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Urteilskopf

124 IV 97


18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. April 1998 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 139 Ziff. 1bis aStGB und Art. 140 Ziff. 2 nStGB; Art. 23 Abs. 1 StGB; qualifizierter Raub (Mitführen einer Schusswaffe), untauglicher Versuch.
Schützt der qualifizierte Tatbestand gegenüber dem Grundtatbestand ein weiteres Rechtsgut, so kommt der Versuch der qualifizierten Tatbegehung in Betracht. Untauglicher Versuch des qualifizierten Raubes bejaht bei einem Räuber, der irrtümlich annahm, die Schusswaffe des Mittäters sei geladen (E. 2c).

Sachverhalt ab Seite 97

BGE 124 IV 97 S. 97
Am Abend des 8. November 1993 verübten B. und E. einen Überfall auf den Vorstand des Bahnhofs in O. Sie erbeuteten Bargeld im Betrag von Fr. 904.50 und zwei unpersönliche SBB-Generalabonnemente im Wert von ca. Fr. 8'200.--. B. und E. führten je einen ungeladenen Revolver mit sich. B. nahm irrtümlich an, der Revolver des E., mit dem dieser den Bahnhofvorstand bedrohte, sei geladen.
BGE 124 IV 97 S. 98
Am 16. September 1997 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich B. unter anderem wegen Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 1bis aStGB in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 StGB zu 6 Jahren Zuchthaus.
B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. a) Die Vorinstanz legt dar, der Grundtatbestand des Raubes sei erfüllt. Der Beschwerdeführer und E. hätten in Mittäterschaft gehandelt. Die Qualifikationsgründe der Lebensgefahr (Art. 139 Ziff. 3 aStGB) und der besonderen Gefährlichkeit (Art. 139 Ziff. 2 aStGB) seien nicht gegeben. Für die Qualifikation des Mitführens einer Schusswaffe (Art. 139 Ziff. 1bis aStGB) genüge eine ungeladene Waffe nach BGE 111 IV 49 nicht. Da der Beschwerdeführer aber gemeint habe, der Revolver des E. sei geladen, und er unter dieser Annahme am Raub teilgenommen habe, sei in bezug auf den Qualifikationsgrund nach Art. 139 Ziff. 1bis aStGB ein untauglicher Versuch gegeben. Der untaugliche Versuch führe gemäss Art. 23 Abs. 1 StGB zwar zu einer Strafmilderung nach freiem Ermessen (Art. 66 StGB). Der Grundtatbestand des Raubes sei hier jedoch vollendet worden. Das Strafminimum für den einfachen Raub von 6 Monaten Gefängnis bilde daher die untere Grenze des Strafrahmens.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei lediglich nach dem Grundtatbestand des Raubes zu verurteilen. Die Annahme des untauglichen Versuchs des qualifizierten Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 1bis aStGB verletze Bundesrecht. Die Qualifikation komme nur zur Anwendung, wenn sowohl die subjektiven als auch die objektiven Voraussetzungen gegeben seien.

2. a) Art. 139 Ziff. 1 aStGB droht für den Grundtatbestand des Raubes Zuchthaus bis zu 20 Jahren oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten an.
Art. 139 aStGB in der Fassung vom 9. Oktober 1981, in Kraft seit 1. Oktober 1982, enthält drei Qualifikationen: (1) Das Mitführen einer Schusswaffe oder einer anderen gefährlichen Waffe zum Zweck des Raubes führt nach Ziff. 1bis zur Anhebung der Mindeststrafe von 6 Monaten auf 1 Jahr Gefängnis. (2) Ziff. 2 enthält zwei alternative Qualifikationen, nämlich den bandenmässigen
BGE 124 IV 97 S. 99
Raub sowie die besondere Gefährlichkeit aufgrund der Tatbegehung. Hier wird die Mindeststrafe auf zwei Jahre Zuchthaus angehoben. (3) Gemäss Ziff. 3 wird die Mindeststrafe auf 5 Jahre Zuchthaus angehoben, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt.
Mit der Revision des Vermögensstrafrechts durch das Bundesgesetz vom 17. Juni 1994, in Kraft seit 1. Januar 1995, wurde der Raubtatbestand teilweise neu gefasst (Art. 140 nStGB). Beim Grundtatbestand wurde die Höchststrafe von früher 20 Jahren auf 10 Jahre herabgesetzt; die Mindeststrafe von 6 Monaten Gefängnis wurde dagegen beibehalten (Art. 140 Ziff. 1 nStGB). Die Qualifikationen blieben unverändert, wurden aber neu numeriert (neu Ziff. 2-4 anstelle von bisher Ziff. 1bis, 2 und 3).
Der untaugliche Versuch ist in Art. 23 StGB geregelt. Danach kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern (Art. 66 StGB), wenn das Mittel, womit jemand ein Verbrechen oder ein Vergehen auszuführen versucht, oder der Gegenstand, woran er es auszuführen versucht, derart ist, dass die Tat mit einem solchen Mittel oder an einem solchen Gegenstand überhaupt nicht ausgeführt werden könnte (Abs. 1). Beim untauglichen Versuch besteht ein Sachverhaltsirrtum zuungunsten des Täters. Nach der Vorstellung des Täters erfüllt er einen Tatbestand, in Wirklichkeit ist sein Verhalten harmlos (STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, Art. 23 N. 1).
b) Das Bundesgericht hatte sich bereits mit der Frage zu befassen, wie es sich verhält, wenn der qualifizierte Tatbestand nur subjektiv, nicht aber objektiv erfüllt ist.
Nach der Rechtsprechung ist die Annahme eines mengenmässig schweren Falles gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel (BetmG; SR 812.121) geknüpft an eine objektive und an eine subjektive Voraussetzung. Die subjektive allein genügt nicht, auch nicht für den Versuch des qualifizierten Falles. Wie in BGE 122 IV 360 E. 2b ausgeführt wurde, betreffen die Regeln über den Versuch die Frage der Strafbarkeit. Sie bestimmen, wann der Versuch strafbar ist, wie er gegebenenfalls zu bestrafen ist und welche Folgen der Rücktritt hat. Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein nach Art. 19 Ziff. 1 BetmG tatbestandsmässiges Verhalten einen schweren Fall im Sinne von Ziff. 2 lit. a darstellt und deshalb mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden ist, geht es demgegenüber nicht um die Strafbarkeit, sondern um Strafzumessung. Ziff. 2 lit. a. ist eine Strafzumessungsregel. Sie
BGE 124 IV 97 S. 100
nennt Umstände, welche zur Anwendung des höheren Strafrahmens von einem bis zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe führen, nicht Tatbestandsmerkmale. Letztere beschreiben die gesetzlich erfasste Rechtsgutbeeinträchtigung und bestimmen das strafbare Geschehen als Gegenstand der Strafzumessung. Strafzumessungsregeln dagegen enthalten einen Massstab für die Bewertung dieses Gegenstandes. Im Stadium dieser Bewertung kann die Frage des Versuchs, die sich gegebenenfalls bei der Tatbestandsmässigkeit stellt, nicht mehr aufgeworfen werden (vgl. bereits BGE 119 IV 180 E. 2d; kritisch dazu Peter Albrecht, Untauglicher Versuch oder Wahndelikt?, AJP 1997, S. 752 ff.).
In BGE 124 IV 79 hatte das Bundesgericht einen Fahrzeuglenker zu beurteilen, der ein Kind angefahren und danach seine Fahrt fortgesetzt hatte, ohne sich um dieses zu kümmern. Das Kind war nicht verletzt worden. Das Bundesgericht lehnte eine Verurteilung wegen Fahrerflucht nach Art. 92 Abs. 2 SVG ab. Diese Bestimmung stellt gegenüber Art. 92 Abs. 1 SVG, der den Grundtatbestand des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall bildet, einen qualifizierten Fall dar. Wie das Bundesgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG darlegte, muss der qualifizierte Fall subjektiv und objektiv erfüllt sein (E. 2d).
Wie in BGE 123 IV 128 ausgeführt wurde, darf aus der Rechtsprechung zu Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG nicht hergeleitet werden, bei qualifizierten Tatbeständen sei ein strafbarer Versuch grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr ist diese Frage von Fall zu Fall besonders zu prüfen (E. 2b).
Im erwähnten BGE 123 IV 128 ging es um eine Brandstiftung. Nach dem Grundtatbestand (Art. 221 Abs. 1 StGB) ist strafbar, wer vorsätzlich zum Schaden eines anderen oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht. Der qualifizierte Tatbestand (Art. 221 Abs. 2 StGB) schützt darüber hinaus ein weiteres Rechtsgut, nämlich Leib und Leben von Menschen. Im Unterschied zur Strafzumessungsregel von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG kann Art. 221 Abs. 2 StGB daher als dritte Variante der vorsätzlichen Brandstiftung aufgefasst werden. Dieser Bestimmung kommt mithin eine selbständige Bedeutung zu. Der Täter ist deshalb wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung schuldig zu sprechen, wenn z.B. dank rascher Hilfeleistung niemand konkret gefährdet wurde und bloss die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (E. 2b).
c) Entscheidend ist danach, ob bei der Qualifikation ein weiteres Rechtsgut hinzutritt und ihr damit eine selbständige Bedeutung
BGE 124 IV 97 S. 101
zukommt. Ist dies der Fall, so kommt ein Versuch der qualifizierten Tatbegehung in Betracht.
Art. 19 Ziff. 1 BetmG erfasst die abstrakte Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, der qualifizierte Tatbestand (Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG) ebenso. Beim qualifizierten Tatbestand ist aufgrund der grossen Betäubungsmittelmenge lediglich die Gefährdung stärker. Die Art der Widerhandlung ist die gleiche wie beim Grundtatbestand. Der qualifizierte Tatbestand unterscheidet sich mit andern Worten lediglich in bezug auf die Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung vom Grundtatbestand. Insoweit hat er keine selbstän-dige Bedeutung.
Anders verhält es sich bei Art. 221 Abs. 2 StGB. Hier kommt gegenüber dem Grundtatbestand ein weiteres Rechtsgut hinzu. Die strafbare Tätigkeit nach Abs. 2 unterscheidet sich qualitativ vom Grundtatbestand. Der Gesetzgeber hätte für die qualifizierte Brandstiftung deshalb ebensogut eine eigenständige Strafbestimmung schaffen können. Das hat er beispielsweise getan beim Raub, welchen er auch der Bestimmung über den Diebstahl (Art. 139 StGB) als qualifizierten Tatbestand hätte anfügen können. Da bei einer eigenständigen Strafbestimmung aber der Versuch möglich ist, muss bei einem qualifizierten Tatbestand dasselbe gelten, wenn dieser eine eigenständige Strafbestimmung bilden könnte. Unterscheidet sich die Qualifikation nur in bezug auf die Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung vom Grundtatbestand, scheidet ein Versuch demgegenüber aus. Die erhöhte Intensität ist entweder gegeben oder nicht. Ein selbständiges tatbestandsmässiges Geschehen, das unvollendet sein könnte, gibt es nicht.
d) Geschützte Rechtsgüter beim Grundtatbestand des Raubes sind das Eigentum und die Freiheit der Person (MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, 2. Band, Bern 1990, Art. 139 N. 9; JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID, Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich 1997, S. 122; BERNARD CORBOZ, Les infractions principales, Bern 1997, S. 120 N. 4). Bei der Qualifikation nach Art. 139 Ziff. 1bis aStGB tritt als weiteres Rechtsgut der Schutz der körperlichen Integrität hinzu. Ziff. 1bis stellt eine Art abstraktes Gefährdungsdelikt dar. Der Grund für die Qualifikation liegt in der Gefahr, dass der Täter von der Waffe, wenn er sie schon bei sich hat, in einer kritischen Situation Gebrauch machen und damit das Opfer erheblich verletzen oder sogar töten könnte (vgl. SCHUBARTH, a.a.O., Art. 137 N. 144 und 148; CORBOZ, a.a.O., S. 123 N. 16; TRECHSEL, a.a.O., Art. 139 N. 18; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches
BGE 124 IV 97 S. 102
Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 13 N. 105). Ziff. 1bis enthält somit eine eigenständige Kombination von Rechtsgütern. Die Qualifikation ist vergleichbar mit jener in Art. 221 Abs. 2 StGB.
Die Vorinstanz hat daher kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den Beschwerdeführer wegen untauglichen Versuchs des qualifizierten Raubes nach Art. 139 Ziff. 1bis aStGB verurteilt hat. Ebenso hat sie zutreffend erkannt, dass sich hier die Möglichkeit der Strafmilderung wegen Versuchs nur auf die erhöhte Strafdrohung des qualifizierten Tatbestands bezieht, nicht aber auf die Strafdrohung des Grundtatbestands, da dieser vollendet ist.

3. (Kostenfolgen)

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

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Artikel: Art. 19 Ziff. 2 lit. a des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel (BetmG; SR 812.121), Art. 221 Abs. 2 StGB, Art. 23 Abs. 1 StGB, Art. 66 StGB mehr...