Urteilskopf
110 II 128
26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Juli 1984 i.S. Alexander Jegger gegen Regierung des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Verfügungsbeschränkungen (
Art. 960 ZGB).
Nachdem der verfügungsberechtigte Eigentümer die Anmeldung im Sinne von Art. 963 Abs. 1 ZGB vorgenommen und sich gemäss Art. 965 ZGB über das Verfügungsrecht und den Rechtsgrund ausgewiesen hat, kann eine in der Folge erlassene Verfügungsbeschränkung die Verfügung des Eigentümers nicht mehr verhindern.
A.- Am 1. Oktober 1983 wurde ein Kaufvertrag zwischen dem Verkäufer Alexander Jegger und den Käufern Max und Lina Bischoff-Müller über ein in der Gemeinde Obersaxen gelegenes Grundstück öffentlich beurkundet.
Über dasselbe Grundstück wurde am 8. Oktober 1983 ein Kaufvertrag zwischen wiederum Alexander Jegger als Verkäufer und Walter Jansen als Käufer beurkundet. Dieser Kaufvertrag wurde am 20. Oktober 1983 auf dem Grundbuchamt Obersaxen zur Eintragung des Eigentums angemeldet und dort in das Tagebuch eingetragen.
Auf Gesuch der Eheleute Bischoff-Müller erliess der Bezirksgerichtspräsident Glenner am 22. Oktober 1983 eine superprovisorische Verfügung, womit er das auf den Namen von Alexander Jegger eingetragene und von diesem verkaufte Grundstück mit einer Grundbuchsperre belegte. Gestützt auf diese Verfügung wies der Grundbuchverwalter von Obersaxen am 16. November 1983 die Anmeldung der Eigentumsübertragung von Alexander Jegger auf Walter Jansen ab.
B.- Nachdem die Regierung des Kantons Graubünden eine gegen die Verfügung des Grundbuchverwalters gerichtete Beschwerde abgewiesen hatte, setzte sich Alexander Jegger dagegen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Massgabe von Art. 103 Abs. 4 der Grundbuchverordnung beim Bundesgericht zur Wehr. Dieses hat die Beschwerde gutgeheissen, den Entscheid der Regierung des Kantons Graubünden aufgehoben und das Grundbuchamt Obersaxen angewiesen, den Kaufvertrag vom 8. Oktober 1983 zwischen Alexander Jegger und Walter Jansen im Hauptbuch einzutragen.
Aus den Erwägungen:
2. a) Wie schon der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid ausgeführt hat, gelangt im vorliegenden Fall
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB zur Anwendung und nicht, wie in der Verfügung des Bezirksgerichtspräsidenten,
Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB; denn es geht um eine Verfügungsbeschränkung zur Sicherung streitiger Ansprüche.
b) Nach der Meinung des Beschwerdeführers kann ihm, nachdem er durch Anmeldung der Eigentumsübertragung auf dem Grundbuchamt rechtsgültig verfügt hat, diese Verfügung nicht mehr durch eine Verfügungsbeschränkung verboten werden.
Die Regierung des Kantons Graubünden hat im angefochtenen Entscheid die Frage offengelassen, ob eine Verfügungsbeschränkung gemäss Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auf eine bereits im Tagebuch, aber noch nicht im Hauptbuch eingetragene Anmeldung zurückwirke. In seiner Vernehmlassung erklärt der Regierungsrat sogar, er habe den Ausführungen des Beschwerdeführers zu Art. 960 bzw. 961 ZGB "grundsätzlich nichts entgegenzuhalten".
In der Tat konnte die Verfügungsbeschränkung nach Massgabe von Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB auf die Eintragung im Hauptbuch keinen Einfluss mehr haben, nachdem das Eigentum zugunsten von Walter Jansen im Tagebuch eingetragen worden war; denn die Wirkung der Eintragungen in das Hauptbuch wird auf den Zeitpunkt der Einschreibung in das Tagebuch zurückbezogen (Art. 972 Abs. 2 ZGB). Deshalb kann, nachdem der verfügungsberechtigte Eigentümer die Anmeldung im Sinne von Art. 963 Abs. 1 ZGB vorgenommen und sich gemäss Art. 965 ZGB über das Verfügungsrecht und den Rechtsgrund ausgewiesen hat, eine in der Folge erlassene Verfügungsbeschränkung die Verfügung des Eigentümers nicht mehr verhindern.
Diese Lösung entspricht der gesetzlichen Regelung, wonach die Eintragungen im Hauptbuch nach der Reihenfolge stattfinden, in der die Anmeldungen angebracht worden sind (
Art. 967 Abs. 1 ZGB), und die zur Folge hat, dass die Rangordnung durch die Einschreibung im Tagebuch bestimmt wird (LIVER, Schweizerisches Privatrecht Bd. V/1, S. 140). Sie wird von der Lehre allgemein anerkannt (LIVER, a.a.O.; DESCHENAUX, Traité de droit privé suisse Bd. V/II 2, S. 332; LIVER, ZBJV 98/1962, S. 432; HUBER, ZBGR 44/1963, S. 120; MEISTER, Vorsorgliche Massnahmen bei
BGE 110 II 128 S. 131
immobiliarsachenrechtlichen Streitigkeiten, Zürcher Diss. 1977, S. 130 f.). Nach der Meinung der zitierten Autoren macht auch eine kantonalrechtliche Grundbuch- oder Kanzleisperre die durch die Anmeldung auf dem Grundbuchamt und durch Eintragung in das Tagebuch getroffene Eigentumsverfügung nicht mehr rückgängig. Eine solche vorsorgliche Massnahme des kantonalen Rechts kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts höchstens eine negative Wirkung entfalten, indem sie jede Verfügung des Eigentümers über das Grundstück verhindert (
BGE 104 II 178 E. 6); ist jedoch die Verfügung - durch die Anmeldung auf dem Grundbuchamt - bereits getroffen, so vermag die Grundbuch- oder Kanzleisperre dagegen nichts mehr auszurichten. Soweit das Bundesgericht in dem vom Regierungsrat in seiner Vernehmlassung angerufenen
BGE 87 I 487 E. 3 eine andere Auffassung vertreten haben sollte, könnte daran nicht mehr festgehalten werden (vgl. die Kritik des zitierten Bundesgerichtsentscheides bei LIVER, ZBJV 98/1962, S. 435 ff.; DESCHENAUX, a.a.O., S. 326).
3. Im übrigen ist der angefochtene Entscheid schon deswegen aufzuheben, weil der Grundbuchverwalter seine Prüfungsbefugnis, die sich vor allem auf die Einhaltung der erforderlichen Form erstreckt (
Art. 965 Abs. 3 ZGB;
BGE 107 II 213 E. 1), überschritten hat. Die vom Bezirksgerichtspräsidenten Glenner erlassene Verfügung stützt sich im Dispositiv ausschliesslich auf
Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB. Das kantonale Recht findet hier keinen Niederschlag, obgleich in den Erwägungen
Art. 67 ZPO angerufen wird. Da eine vorläufige Eintragung im Sinne von
Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB jedoch unzweifelhaft und unbestrittenermassen nicht in Frage kam - den Eheleuten Bischoff-Müller stand lediglich ein obligatorischer Anspruch auf Verschaffung des Eigentums zu -, hätte der Grundbuchführer der richterlichen Anordnung nicht Folge leisten sollen (
BGE 102 Ib 11). Dadurch, dass der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid erkennen liess, dass richtigerweise
Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB hätte zum Zuge kommen müssen, hernach aber vornehmlich auf die in der Anordnung des Bezirksgerichtspräsidenten übergangenen Verfahrensnormen des kantonalen Rechts abgestellt hat, hat er dem Grundbuchverwalter eine Auslegungsbefugnis zugemutet, die ihm abgeht.