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Urteilskopf

94 I 48


8. Urteil vom 21. Februar 1968 i.S. Stalumag AG gegen Bichler & Co. und Bezirksgericht Neutoggenburg

Regeste

Art. 59 BV.
Die Klage auf Herausgabe eines Betrages, der Sicherheits halber hinterlegt worden ist, um ein Pfand oder retinierte Sachen auszulösen oder um die Bestellung eines Pfandrechtes abzuwenden, ist keine "persönliche Ansprache". Sie braucht deshalb nicht am Wohnsitz des Schuldners erhoben zu werden.

Sachverhalt ab Seite 48

BGE 94 I 48 S. 48
Die Stalumag AG mit Sitz in Chur liess in Lichtensteig ein Mehrfamilienhaus errichten, wobei sie die Lieferung und Erstellung der elektrischen Anlagen der Bichler & Co. in Wattwil vergab. Diese ersuchte das Bezirksgerichtspräsidium
BGE 94 I 48 S. 49
Neutoggenburg am 23. November 1966 um die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts. Die Stalumag AG widersetzte sich diesem Gesuch, indem sie sowohl die Rechtzeitigkeit der Forderungsanmeldung als auch das Bestehen einer Schuldpflicht bestritt; sie zahlte dann aber auf das Sperrkonto des Bezirksgerichtspräsidiums Neutoggenburg bei der Schweizerischen Bankgesellschaft den Betrag von Fr. 12 539.90 als Sicherheit für die angemeldete Forderung ein. Das Bezirksgerichtspräsidium schrieb hierauf das Gesuch um Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts als gegenstandslos geworden ab und setzte der Bichler & Co. eine Frist an, um gegen die Stalumag AG Klage zu erheben, unter der Androhung, dass diese sonst über den hinterlegten Betrag frei verfügen könne. Die Bichler & Co. reichte darauf beim Bezirksgericht Neutoggenburg gegen die Stalumag AG Klage auf Zahlung von Fr. 12 539.90, auf Anerkennung eines Pfandrechts am hinterlegten Betrag und eventuell auf Bewilligung eines Bauhandwerkerpfandrechts ein. Am 4. Dezember 1967 setzte das Bezirksgericht der Stalumag AG eine Frist zur Klagebeantwortung an.
Die Stalumag AG führt hiergegen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 59 BV mit dem Antrag, es sei die Verfügung des Bezirksgerichts Neutoggenburg aufzuheben und festzustellen, dass die st.gallischen Gerichte zur Beurteilung der Klage unzuständig seien. Die Bichler & Co. schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 59 BV kann gegen jede Verfügung erhoben werden, die sich als Ausübung der Gerichtsbarkeit darstellt. Sie kann demnach auch an die Aufforderung des erstinstanzlichen Gerichts zur Beantwortung der Klage angeknüpft werden (BGE 92 I 38 Erw. 1 mit Verweisungen).

2. Laut Art. 59 Abs. 1 BV muss der aufrecht stehende Schuldner, der in der Schweiz einen festen Wohnsitz hat, für "persönliche Ansprachen" vor dem Richter seines Wohnortes gesucht werden. In der Bezeichnung des Gerichtsstandes für andere Klagen sind die Kantone dagegen (vorbehaltlich der Sonderbestimmungen des Bundeszivilrechtes) frei; sie können hierfür die Zuständigkeit der Gerichte am Ort der gelegenen
BGE 94 I 48 S. 50
Sache vorsehen, wie das in Art. 88 der st.gallischen ZPO für "alle Streitigkeiten über Grundeigentum, Besitz und Rechte an Grundstücken" geschehen ist. Im vorliegenden Fall ist allein streitig, ob die Ansprüche, die Gegenstand der beim Bezirksgericht Neutoggenburg anhängig gemachten Klage bilden, persönlicher Art seien.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Klagen aus einem Vertrag, sei es auf Erfüllung desselben oder auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, auch dann persönlicher Natur, wenn sich der Vertrag auf eine Liegenschaft bezieht, wie der Vertrag über Arbeiten an einem Hause (BGE 92 I 202 /3 mit Verweisungen). Anderes gilt, wenn der streitige Anspruch durch ein Pfandrecht, ein Retentionsrecht oder eine Vormerkung im Grundbuch gesichert ist (BGE 49 I 456, BGE 81 I 221, BGE 92 I 203), oder wenn die Klage zugleich auf die Zahlung einer Schuld und auf die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts für den geschuldeten Betrag geht (BGE 41 I 294 Erw. 3): In diesen Fällen ist die Klage nicht persönlicher Art.
Nach einer - heute wohl vorherrschenden - Lehrmeinung, der auch ein Teil der Rechtsprechung folgt, ist das Recht, das die Hinterlegung Sicherheits halber (consignation à titre de sûreté) zugunsten des Gläubigers an der hinterlegten Sache oder am hinterlegten Betrag begründet, als Pfandrecht aufzufassen (vgl. OFTINGER, Das Fahrnispfand, Systematischer Teil, N. 215 ff., und das in A. 215 a genannte Schrifttum; BGE 59 III 131, zurückhaltender BGE 61 III 76 /77). Die Klage auf Herausgabe der Hinterlage ist nach dieser Lehre durchwegs nicht persönlicher Art; sie braucht deshalb nicht am Wohnsitz des aufrecht stehenden Schuldners angebracht zu werden. Auch soweit die Rechtsprechung sich der angeführten Lehrmeinung nicht zur Gänze angeschlossen hat, hält sie doch dafür, dass die Hinterlegung Sicherheits halber dann eine dingliche Sicherheit begründe, wenn die Hinterlage an die Stelle eines Pfandes oder retinierter Sachen tritt; sie hat es daher als zulässig erklärt, die Klage auf Herausgabe einer solchen Hinterlage am Ort der gelegenen Sache einzuleiten (BGE 10 S. 204, BGE 24 I 222, BGE 93 I 551 Erw. 1; BURCKHARDT, Kommentar, 3. Aufl., S. 553). Entscheidend ist nach dieser Betrachtungsweise, dass die Hinterlegung die gleiche Aufgabe zu erfüllen hat wie das Pfandrecht oder das Retentionsrecht. Kommt es dergestalt auf die Funktion der Hinterlage an, so macht es aber keinen
BGE 94 I 48 S. 51
Unterschied aus, ob diese eine bereits bestehende anderweitige Sicherheit zu ersetzen hat (wie das in den Fällen zutraf, mit denen sich die letzterwähnten Urteile befassen), oder ob sie vor der Begründung einer solchen anderen Sicherheit und zu deren Abwendung geleistet worden ist: Unter der einen wie unter der andern Voraussetzung hat die Klage auf Herausgabe der Hinterlage nicht als "persönliche Ansprache" im Sinne des Art. 59 Abs. 1 BV zu gelten; sie ist demnach nicht an den Wohnsitz des aufrecht stehenden Schuldners zu verweisen. Dieses Ergebnis hat auch die in BGE 92 I 204 angerufene Forderung der Rechtssicherheit für sich, schafft sie doch für den Rechtsuchenden eine klare Lage.
Im Lichte der vorstehenden Erwägungen erheben sich Zweifel, ob an der in BGE 91 I 121 ff. vorgesehenen Ausnahme festzuhalten sei, wonach bei der Ersetzung eines Pfandrechts durch eine Bankbürgschaft die Klage auf Zahlung der verbürgten Schuld als "persönliche Ansprache" am Wohnsitz des Schuldners anzubringen ist. Die Frage kann jedoch offen bleiben, da dieser Sachverhalt hier nicht zur Erörterung steht.

3. Die Beschwerdegegnerin kam beim Bezirksgerichtspräsidium Neutoggenburg um die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts ein. Bevor der Richter über das Gesuch zu befinden hatte, hat die Beschwerdeführerin den streitigen Betrag auf einem Sperrkonto des Gerichts bei der Schweizerischen Bankgesellschaft hinterlegt. Die Hinterlegung war bestimmt, die Einräumung der verlangten dinglichen Sicherheit abzuwenden. Der beim Bezirksgericht Neutoggenburg eingeleitete Streit um das Recht an der hinterlegten Summe ist deshalb nach dem in Erw. 2 Gesagten nicht persönlicher Natur und nicht vor den Gerichten am Wohnsitz des Schuldners auszutragen. Gleiches gilt für das Klagebegehren auf Zahlung der durch die Hinterlegung gesicherten Schuld. Die Bewilligung eines Bauhandwerkerpfandrechts, welche die Beschwerdegegnerin hilfsweise beantragt, ist ebenfalls am Ort der gelegenen Sache nachzusuchen. Der Art. 59 Abs. 1 BV steht mithin der Behandlung der von der Beschwerdegegnerin angehobenen Klage durch die Gerichte des Kantons St. Gallen nicht entgegen.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3

Dispositiv

Referenzen

BGE: 92 I 38, 92 I 202, 81 I 221, 92 I 203 mehr...

Artikel: Art. 59 BV, Art. 59 Abs. 1 BV