Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Urteilskopf

118 II 130


28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Januar 1992 i.S. Marianne R. gegen Sandra G. und Andrea A. (Berufung)

Regeste

Art. 269a lit. a und 269d Abs. 2 OR; Begründung der Mietzinserhöhung; Anpassung des Mietzinses an das orts- oder quartierübliche Mietzinsniveau.
1. Auslegung der Begründung einer Mietzinserhöhungsankündigung (E. 2).
2. Eine Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Mietzinse ist ausgeschlossen, wenn die seit der letzten Mietzinsfestsetzung verstrichene Zeitspanne nicht ausreicht, um eine allfällige Veränderung des entsprechenden Mietzinsniveaus statistisch zuverlässig festzustellen (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 130

BGE 118 II 130 S. 130
Mit Vertrag vom 30. November 1988 mieteten Sandra G. und Andrea A. ab 1. Januar 1989 von Ursula K. und Marianne R., die eine Erbengemeinschaft bildeten, eine 4-Zimmerwohnung in Zürich für monatlich Fr. 1'350.--. Am 18. September 1989 kündeten die Vermieterinnen einen mit der Erhöhung des Hypothekarzinsfusses begründeten Mietzinsaufschlag von Fr. 100.-- auf den 1. Januar 1990
BGE 118 II 130 S. 131
an. Diese Mietzinserhöhung blieb unangefochten. Im April 1990 wurde die Erbengemeinschaft aufgelöst und die vermietete Liegenschaft von Marianne R. zu Alleineigentum übernommen. Diese kündete am 3. Mai 1990 den Mieterinnen auf den 1. Oktober 1990 eine Mietzinserhöhung um Fr. 300.-- an. Zur Begründung wurde auf dem Formular einerseits die "Hypothekarzinserhöhung per 1. April" und andererseits die "Anpassung Ortsüblichkeit" angegeben. In einem Begleitbrief wies Frau R. darauf hin, dass sie die Liegenschaft in einer sehr ungünstigen Zeit übernommen habe, weil nicht nur die Liegenschaftenpreise einen Höchststand erreicht hätten, sondern sie auch eine sehr teure Verschuldung habe in Kauf nehmen müssen.
Die Mieterinnen fochten die ihnen am 3. Mai 1990 angekündigte Mietzinserhöhung bei der Schlichtungsstelle an. Nachdem keine Einigung zustande gekommen war, klagte die Vermieterin beim Mietgericht des Bezirkes Zürich auf Feststellung der Nichtmissbräuchlichkeit der Mietzinserhöhung. An der Hauptverhandlung anerkannten die Beklagten eine Erhöhung auf Fr. 1'525.-- entsprechend dem Ansteigen des Hypothekarzinsfusses von 5,5% auf 6,25%, widersetzten sich dagegen der restlichen Mietzinserhöhung. Mit Urteil vom 19. April 1991 erklärte das Mietgericht in teilweiser Gutheissung der Klage die verlangte Mietzinserhöhung bis zum Betrag von Fr. 1'525.-- brutto ab 1. Oktober 1990 als zulässig, im übrigen aber als missbräuchlich. Die Klägerin rekurrierte an das Obergericht des Kantons Zürich, das mit Beschluss vom 29. August 1991 das Urteil des Mietgerichts bestätigte. Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin Berufung eingelegt, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Nach der allgemeinen Regel von Art. 269 OR sind Mietzinse dann missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird oder wenn sie auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruhen. Nach dem angefochtenen Urteil kann sich die Klägerin nicht auf diese Vorschrift berufen, weil das Formular, mit welchem die Mietzinserhöhung mitgeteilt worden ist, keinen entsprechenden Hinweis enthalten habe. Im Gegensatz dazu hat sich eine Minderheit des Obergerichts dahin geäussert, diese Auffassung sei als überspitzt formalistisch abzulehnen. Aus dem Begleitschreiben - das für die Auslegung heranzuziehen sei - ergebe sich, dass
BGE 118 II 130 S. 132
sich die Klägerin zur Begründung der Mietzinserhöhung auch auf einen ungenügenden Mietertrag habe berufen wollen. Dem schliesst sich die Klägerin mit der Berufung an.
a) Der Vermieter ist an die Gründe, die er dem Mieter in der Ankündigung der Mietzinserhöhung angegeben hat, nach Treu und Glauben gebunden. Diese Regel schliesst ein Nachschieben weiterer Erhöhungsgründe im Anfechtungsverfahren aus (BGE 117 II 457 E. 5). Massgebend ist somit ausschliesslich die Frage, ob sich die Klägerin im Formular vom 3. Mai 1990 oder eventuell im Begleitschreiben zur Begründung der Mietzinserhöhung rechtsgültig auf den ungenügenden Mietertrag berufen hat.
b) Nach neuem wie schon nach altem Mietrecht müssen Mietzinserhöhungen auf einem vom Kanton genehmigten Formular mitgeteilt und begründet werden (Art. 269d OR, Art. 18 BMM). Gesetzlich vorgeschrieben ist somit eine qualifizierte Schriftform, da sie nicht nur die Art, sondern auch den Inhalt der Mitteilung erfasst (SCHMIDLIN, N 63 und 67 zu Art. 11 OR).
Die in der Mitteilung der Mietzinserhöhung angegebene Begründung bildet nach der Praxis des Bundesgerichts Teil der Willenserklärung des Vermieters, die er so gegen sich gelten lassen muss, wie sie der Mieter in guten Treuen verstehen konnte (BGE 106 II 168 E. 4a, 360 E. 3c). Die Begründung muss klar sein. Sie soll dem Mieter erlauben, sich ein Bild über Tragweite und Berechtigung der Mietzinserhöhung zu machen, und ihm damit die Entscheidungsgrundlagen dafür verschaffen, ob er Einsprache erheben will oder nicht (BGE 117 II 460 E. 2a). Schliesslich hat das Bundesgericht in dem von der Klägerin zitierten unveröffentlichten Urteil vom 20. Juni 1989 - das wie die anderen erwähnten Entscheide noch unter der Herrschaft des BMM ergangen ist - ausgeführt, es stehe dem Vermieter frei, die Erhöhungsgründe in einem Begleitschreiben näher auszuführen, das dann bei der Auslegung seiner Erklärungen nach dem Vertrauensprinzip mitzuberücksichtigen sei. Ob und wieweit das jetzt geltende neue Mietrecht (insbesondere Art. 19 Abs. 1 lit. a Ziff. 4 VMWG) dieser letzten Auffassung entgegenstehen könnte, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden, da diese Frage für den Verfahrensausgang nicht entscheidend ist, weil auch die Berücksichtigung des Begleitbriefes bei der Auslegung der Formularangaben nicht zum Ergebnis führt, das mit der Berufung angestrebt wird.
c) Mitteilungen von Mietzinserhöhungen, welche die vorgeschriebene Form nicht einhalten, sind nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift
BGE 118 II 130 S. 133
nichtig (Art. 269d Abs. 2 OR; vgl. zum alten Mietrecht Art. 18 Abs. 3 BMM). Da - wie bereits erwähnt - eine qualifizierte Schriftform verlangt wird, muss auch die Begründung der Mietzinserhöhung von der Form gedeckt sein. Ob das der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer vorgängigen Auslegung der im Formular enthaltenen Willenserklärungen des Vermieters nach den allgemeinen Auslegungsregeln (JÄGGI/GAUCH, N 479 zu Art. 18 OR; SCHMIDLIN, N 59 zu Art. 18 OR). Aus diesen Gründen ist ein Begleitbrief des Vermieters nur insoweit zu berücksichtigen, als damit eine unklare Formularangabe verdeutlicht wird. Ein solcher Brief vermag dagegen eine im Formular fehlende Begründung nicht zu ersetzen.
Nach ihrem klaren Wortlaut bezieht sich die im Formular als Erhöhungsgrund angegebene "Anpassung Ortsüblichkeit" auf den gesetzlichen Tatbestand von Art. 269a lit. a OR. Gemäss dieser Vorschrift, die inhaltlich mit Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM übereinstimmt, sind Mietzinse in der Regel nicht missbräuchlich, wenn sie im Rahmen der orts- oder quartierüblichen Mietzinse liegen. Aus dem Begleitschreiben, worin die Klägerin auf die hohen Liegenschaftenpreise und ihre wegen der Übernahme der vermieteten Liegenschaft eingetretene Verschuldung hinwies, mussten die Beklagten nach Treu und Glauben nicht schliessen, in Wirklichkeit werde mit der Formularangabe nicht der besondere Erhöhungsgrund der Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Mietzinse, sondern der allgemeine Erhöhungsgrund der Erzielung eines angemessenen Mietertrages (Art. 269 OR, Art. 14 BMM) angerufen. Dieser Brief zeigte allenfalls den Beweggrund der Klägerin für die Anhebung der Mietzinse auf, zwang aber nicht zum Schluss, sie habe sich im Formular in der Wortwahl vergriffen. Die Beklagten mussten deshalb nicht davon ausgehen, die Klägerin berufe sich zusätzlich noch auf den erwähnten allgemeinen Erhöhungsgrund. Das Obergericht hat deshalb zu Recht angenommen, dass die Klägerin einen möglicherweise bestehenden inneren Willen, die Mietzinse zur Erreichung eines angemessenen Mietertrages zu erhöhen, nicht formgenüglich erklärt hat. Damit war das Obergericht aber nicht verpflichtet zu prüfen, ob die Voraussetzungen dieses Erhöhungsgrundes im vorliegenden Fall gegeben seien.

3. Verweigert hat das Obergericht der Klägerin sodann auch die im Sinne von Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM bzw. Art. 269a lit. a OR verlangte Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Mietzinse. Zur Begründung wird im angefochtenen Urteil einerseits auf die anwendbare relative Berechnungsmethode und andererseits auf den
BGE 118 II 130 S. 134
Grundsatz hingewiesen, dass eine solche Anpassung nur dann zuzulassen sei, wenn seit dem massgebenden Zeitpunkt mehrere Jahre vergangen seien und sich die Marktverhältnisse geändert hätten. Die Klägerin hält diese Auffassung für bundesrechtswidrig, weil sie insbesondere das gesetzlich festgelegte Verhältnis zwischen Kosten- und Marktmiete verkenne.
a) Wie das Bundesgericht in den bereits zitierten Urteilen (BGE 117 II 456 E. 4a und 461 E. 2a) festgehalten hat, beruht die gesetzliche Regelung zum missbräuchlichen Mietzins auf verschiedenen Rechtsgedanken, die zum Teil in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das Gesetz will einerseits verhindern, dass der Vermieter auf Kosten des Mieters einen übersetzten Ertrag erwirtschaftet (Grundsatz der Kostenmiete). Dieser Gedanke liegt der Generalklausel (Art. 269 OR, Art. 14 BMM) sowie einzelnen der besonderen Tatbestände (Art. 269a lit. b-e OR, Art. 15 Abs. 1 lit. b-d BMM) zugrunde. Auf der andern Seite gilt aber ein Mietzins, der sich im üblichen Rahmen hält, selbst dann nicht als missbräuchlich, wenn damit der zulässige Ertrag überstiegen wird (Grundsatz der Marktmiete: Art. 269a lit. a und f OR, Art. 15 Abs. 1 lit. a und e BMM; BGE 112 II 155).
Darüber hinaus muss aber auch dem Grundsatz von Treu und Glauben Rechnung getragen werden, auf welchem die von der Rechtsprechung entwickelte relative Berechnungsmethode beruht (BGE 111 II 203 f. mit Hinweisen). Danach darf der Mieter davon ausgehen, der vertraglich vereinbarte oder nachträglich angepasste Mietzins verschaffe dem Vermieter einen sowohl zulässigen wie auch genügenden Ertrag, es sei denn, der Vermieter habe durch eine Vorbehaltserklärung dessen Ungenügen zum Ausdruck gebracht. Zutreffend ist daraus in Lehre und Rechtsprechung abgeleitet worden, der Vertrauensgrundsatz setze auch der Mietzinsanpassung nach marktmässigen Kriterien Schranken, indem der Vermieter diese Faktoren nur insoweit anrufen könne, als sich die Verhältnisse seit der letzten Mietzinsfestsetzung verändert hätten (ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 161; Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 11. September 1989, in: Mietrechtspraxis 1990 S. 103). Dieser Betrachtungsweise hat sich das Bundesgericht in den beiden Urteilen (BGE 117 II 457 E. 4a und 461 f.) angeschlossen.
b) Die marktmässigen Kriterien im Sinne von Art. 269a lit. a OR oder Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM sind aufgrund eines statistisch aussagekräftigen Vergleichs mit anderen Mietwohnungen zu bestimmen (BGE 114 II 362 ff. E. 3 und 4). Bei der Abklärung der Marktverhältnisse
BGE 118 II 130 S. 135
ist daher zum einen auf eine repräsentative Anzahl von Vergleichsobjekten abzustellen, und zum andern muss die Entwicklung der Verhältnisse während einer gewissen Zeitspanne festgestellt werden können, um Zufälligkeiten bei der Ermittlung der massgebenden Vergleichswerte auszuschliessen. Aus diesen Gründen kann der Vermieter die Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Mietzinse nur dann verlangen, wenn sich die Vergleichsmieten seit der letzten Mietzinsfestsetzung während eines statistisch erheblichen Zeitraumes verändert haben, wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Praxis anderer kantonaler Gerichte (vgl. bereits zitiertes Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, in: Mietrechtspraxis 1990 S. 103) und wird auch in der Literatur vertreten, wobei lediglich Uneinigkeit darüber besteht, ob die Berufung auf die Orts- oder Quartierüblichkeit allgemein erst nach fünf bis sieben Jahren zuzulassen sei (so BARBEY, Übersicht über die neuere Rechtsprechung zum BMM, in: Mietrechtspraxis 1988 S. 136) oder ob eine auf den Einzelfall abgestimmte Festlegung des Zeitintervalls vorzuziehen sei (so ZIHLMANN, a.a.O., S. 134/5).
Zu dieser Kontroverse braucht im vorliegenden Fall nicht Stellung genommen zu werden, da jedenfalls eine Zeitspanne von neun Monaten seit der letzten Mietzinsfestsetzung oder von weniger als zwei Jahren seit Mietbeginn im allgemeinen nicht ausreicht, um eine allfällige Veränderung des orts- oder quartierüblichen Mietzinsniveaus statistisch zuverlässig festzustellen. Dass diese Annahme wegen besonderer Umstände, etwa aussergewöhnlich schnell ablaufender Veränderungen der Marktverhältnisse, unbegründet sei, macht die Klägerin nicht geltend. Damit kann offenbleiben, ob die verlangte Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Mietzinse zudem daran scheitern würde, dass in der Ankündigung der Mietzinserhöhung vom 18. September 1989, die ausschliesslich mit dem Ansteigen des Hypothekarzinsfusses begründet wurde, kein entsprechender Vorbehalt angebracht worden ist.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 3

Referenzen

BGE: 117 II 457, 106 II 168, 117 II 460, 117 II 456 mehr...

Artikel: Art. 269 OR, Art. 269a lit. a OR, Art. 15 Abs. 1 lit. a BMM, Art. 18 OR mehr...