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Urteilskopf

117 Ia 190


33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. April 1991 i.S. O. gegen den Regierungsrat des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 58 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 373 ZGB und Art. 54 SchlT ZGB; Entmündigung durch Verwaltungsbehörden.
Art. 6 Ziff. 1 EMRK ist auf das Entmündigungsverfahren grundsätzlich anwendbar. Abgrenzung gegenüber Art. 58 BV mit Bezug auf das Erfordernis der gerichtlichen Beurteilung. Tragweite der auslegenden Erklärung des Bundesrates.

Erwägungen ab Seite 190

BGE 117 Ia 190 S. 190
Aus den Erwägungen:

6. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird abschliessend die Frage aufgeworfen, ob das Entmündigungsverfahren im Kanton Schwyz den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 58 BV genüge. Der Beschwerdeführer glaubt eine Verletzung dieser
BGE 117 Ia 190 S. 191
Bestimmungen darin zu erkennen, dass sich gemäss der kantonalen Verfahrensordnung anstelle eines Gerichtes ausschliesslich Verwaltungsbehörden mit seiner Entmündigung befasst hätten.
a) Soweit der Beschwerdeführer aus Art. 58 BV ein Recht auf gerichtliche Beurteilung seiner Entmündigung ableiten will, verkennt er den Gehalt der angerufenen Verfassungsbestimmung. Danach wird zwar ein unparteiischer und unabhängiger Richter sowie die Einhaltung der einmal getroffenen staatlichen Zuständigkeitsordnung garantiert, nicht aber eine bestimmte Gerichtsorganisation oder ein bestimmtes Verfahren (BGE 114 Ia 53 f. E. 3b). Im Rahmen der Rechtsordnung bleibt es den Kantonen vielmehr freigestellt, ob sie Gerichte zur Beurteilung bestimmter Rechtsfragen einsetzen oder diese den Verwaltungsbehörden zur Entscheidung überlassen wollen (BGE 100 Ib 148, mit Hinweis; KÖLZ, Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bd. II, Basel/Zürich/Bern, Stand Juni 1987, Rz. 31 zu Art. 58 BV). In diesem Sinne hält Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB für den Bereich des Zivilgesetzbuches unmissverständlich fest, dass die Kantone entweder eine richterliche oder eine Verwaltungsbehörde als zuständig bezeichnen können, sofern das Gesetz weder das eine noch das andere ausdrücklich verlange. Solches ist gerade mit Bezug auf das Entmündigungsverfahren nicht der Fall, hält doch Art. 373 ZGB als (unechter) Vorbehalt lediglich fest, dass die Kantone die für die Entmündigung zuständigen Behörden und das Verfahren zu bestimmen haben. Infolgedessen bleibt es ihnen gemäss Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB und somit auch aus der Sicht von Art. 58 BV unbenommen, ausschliesslich Verwaltungsbehörden mit der Anordnung von Entmündigungen oder anderen vormundschaftlichen Massnahmen zu betrauen.
Unter dem Gesichtswinkel von Art. 58 BV erweist sich somit die Beschwerde als unbegründet.
b) Schwieriger verhält es sich mit der behaupteten Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass diese Bestimmung über den Gehalt des Art. 58 BV hinaus zusätzlich die Garantie richterlicher Beurteilung zivil- und strafrechtlicher Streitfälle gewährleistet (JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl. Bern 1991, S. 317). Desgleichen kann aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung der Strassburger Organe nicht bezweifelt werden, dass das Entmündigungsverfahren in grundsätzlicher Hinsicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK fällt (Urteil EGMR
BGE 117 Ia 190 S. 192
vom 24. Oktober 1979 i.S. Winterwerp gegen die Niederlande, Serie A, Bd. 33, Ziff. 55 und EuGRZ 6/1979, S. 650 ff., S. 658 Ziff. 73; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl a. Rh./Strassburg/Arlington 1985, N 35 zu Art. 6, FN 58; GUILLOD, ZVW 46/1991, S. 41, mit Hinweisen). Als ebenso gesichert gilt schliesslich, dass durch ein Verfahren, welches als entscheidende Behörde in erster Instanz eine Delegation des Gemeinderates (§§ 4, 28 lit. b EGzZGB SZ vom 14. September 1978 (GS Nr. 175)) und in zweiter Instanz den Regierungsrat (§ 7 EGzZGB SZ) vorsieht, kein Gericht im Sinne der genannten Bestimmung gewährleistet wird (BGE 115 Ia 69 E. 2c und 186 E. 4b).
Obwohl somit die angefochtene Entmündigung auf kantonaler Ebene nicht von einem Gericht im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK beurteilt worden ist, vermag der Beschwerdeführer daraus nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Aufgrund der auslegenden Erklärung des Bundesrates zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die unlängst angepasst werden musste (Urteil EGMR i.S. Belilos vom 29. April 1988, Serie A Nr. 132 S. 23 ff. § § 52-60 und EuGRZ 16/1989 S. 21 ff.) und von der abzuweichen vorliegendenfalls keine Veranlassung besteht, ist ihr Genüge getan, wenn eine letztinstanzliche richterliche Überprüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt bei Streitigkeiten über zivilrechtliche Rechte und Pflichten stattfindet. Unter dem Begriff "letztinstanzliche richterliche Prüfung" im Sinne dieser Erklärung ist eine auf die Rechtsanwendung beschränkte richterliche Prüfung zu verstehen, die kassatorischer Natur ist (AS 1988 II 1264; BGE 115 Ia 71). In Entmündigungssachen findet eine solche richterliche Überprüfung auf Bundesebene statt. Ein entsprechender Entscheid kann mit Berufung beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 373 Abs. 2 ZGB, 44 lit. e OG), welches die Anwendung von Bundeszivilrecht frei überprüft (Art. 43, 63 OG).
Es ergibt sich somit, dass die geltende Verfahrensordnung des Kantons Schwyz jedenfalls dann nicht zu beanstanden ist, wenn die auslegende Erklärung zu Art. 6 EMRK respektiert wird. Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob diese Rüge im Blick auf Art. 84 Abs. 2 OG - ohne dass der Beschwerdeführer diesen Weg gewählt hätte - im Verfahren der Berufung an die Hand zu nehmen gewesen wäre und sich eine allfällige Verletzung der EMRK durch die entsprechende Auslegung von Art. 373 ZGB und Art. 54 SchlT ZGB abwenden liesse.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 6

Referenzen

BGE: 114 IA 53, 100 IB 148, 115 IA 69, 115 IA 71

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