96 II 266
Urteilskopf
96 II 266
39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Oktober 1970 i.S. Zuber und Heimgartner gegen Hauri.
Regeste
Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen.
Art. 68 Abs. 1 OG.
Die beim Appellationshof des Kantons Bern eingereichte Nichtigkeitsklage gegen die im summarischen Verfahren getroffenen Entscheide des Gerichtspräsidenten im Kanton Bern ist keinordentliches Rechtsmittel. Nicht der Entscheid des Appellationshofes, sondern jener des Gerichtspräsidenten ist somit der letztinstanzliche im Sinne des Art. 68 Abs. 1 OG (Erw. 1).
Werkvertrag.
Art. 367 Abs. 2 OR. Ortliche Zuständigkeit des Richters zur Ernennung von Sachverständigen (Erw. 2 und 3).
A.- Peter Hauri in Luzern erstellte aufeinem Teil des Grundstückes Nr. 334 im Hasliberg (Kanton Bern) auf Grund einer Vereinbarung, die er mit Urs Zuber getroffen hatte, ein Ferienhaus und verkaufte es samt Umschwung am 9. Juni 1969 als Grundstück Nr. 1775 dem Zuber. Im gleichen Jahre baute er ein auf dem Rest des Grundstückes 334 stehendes Ferienhaus nach den Wünschen des Paul Heimgartner um und verkaufte diesem die Liegenschaft.
Zuber und Heimgartner behaupten, diese Häuser wiesen Mängel auf. Am 19. Februar 1970 beantragten sie dem Gerichtspräsidenten von Oberhasli unter Berufung auf Art. 367 Abs. 2 OR und Art. 322 ff. bern. ZPO, den Zustand der beiden Bauwerke durch Sachverständige prüfen zu lassen und ihn festzuhalten.
Der Gerichtspräsident fasst die Eingabe als Gesuch um vorsorgliche Beweisführung im Sinne der Art. 222 ff. ZPO auf,
BGE 96 II 266 S. 268
das den Art. 322 ff. ZPO nicht unterstehe und gemäss Art. 223 Abs. 1 ZPO an den Gerichtspräsidenten des Bezirkes zu richten gewesen wäre, wo die örtliche Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben sei, also an den Richter in Luzern. Er erkannte deshalb am 5. Juni 1970: "Das Gesuch um Durchführung einer vorsorglichen Beweisführung wird zurückgewiesen."
B.- Zuber und Heimgartner führen gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 68 OG. Sie beantragen, ihn aufzuheben und festzustellen, dass der Gerichtspräsident von Oberhasli zur Beurteilung des Gesuches um Ernennung von Sachverständigen gemäss Art. 367 Abs. 2 OR örtlich zuständig sei, eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Gerichtspräsident von Oberhasli beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Er bleibt bei der im angefochtenen Entscheid vertretenen Auffassung und fügt bei, man könnte sich fragen, ob dieser Entscheid nicht ein instanzabschliessender Vorentscheid sei, der mit der Appellation gemäss Art. 333 ff. ZPO oder mit einer Nichtigkeitsklage gemäss Art. 360 ZPO wegen Verletzung klaren Rechts hätte weitergezogen werden müssen, was zur Folge hätte, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten wäre.
Hauri nimmt weder in seiner Vernehmlassung vom 7. August 1970 noch in seiner Antwort vom 21. März 1970 an den Gerichtspräsidenten, auf die er verweist, zur Frage des Gerichtsstandes Stellung. Er bestreitet nur, die Verträge nicht richtig erfüllt zu haben.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 367 Abs. 2 OR ist jede Partei eines Werkvertrages berechtigt, auf ihre Kosten eine Prüfung des Werkes durch Sachverständige und die Beurkundung des Befundes zu verlangen. Diese Massnahme ist im Kanton Bern durch den Gerichtspräsidenten zu treffen (Art. 2 EG ZGB; Art. 2 Ziff. 5 ZPO), und zwar im summarischen Verfahren (Art. 322 ZPO). Die Beschwerdeführer haben sich in ihrer Eingabe an den Gerichtspräsidenten ausdrücklich auf diese Bestimmungen berufen, also nicht eine vorsorgliche Beweisführung im Sinne der Art. 222 ff. ZPO beantragt, sondern eine im eidgenössischen Recht (Art. 367 Abs. 2 OR) vorgesehene Massnahme.
Gegen den Entscheid, durch den der Gerichtspräsident dieses
BGE 96 II 266 S. 269
Gesuch zurückwies, war die Appellation nicht zulässig (Art. 314 in Verbindung mit Art. 336 Abs. 2 ZPO; CHATELAIN, ZBJV 84 72 f.). Dass der Gerichtspräsident meinte, die Beschwerdeführer verlangten eine vorsorgliche Beweisführung im Sinne des kantonalen Rechts, ändert nichts. Die ZPO bestimmt weder in Art. 222 ff. noch in Art. 333 ff., dass gegen die Ablehnung einer vorsorglichen Beweisführung appelliert werden könne. Art. 335 ZPO, der die Appellation gegenüber Endurteilen und gegenüber Entscheiden über Vor- und Zwischenfragen zulässt, betrifft nur Urteile in der Sache (LEUCH Art. 335 N. 1) sowie Vor- und Zwischenentscheide des erkennenden, d.h. zur Beurteilung eines Rechtsstreites angerufenen Richters. Gesuche um vorsorgliche Beweisführung zielen nur auf die Erhebung von Beweisen ab, nicht auf die Würdigung derselben und die Beurteilung eines Rechtsstreites (LEUCH Art. 222 N. 1 und 3).Gegen die im summarischen Verfahren getroffenen Entscheide kann dagegen gemäss Art. 360 ZPO Nichtigkeitsklage erhoben werden (Art. 314 ZPO). Sie ist ausser in dem hier nicht vorliegenden Falle der Ziffer 1 des Art. 360 nur zulässig, wenn der Entscheid klares Recht verletzt, indem er mit einer bestimmten Gesetzesvorschrift des Zivil- oder Prozessrechtes in Widerspruch steht oder sich auf eine offenbar unrichtige Akten- oder Beweiswürdigung gründet (Art. 360 Ziff. 2). Sie ist also nicht ein ordentliches Rechtsmittel, das dem Appellationshof die umfassende Überprüfung des angefochtenen Entscheides erlauben würde (MATTI, ZBJV 6510; LEUCH Vorbem. zu Art. 359 ff.). Der Entscheid des Gerichtspräsidenten, nicht der Entscheid des Appellationshofes, den die Beschwerdeführer durch Nichtigkeitsklage hätten erlangen können, ist somit der letztinstanzliche im Sinne des Art. 68 Abs. 1 OG (BGE 63 II 104, BGE 69 II 124 f., BGE 72 II 335 /336; ferner namentlich das schon in BGE 63 II 104 zitierte nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtes vom 3. Mai 1932 i.S. Radaelli und Möhrle c. Reo Reklame AG).
Gegen den Entscheid des Gerichtspräsidenten ist die Berufung an das Bundesgericht schon deshalb nicht zulässig, weil der Gerichtspräsident als einzige, aber nicht vom Bundesrecht vorgesehene kantonale Instanz entschieden hat ( Art. 48 Abs. 1 und 2 OG ; LEUCH Art. 314 N. 1 Abs. 2).
Der Entscheid kann daher mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden (Art. 68 Abs. 1 OG; LEUCH Art. 314 N. 1 Abs. 2).
2. Art. 367 Abs. 2 OR sagt nicht ausdrücklich, welche Behörde örtlich zuständig sei, das Werk durch Sachverständige prüfen zu lassen und den Befund zu beurkunden. Dem Sinne nach kann diese Bestimmung jedoch nur die Behörde am Orte der Ablieferung des Werkes mit diesen Massnahmen betrauen wollen. Der zweite Absatz des Art. 367 hängt mit dem ersten zusammen, der den Besteller verpflichtet, nach der Ablieferung des Werkes, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist, dessen Beschaffenheit zu prüfen und den Unternehmer von allfälligen Mängeln in Kenntnis zu setzen. Die Prüfung durch Sachverständige und die Beurkundung des Befundes dienen der Sicherung des Beweises, dass das Werk bei der Ablieferung mangelhaft oder mängelfrei war. Die Prüfung durch Sachverständige wird oft geradezu die am Orte der Ablieferung vorzunehmende Prüfung durch den Besteller selbst ersetzen. Sie setzt den Zutritt zum Werk voraus, das sich im Zeitpunkt der Untersuchung in der Regel noch am Ablieferungsorte befindet. Gewiss ist der aus Mängeln des Werkes allenfalls entstehende Rechtsstreit nicht notwendigerweise an diesem Orte zu beurteilen. Das ist jedoch kein Grund, auch die in Art. 367 Abs. 2 OR vorgesehene Massnahme anderwärts treffen zu lassen. Der Prüfung des Werkes folgt nicht notwendigerweise ein Prozess nach. Es steht auch nicht von vornherein fest, an welchem Orte ein solcher durchzuführen wäre. Der Gerichtsstand im Prozesse hängt z.B. davon ab, ob der Besteller oder der Unternehmer klagt.
Das Bundesgericht hat denn auch schon entschieden, dass der Käufer einer ihm von einem andern Orte übersandten Sache die in Art. 204 Abs. 2 OR vorgesehene Feststellung des Tatbestandes dort treffen lassen könne, wo sie sich befindet (BGE 41 I 447). Das Schrifttum ist gleicher Auffassung (BECKER Art. 204 N. 11; LEUCH Art. 325 N. 1) und will den Fall des Art. 367 Abs. 2 OR gleich behandelt wissen (LEUCH a.a.O.; vgl. GAUTSCHI Art. 367 N. 15).
3. Die Beschwerdeführer verlangen die Prüfung von unbeweglichen Sachen. Diese wurden im Amtsbezirk Oberhasli abgeliefert (und befinden sich noch heute dort). Die Beschwerdeführer haben daher von Bundesrechts wegen Anspruch darauf, dass ihr Gesuch in diesem Amtsbezirk behandelt werde. Indem der Gerichtspräsident von Oberhasli das Gesuch als Begehren um vorsorgliche Beweisführung im Sinne der Art. 222 ff. ZPO
BGE 96 II 266 S. 271
umdeutete, auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit kantonales Prozessrecht (Art. 223 Abs. 1 ZPO) anwendete und sich unzuständig erklärte, wendete er statt des massgebenden eidgenössischen Rechtes kantonales Recht an (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG) und verletzte er zugleich eine Vorschrift des eidgenössischen Rechtes über die örtliche Zuständigkeit der Behörden (Art. 68 Abs. 1 lit. b OG). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Da die Gerichtsstandsfrage spruchreif ist, rechtfertigt es sich, dass das Bundesgericht selbst sie entscheide (Art. 73 Abs. 2 OG).Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Gerichtspräsidenten von Oberhasli vom 5. Juni 1970 aufgehoben.
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