weise überschritten seien, sei in aller Regel auch die besondere Schwere des Schadens zu bejahen. Dieses Erfordernis ist demnach ohne weitere Abklärungen als erfüllt betrachtet worden. Derart kann jedoch nicht vorgegangen werden.
Zwar trifft zu, dass in den Erwägungen zum Falle Reich (BGE 95 I 493 ff.) die Voraussetzungen der Spezialität und der Schwere des Schadens nicht klar und deutlich auseinandergehalten worden sind. Ebenfalls ist einzuräumen, dass die in BGE 102 Ib 275 /6 gewählte Formulierung, das Ausmass der Überschreitung der Grenzrichtwerte bilde eine "entscheidende
BGE 110 Ib 340 S. 348
Grundlage" für die Beurteilung der Erheblichkeit des Minderwertes, zu wenig präzis ist; man hätte genauer von einem "wichtigen Indiz" sprechen sollen. Das ändert jedoch nichts daran, dass das Bundesgericht weder im einen noch im anderen Falle noch überhaupt je einzig aus dem Umstand, dass der Lärmpegel den Grenzrichtwert überstieg, auf die Schwere des Schadens geschlossen hat. Die Schadenshöhe ist vielmehr stets von den beigezogenen Architekten ermittelt worden, welche den Minderwert der betroffenen Liegenschaften zwar ebenfalls gestützt auf das Lärmgutachten, aber unter Berücksichtigung der Lage, der Art und der Umgebung der Bauten in jedem Einzelfalle prozentmässig festgelegt haben. In BGE 106 Ib 391 hat das Bundesgericht denn auch betont, dass sich die immissionsbedingte Entwertung eines Hauses nicht einzig nach der Höhe des Schallpegels bemessen lässt, und nicht jedes Gebäude, das den gleichen Einwirkungen ausgesetzt ist, die selbe Werteinbusse erleidet. Übrigens ist schon im Entscheid Werren hervorgehoben worden, dass die Voraussetzung der Schwere dann zu verneinen sei, wenn der - von Fall zu Fall zu bestimmende - Schaden nicht eine gewisse Höhe oder einen gewissen Prozentsatz des Gesamtwertes der betroffenen Liegenschaft erreiche, welcher jedoch nicht von vornherein und ein für allemal festgelegt werden könne (BGE 94 I 303). Mit diesen Erwägungen lassen sich die angefochtenen Entscheide offensichtlich nicht vereinbaren.

3. Nach Ansicht der Schätzungskommission ist für die Beurteilung der nächtlichen Lärmsituation auf die nach dem Wiedereinsetzen des Schwerverkehrs effektiv gemessenen Werte abzustellen, so im Falle Ammann auf den Wert von 66.5 dB(A), der am 5. August 1980 zwischen 05.00 Uhr und 05.30 Uhr gemessen wurde. Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigepflichtet werden, da die Schätzungskommission übersieht, dass die Lärmbelastung nicht nur vom Schallpegel, sondern auch von der Einwirkungsdauer abhängt.
Die bisher in der Schweiz bei Lärmmessungen verwendeten Masse L1 und L50 sind statistische Grössen ("Percentile"). Sie geben die Pegelwerte an, die während 1% (L1) bzw. 50% (L50) der Beobachtungs- oder Bezugszeit überschritten werden. Als Bezugszeiten für die Beurteilung des Strassenverkehrslärms gelten heute allgemein tags die Zeit von 06.00 bis 22.00 Uhr und nachts die Zeit von 22.00 bis 06.00 Uhr (VERDAN, Interpretation und Handhabung der Lärmgrenzrichtwerte, Eidg. Amt für Umweltschutz, 1974, S. 5 f.; Immissionsschutz an Nationalstrassen, Schlussbericht
BGE 110 Ib 340 S. 349
der vom Eidg. Amt für Strassen- und Flussbau eingesetzten Expertenkommission, 1974, 1. Teil, S. 7). Durch die Festsetzung der Grenzrichtwerte L1 und L50 für die Nacht wird somit bestimmt, welcher Schallpegel höchstens während eines Hundertstels (L1) bzw. der Hälfte (L50) der Zeit von 22.00 bis 06.00 Uhr überschritten werden darf, oder anders ausgedrückt, welcher Pegel während 99% bzw. der Hälfte dieser Zeit nicht erreicht werden darf. Werden nun einzig die während einer kurzen und überdurchschnittlich verkehrsreichen Zeit gemessenen Werte übernommen und mit den Grenzwerten verglichen, die sich auf die ganze Nachtdauer beziehen, so wird in Wirklichkeit das Mass der zulässigen Lärmbelastung geändert. Jede unterschiedliche Wahl der Bezugszeit ist gleichbedeutend mit einer unterschiedlichen Festlegung der Belastungsgrenzen (VERDAN, a.a.O., S. 6). Dies gilt auch, wenn anstelle der statistischen Schallpegel als Belastungsmass der energieäquivalente Dauerschall- oder Mittelungspegel Leq und die entsprechenden Immissionsgrenzwerte beigezogen werden, die 1979 von der Eidgenössischen Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten festgelegt worden sind (vgl. 1. Teilbericht: Belastungsgrenzwerte für den Strassenverkehrslärm; im folgenden: Bericht 1979). Auch diese Grenzwerte für Strassenlärm beruhen auf Langzeitdurchschnitten des Verkehrsverlaufes und können daher nicht auf einzelne Spitzenstunden angewendet werden. Dass die nächtlichen Randstunden (22.00 bis 24.00 Uhr und 04.00 bis 06.00 Uhr) lärmiger sind als die Zeit von 24.00 bis 04.00 Uhr, ist eine durch Untersuchungen bestätigte Erfahrungstatsache (vgl. z.B. den Bericht "Störwirkungen des Strassenverkehrslärms in der Nacht", Hygiene-Institut ETHZ 1978), der bei der Festlegung der Grenzricht- und der Immissionsgrenzwerte bereits Rechnung getragen worden ist. Abgesehen von Sonderfällen - so etwa bei Spitzenverkehr mitten in der Nacht - darf daher bei der Ermittlung des massgebenden Geräuschpegels nicht vom Lärm ausgegangen werden, der nur während eines Teils der Bezugszeit herrscht. Die Entscheide der Schätzungskommission können somit auch in diesem Punkte nicht bestätigt werden.

4. Im Bericht 1963 wurde vorgeschlagen, eine bestimmte Lärmsituation durch drei Pegelwerte, das "Grundgeräusch", die "häufigen Spitzen" und die "seltenen Spitzen" zu charakterisieren. Zeitlich wurde zwischen tags (Verkehrszeit) und nachts (Ruhezeit) unterschieden. Räumlich erfolgte eine Aufteilung in sechs Geräuschzonen I-VI. Die für jede Zone und die Tages- und Nachtzeiten
BGE 110 Ib 340 S. 350
gesondert festgesetzten und ausdrücklich als provisorisch bezeichneten Grenzrichtwerte wurden als "zumutbare Geräuschpegel" verstanden, während die "wünschbaren" oder Normrichtwerte um 10 dB(A) tiefer liegen sollten. Nach dem Bericht 1963 gilt die Überschreitung des Grenzrichtwertes als Indiz für eine übermässige Lärmimmission.
Während der folgenden Jahre wurden die verbal definierten Pegelwerte durch die bereits dargestellten statistischen Masse ersetzt. Der L50 trat an die Stelle des "Grundgeräusches", der L1 an jene der "häufigen Spitzen"; die "seltenen Spitzen" wurden fallen gelassen, da ihre Bestimmung oft zu Zufallsresultaten führte. Weil die Umschreibung der statistischen Pegel ohne Bezugszeit unvollständig wäre, wurde - wie bereits erwähnt - die Tagesperiode auf 16 Stunden, die Nachtperiode auf 8 Stunden festgelegt. In der Praxis hat sich bald der L50 als ausschlaggebend für die Beurteilung des Tageslärms erwiesen. Nachts fällt er dagegen in der Regel tief ab, so dass der L1 zum entscheidenden Mass wird. In diesem Zusammenhang haben die vom Bundesgericht beigezogenen Experten übereinstimmend erklärt, die im Laufe der Jahre gesammelten Erfahrungen hätten klar gezeigt, dass die im Schema 1963 vorgeschlagenen Grenzrichtwerte L1 für die Nacht zu tief angesetzt seien. Wo Wohnhäuser nahe an der Strasse stünden, wie das bei Wohnquartieren und Kernzonen üblich sei, werde der Grenzrichtwert L1 von 55 dB(A) - der sowohl für die ruhige Wohnzone II als auch für die gemischte Zone III gilt - auch bei bescheidenem Verkehrsvolumen sehr rasch überschritten. Das habe denn auch zur Folge gehabt, dass die mit städtischem Verkehr konfrontierten Kantone die Anwendung der L1-Nachtwerte vermieden und sich mit der in Fachkreisen verbreiteten Regel beholfen hätten, nach welcher beim L1 zwischen tags und nachts gemessenen Werten eine Differenz von etwa 10 dB(A) bestehe; diese Regel entspreche jedoch oftmals den Tatsachen nicht. Die bundesgerichtlichen Experten halten es deshalb für angezeigt, die im provisorischen Schema 1963 festgelegten L1-Grenzrichtwerte für die Nacht betreffend die Geräuschzonen II-V um 5 dB zu erhöhen. Diese Änderung soll auf den Verkehrslärm beschränkt bleiben, da für andere Lärmarten möglicherweise andere Korrekturen vorzunehmen sind. Eine Erhöhung der Richtwerte für die Zonen I (Kurzone) und VI (Hauptverkehrsader) drängt sich mangels entsprechender Erfahrungen nicht auf. Das Bundesgericht ist aufgrund dieser Ausführungen seinerseits zur Auffassung gelangt,
BGE 110 Ib 340 S. 351
dass eine Erhöhung des L1-Nachtwertes notwendig und für die Betroffenen zumutbar sei. In den vier genannten Zonen sind demnach inskünftig folgende L1-Grenzrichtwerte zu beachten:
Geräuschzone häufige Spitzen L1 Umschreibung
tags nachts
II 65 60 ruhige Wohnzone
III 70 60 gemischte Zone
IV 70 65 Geschäftszone
V 75 65 Industriezone

5. Bei der Ermittlung des massgebenden Lärmpegels ist grundsätzlich vom tatsächlichen lärmverursachenden Verkehr auszugehen, das heisst von der im Zeitpunkt des Entscheides vorhandenen Verkehrsmenge. Wie bereits erwähnt, ist allerdings zu beachten, dass die Grenzwerte (ob Grenzrichtwerte oder Immissionsgrenzwerte) auf Langzeitdurchschnitten beruhen und deshalb nur mit Grössen verglichen werden können, die ihrerseits Mittelwerte darstellen. Massgebend muss daher nach den Darlegungen der Experten der Verkehr im Jahresmittel sein, wobei sich die Mittelwertbildung auf die Gesamtzahl der Fahrzeuge und die Zahl der Lastwagen beziehen soll, um den Lastwagenanteil bestimmen zu können.
Die Tages- und die Nachtperiode sind getrennt zu betrachten. Die durch Kurzzeitmessungen ermittelten Ergebnisse sind somit anhand von Verkehrsanalysen und -zählungen auf den täglichen bzw. nächtlichen Durchschnittsverkehr im Jahresmittel umzurechnen. Diese Umrechnung ist nach den Gutachtern für einen gemessenen Mittelungspegel Leq einfach und genau, bietet aber beim statistischen Schallpegel L1 erhebliche Schwierigkeiten.
Die Schätzungskommission ist davon ausgegangen, dass die am Tag gemessenen Werte zu "normalisieren", auf einheitliche Verkehrsverhältnisse umzurechnen seien. Der tatsächliche Verkehr lässt sich indessen nicht ohne weiteres durch einen "Normverkehr" ersetzen. Normwerte, die sich nach der Leistungsfähigkeit der Strasse richten, dienen in erster Linie als Projektierungshilfe beim Bau neuer Strassen. Sie werden zudem für Lärm-Prognosen herangezogen, wenn die Verkehrsbelastung einer bestehenden Strasse voraussichtlich stark anwachsen wird. In solchen Situationen empfiehlt es sich auch im Enteignungsverfahren, die Beeinträchtigungen aus dem "Normverkehr" ebenfalls in Betracht zu ziehen. So wird im Falle, dass die Entschädigungspflicht bereits
BGE 110 Ib 340 S. 352
aufgrund der bestehenden Lärmbelastung zu bejahen ist, bei der Schadensfestsetzung mit Vorteil auch dem voraussehbaren Lärmzuwachs Rechnung getragen, da auf diese Weise die nachbarliche Auseinandersetzung endgültig erledigt und der Enteignete mit der Zahlung der Entschädigung abschliessend verpflichtet werden kann, die übermässigen Immissionen zu dulden (vgl. BGE 106 Ib 244/5). Übrigens kann derart auch berücksichtigt werden, dass der Immobilienmarkt auf voraussehbare zukünftige Entwicklungen häufig sofort reagiert.
Der üblicherweise den Lärm-Prognosen zugrundegelegte "Normverkehr" beläuft sich für vierspurige Nationalstrassen auf 2000 Fahrzeuge pro Stunde bei einem Lastwagenanteil von 12%, was 2400 Personenwageneinheiten pro Stunde (PWE/h) gleichgesetzt wird. Diese Normverkehrsmenge entspricht, wie die Experten dargelegt haben, nicht nur der wahrscheinlichen Verkehrsentwicklung auf bestimmten Strassenstrecken. Sie ist auch so gewählt, dass der durch dieses Verkehrsvolumen entstehende Lärm kaum noch überschritten werden kann. Nimmt nämlich der Verkehr noch zu, treten in den Spitzenstunden Verkehrsbehinderungen auf, so dass die Fahrgeschwindigkeit reduziert werden muss und auch der Lärm wieder abnimmt. Dieser Mechanismus kann allerdings nur für den Tagesverkehr spielen; der nächtliche Verkehr liegt weit unter einer maximalen Auslastung der Strassen. Da zudem die bereits erwähnte Faustregel, nach welcher eine Pegeldifferenz von 10 dB zwischen Messwerten tags und nachts bestehe, heute nicht mehr als allgemein gültig betrachtet werden kann, muss der Geräuschpegel nachts entweder gemessen oder aus auf den Einzelfall bezogenen Daten über den Nachtverkehr berechnet werden. Für Lärm-Prognosen kann - so sind die Experten hier vorgegangen - aus dem Tages-Normwert ein Nacht-Normwert berechnet werden unter der Annahme, dass das bestehende Verhältnis zwischen den stündlichen Fahrzeugmengen tags und nachts (in den vorliegenden Fällen ca. 6:1) unverändert bleibe.

6. Gemäss der bundesgerichtlichen Praxis ist die Voraussetzung der Spezialität der Lärmbeeinträchtigung gegeben, wenn der Lärmpegel den Grenzrichtwert klar überschreitet. Zwar scheint nach dem Urteil Werren eine blosse Überschreitung zu genügen (BGE 94 I 301 E. 9aa), doch hat das Bundesgericht im Falle Lehmann und Fuhrer (BGE 101 Ib 407) und bestätigend im Entscheid Keller (BGE 102 Ib 274 E. 3a) ausgeführt, die Einwirkung liege ausserhalb des Normalen, wenn der Lärm die Grenzrichtwerte
BGE 110 Ib 340 S. 353
"klar" übersteige. Darunter sei - jedenfalls wird durch die Urteilsbegründung dieser Eindruck erweckt - eine Überschreitung von 9 und mehr dB zu verstehen. Hieran hat das Bundesgericht unlängst in den Entscheiden Philipp und Mehrlin vom 15. Dezember 1982 gewisse Zweifel geäussert, ohne allerdings die Frage, wann von einer deutlichen Überschreitung des Grenzwertes ausgegangen werden dürfe, abschliessend zu beantworten. Dieser Punkt ist deshalb zu klären.
Nach den Aussagen der Gutachter sind erfahrungsgemäss Pegeländerungen von 2 dB oder weniger in der Regel nicht wahrnehmbar. Differenzen von 3 dB bilden Grenzfälle, während solche von 5 dB eindeutig wahrnehmbar sind, ohne allerdings als grosse Veränderung empfunden zu werden. Dieser Massstab gilt indessen nur bedingt auch für die Störung, stimmt doch die akustische Skala nicht notwendigerweise mit der subjektiven Störungsskala überein. Es darf nicht vergessen werden, dass eine Erhöhung des Leq oder des L50 um 3 dB auf eine Verdoppelung des Verkehrs zurückgehen und eine Erhöhung um 10 dB eine Verzehnfachung des Verkehrs, also eine drastische Veränderung bedeuten kann. Entsprechend der Empfehlung der Experten und in Übereinstimmung mit den angefochtenen Entscheiden ist daher bereits eine Überschreitung des Grenzwertes um 5 dB als klare Überschreitung anzuerkennen.

7. Während in der Schweiz seit rund zwanzig Jahren die statistischen Schallpegel L1 und L50 zur Beschreibung einer bestimmten Geräuschsituation verwendet worden sind, hat sich international der energieäquivalente Dauerschallpegel oder Mittelungspegel Leq als Lärmmass durchgesetzt. Der Leq gibt die durchschnittliche Schallintensität, den energetischen Mittelwert eines schwankenden Geräusches pro Zeiteinheit wieder. Für diesen Wert ist charakteristisch, dass die gesamte Schallenergie miteinbezogen wird; erfasst werden auch kürzeste und seltene Schallsignale, die etwa bei Anwendung von L1 ausser Betracht fallen würden. Zwar vermitteln der L1 und der L50 als Wertepaar mehr Informationen als eine Einzelgrösse. Nach Angaben der Experten hat sich indessen erwiesen, dass sich der Leq bei starkem Verkehr ähnlich verhält wie der L50, bei schwachem, insbesondere nächtlichem Verkehr dagegen parallel zum L1 verläuft. Er kann somit in gewissem Umfange die Hauptfunktionen beider statistischer Pegel übernehmen. Der Mittelungspegel weist zudem den Vorteil einer einfachen rechnerischen Handhabung auf, was Umrechnungen auf
BGE 110 Ib 340 S. 354
andere Verkehrsdaten beträchtlich erleichtert. Aus all diesen Gründen hat die Eidgenössische Kommission für die Beurteilung von Lärm-Immissionsgrenzwerten im Teilbericht 1979 für Strassenlärm den Leq als einziges akustisches Mass empfohlen. Gestützt auf den Bericht 1979 und eigene Beobachtungen haben die bundesgerichtlichen Experten beantragt, von nun an den Mittelungspegel Leq ebenfalls beizuziehen, was allerdings nicht heissen soll, dass die bisherigen Messverfahren im jetzigen Zeitpunkt fallenzulassen seien; sie können weiterhin zusammen mit den damit gemachten Erfahrungen vor allem in Grenzfällen wertvolle Entscheidungsgrundlagen abgeben. Das Bundesgericht hat sich bereits in seinen früheren Entscheiden bei der Umschreibung der Spezialität von den Darlegungen der Experten im Bericht 1963 leiten lassen und hat auch heute keinen Anlass, von den Vorschlägen der Gutachter abzuweichen. Im Enteignungsverfahren wegen Lärmimmissionen werden daher inskünftig neben den statistischen Schallpegeln auch der Leq sowie die entsprechenden Immissionsgrenzwerte zu berücksichtigen sein, die im Bericht 1979 für die vier Empfindlichkeitsstufen I-IV wie folgt festgelegt worden sind:
Zuordnung der Empfindlichkeitsstufen I-IV Immissionsgrenzwerte
zu den typischen Nutzungen
Empfindlichkeitsstufe Typische Nutzung Leq in dB(A)
der lärmbetroffenen Gebiete
Tag Nacht
I Speziell bezeichnete Ruhezonen, namentlich mit 55 45
- Krankenanstalten
- Pflegeheimen
- Kurhäusern
- Erholungsheimen
II Gebiete mit vorwiegendem Wohncharakter, 60 50
namentlich mit
- Praxis-, Büro- und Wohngebäuden
in ruhigen ländlichen oder städtischen Gebieten
- Altersheimen
- Kinderheimen
- Ferienhäusern
BGE 110 Ib 340 S. 355
- Schulhäusern
Zuordnung der Empfindlichkeitsstufen I-IV Immissionsgrenzwerte
zu den typischen Nutzungen
Empfindlichkeitsstufe Typische Nutzung Leq in dB(A)
der lärmbetroffenen Gebiete
Tag Nacht
III Lärmvorbelastete Wohngebiete, 65 55
namentlich mit
- Praxis-, Büro- und Wohngebäuden
- Gewerbebetrieben mit Wohnungen
- Kaufläden usw.
IV Industriegebiete, mit Gebäuden, die 70 60
dem längeren Aufenthalt von
Personen dienen, namentlich mit
- Abwartwohnungen
- Büro- und Laborgebäuden

8. Das Bundesgericht hat in den bereits zitierten Entscheiden Lehmann/Fuhrer und Keller erklärt, die Lärmspitzen des nächtlichen Strassenverkehrs wirkten besonders störend, wenn sie über die bei 45-50 liegende Weckschwelle deutlich hinausgingen. In den angefochtenen Entscheiden hat die Schätzungskommission ihrerseits aus dem Umstand, dass die Weckschwelle klar überschritten werde, auf das Übermass der Lärmeinwirkung geschlossen. Diese Folgerung lässt sich jedoch nach dem nun vorliegenden Gutachten nicht aufrechterhalten.
Die Experten haben dargelegt, die Beurteilung einer bestimmten Lärmsituation gestützt auf die Grenzwertschemata bedinge, dass von den selben Grundlagen und Kriterien ausgegangen werde, anhand derer die Grenzwerte festgelegt worden seien. Mit dem Argument der Weckschwelle werde indessen das reine Grenzwertdenken verlassen und der Horizont der Beurteilung erweitert. Die Frage der Schlafstörung durch Lärm sei ein seit Jahrzehnten kontroverses Thema. Ob ein Geräusch einen Schlafenden wecke, hänge von derart vielen Faktoren ab, dass verbindliche Aussagen kaum möglich seien; jedenfalls lasse sich angesichts der unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse die Annahme einer allgemein gültigen Weckschwelle von 45-50 dB nicht stichhaltig begründen. Übrigens habe es sich bei den bisherigen Untersuchungen fast ausschliesslich um Laboruntersuchungen gehandelt, bei welchen die Lärmpegel in Ohrnähe des Schlafenden gemessen worden seien. Diese könnten nicht direkt mit den L1-Pegeln im offenen
BGE 110 Ib 340 S. 356
Fenster verglichen werden, da der Lärm bis zum Ohr des Schläfers um rund 10 dB abnehme. Nach Auffassung der Experten genügt daher der Kenntnisstand für eine Beurteilung der Lärmwirkung aufgrund der Weckschwelle noch nicht, so wünschbar ein solches Vorgehen auch wäre. Auch diesen Darlegungen hat das Bundesgericht Rechnung zu tragen.

9. Im Gutachten wird vorgeschlagen, die Liegenschaft Ammann nach Schema 1963 der Geräuschzone III (gemischte Zone) und nach Schema 1979 der Empfindlichkeitsstufe III zuzuordnen. Eine Einstufung in die Industriezone IV, wie sie der Beschwerdeführer verlangt, halten die Experten angesichts des dörflichen Charakters der Umgebung nicht für angebracht. Das Grundstück Berger könne ebenfalls der Geräuschzone III, dagegen nach Schema 1979 der Empfindlichkeitsstufe II zugewiesen werden. Die niedrigere Einstufung rechtfertige sich aufgrund der Messwerte vor dem Bau der N 12, aus denen sich ein Leq tags von 54 dB ableiten lasse; dieser entspreche dem Planungswert für die Zone II. Die Experten räumen allerdings ein, dass zusätzlich der Lärm der Eisenbahn zu berücksichtigen sei. Die Geleise verliefen jedoch in einem Abstand von etwa 80 m, so dass die Lärmvorbelastung hier deutlich niedriger sei als bei der Liegenschaft Ammann. Die Liegenschaft Kleiner gehört schliesslich nach Auffassung der Gutachter zur Geräuschzone III bzw. zur Empfindlichkeitsstufe II. Eine wesentliche Lärmvorbelastung der Südwestseite des Hauses mit Wohn- und Schlafräumen habe nicht bestanden.
Diesen Vorschlägen kann sich das Bundesgericht mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich der Einstufung der Liegenschaft Berger (s. unten E. 10c) anschliessen. Die für die drei Grundstücke massgebenden Geräuschpegel (MP) sind daher folgenden Grenzwerten (GW) gegenüberzustellen:
Ammann Berger Kleiner
MP GW MP GW MP GW
Leq nachts
mittlerer Verkehr 55 55 55 50 50 50
Normverkehr 57 55 57 50 52 50
L1 nachts
(Grenzwert um 5 dB angehoben gemäss E. 4).
mittlerer Verkehr 64 60 63 60 60 60
Normverkehr 65 60 64 60 61 60
Leq tags
mittlerer Verkehr 63 65 62 60 58 60
Normverkehr 65 65 64 60 60 60
BGE 110 Ib 340 S. 357

10. Aus dem Vergleich der in der Tabelle dargestellten Werte ergibt sich:
a) Im Falle Kleiner liegt der heutige Geräuschpegel auf der Höhe der und der Immissionsgrenzwerte, überschreitet diese aber Auch der durch den "Normverkehr" verursachte Lärm würde die in der Nacht nur um weniges und jedenfalls nicht mit der Klarheit übersteigen. Die Voraussetzung der Spezialität Lärmbeeinträchtigung ist daher zu verneinen.
b) Im Falle Ammann sind die Tagesgrenzwerte eingehalten. Nachts der Leq-Wert auf bzw. um 2 dB über der kritischen Lärmschwelle. Eine klare Überschreitung des Grenzwertes ist einzig für den L1 und zwar lediglich unter Annahme des "Normverkehrs". Die können hier aber nicht als ausschlaggebend betrachtet da keine Anzeichen für eine aussergewöhnliche Zunahme des in nächster Zukunft sprechen, ist doch die N 12 schon seit Zeit durchgehend befahrbar und wird wohl die Fertigstellung der N eher zu einer Verkehrsabnahme führen. Auch auf dem Grundstück Ammann somit die Lärmeinwirkung nicht die Intensität, die einen zu begründen vermöchte.
c) Im Falle Berger schliesslich werden die Immissionsgrenzwerte deutlich überschritten, um 5 dB durch den massgebenden, um 7 dB den "Normverkehr". Dieses vom Falle Ammann abweichende Ergebnis ist allein auf die unterschiedliche Einstufung der Liegenschaft (Empfindlichkeitsstufe II) zurückzuführen; die Lärmbelastung der ist absolut gesehen etwas geringer als jene des Grundstücks Nun kann aber - wie schon angetönt - dem Einstufungs-Vorschlag Experten nur mit gewissen Bedenken gefolgt werden. Die Experten haben Antrag ausschliesslich damit begründet, dass das Resultat der vor Nationalstrassenbau durchgeführten Lärmmessung eine Zuweisung des Berger zum Gebiet mit vorwiegendem Wohncharakter rechtfertige. Es fraglich, ob sich eine Einstufung allein gestützt auf eine solche Messung vornehmen lasse, ohne beispielsweise zu dass das betreffende Grundstück gemäss Zonenplan in gemischten Zone liegt, in welcher der Grundeigentümer von einem auf den anderen durch zuziehendes Gewerbe in seiner Ruhe gestört kann, ohne dass er sich dagegen zur Wehr setzen könnte. Indessen die Frage nach der richtigen
BGE 110 Ib 340 S. 358
der Liegenschaft Berger offengelassen werden, da die des Enteigners aus einem anderen Grunde abgelehnt muss.

11. Eine Enteignungsentschädigung könnte für die Liegenschaft nur zugesprochen werden, wenn auch die - gesondert zu prüfende (vgl. E. 2) - Voraussetzung der Schwere des Schadens gegeben wäre. Dieses Erfordernis ist jedoch nicht erfüllt.
Von den Lärmimmissionen, wie sie hier bestimmt worden sind, wird einzig die oberste, nach Osten gerichtete Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung von insgesamt neun Wohnungen des Hauses Berger betroffen. Die tiefer liegenden Stockwerke werden durch den Lärmschutzwall besser abgedeckt. Das Mass der Lärmbelästigung überschreitet ausserdem nur nachts die kritische Lärmschwelle. Dem kann aber nach Aussagen der Experten schon dadurch abgeholfen werden, dass die vorhandenen Fenster geschlossen gehalten werden. Bestünde überhaupt die Möglichkeit, gestützt auf das Enteignungsgesetz die Aufwendungen für Schallschutzmassnahmen zu vergüten, so käme hier daher nur eine Entschädigung für schallgedämpfte Lüftung des Schlafzimmers, nicht aber für Schallschutzfenster in Frage. Der immissionsbedingte Schaden muss jedoch unter den gegebenen Umständen, insbesondere was seine Höhe im Verhältnis zum Gesamtwert der Liegenschaft betrifft, als gering betrachtet werden. Die Zusprechung einer Entschädigung fällt aus diesem Grunde ausser Betracht.

12. Die Beschwerden sind somit gutzuheissen und die angefochtenen Entscheide aufzuheben, soweit den Enteigneten Entschädigungen zugesprochen worden sind. Dagegen besteht kein Anlass, an der von der Schätzungskommission getroffenen Kostenregelung etwas zu ändern.
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens, eingeschlossen eine Partei- bzw. Umtriebsentschädigung an die Enteigneten, sind Art. 116 EntG entsprechend dem Enteigner aufzuerlegen. Da in den vorliegenden Fällen jedoch Abklärungen grundsätzlicher Natur getroffen worden sind, die im Interesse der Rechtsprechung liegen, ist ein Teil der Expertenkosten auf die Kasse des Bundesgerichtes zu nehmen.