81 III 98
Urteilskopf
81 III 98
28. Entscheid vom 30. August 1955 i.S. Lang und Hess.
Regeste
1. Wann ist ein nicht auf den Namen des betriebenen Schuldners eingetragenes Grundstück zu pfänden? Ausser den in Art. 10 Abs. 1 VZG vorgesehenen Fällen kommt die nach Art. 285 ff. SchKG anfechtbare Veräusserung durch den Schuldner an den jetzt eingetragenen Eigentümer in Betracht.
2. Hatte der Schuldner das Grundstück dem Rechtsvorgänger des jetzt eingetragenen Eigentümers laut rechtskräftigem Urteil in anfechtbarer Weise veräussert, und war vor dem Übergang auf den gegenwärtigen Eigentümer bereits eine Verfügungsbeschränkung nach Art. 960 Ziff. 1 ZGB zugunsten des Gläubigersvorgemerkt, so ist das Grundstück unter Vorbehalt eines Widerspruchsverfahrens über die Gültigkeit und die Wirkungen der Vormerkung zu pfänden.
A.- Das Grundstück Nr. 104 in Aesch (Luzern) ging infolge Kaufvertrages vom 20. April 1943 in das Eigentum der Frau Karolina Lang-Waller über. Diese schuldet dem Verkäufer Heinrich Stocker laut rechtskräftigem Urteil vom 12. Dezember 1945 einen restlichen Preisbetrag von Fr. 2500.--. Noch während des Forderungsprozesses belastete sie das Grundstück mit einer Pfandverschreibung zugunsten ihres Ehemannes Jakob Lang für ein Darlehen von Fr. 3000.-- und verkaufte es dann an Otto Gürber. In der für jene Preisforderung angehobenen Betreibung ging Stocker leer aus; er erhielt am 6. September 1946 einen definitiven Verlustschein im Betrage von Fr. 3005.95. Nun focht er mit Erfolg die von der Schuldnerin vorgenommene Grundpfandbelastung wie auch den Verkauf
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des Grundstückes an Gürber an (Urteile des luzernischen Obergerichtes vom 11. Juli 1951 und 13. Januar 1954). Gegen Gürber hatte er am 23. August 1949, vor Anhebung des Anfechtungsprozesses gegen ihn, eine gerichtliche Anordnung des Inhaltes erwirkt, dass auf dem in Frage stehenden Grundstück im Grundbuch eine Verfügungsbeschränkung "zur Sicherung der Ansprüche des Petenten in der Höhe von Fr. 3000. -" vorzumerken sei. Die Vormerkung vom 25. gleichen Monats lautet: "Verfügungsbeschränkung gemäss Art. 960 Ziff. 1 ZGB z. G. Stocker Heinrich, Aesch".
B.- Gürber verkaufte das Grundstück während des gegen ihn angehobenen Anfechtungsprozesses an Robert Hess weiter, der am 8. Januar 1954 als neuer Eigentümer eingetragen wurde. Die Schuldnerin versuchte den Verlustschein vom 6. September 1946 auf dem Beschwerdewege nichtig erklären zu lassen, was ihr aber nicht gelang (BGE 80 III 74). Als nun Stocker das Grundstück für die Verlustscheinsforderung pfänden lassen wollte, widersetzte sich Hess dem Vollzuge, und das Betreibungsamt hielt daher das Pfändungsbegehren für nicht vollziehbar. Es wurde dann aber auf Beschwerde des Gläubigers von der untern Aufsichtsbehörde angewiesen, das Grundstück zu pfänden, und die von der Schuldnerin und vom derzeit eingetragenen Grundeigentümer Hess angerufene obere kantonale Aufsichtsbehörde bestätigte diese Anordnung mit Entscheid vom 22. Juni 1955, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Das nicht mehr auf den Namen der Schuldnerin eingetragene Grundstück kann unter besondern Umständen gleichwohl gepfändet werden, namentlich wenn der Gläubiger (gemäss Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 VZG) glaubhaft macht, dass der Grundbucheintrag unrichtig ist. Das trifft nun zunächst gegenüber dem Rechtsvorgänger des jetzt eingetragenen Eigentümers Hess, Otto Gürber, zu, denn er ist gemäss rechtskräftigem Anfechtungsurteil verpflichtet, das Grundstück zur Zwangsvollstreckung für die Verlustscheinsforderung des Heinrich
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Stocker zur Verfügung zu stellen. An dieses Urteil ist aber auch Hess gebunden, weil die zugunsten des Gläubigers vorgemerkte Verfügungsbeschränkung auch ihm gegenüber wirkt. Die Einwendung, die Verfügungsbeschränkung sei ungültig, weil zur Sicherung von Geldforderungen bestimmt, geht fehl; denn nach der Begründung der richterlichen Anordnung handelte es sich um die Sicherung eines paulianischen Anfechtungsanspruches, was durch solche Vormerkung geschehen darf (Homberger, N. 11 zu Art. 960 ZGB). Auch die summarische Formulierung der Vormerkung macht sie nicht unwirksam; sie wird durch die Belege erläutert. - Endlich bemerkt das Obergericht, nach der Pfändung werde nicht etwa ein Widerspruchsverfahren einzuleiten sein; denn die Rechtskraft des im Anfechtungsstreit ergangenen Urteils dürfe nicht mehr in Frage gestellt werden.
C.- Gegen diesen Entscheid haben die Schuldnerin und Hess rekurriert. Sie halten daran fest, dass die Pfändung unzulässig und die Beschwerde des Gläubigers unbegründet sei. Eventuell beantragen sie die Anordnung eines Widerspruchsverfahrens mit Klägerrolle des Gläubigers nach Art. 109 SchKG.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. In welchen Fällen ein nicht auf den Namen des betriebenen Schuldners eingetragenes Grundstück gleichwohl gepfändet werden darf, ist in Art. 10 Abs. 1 VZG näher bestimmt. Hier kommt nur Ziff. 3 daselbst in Frage, wonach ein solches Grundstück der Pfändung unterliegt, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass der Grundbucheintrag unrichtig ist. Der angefochtene Entscheid bejaht diese Voraussetzung im vorliegenden Falle, weil der bestehende Eintrag auf Robert Hess das wirkliche Rechtsverhältnis nicht richtig wiedergebe. Denn nach dem im Anfechtungsprozess gegen Gürber ergangenen Urteil vom 13. Januar 1954 sei für den Gläubiger die
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Rechtslage die gleiche, wie wenn das Grundstück noch im Eigentum der Schuldnerin stünde. Gürber habe nach diesem Urteil nur formell als Eigentümer gelten können, der Gläubiger habe aber das Grundstück als Eigentum der Schuldnerin in Anspruch nehmen dürfen. Insoweit habe der Grundbucheintrag des Rechtsgrundes entbehrt und sei demnach unrichtig gewesen, was nun kraft der zugunsten des Gläubigers vorgemerkten Verfügungsbeschränkung auch gegenüber dem derzeit eingetragenen Hess gelte.Diese Erwägungen legen indessen der Anfechtungsklage Wirkungen bei, die ihr nicht zukommen. Die Anfechtung nach Art. 285 ff. SchKG betrifft keineswegs die materielle Gültigkeit der Übertragung und zielt gar nicht darauf ab, den Eintrag des Eigentums auf den Dritten als unrichtig, d.h. ungerechtfertigt im Sinne von Art. 974/975 ZGB erklären zu lassen. Die durch das Urteil gegen Gürber erwiesene Anfechtbarkeit des Kaufvertrages hat den Übergang des Eigentums auf ihn nicht gehindert, sondern bloss ein auch ihm gegenüber wirksames Beschlagsrecht des Gläubigers Stocker begründet (vgl.BGE 47 III 92). Somit liegt der in Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 VZG vorgesehene Fall hier nicht vor. Allein diese Vorschrift erweist sich als zu eng. Dem gesetzgeberischen Grund, auf dem sie beruht, ist weitergehend Rechnung zu tragen durch analoge Berücksichtigung des Falles einer vom Schuldner in anfechtbarer Weise vorgenommenen Übertragung. Das dem Art. 10 VZG zugrunde liegende, allen daselbst genannten Tatbeständen gemeinsame Motiv ist die entgegen dem Grundbucheintrag bestehende Möglichkeit der Zwangsvollstreckung, das Recht also, auf ein nicht auf den Betriebenen als Eigentümer eingetragenes Grundstück zu greifen. Ein solches Beschlags- und Verwertungsrecht besteht nun aber nicht nur in den in Art. 10 VZG vorgesehenen Fällen, sondern ebenso bei der erfolgreichen Anfechtung eines Kaufvertrages, durch den sich der Schuldner einer Sache entäussert hat. Dergestalt findet
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Art. 10 VZG in den Bestimmungen über die Anfechtungsklage (Art. 291 SchKG) die notwendige Ergänzung. Ob bei Anrufung eines Anfechtungstatbestandes ebenfalls blosse Glaubhaftmachung genüge, um die Pfändung zu rechtfertigen, oder ob es hiezu eines rechtskräftigen die Anfechtbarkeit bejahenden Urteils bedürfe, mag hier dahingestellt bleiben.
2. Hätte somit das im Anfechtungsprozess von Stocker erstrittene Urteil einen Rechtstitel zur Pfändung des Grundstücks gegenüber dem Anfechtungsbeklagten Gürber gebildet, so bleibt zu prüfen, ob auch Hess, der in den Anfechtungsprozess nicht verwickelt war, die Pfändung dulden müsse. Damit wird die Frage nach der Gültigkeit und Tragweite der schon lange vor dem Eigentumserwerb des Hess zugunsten des Gläubigers vorgemerkten Verfügungsbeschränkung aufgeworfen. Denn ohne diese Vormerkung könnte das gegen Gürber ergangene Urteil nicht auch gegen Hess wirken. Dieser müsste vielmehr selber (als bösgläubiger Dritter) gemäss Art. 290 SchKG auch noch mit einer Anfechtungsklage belangt werden.
Nun erscheint mindestens als glaubhaft gemacht, dass Hess infolge der erwähnten Vormerkung sich die Pfändung des von Gürber anfechtbar erworbenen Grundstückes ebenfalls gefallen lassen muss. Denn vorgemerkt ist (und war bereits zur Zeit des Eigentumsüberganges auf Hess) eine Verfügungsbeschränkung zugunsten des Gläubigers Stocker. Freilich lässt das Dispositiv der ihr zugrunde liegenden gerichtlichen Anordnung nicht klar erkennen, welcher Art der durch die Vormerkung zu sichernde Anspruch sei. Erst den Erwägungen ist zu entnehmen, dass es um eine von Stocker beabsichtigte Anfechtung des zwischen der Schuldnerin und Gürber abgeschlossenen Kaufvertrages ging. Das genügt aber, um die mit der Vormerkung gewünschte Wirkung "gegenüber jedem später erworbenen Rechte" gemäss Art. 960 Abs. 2 ZGB glaubhaft zu machen. In der Lehre ist anerkannt, dass
BGE 81 III 98 S. 104
auch Anfechtungsansprüche durch Vormerkung auf Grund von Art. 960 Ziff. 1 ZGB sichergestellt werden können (Homberger, N. 11 hiezu), worauf die vorinstanzliche Entscheidung mit Recht hinweist.
3. Ist die Pfändung somit vorzunehmen, so wird dann aber entgegen der Ansicht der kantonalen Aufsichtsbehörde das in Art. 10 Abs. 2 VZG vorbehaltene Widerspruchsverfahren auch im vorliegenden Falle einzuleiten sein. Gewiss wäre für ein solches Verfahren kein Raum, wenn das Grundstück noch im Eigentum des Anfechtungsbeklagten Gürber stünde. Dieser könnte das im Anfechtungsprozesse rechtskräftig anerkannte Beschlags- und Verwertungsrecht des Gläubigers für die Verlustscheinsforderung nicht neuerdings in Frage stellen, wie sich aus dem von der Vorinstanz angeführten Entscheide (BGE 44 III 6f.) ergibt. Über die Gültigkeit der Vormerkung und über deren Wirkungen gegenüber dem neuen Eigentümer Hess ist aber noch kein Urteil ergangen. Den betreibungsrechtlichen Aufsichtsbehörden steht nicht zu, über dessen Einwendungen endgültig (abgesehen von der oben erörterten Glaubhaftmachung) zu entscheiden. Das kann nur in einem sich an die Pfändung anschliessenden Verfahren, eben im Widerspruchsverfahren der Art. 106 ff. SchKG, geschehen. Freilich wird, wenn Hess es auf den Prozess ankommen lässt, die Anfechtbarkeit des Kaufvertrages Lang/Gürber infolge des zwischen diesen Parteien ergangenen Urteils als feststehend zu gelten haben (vgl. LEUCH, N. 11 c zu Art. 192 der bernischen ZPO, über die sog. Tatbestandswirkung des Urteils gegenüber Dritten). Es wird dann im neuen Verfahren nur zu entscheiden bleiben, ob die Verfügungsbeschränkung in der vorliegenden Fassung genügt, um die damit beabsichtigte Wirkung gegenüber neuen Erwerbern des Grundstückes zu entfalten.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
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