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Urteilskopf

104 V 107


25. Urteil vom 7. Juli 1978 i.S. Abegg gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung

Regeste

Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung wegen verkürzter Arbeitszeit (Art. 17 Abs. 3 und 4 alt AlVV, Art. 23 Abs. 3 und 4 neu AlVV; Präzisierung der Rechtsprechung).
- Er setzt u. a. voraus, dass der Arbeitnehmer aus konjunkturellen Gründen auf die Annahme einer verkürzten Arbeitszeit angewiesen ist. Dabei können gegebenenfalls die Motive des Arbeitgebers zur Anordnung der verkürzten Arbeitszeit als Indizien für eine sachgerechte Beurteilung herangezogen werden.
- Die zeitliche Begrenzung dieser Bestimmungen bezieht sich stets auf die Dauer der vom einzelnen Arbeitnehmer selbst geleisteten verkürzten Arbeitszeit, ohne Anrechnung einer allfälligen verkürzten Arbeitszeit eines Vorgängers.

Sachverhalt ab Seite 108

BGE 104 V 107 S. 108

A.- Die Firma P. eröffnete im März 1974 ein Verkaufsgeschäft für Haushaltartikel, dessen Betrieb sie drei Angestellten anvertraute. Nachdem der Bruttoumsatz des ersten Geschäftsjahres, umgerechnet auf zwölf Monate, ca. Fr. 380'000.- betragen hatte, sank er 1975 auf Fr. 311'000.- und für das Jahr 1976 war noch ein Umsatz von ungefähr Fr. 300'000.- zu erwarten. Ab 1. Oktober 1975 bis 30. September 1976 wurde die Arbeitszeit einer Angestellten um 50% gekürzt. Mit Schreiben vom 30. August 1976 teilte die Firma P. Ursula Abegg zuhanden der Arbeitslosenkasse mit, dass sie ab 1. Oktober 1976 - anstelle der Mitarbeiterin, welche ab dem gleichen Zeitpunkt wieder voll eingesetzt wurde - "Kurzarbeit" zu leisten habe. Ursula Abegg wandte sich an die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau, welche in ihrer Verfügung vom 13. Dezember 1976 ausführte, der Umsatz der Firma P. habe sich um etwa 15% vermindert. Diese Umsatzeinbusse sowie andere Einflüsse liessen eine Verkürzung der Arbeitszeit von lediglich 25% als gerechtfertigt erscheinen; Ursula Abegg habe demgemäss ihrem Arbeitgeber gegenüber auf ihrem arbeitsvertraglichen Lohnanspruch im Ausmass von 75% zu bestehen.

B.- Gegen diese Verfügung liess Ursula Abegg durch ihre Arbeitgeberin bei der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung Beschwerde einlegen. Sie machte einen Taggeldanspruch von 50% ab 1. Oktober 1976 geltend mit der Begründung, die Verkürzung der Arbeitszeit sei erfolgt, weil die Arbeitgeberin infolge des Umsatzrückganges nicht mehr 3, sondern nur noch 2,5 Angestellte benötige und demzufolge eine der drei Angestellten nur noch zur Hälfte einsetzen könne. - Die Rekurskommission teilte in ihrem Entscheid vom 3. Februar 1977 die Auffassung der Arbeitslosenkasse und wies die Beschwerde ab.

C.- Ursula Abegg lässt im Sinne ihrer erstinstanzlichen Beschwerde Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit der zusätzlichen Begründung: Der Personalbestand habe sich gegenüber
BGE 104 V 107 S. 109
dem ersten Geschäftsjahr um genau 16 2/3% vermindert, weshalb der Personalabbau von 3 auf 2,5 Angestellte dem Umsatzrückgang des Geschäftsjahres 1976/1977 von ca. 16% entspreche. Die Berechnungsweise der Rekurskommission wäre nur dann richtig, wenn der Betrieb des Geschäftes von einem Angestellten allein aufrechterhalten würde; weil aber drei Angestellte betroffen würden und nur eine reduziert arbeiten müsse, gehe die Argumentation der Vorinstanz fehl.
Die Arbeitslosenkasse führt in ihrer Vernehmlassung aus, die Anspruchsberechtigung Ursula Abeggs auf Taggelder sei zu verneinen und sie habe die bereits erhaltenen Versicherungsleistungen zurückzubezahlen, weil feststehe, dass die Normalarbeitszeit aus betrieblichen Gründen und auf Dauer verkürzt worden sei. - Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit schliesst auf teilweise Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es komme einer Umgehung der Vorschrift des Art. 17 Abs. 3 AlVV gleich, wenn es ein Betrieb durch einen Turnus unter den Arbeitnehmern verhindern könne, dass eine verkürzte Arbeitszeit nach der Höchstdauer von 18 Monaten innerhalb von zwei Jahren zur Normalarbeitszeit werde. Die verkürzte Arbeitszeit der Vorgängerin sei daher auf jene Ursula Abeggs anzurechnen, so dass ihr Anspruch auf Entschädigung am 31. März 1977 geendet habe, weil dann die 18 Monate abgelaufen seien, während denen der Betrieb die beiden Verkäuferinnen seit 1. Oktober 1975 nacheinander habe verkürzt arbeiten lassen.

D.- Mit Schreiben vom 23. November 1977 ersuchte der Instruktionsrichter das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit um eine nähere Stellungnahme zur Frage der Abgrenzung des Begriffs der Normalarbeitszeit vom Begriff der verkürzten Arbeitszeit. Mit Eingabe vom 9. Dezember 1977 liess sich das Bundesamt dazu vernehmen. Die Arbeitslosenkasse sowie die Firma P. als Vertreterin der Ursula Abegg erhielten Gelegenheit, sich zur erneuten Vernehmlassung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit zu äussern.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Für die Beurteilung des vorliegenden Streitfalles sind die Bestimmungen anwendbar, welche bis zum 31. März 1977 in Kraft standen (Art. 38 Abs. 4 AlVB).
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2. Gemäss Art. 24 Abs. 2 lit. c AlVG hat der Versicherte Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn er unter anderem einen anrechenbaren Verdienstausfall erlitten hat. Anrechenbar ist der Verdienstausfall dann, wenn er durch einen Ausfall an normaler Arbeitszeit in einem näher umschriebenen Ausmass entsteht und der Versicherte während der Dauer des Arbeitsausfalles vermittlungsfähig ist (Art. 26 Abs. 1 AlVG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 AlVV). Laut Art. 17 Abs. 3 AlVV gilt eine verkürzte Arbeitszeit als normal, wenn die Arbeitszeit für einen ganzen Betrieb oder für einzelne Arbeitnehmer während nahezu eines Jahres gekürzt wird. Art. 17 Abs. 4 AlVV erteilt dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit die Kompetenz, die in Absatz 3 genannte Frist von "nahezu einem Jahr" unter besonderen Verhältnissen, wie namentlich bei andauernder, erheblicher Arbeitslosigkeit, zu verlängern. Das Bundesamt machte von dieser Kompetenz in seiner Verordnung vom 30. Januar 1976 Gebrauch; die Jahresfrist wurde um sechs Monate in der Weise ausgedehnt, dass die verkürzte Arbeitszeit erst dann als normal gilt, wenn sie innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren, gerechnet vom ersten Tag der Teilarbeitslosigkeit an, 18 Monate gedauert hat.

3. a) Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für den Verdienstausfall infolge Arbeitszeitverkürzung besteht für den Versicherten nur dann, wenn die verkürzte Arbeitszeit nicht von Anfang an als neue Normalarbeitszeit gilt. Dies ist unter Umständen bei periodisch sich wiederholenden Verkürzungen der Arbeitszeit der Fall (vgl. Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts i.S. Mösch vom 16. Februar 1954 (ARV 1954 Nr. 24) und i.S. Conconi vom 16. Januar 1953 (ARV 1953 Nr. 18)). In der früheren Rechtsprechung wurde eine weitere Ausnahme wie folgt formuliert: "Wird die Arbeitszeit durch Vereinbarung dauernd gekürzt und ist die Verkürzung nicht konjunkturbedingt und auch nicht als Überbrückung vorübergehender betrieblicher Schwierigkeiten gedacht, so gilt die verkürzte Arbeitszeit von Anfang an als die normale und der durch die Reduktion verursachte Verdienstausfall ist daher ebenfalls nicht anrechenbar" (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts i.S. Wild vom 4. September 1963 (ARV 1963 Nr. 26) und i.S. Muff vom 4. Oktober 1958 (ARV 1958 Nr. 70)). Bereits im Urteil Terrani vom 27. Oktober 1976 (BGE 102 V 235) wies aber das Eidg. Versicherungsgericht darauf hin, dass die Abklärung,
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ob die vom Arbeitgeber angeordnete Arbeitszeitverkürzung konjunkturbedingt und als Überbrückung vorübergehender betrieblicher Schwierigkeiten gedacht sei, für die Ausführungsorgane der Arbeitslosenversicherung nicht einfach sei.
b) Vor Erlass der angefochtenen Verfügung vertrat die Kasse in einem Schreiben an das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit die Auffassung, dass die Kurzarbeit aus "unternehmerischen Gesichtspunkten" angeordnet worden sei und "nicht aus rezessionsbedingten"; da der Arbeitsausfall nicht konjunkturbedingt sei, stelle sich die Frage, ob nicht ein Missbrauch vorliege, d.h. ob eventuell gestützt auf Art. 26 AlVG und Art. 17 AlVV die Entschädigung für die Ausfallzeit abzulehnen sei, weil die neue Arbeitszeit als Normalarbeitszeit betrachtet werden müsse. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit nahm in seiner Antwort Bezug auf den Umsatzrückgang bei der Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin, welcher allerdings eine Arbeitszeitverkürzung von 50% kaum rechtfertige, und empfahl der Kasse, diese Frage noch näher abzuklären. Es bezweifelte allerdings, dass für die Bemessung der Arbeitszeitverkürzung allein auf den Umsatzrückgang abgestellt werden dürfe. In ihrer Verfügung argumentierte hierauf die Kasse, im Hinblick auf die Umsatzentwicklung und in Anbetracht anderer Einflüsse erscheine eine "Kurzarbeit von 25% (d.h. Arbeitsausfall von 25%) als gerechtfertigt"; sie fügte bei: "Darüber hinausgehende verkürzte Arbeitszeit muss als aus unternehmerischen Gesichtspunkten angeordnete Kurzarbeit betrachtet werden, welche im Normalfall langfristig getroffen wird, unabhängig von der Rezession. Die Arbeitnehmerin hat auf ihrem Lohnanspruch zu bestehen gemäss Art. 324 OR, und der Arbeitgeber hat allenfalls unter Einhaltung der Kündigungsfrist die Normalarbeitszeit von 50% neu festzulegen."
c) In seiner zweiten Vernehmlassung an das Eidg. Versicherungsgericht kommt das Bundesamt zum Schluss, dass es vom Normzweck her grundsätzlich bedeutungslos sei, ob der Arbeitgeber aus konjunkturellen oder aus irgendwelchen andern Gründen verkürzte Arbeitszeit einführe. Indessen sei das Amt als Aufsichtsbehörde des Bundes verpflichtet, missbräuchliche Bezüge von Arbeitslosenentschädigung nach Möglichkeit zu bekämpfen; insbesondere mit Rücksicht auf Art. 28 Abs. 1 AlVG, wonach der Verdienstausfall nicht anrechenbar sei während Arbeitstagen, für die dem Versicherten Ansprüche
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gegenüber dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag zustehen, könnten die Gründe, die den Arbeitgeber zur Anordnung von Kurzarbeit veranlassten, nicht vernachlässigt werden. In diesem Zusammenhang führe auch HOLZER in seinem Kommentar zum AlVG (S. 139) aus: "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer geneigt sind, zunächst die Arbeitslosenversicherung zur Entschädigung eines Verdienstausfalles heranzuziehen, dass aber, falls die Auszahlung verweigert wird, in der Regel andere Mittel und Wege gefunden werden. Tatsächlich besteht eine Interdependenz zwischen Arbeitslosenentschädigung und Lohnanspruch." Daher würden die Arbeitgeber gestützt auf die ihnen durch Art. 23 Abs. 1 AlVG auferlegte Auskunftspflicht in Art. 15 Abs. 2 AlVV angehalten, auch bei Verkürzung der Arbeitszeit oder zeitweiliger Unterbrechung der Arbeit den Grund anzugeben. Eine Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung sollte deshalb nach wie vor nur insoweit angenommen werden, als der Versicherte aus objektiv vertretbaren Motiven, die in den wirtschaftlichen Verhältnissen lägen, auf die Lohnforderung gegenüber dem Arbeitgeber verzichtet habe.

4. a) Zweck und Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist es, den Arbeitnehmer vor den Folgen einer von ihm nicht verschuldeten Arbeitslosigkeit zu schützen, gleichgültig, aus welchen Gründen auch immer der Arbeitgeber nicht mehr die volle Arbeitszeit gewähren kann oder will. In diesem Sinne kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die vom Arbeitgeber angeordnete verkürzte Arbeitszeit - als Alternative zu Entlassungen - auf sogenannten langfristigen unternehmerischen Gesichtspunkten wie betrieblichen Umstellungen, Rationalisierungsmassnahmen usw. beruht oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie zufolge Rezession oder schlechter Betriebsführung notwendig wird. Massgebend sind nicht diese Motive als solche, sondern der Umstand, ob der Arbeitnehmer die bisherige, vereinbarte Arbeitszeit einhalten möchte, ihm aber nicht zugemutet werden kann, auf dieser Arbeitszeit zu beharren, weil er sonst Kündigung und damit zugleich Arbeitslosigkeit befürchten müsste.
Die Arbeitslosenversicherungsorgane wären übrigens in der Regel auch gar nicht in der Lage, im konkreten Fall zu beurteilen, ob ein Arbeitgeber aus anerkennenswerten konjunkturellen bzw. betrieblichen Gründen oder aus andern Motiven nicht
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mehr die volle Normalarbeitszeit gewähren kann (vgl. BGE 102 V 239 Erw. 2 in fine). Für eine sachgerechte und zuverlässige Prüfung solcher wirtschaftspolitischer und unternehmerischer Fragen würde aber auch die rechtliche Grundlage fehlen, insbesondere liesse sich eine solche Kompetenz nicht aus den Art. 7 und 15 Abs. 2 AlVV ableiten, welche zwar wohl den Arbeitgeber zur Meldung, Bescheinigung und Begründung der Arbeitszeitverkürzung verpflichten, den Arbeitslosenversicherungsorganen aber kein Recht erteilen, zu diesen Angaben beim Arbeitgeber nähere Abklärungen vorzunehmen.
b) Auf Grund dieser Erwägungen ist die bisherige Rechtsprechung dahin zu präzisieren, dass der Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Teilarbeitslosigkeit ganz beim versicherten Arbeitnehmer liegen muss; er muss aus konjunkturellen Gründen auf die verkürzte Arbeitszeit angewiesen sein. Soweit indessen die Lage auf Arbeitgeberseite überblickbar ist, können die Motive des Arbeitgebers zur Anordnung der verkürzten Arbeitszeit als Indizien für die Beurteilung herangezogen werden. Ergibt sich nämlich im konkreten Fall mit Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitgeber tatsächlich aus konjunkturellen Gründen zur Anordnung von verkürzter Arbeitszeit gezwungen ist, so wird in der Regel anzunehmen sein, dass es ihm seinerseits nicht um eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung geht und dass anderseits auch der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich zur Annahme der verkürzten Arbeitszeit gezwungen ist, wenn er nicht den Verlust der Stelle riskieren will. In einem solchen Fall stellt sich dann allerdings noch die weitere Frage, ob der Arbeitnehmer aus konjunkturellen Gründen wahrscheinlich keine andere Stelle zu finden vermöchte und deshalb auf die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses trotz verkürzter Arbeitszeit angewiesen ist.
c) Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin einen Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte. Es liegt nahe, dass die Arbeitgeberin die Arbeitszeit ihrer drei Angestellten diesem Umsatzrückgang anpassen wollte, weshalb angenommen werden darf, dass die bescheinigte Arbeitszeitverkürzung auf diesem Umstand beruht. Im übrigen enthalten die Akten keinerlei Hinweise darauf, dass in Wirklichkeit für die Beschwerdeführerin eine um 50% verkürzte Normalarbeitszeit eingeführt werden wollte. Die Kasse wird
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jedoch noch abzuklären haben, ob sich die Beschwerdeführerin aus konjunkturellen Gründen zur Beibehaltung ihrer Stelle trotz verkürzter Arbeitszeit veranlasst sehen musste, weil sie sonst eine Kündigung und damit Arbeitslosigkeit zu befürchten gehabt hätte.

5. a) Der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1976 eine Arbeitskollegin ablösen musste, welche bis zum 30. September 1976 eine um 50% verkürzte Arbeitszeit einzuhalten hatte und ab 1. Oktober wieder voll eingesetzt wurde. Die Kasse und in seiner ersten Vernehmlassung auch das Bundesamt machen diesbezüglich geltend, es käme einer Umgehung des Art. 17 Abs. 3 (bzw. Abs. 4) AlVV gleich, wenn es ein Betrieb durch Turnus unter den Arbeitnehmern verhindern könnte, dass eine verkürzte Arbeitszeit nach der anberaumten Höchstdauer zur normalen Arbeitszeit werde. Die Frist des Art. 17 Abs. 3 AlVV müsse deshalb auch gelten, wenn ein Arbeitgeber wegen Umsatzrückganges sein Personal nicht mehr voll beschäftigen könne und deshalb einen Teil seiner Angestellten abwechselnd ganz oder teilweise aussetzen lasse. Das Bundesamt verweist in diesem Zusammenhang auf einen entsprechenden Entscheid der Commission paritaire d'arbitrage du canton de Genève in ARV 1953 Nr. 65.
b) Diese Auslegung des Art. 17 Abs. 3 AlVV scheint auf den ersten Blick dem eigentlichen Sinn der Norm zu entsprechen, der in ständiger Rechtsprechung wie folgt umschrieben wurde:
"Wenn die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zeitlich nicht begrenzt würden, käme man zur Ausrichtung von eigentlichen Renten. Die Arbeitslosenversicherung hat jedoch nur den Zweck, den Verdienstausfall zu kompensieren, welchen Arbeitnehmer als Folge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit auf Grund wirtschaftlicher Umstände erleiden; sie hat nicht die Aufgabe, Verdienstausfall zu decken, der in der Person des Versicherten selbst liegt (Krankheit, Alter, Invalidität, familiäre Verhältnisse), und noch weniger, einem Unternehmen zu erlauben, in seinem eigenen Interesse Personal in Überzahl mit einer reduzierten Arbeitszeit zu behalten, wenn diese Arbeitnehmer in andern Betrieben voll arbeiten könnten. Art. 17 Abs. 3 AlVV ermöglicht daher, solchen Missbrauch zu verhindern, indem er eine Grenze setzt, über die hinaus der Versicherte nicht mehr verlangen kann, nach Massgabe seiner frühern Arbeitszeit entschädigt zu werden: nach einer gewissen Zeit, spätestens nach einem Jahr, ist seine verkürzte Arbeitszeit als Normalarbeitszeit zu betrachten." (Urteil vom 4. Februar 1975 i.S. Burnier mit Hinweisen in ARV 1975 Nr. 2; Originaltext französisch.)
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Diese Zweckumschreibung ist für den in Art. 17 Abs. 3 AlVV festgelegten Normalfall einer ununterbrochenen Teilarbeitslosigkeit von nahezu einem Jahr bzw. zur Zeit 18 Monaten problemlos. Wie nun aber das Bundesamt und die Kasse zu Recht geltend machen, ist damit die Möglichkeit eines Missbrauchs nicht auszuschliessen. Wird nämlich die verkürzte Arbeitszeit periodisch immer wieder auf eine andere Gruppe von Arbeitnehmern verlegt, kann mit einem solchen "Schichtwechsel" erreicht werden, dass in einem Unternehmen trotz ständiger verkürzter Arbeitszeit die Bestimmung des Art. 17 Abs. 3 AlVV nie zur Anwendung gelangt, weil jeweils vor Ablauf des Zeitraumes von einem Jahr bzw. 18 Monaten wieder andere, bisher voll arbeitende Betriebsangehörige auf verkürzte Arbeitszeit gesetzt werden. Um einen solchen Fall handelt es sich hier, weil die verkürzte Arbeitszeit, welche zunächst während eines Jahres - vom 1. Oktober 1975 bis 30. September 1976 - einer anderen der insgesamt drei Verkaufsangestellten auferlegt worden war, anschliessend auf die Beschwerdeführerin übertragen wurde.
Stellt man auf den Normzweck des Art. 17 Abs. 3 AlVV in der zitierten Formulierung der bisherigen Rechtsprechung ab, müsste im vorliegenden Fall bei sinngemässer Anwendung dieser Bestimmung gemäss der vom Bundesamt in seiner ersten Vernehmlassung vertretenen Auffassung die Dauer der verkürzten Arbeitszeit der Beschwerdeführerin zu derjenigen ihrer Vorgängerin hinzugezählt werden; die Dauer der grundsätzlichen Bezugsberechtigung von 18 Monaten wäre ab 1. Oktober 1975 zu berechnen und würde somit am 31. März 1977 ablaufen.
c) Eine solche Lösung hat indessen für den betroffenen Arbeitnehmer eine rechtsungleiche und auch sozial stossende Behandlung zur Folge. Die Anrechnung der Dauer der "Kurzarbeit" seines Vorgängers unter dem Titel des Art. 17 Abs. 3 AlVV führt dazu, dass die eigene verkürzte Arbeitszeit nur noch für eine beschränkte Zeit, im Extremfall - wenn der Vorgänger schon die ganze Dauer von nahezu einem Jahr bzw. 18 Monaten ausgeschöpft hat - überhaupt nicht mehr als solche anerkannt, sondern als (neue) Normalarbeitszeit behandelt wird. Von dieser Konsequenz würden zudem jeweils in erster Linie jene Arbeitnehmer betroffen, die gegebenenfalls mit Rücksicht auf ihre besonders schwierige soziale Lage erst in
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zweiter oder dritter Linie auf "Kurzarbeit" gesetzt worden sind. Schliesslich liesse sich insbesondere in grösseren Unternehmen auch kaum je zuverlässig feststellen und überprüfen, inwieweit auf die verkürzte Arbeitszeit eines bestimmten Arbeitnehmers jene eines Vorgängers anzurechnen wäre, weil eine solche Anrechnung ja nur innerhalb der gleichen Arbeitnehmerkategorie vorgenommen werden dürfte. Das Gericht hält deshalb - in Übereinstimmung mit der vom Bundesamt in seiner zweiten Vernehmlassung vertretenen Auffassung - dafür, dass die Begrenzung des Art. 17 Abs. 3 (auf nahezu ein Jahr) bzw. Abs. 4 (auf derzeit 18 Monate innerhalb zweier Jahre) alt AlVV, selbst wenn die verkürzte Arbeitszeit generell für den ganzen Betrieb gilt, stets auf die Dauer der vom einzelnen Arbeitnehmer geleisteten verkürzten Arbeitszeit zu beziehen ist, also ohne Anrechnung der allfälligen verkürzten Arbeitszeit eines Vorgängers, unter der Voraussetzung, dass auch der Nachfolger - insbesondere wenn er neu in die Firma eintritt - verkürzte Arbeitszeit im Sinne der Erw. 4b leistet. Dieser Grundsatz gilt sinngemäss desgleichen in bezug auf Art. 23 Abs. 3 und 4 neu AlVV, unter Vorbehalt von Abs. 5 dieser Bestimmung.

6. Sofern die Kasse nach Massgabe der Erw. 4c zum Schluss kommen sollte, dass die Beschwerdeführerin echte verkürzte Arbeitszeit zu leisten hatte, wird sie bei der Bemessung der Anspruchsberechtigung berücksichtigen, dass die maximale Leistungsdauer grundsätzlich 18 Monate beträgt, ohne dass die Dauer der verkürzten Arbeitszeit ihrer Vorgängerin angerechnet werden darf.

Dispositiv

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der vorinstanzliche Entscheid vom 3. Februar 1977 und die Kassenverfügung vom 13. Dezember 1976 aufgehoben. Die Sache wird an die Arbeitslosenversicherungskasse zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Prüfung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5 6

Dispositiv

Referenzen

BGE: 102 V 235, 102 V 239

Artikel: Art. 17 Abs. 3 AlVV, Art. 24 Abs. 2 lit. c AlVG, Art. 26 Abs. 1 AlVG, Art. 17 Abs. 1 AlVV mehr...