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Urteilskopf

122 III 257


46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Juni 1996 i.S. T. AG gegen G. (Berufung)

Regeste

Herabsetzung des Mietzinses (Art. 270a, 269 und 269a lit. a OR).
Kriterien der Ermittlung des Nettoertrags. Anwendung dieser Grundsätze auf die Ertragsrechnung von Altbauten (E. 3).
Der Vermieter kann sich zur Abwehr eines relativ berechtigten Herabsetzungsbegehrens alternativ auf einen unzureichenden Nettoertrag oder auf die Orts- und Quartierüblichkeit des angegriffenen Mietzinses berufen (E. 4).

Erwägungen ab Seite 258

BGE 122 III 257 S. 258
Aus den Erwägungen:

3. Der Mieter kann den Mietzins als missbräuchlich anfechten und die Herabsetzung verlangen, wenn er Grund zur Annahme hat, der Vermieter erziele wegen einer wesentlichen Änderung der Berechnungsgrundlagen, namentlich einer Kostensenkung, einen übersetzten Ertrag aus der Mietsache (Art. 270a Abs. 1 i.V.m. Art. 269 und Art. 269a OR). Einem relativ berechtigten Herabsetzungsbegehren des Mieters kann der Vermieter entgegenhalten, er erwirtschafte keinen angemessenen Ertrag. Der bisherige Mietzins sei daher trotz veränderter Berechnungsgrundlagen nicht missbräuchlich (BGE 121 III 163). Die Beklagte beruft sich auf einen ungenügenden Nettoertrag. Dieser Einwand ist nach dem Gesagten zulässig. Umstritten ist im vorliegenden Fall allerdings, anhand welcher Kriterien der Nettoertrag zu beurteilen ist.
a) Beruft der Vermieter sich auf einen unzureichenden Nettoertrag, ist dieser nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung anhand der vom Eigentümer in die Liegenschaft investierten Eigenmittel zu überprüfen. Diese Nettorendite entspricht der Verzinsung des Eigenkapitals (BGE 106 II 356 E. 2, BGE 120 II 100 E. 5a). Als Eigenkapital gilt dabei die Differenz zwischen den Anlagekosten und den aufhaftenden Schulden. Zu diesem Kapital hinzugezählt werden die Amortisationen sowie die eigenfinanzierten wertvermehrenden Investitionen (ELMAR GRATZ, Mietzinsgestaltung, S. 69). Das so ermittelte Eigenkapital ist bis zu maximal 40% der gesamten Anlagekosten der Teuerung anzupassen, da dem gesetzlichen Rechnungsmodell ein standardisiertes Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital von 60% zu 40% zugrunde liegt (Art. 269a lit. e OR und Art. 16 VMWG [SR 221.213.11]; BGE 120 II 100 E. 5b, 302 E. 6a).
Die so berechnete Nettorendite ist angemessen, wenn sie die Zinssätze für erste Hypotheken der schweizerischen Grossbanken nicht um mehr als 1/2% übersteigt (BGE 112 II 149 E. 2b). Der daraus resultierende Mietzins entspricht der Kostenmiete.
b) Die Beklagte will den zulässigen Nettoertrag aus der Mietsache indessen nicht anhand ihrer eigenen Investitionen, sondern anhand des aktuellen Gebäudeversicherungswerts als Zustandswert des Objekts berechnet wissen.
aa) In der Literatur ist insbesondere bei Altbauten oder Bauten, deren Erstellung oder Erwerb längere Zeit zurückliegt, umstritten, ob die Angemessenheit des Mietzinses ebenfalls anhand der oben dargestellten
BGE 122 III 257 S. 259
Nettoertragsrechnung zu beurteilen ist. Zugegebenermassen können besondere Schwierigkeiten auftreten, wenn im Rahmen dieser Berechnung das investierte Eigenkapital zu bestimmen ist: In diesen Fällen kann vorkommen, dass entweder Belege fehlen oder die Teuerungsaufrechnung zu irrealistischen wirtschaftlichen Werten führt (vgl. zum Ganzen LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992, S. 196 Ziff. 3.6; LACHAT/MICHELI, Le nouveau droit du bail, 2. Aufl. 1992, S. 207 Ziff. 5.7; PETER ZIHLMANN, Das Mietrecht, 2. Aufl. 1995, S. 136; SVIT-Kommentar zum Mietrecht, N. 5 f. zu Art. 269 OR; PHILIPPE RICHARD, Articles 269 CO et 269a CO; méthodes absolue et relative; rapport entre les articles 269 CO et 269a CO; état de la question, in: Cahiers du bail 1992, S. 66 ff., S. 73 f.; SCHMID, Zürcher Kommentar, N. 34 zu Art. 262 aOR; BERNARD CORBOZ, Le loyer abusif au sens de l'AMSL, in BauR 1982, S. 27 ff., S. 31; ELMAR GRATZ, a.a.O., S. 71).
Zur Lösung dieses Konflikts wird die Auffassung vertreten, der Anlagewert sei anhand des aktuellen Erstellungswerts des Mietobjekts zu ermitteln, da es häufig an vergleichbaren Mietobjekten fehle. Der aktuelle Erstellungswert orientiere sich dabei an den heutigen aktualisierten Baukosten. Von diesem Wert sei ein Faktor für die Altersentwertung sowie den Unterhaltszustand des Mietobjekts abzuziehen. Zu diesem Zwischentotal sei der Bodenwert hinzuzurechnen, entweder der gesamte Wert (so die Chambre d'appel en matière de Baux et Loyers du Canton de Genève vom 22. Mai 1995 in Cahiers du bail 1995, S. 110 ff.) oder maximal 20% des aktuellen Gebäudewerts (d.h. der Baukosten abzüglich eines Alters- und Zustandsfaktors; LACHAT/STOLL, a.a.O., S. 198; LACHAT/MICHELI, a.a.O., S. 209) oder letztlich ein Wert entsprechend der Vergleichsbodenwerte (PHILIPPE RICHARD, a.a.O., Cahiers du bail 1992, S. 74).
bb) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung sowie die Mehrheit der Autoren lehnen das Abstellen auf den Verkehrs- oder Realwert, den Steuerwert oder Versicherungswert als unzulässig ab (vgl. BGE 112 II 149 E. 3c; auch ELMAR GRATZ, a.a.O., S. 71; LACHAT/STOLL, a.a.O., S. 196; LACHAT/MICHELI, a.a.O., S. 207). Der Steuerwert ist untauglich, da er von den zu überprüfenden Mietzinsen abhängt (LACHAT/STOLL, a.a.O., S. 196; LACHAT/MICHELI, a.a.O., S. 207). Der Real- oder Verkehrswert der Liegenschaft kann ebenfalls nicht massgebend sein, da er zu ungerechtfertigten Inflationsgewinnen führen könnte (SCHMID, a.a.O., N. 34 zu Art. 262 aOR). Die Berücksichtigung des Gebäudeversicherungswerts sodann ist ausgeschlossen, weil er seinerseits auf Vergleichswerten und damit auf Kriterien der Marktmiete beruht. Zudem
BGE 122 III 257 S. 260
gibt er lediglich eine ungefähre Summe an, zu welchen Kosten ein gleichartiges Objekt wiedererstellt werden könnte. Gleiches gilt schliesslich für den aktuellen Erstellungswert; dieser ergibt wiederum nicht die tatsächlichen Investitionen des Eigentümers, sondern stützt sich auf marktmässige Kriterien.
Mithin ist festzuhalten, dass die postulierten Methoden für die Ermittlung der Anlagekosten und damit des zulässigen Nettoertrags nicht geeignet sind. Sie gründen auf objektivierten Werten, die insoweit vom Grundsatz der Kostenmiete abweichen. Nach dem Gesagten ist der zulässige Nettoertrag einzig anhand individueller kostenmässiger Faktoren, namentlich der konkreten Investitionen des Eigentümers in das Mietobjekt sowie dessen individuellen Kosten zu berechnen. Lediglich diese Art der Berechnung des zulässigen Nettoertrags steht mit dem geltenden Recht in Einklang. Demgegenüber sind alle objektiven (Investitions-)Kriterien in die Marktmiete zu verweisen. Die Berücksichtigung eines objektivierten Liegenschaftswerts ist daher im Rahmen der Nettoertragsrechnung, welche auf individuellen Kostenfaktoren beruht, ausgeschlossen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob es sich um eine Altbaute handelt oder nicht.
cc) Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) auf einen unzureichenden Nettoertrag berufen und im Rekursverfahren gefordert, die Anlagekosten seien anhand des aktuellen Gebäudeversicherungswerts zu ermitteln. Sie hat sich dabei einerseits auf die Kostenmiete bzw. einen ungenügenden Nettoertrag berufen, anderseits geltend gemacht, dieser sei anhand eines objektivierten Liegenschaftswerts zu berechnen. Damit vermengt sie die Kriterien der Kosten- und Marktmiete, was nach dem Gesagten unzulässig ist. Die zulässige Kostenmiete kann nicht mit marktmässigen Faktoren ermittelt werden. Dem Obergericht ist daher keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, wenn es gestützt auf die Einrede des unzureichenden Nettoertrags folgerichtig eine individuelle Ertragsberechnung durchführt. Für eine Berücksichtigung von Elementen, die sich auf die Marktmiete beziehen, verbleibt insoweit kein Raum. Die Berechnung als solche gibt die Beklagte zu Recht nicht als bundesrechtswidrig aus.

4. Können objektivierte Werte nur im Bereich der Marktmiete berücksichtigt werden, dort allerdings nach der gesetzlichen Ordnung nur im Rahmen der Orts- und Quartierüblichkeit, lässt sich die Frage aufwerfen, ob der
BGE 122 III 257 S. 261
Vermieter sich gegenüber einem Herabsetzungsbegehren des Mieters auch auf die Orts- und Quartierüblichkeit des angegriffenen Mietzinses (Art. 269a lit. a OR) berufen kann.
a) In einem Teil der Literatur wird gefordert, dem Vorwurf des übersetzten Ertrags solle nicht nur mit einer kostenmässigen Ertragsberechnung nach Art. 269 OR, sondern auch mit dem Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit des geforderten Mietzinses begegnet werden können (JEAN-PIERRE TSCHUDI, in MRA 1994, S. 22). Namentlich die Anlagekosten von Altbauten seien anhand der orts- und quartierüblichen Mietzinse zu ermitteln; dieser Jahresmietzins sei sodann mit einem für die Ertragswertberechnung üblichen Zinssatz zu kapitalisieren und der daraus resultierende Betrag in der Renditeberechnung als Anlagewert einzusetzen (ELMAR GRATZ, a.a.O., S. 71; PHILIPPE RICHARD, a.a.O., Cahiers du bail 1992, S. 73).
Das Bundesgericht hat unter altem Recht die Berücksichtigung der Orts- und Quartierüblichkeit zugelassen (BGE 112 II 149 E. 3d). Auch wenn dieser Fall eine Mietzinserhöhung betraf, ist der absolute Einwand der Marktmiete auch zur Abwehr eines Herabsetzungsbegehrens zulässig. Dies aus folgenden Gründen:
aa) Nach Art. 270a Abs. 1 OR kann der Mieter die Herabsetzung verlangen, wenn der Vermieter wegen einer wesentlichen Änderung der Berechnungsgrundlagen einen nach Art. 269 und Art. 269a OR übersetzten Ertrag aus der Mietsache erzielt. Art. 269 OR regelt dabei die Kostenmiete nach Massgabe des Nettoertrags, Art. 269a lit. a OR die Marktmiete nach Massgabe der Orts- und Quartierüblichkeit. Der Wortlaut von Art. 270a OR lässt mit dem Verweis auch auf Art. 269a OR den Schluss zu, der Einwand der Orts- und Quartierüblichkeit sei im Herabsetzungsverfahren zulässig.
bb) Die Marktmiete steht erfahrungsgemäss bei Altliegenschaften im Vordergrund, für welche Investitionsbelege fehlen oder keinen sachgerechten Bezug zur Realität mehr haben (vgl. SVIT-Kommentar zum Mietrecht, N. 4 der Vorbem. zu Art. 269-269d OR). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die langjährigen Eigentümer von Altbauten durch die Missbrauchsgesetzgebung gegenüber den Neuerwerbern nicht benachteiligt und daher eine gewisse Angleichung von Alt- und Neuzinsen ermöglicht werden (Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts, BBl 1985 I 1389 ff., 1488 f.; Sten.Bull. NR 1989, 514 f.). Dazu dient das Kriterium der Orts- und Quartierüblichkeit. Es erlangt dabei allgemeine Bedeutung, und zwar absolut wie - allerdings selten - relativ, indem unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Anpassung an die orts- und quartierüblichen
BGE 122 III 257 S. 262
Zinsen im laufenden Mietverhältnis möglich ist (vgl. BGE 118 II 130 E. 3). Damit ist auch teleologisch geboten, der Marktmiete im Rahmen eines Herabsetzungsbegehrens Rechnung zu tragen.
cc) Wird schliesslich die Anfangsmiete allein marktmässig festgelegt und liegt diese Marktmiete (bei Altbauten) über der Kostenmiete, hätte der Ausschluss des Einwands aus der Marktmiete im Herabsetzungsverfahren zur Folge, dass hier dem Begehren um Mietzinsherabsetzung stets stattzugeben wäre, weil eben der absolute Einwand aus der Kostenmiete von vornherein versagt. Dies führte zu einer Ungleichbehandlung einzelner Vermieter, die auch im Rahmen der Missbrauchsgesetzgebung nicht zu begründen ist. Gleiches gilt für die Auffassung, den Einwand aus der Orts- und Quartierüblichkeit zwar im Mietzinserhöhungsverfahren oder bei der Anfechtung des Anfangsmietzinses (BGE 120 II 240, 121 III 364 E. 4b) zuzulassen, nicht aber im Herabsetzungsverfahren. Dies widerspricht dem Grundsatz der Waffengleichheit, der bereits bei der allgemeinen Zulassung des absoluten Einwands gegenüber relativ begründeten Herabsetzungsbegehren als massgeblich erachtet wurde.
b) Gestützt darauf ist die Berufung auf die Orts- und Quartierüblichkeit des angefochtenen Mietzinses zur Abwehr eines Herabsetzungsbegehrens grundsätzlich zuzulassen. Der Vermieter, der sich darauf beruft, hat dabei die vergleichbaren, ihrerseits nicht missbräuchlichen Mietzinse zu behaupten und zu beweisen (Art. 8 ZGB). Er hat die Orts- und Quartierüblichkeit substantiiert, unter Beachtung des von der Rechtsprechung verlangten Nachweises nicht missbräuchlicher Mietzinse für vergleichbare Objekte darzutun. Dies kommt im vorliegenden Fall allerdings nicht zum Tragen, da die Beklagte sich nach dem Gesagten einzig auf die Kostenmiete berufen hat.

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Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 112 II 149, 120 II 100, 121 III 163, 106 II 356 mehr...

Artikel: Art. 269 und Art. 269a OR, Art. 270a, 269 und 269a lit. a OR, Art. 269a lit. e OR, Art. 16 VMWG mehr...