Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Urteilskopf

122 IV 49


8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1996 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 4 BV, Art. 11 StGB; willkürliche Beweiswürdigung, verminderte Zurechnungsfähigkeit, Bedeutung der Blutalkoholkonzentration.
Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 2 und 3 Promillen besteht eine Vermutung für die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Diese Vermutung kann im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden (E. 1b). Aufgrund der Gegenindizien Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,09 bis 2,32 Promillen willkürfrei verneint (E. 1c).

Sachverhalt ab Seite 49

BGE 122 IV 49 S. 49
Zu Sachverhalt und Vorgeschichte vgl. BGE 120 IV 169.
Nach Rückweisung der Sache durch das Bundesgericht holte das Obergericht bei der Psychiatrischen Klinik Königsfelden ein Gutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme dazu ein.
BGE 122 IV 49 S. 50
Am 29. Juni 1995 bestätigte das Obergericht sein früheres Urteil. Eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit verneinte es.
B. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. b) Nach der Rechtsprechung fällt bei einer Blutalkoholkonzentration von über 2 Gewichtspromillen eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in Betracht (BGE 117 IV 292 E. 2d). Der Blutalkoholkonzentration kommt bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit allerdings nicht alleinige Bedeutung zu. Sie ist eine grobe Orientierungshilfe (vgl. BGE 119 IV 120 E. 2b). Wie im medizinischen Schrifttum hervorgehoben wird, gibt es keine feste Korrelation zwischen Blutalkoholkonzentration und darauf beruhender forensisch relevanter Psychopathologie; stets sind Gewöhnung, Persönlichkeit und Tatsituation in die Beurteilung einzubeziehen. Als grobe Faustregel kann lediglich davon ausgegangen werden, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 2 Promille in der Regel keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vorliegt, während bei einer solchen von 3 Promille und darüber meist Schuldunfähigkeit gegeben ist (VOLKER DITTMANN, Forensische Psychiatrie, in: FREYBERGER/STIEGLITZ (Hrsg.), Kompendium der Psychiatrie und Psychotherapie, 10. Aufl., Basel 1996, S. 452). Entsprechend nimmt die deutsche Rechtsprechung und Doktrin an, dass bei einer Blutalkoholkonzentration ab 3 Promille Schuldunfähigkeit selbst bei einem trinkgewohnten Menschen nicht auszuschliessen ist. Für den Bereich zwischen 2 und 3 Promille geht sie im Regelfall von einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit aus (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 24. Aufl., § 20 N. 16a mit Hinweisen; HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, 6. Aufl., N. 257 ff. und 264). Dem folgt die italienische Doktrin (vgl. ROMANO/GRASSO, Commentario sistematico del codice penale, Milano 1990, Art. 91 N. 6). Ebenso wird in Österreich als Faustregel ab 2 Promille Blutalkoholgehalt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit angenommen (FOREGGER/KODEK, Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Wien 1991, S. 58).
Bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 2 und 3 Promillen kann somit im Regelfall von einer verminderten Zurechnungsfähigkeit ausgegangen werden. Es besteht in diesem Bereich mit anderen Worten eine Vermutung für die
BGE 122 IV 49 S. 51
Verminderung der Zurechnungsfähigkeit. Diese Vermutung kann jedoch im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden.
c) Die Gutachterin kommt zum Schluss, dass beim Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt keine schwere Alkoholintoxikation gegeben war. Er habe sich in einem einfachen, mittelschweren Alkoholrausch befunden. Er habe sich selbst keineswegs betrunken gefühlt. Auf der Unfallstelle habe er einen ruhigen Eindruck gemacht. Er sei in der Lage gewesen, die an ihn gestellten Fragen adäquat zu beantworten. Er habe keine vegetativen Symptome (Erbrechen) oder Gangstörungen gezeigt und keine Erinnerungslücken aufgewiesen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seit Jahren zeitweise zu übermässigem Alkoholkonsum neige, weshalb sich eine gewisse Gewöhnung an hohe Alkoholmengen eingestellt haben könnte. Zudem sei er kurz vor dem Unfall noch in der Lage gewesen, durch eine Vollbremsung eine Kollision zu verhindern.
Die Gutachterin nennt damit gewichtige Gegenindizien, welche geeignet sind, die Vermutung der verminderten Zurechnungsfähigkeit umzustossen. Mit Blick darauf ist es nicht willkürlich, wenn das Obergericht der Sache nach davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei zur Zeit der Tat nicht in erheblichem Mass in den Bereich des Abnormen gefallen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1

Referenzen

BGE: 120 IV 169, 117 IV 292, 119 IV 120

Artikel: Art. 4 BV, Art. 11 StGB