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Urteilskopf

114 Ia 173


27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Januar 1988 i.S. Einwohnergemeinde Brienz und Mitbeteiligte gegen X. AG und Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Gemeindeautonomie.
Den bernischen Gemeinden steht in bezug auf die Steuerteilung, d.h. für ihren Anspruch gegenüber der Veranlagungsgemeinde auf einen Anteil an der Gemeindesteuer eines Pflichtigen, keine Autonomie zu.

Sachverhalt ab Seite 173

BGE 114 Ia 173 S. 173
Die 1971 gegründete X. AG mit Sitz in Z. begann 1971 mit dem Bau einer Erdgasleitung zwischen Holland und Italien. Die
BGE 114 Ia 173 S. 174
Leitung wurde am 8. April 1974 offiziell in Betrieb genommen. Sie führt, von der Grimsel kommend, im Haslital durch die Gemeinden Guttannen, Meiringen, Brienz, Hofstetten, Innertkirchen, Schattenhalb und Schwanden.
Nachdem die X. AG jahrelang hatte darauf bestehen wollen, nur von ihrem Aktienkapital und ihren Reserven, dagegen als nicht gewinnstrebige Unternehmung von keinem Gewinn (Reinertrag) steuerpflichtig zu sein, nahm die Steuerverwaltung des Sitzkantons Zürich nach Verhandlungen u.a. mit der Steuerverwaltung des Kantons Bern eine interkantonale Steuerausscheidung vor und legte dieser einen (seit 1975) hauptsächlich aus Gewinnvorwegnahme errechneten Reinertrag zugrunde. Gestützt auf diese Steuerausscheidung veranlagte die Kantonale Steuerverwaltung Bern die X. AG am 11. Februar 1980 definitiv von einem im Kanton Bern 1976 steuerbaren Gewinn (1975, Anteil) von Fr. ... und Kapital von Fr. ... zu den Staatssteuern und zu den Gemeindesteuern des von ihr als Veranlagungsgemeinde bezeichneten Guttannen, ebenso 1977/78 von einem Gewinn von Fr. ... und einem Kapital von Fr. .... Beide Veranlagungen erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.
Nach § 201 ff. des bernischen Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern vom 29. Oktober 1944 (StG) sind die ordentlichen Gemeindesteuern vom Gewinn und Kapital (Art. 195 Ziff. 1 und 197 ff. StG) in einer einzigen Veranlagungsgemeinde zu veranlagen (Art. 128 und 133 i.V.m. 106 StG). Andere Gemeinden haben nur Anspruch auf einen Steueranteil (Art. 202 lit. c StG).
Auf Verlangen der andern von der Leitung berührten Gemeinden liess Guttannen von der Kantonalen Steuerverwaltung Steuerteilungspläne für 1976 und 1977/78 ausarbeiten. Darin errechnete die Kantonale Steuerverwaltung für die drei Jahre die Gemeindesteueranteile, die bei allen anderen Gemeinden von einer höheren Steueranlage (Steuersatz in Vielfachen der Staatssteuereinheit, Art. 197 Abs. 2 StG) erhoben werden, als in Guttannen. Die Einwohnergemeinde Guttannen eröffnete die Teilungspläne am 23. Mai 1985 der X. AG und den Ansprechergemeinden.
Die X. AG erhob gegen die Teilungspläne gemäss Art. 12 des grossrätlichen Dekrets betreffend die Steuerteilung unter bernischen Gemeinden vom 13. November 1956 (GTD) Einsprache bei der Kantonalen Steuerverwaltung. Sie machte einzig geltend, die Steuern 1976 bis 1978 seien 1980 definitiv veranlagt und bezahlt
BGE 114 Ia 173 S. 175
worden und seither verjährt. Mit Entscheid vom 16. September 1985 wies die Kantonale Steuerverwaltung die Einsprache ab.
Gegen den Einspracheentscheid gelangte die X. AG aus dem gleichen Grund mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses liess sich von der Kantonalen Steuerverwaltung die "vollständigen" Steuerteilungsakten vorlegen und eine Verfahrenschronologie erstellen. Es ging auf die Frage einer Verjährung der Steueransprüche der Ansprechergemeinden nicht ein, sondern stellte in seinem Urteil vom 22. Juni 1987 fest, die Ansprechergemeinden hätten ihre Steueranteile verwirkt, weil sie nicht bis spätestens 30. Juni 1976 (für 1976) bzw. 30. Juni 1977 (für 1977/78) bei der Veranlagungsgemeinde Guttannen den Anspruch auf ihren Steueranteil gemäss § 9 GDT erhoben hätten.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts erhoben die sechs Ansprechergemeinden am 25. August 1987 rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragen:
"Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. Juni 1987 sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
Sie machen geltend, das Verwaltungsgericht habe die ihnen im Bereich des Gemeindesteuerrechts, insbesondere im Sachgebiet der Gemeindesteuerteilung zustehende Autonomie verletzt. Dies indem es ihnen das rechtliche Gehör verweigerte und sie zur Beschwerde der X. AG nicht anhörte, obwohl sie im Anfechtungsverfahren gegen den Steuerteilungsplan nach Art. 12 GDT seien. Ferner aber auch, weil es - als Folge der Gehörsverweigerung - seinem Urteil einen willkürlich festgestellten Sachverhalt zugrunde legte.
Die X. AG beantragt mit Vernehmlassung vom 25. September 1987, die Beschwerde sei kostenfällig abzuweisen. Die Kantonale Steuerverwaltung beantragt am 5. Oktober 1987, auf die Beschwerde sei einzutreten; sie enthält sich eines Antrags zur Sache. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern beantragt am 6. Oktober 1987, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. a) Die Beschwerdeführerinnen stützen die von ihnen beanspruchte Autonomie im Sachbereich der Gemeindesteuern nicht auf Verfassungsbestimmungen. Die bernische Kantonsverfassung
BGE 114 Ia 173 S. 176
garantiert ihnen in diesem Bereich auch im Abschnitt über die Gemeinden (Art. 63-71) keine Autonomie. Höchstens liesse sich ein Autonomiebereich indirekt (e contrario) aus den Bestimmungen über die Staatssteuern herleiten (vgl. Art. 6 Ziff. 6 und Art. 26 Ziff. 8 KV). Doch gilt Art. 92 KV, wonach das Steuerwesen Sache der Gesetzgebung ist, mindestens seinem Wortlaut nach auch für alle Gemeindesteuern. Es wird denn auch die Auffassung vertreten, dass den bernischen Gemeinden lediglich eine abgeleitete Steuerhoheit auf dem Wege der kantonalen Gesetzgebung verliehen werden könne (I. BLUMENSTEIN, Kommentar zu Art. 192 StG, N. 1 S. 496 mit Hinweisen).
Dies entspricht mindestens auf dem Gebiet der direkten Steuern vom Einkommen und Vermögen bzw. bei Kapitalgesellschaften vom Gewinn (Reinertrag) und Kapital der in allen Kantonen herrschenden Rechtsauffassung. Eine Autonomie, d.h. ein Raum, in dem sie relativ erhebliche Gestaltungsfreiheit geniessen, wird den Gemeinden zudem auf diesem Gebiet in den wenigsten Kantonen eingeräumt (HÖHN, Steuerrecht, 5. Aufl., § 7 N. 10 S. 133/4 und § 12 N. 3 S. 169, E. BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 41). Von einem verfassungsmässigen Autonomiebereich der bernischen Einwohnergemeinden kann deshalb jedenfalls hinsichtlich der ordentlichen Gemeindesteuern nicht gesprochen werden, wenn ihnen überhaupt Autonomie im Rahmen des kantonalen Steuergesetzes zukommt.
b) Ein derartiger Autonomiebereich kann, entgegen der von den Beschwerdeführerinnen vertretenen Ansicht, namentlich nicht aus dem ersten Titel des zweiten Teils des Gesetzes über die Gemeindesteuern (Art. 192 bis 194) hergeleitet werden, auch wenn dieser Titel "Steuerhoheit" lautet. Das Gesetz verlangt dort als Voraussetzung der Steuererhebung, dass den Gemeinden Aufwand für ihre öffentlichen Aufgaben entsteht, den zu decken ihre übrigen Mittel nicht ausreichen (Art. 193, vgl. das Marginale). Es sieht zwar vor, dass die Gemeinden für die Steuererhebung Reglemente zu erlassen haben, die der Genehmigung der zuständigen Direktion unterliegen (Art. 194 Abs. 1 StG). In ihren Reglementen können die Einwohnergemeinden allenfalls auf dem Gebiet der ausserordentlichen Gemeindesteuern (Art. 219 Abs. 1 ff. StG, auch autonome Gemeindesteuern genannt, vgl. I. BLUMENSTEIN, a.a.O., Art. 219 N. 3) von einer gewissen Gestaltungsfreiheit Gebrauch machen. Was die ordentlichen Gemeindesteuern auf den Gegenständen der Staatssteuern (Art. 195 Ziff. 1 ff.) betrifft, lassen ihnen
BGE 114 Ia 173 S. 177
die gesetzlichen Bestimmungen keine Gestaltungsfreiheit; die Gemeinden können nur gerade die für die Behandlung von Stundungs- und Erlassbegehren sowie für Beschlüsse über Rückerforderungsbegehren und Steuervergünstigungen zuständige Behörde im Reglement bezeichnen (Art. 198 Abs. 2 StG).
Davon abgesehen besteht ein gewisser Ermessensspielraum der Gemeinde einzig darin, dass sie jährlich bei der Abstimmung über den Voranschlag die Steueranlage festzusetzen haben (Art. 197 Abs. 2 StG). Ob insofern von einer Autonomie der Gemeinde gesprochen werden kann, mag offen bleiben. Veranlagung und Bezug dieser ordentlichen Steuern richten sich ausschliesslich nach den Vorschriften des kantonalen Steuerrechts.
c) Das gilt auch für die Steuerteilung der aufgrund der Staatssteuerregister (Staatssteuergegenstände) erhobenen allgemeinen ordentlichen Gemeindesteuer (Art. 201 ff. StG), d.h. für den Anspruch der anderen Gemeinden des Kantons gegenüber der. Veranlagungsgemeinde auf einen Anteil an dieser Gemeindesteuer eines Pflichtigen. Den Anteil können die anderen Gemeinden nur unter den in Art. 202 StG gesetzlich und abschliessend geregelten Voraussetzungen beanspruchen (GRUBER, Handkommentar zu Art. 202 StG N. 5, 5. Aufl. S. 376). Zudem steht ihnen dieser gesetzliche Anspruch bloss unter dem Vorbehalt der Einschränkungen durch das grossrätliche Dekret gemäss Art. 203 StG zu. Der Grosse Rat kann insbesondere minimale Anteile am Steuerbetrag festsetzen, bis zu denen die anderen Gemeinden eine Steuerteilung gar nicht verlangen dürfen (lit. a). Ausserdem bestimmt sich das Verfahren für die Geltendmachung der Steueransprüche, die Teilung und die Einsprache nach diesem grossrätlichen Dekret (lit. b).
Wenn dieses Dekret schliesslich die Steuerteilung in erster Instanz den Behörden der Veranlagungsgemeinde unter Mitwirkung der Ansprechergemeinden überträgt (Art. 9 bis 11 GTD), überträgt es ihnen damit ebenfalls keinen der Ermessenskontrolle kantonaler Behörden entzogenen Raum zur freien Gestaltung ihrer Angelegenheiten. Vielmehr unterliegen die Entscheidungen der Veranlagungsgemeinde der umfassenden Prüfung, sowohl hinsichtlich des Sachverhalts wie auch der Rechtsanwendung, im Klageverfahren vor dem kantonalen Verwaltungsgericht (Art. 3, 6 und 10 GTD) oder auf Einsprache durch die Kantonale Steuerverwaltung und auf Beschwerde in dritter Instanz durch das kantonale Verwaltungsgericht (Art. 12 GTD). Sowohl auf Klage über
BGE 114 Ia 173 S. 178
Rechtsansprüche zwischen gleichgestellten Parteien (vgl. Art. 18 VRPG) wie auf Einsprache nach den Bestimmungen über die Staatssteuerveranlagung (Art. 134 ff. StG) sind allfällige Ermessensfragen, soweit sie sich hinsichtlich der Steuerteilung stellen können, von der Rechtsmittelinstanz zu überprüfen. Entsprechend kann - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen und der Kantonalen Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht - von einer Autonomie der bernischen Gemeinden im Steuerteilungsverfahren nicht gesprochen werden.
d) Die Beschwerde wegen Verletzung in ihrer Autonomie ist daher abzuweisen, weil die Beschwerdeführerinnen im streitigen Bereich keine Autonomie geniessen. Das Verwaltungsgericht hatte im Beschwerdeverfahren die kantonalrechtlichen Vorschriften über die Gemeindesteuerteilung und über das Beschwerdeverfahren anzuwenden, dagegen keine Autonomie der Beschwerdeführerinnen zu respektieren, jedenfalls solange nicht die von ihnen selber festgesetzten Steueranlagen (Art. 197 Abs. 2 StG) zu überprüfen waren.
Können sich die Beschwerdeführerinnen im fraglichen Sachgebiet nicht auf einen Autonomiebereich berufen, braucht im weiteren nicht untersucht zu werden, ob die Beschwerde auch deshalb abzuweisen wäre, weil die Abgrenzung der Steuerhoheit zwischen Gemeinden eines Kantons durch eine kantonale Behörde nach kantonalem Recht nicht Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie sein kann (vgl. BGE 101 Ia 520; ASA 45, S. 45 E. 2d; BGE 110 Ia 50 E. 4b).

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 101 IA 520, 110 IA 50

Artikel: Art. 197 Abs. 2 StG, Art. 202 StG, Art. 195 Ziff. 1 und 197 ff. StG, Art. 202 lit. c StG mehr...