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Urteilskopf

95 I 97


14. Auszug aus dem Urteil vom 30. April 1969 i.S. Bissig gegen Einwohnergemeinde der Stadt Grenchen und Regierungsrat des Kantons Solothurn.

Regeste

Staatsrechtliche Beschwerde. Der Entscheid, durch den die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts verweigert wird, ist ein Endentscheid im Sinne des Art. 87 OG (Erw. 2).
Bauhandwerkerpfandrecht an Grundeigentum einer Gemeinde. Die Art. 9 und 10 des BG vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts schliessen, wie ohne Willkür angenommen werden kann, ein Bauhandwerkerpfandrecht (Art. 837 Ziff. 3 ZGB) an einem zum Verwaltungsvermögen einer Gemeinde gehörenden Grundstück aus (Erw. 4 a). Widmung als Voraussetzung der Überführung einer Sache vom Finanz- ins Verwaltungsvermögen (Erw. 4 b).

Sachverhalt ab Seite 98

BGE 95 I 97 S. 98

A.- Die Einwohnergemeinde der Stadt Grenchen ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. 5266, auf dem sich Schulgebäude befinden. Sie liess dort in den Jahren 1967/68 einen Kindergarten erstellen und vergab gewisse Arbeiten an die Firma Alupräzision E. Abele in Schwellbrunn, die Hans Bissig in Gossau als Unterakkordanten beizog. Bissig lieferte und montierte am 8. Januar 1968 zwei Eingangstüren und stellte hiefür der Firma Abele am 13. Januar 1968 mit Fr. 2670.70 Rechnung. Die Firma Abele, die den vereinbarten Werklohn von der Einwohnergemeinde erhalten hatte, geriet in der Folge in finanzielle Schwierigkeiten und zahlte die Rechnung Bissigs nicht. Am 28. März 1968 wurde der Konkurs über sie eröffnet.
Am 23. Februar 1968 hatte Bissig inzwischen den Gerichtspräsidenten von Solothurn-Lebern um vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts auf der Parzelle Nr. 5266 für den Betrag von Fr. 2670.70 ersucht. Der Gerichtspräsident wies das Begehren am 20. März 1968 ab. Hiegegen rekurrierte Bissig an das Obergericht des Kantons Solothurn, wurde aber mit Urteil vom 8. Mai 1968 abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Ein Bauhandwerkerpfandrecht setze voraus, dass eine Pfandverwertung zulässig sei, wofür das BG vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden usw. (SchGG) massgebend sei. Nach Art. 9 SchGG könnten die Vermögenswerte eines Gemeinwesens, die unmittelbar der Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe dienen, weder gepfändet noch verwertet werden. Die Errichtung eines Bauhandwerkerpfandrechts sei daher mangels Exekutionsmöglichkeit ausgeschlossen, falls es sich beim Grundstück Nr. 5266 bzw. beim Kindergarten um einen Vermögenswert im Sinne von Art. 9 SchGG handle. Zum gleichen Ergebnis führe der gestützt auf Art. 796 Abs. 2 ZGB erlassene § 280 solothurn. EG/ZGB, wonach Grundstücke, die einer Gemeinde zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unmittelbar zu dienen bestimmt sind, nicht verpfändet werden dürfen. Der Beschwerdeführer wende zu Unrecht ein, der Kindergarten sei zur Zeit der Geltendmachung seines Anspruchs auf Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts noch nicht bezogen gewesen. Zwar könne
BGE 95 I 97 S. 99
eine öffentliche Sache nur durch einen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde (Widmung) errichtet werden. Dieser Verwaltungsakt sei aber zweifellos bereits mit dem Beschluss der Erstellung des Kindergartens und nicht erst mit seiner Indienstnahme erfolgt. Zudem gehöre die Parzelle Nr. 5266 auch insofern zum Verwaltungsvermögen, als darauf seit mehr als 10 Jahren ein grösserer Schulhauskomplex stehe.

B.- Gegen dieses Urteil hat Hans Bissig beim Bundesgericht gleichzeitig eine Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 68 lit. a OG und eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV eingereicht.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, das Obergericht habe zu Unrecht § 280 EG/ZGB, der gestützt auf den nur für die vertragliche Pfandbestellung geltenden Art. 796 Abs. 2 ZGB erlassen worden sei, angewendet statt der für die gesetzliche Pfandbestellung geltenden Art. 837 ff. ZGB.
Zur Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde wird dem Obergericht u.a. vorgeworfen, es habe die Art. 9 und 11 SchGG willkürlich ausgelegt und angewendet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid, durch den ein Begehren um vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts (Art. 961 ZGB, 22 Abs. 4 GBV) abgewiesen worden ist. Gegen einen solchen Entscheid ist die Berufung an das Bundesgericht nicht zulässig (BGE 71 II 250 mit Verweisungen); sie fällt hier auch wegen des nur Fr. 2670.70 betragenden Streitwertes ausser Betracht (Art. 46 OG). Dagegen ist die Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 68 OG zulässig und vom Beschwerdeführer auch ergriffen worden. Soweit dieses Rechtsmittel (über das die Entscheidung in Anwendung von Art. 74 in Verbindung mit Art. 57 Abs. 5 OG bis zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt wurde) zulässig ist, ist die staatsrechtliche Beschwerde ausgeschlossen (Art. 84 Abs. 2 OG). Dagegen ist die staatsrechtliche Beschwerde unter dem Gesichtspunkt des Art. 87 OG zulässig, denn der Entscheid, durch den die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts verweigert wird, ist - im Gegensatz zur Bewilligung (BGE 93 I 62 Erw. 2 und 3) - ein letztinstanzlicher
BGE 95 I 97 S. 100
Endentscheid im Sinne von Art. 87 OG, da das beanspruchte Bauhandwerkerpfandrecht, sofern der Entscheid bestehen bliebe, gemäss Art. 839 Abs. 2 ZGB verwirkt wäre (nicht veröffentlichte Erwägung 1 des in BGE 86 I 265 publizierten Urteils; vgl. BGE 53 II 218).

4. Das Obergericht leitet aus dem BG vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden usw. (SchGG) ab, dass ein Grundstück, das zum Verwaltungsvermögen einer Gemeinde gehört, nicht Gegenstand eines Bauhandwerkerpfandrechts sein könne. Das Bundesgericht hat nicht zu prüfen, ob diese Auslegung eines Bundesgesetzes richtig oder unrichtig sei, sondern nur, ob sie willkürlich, d.h. mit dem klaren Wortlaut und Sinn des SchGG unvereinbar, mit vernünftigen Gründen nicht zu vertreten sei. Der Beschwerdeführer macht denn auch geltend, die Auffassung des Obergerichts sei willkürlich.
a) Das SchGG regelt unter Ziff. III die Pfändbarkeit und Verpfändbarkeit des Vermögens der Gemeinden. Dabei unterscheidet es im Anschluss an die Rechtslehre (FLEINER, Institutionen, 8. Aufl. S. 352/3; RUCK, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. S. 139/40; HAAB N. 3-7 zu Art. 664 ZGB) und die Rechtsprechung (vgl. BGE 89 I 43) zwischen dem Finanz- und dem Verwaltungsvermögen. Das Verwaltungsvermögen umfasst die Vermögenswerte, die unmittelbar der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben des Gemeinwesens dienen (Art. 9 Abs. 1), also neben den von der Rechtslehre als Verwaltungsvermögen bezeichneten Sachen auch die Sachen im Gemeingebrauch (vgl. Botschaft zum SchGG, BBl 1939 II 11/12), während zum Finanzvermögen die Vermögenswerte gehören, die nicht Verwaltungsvermögen sind (Art. 7 Abs. 2). Die zum Verwaltungsvermögen zu rechnenden Vermögenswerte können nach Art. 9 Abs. 1 auch mit Zustimmung der Gemeinde weder gepfändet noch verwertet werden. Im Anschluss hieran bestimmt Art. 10 Abs. 1, dass die unpfändbaren Vermögenswerte nicht gültig verpfändet werden können, solange sie öffentlichen Zwecken dienen. Damit ist die Behauptung des Beschwerdeführers widerlegt, dass das SchGG nur die Exekutionsmöglichkeit regeln wolle. Zu prüfen bleibt, ob sich der Ausschluss der Verpfändung, wie der Beschwerdeführer glaubt, nur auf die vertragliche Pfandbestellung beziehe oder aber, wie das Obergericht annimmt, auch auf das Bauhandwerkerpfandrecht.
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Das Obergericht verneint die Möglichkeit eines Bauhandwerkerpfandrechts an Verwaltungsvermögen deshalb, weil solches Vermögen auch nicht Gegenstand einer Pfandverwertung sein könne. Diese Auffassung erscheint als zutreffend und kann zum mindesten nicht als mit dem Wortlaut und Sinn des SchGG unvereinbar, schlechthin willkürlich bezeichnet werden. Wenn Art. 10 die Verpfändung der unpfändbaren Vermögenswerte als ungültig erklärt, so offenbar deshalb, weil ein Pfandrecht ohne die Möglichkeit, es auf dem Wege der Betreibung auf Pfandverwertung geltend zu machen, sinnlos wäre. Diese Überlegung aber trifft für das Bauhandwerkerpfandrecht im gleichen Masse zu wie für die vertraglichen Pfandrechte. Der Beschwerdeführer sagt denn auch mit keinem Worte, was ihm die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch nützen könnte ohne die Möglichkeit, das Pfand zu seinen Gunsten verwerten zu lassen.
LEEMANN (N. 21 zu Art. 837 und N. 13 zu Art. 796 ZGB) nimmt freilich an, dem Pfandbestellungsanspruch nach Art. 837 ZGB unterlägen auch die öffentlichen Sachen ungeachtet allfälliger Verpfändungsverbote oder -beschränkungen des kantonalen Rechts. Die Berufung des Beschwerdeführers auf diese vor mehr als 40 Jahren geäusserte und nicht näher begründete Auffassung hilft ihm schon deshalb nicht, weil diese sich auf das Verhältnis des Art. 837 ZGB zu kantonalen Verpfändungsverboten und -beschränkungen bezieht und sich die Rechtslage seither geändert hat. Der Bundesgesetzgeber hat im SchGG von 1947 zwingende bundesrechtliche Vorschriften über die Verpfändbarkeit namentlich des Vermögens der Gemeinden erlassen, und aus diesen bundesrechtlichen Vorschriften, die den von den Kantonen aufgrund von Art. 796 Abs. 2 ZGB erlassenen Vorschriften vorgehen, lässt sich, wie dargelegt wurde, jedenfalls ohne Willkür ableiten, dass Verwaltungsvermögen der Gemeinden nicht verpfändet werden und auch nicht Gegenstand von Pfandbestellungansprüchen im Sinne des Art. 837 ZGB sein kann.
Diese Auslegung des SchGG hat zur Folge, dass Handwerker, die - namentlich als Unterakkordanten - Material und Arbeit oder Arbeit allein zu Bauten geliefert haben, die zum Verwaltungsvermögen einer Gemeinde gehören, den Schutz nicht geniessen, den Art. 837 Ziff. 3 ZGB den Handwerkern, die an privaten Bauten arbeiten, verleiht. Diese Ungleichheit ist
BGE 95 I 97 S. 102
indessen aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 BV nicht zu beanstanden, da sie sich aus dem SchGG ergibt, das für das Verwaltungsvermögen der Gemeinden sowohl inbezug auf die Pfändbarkeit wie auch auf die Verpfändbarkeit eine Sonderregelung enthält. Handwerker, die als Unterakkordanten an öffentlichen Bauten arbeiten, müssen sich auf andere Weise gegen Verluste infolge Zahlungsunfähigkeit ihrer Auftraggeber zu schützen suchen, z.B. dadurch, dass sie sich von diesen Vorschüsse bezahlen oder Sicherheiten bestellen lassen.
b) Dass ein Kindergarten unmittelbar der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe der Gemeinde dient und daher gemäss Art. 9 SchGG zum Verwaltungsvermögen der Gemeinde gehört, bestreitet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. Dagegen macht er für den Fall, dass das SchGG anwendbar sein sollte und in der im angefochtenen Entscheid vertretenen Weise ausgelegt werden darf, geltend, dass das Kindergartengebäude, an dem er zwei Eingangstüren montiert hat, im Zeitpunkt der Geltendmachung seines Anspruchs auf Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts und vor allem auch zur Zeit der Arbeit noch nicht bezogen gewesen sei, also damals nicht zum Verwaltungs-, sondern noch zum Finanzvermögen der Gemeinde gehört habe und deshalb pfändbar und verpfändbar gewesen sei.
Damit eine Sache, die ein Gemeinwesen von einem Privaten erwirbt oder die bereits Eigentum des Gemeinwesens war, aber zum Finanzvermögen gehörte, zum Bestandteil des Verwaltungsvermögens (oder zur Sache im Gemeingebrauch) wird, bedarf es eines besondern Verwaltungsaktes der zuständigen Behörde, die als Widmung bezeichnet wird (FLEINER a.a.O. S. 353/4; RUCK, a.a.O. S. 141; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung 3. Aufl. zu Nr. 421). Auf diese Widmung nimmt Art. 11 SchGG Bezug, der die Verpfändbarkeit bei der Überführung ins Verwaltungsvermögen regelt. Das Obergericht hat angenommen, dass die Widmung bereits mit dem Beschluss zur Errichtung des Kindergartens und nicht erst mit dessen Indienstnahme erfolgt sei. Der Beschwerdeführer erblickt hierin eine willkürliche Verletzung des Art. 11 SchGG. Die Frage, durch welchen Akt ein Schulgebäude ins Verwaltungsvermögen übergeführt wird, kann dahingestellt bleiben. Wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt und in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht bestritten wird, steht auf dem Grundstück Nr. 5266, auf dem das Kindergartengebäude erstellt wurde, seit mehr als
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lo Jahren ein grösserer Schulgebäudekomplex. Das Grundstück Nr. 5266 gehörte somit schon, bevor mit dem Bau des Kindergartens begonnen wurde, zum Verwaltungsvermögen der Gemeinde und war gemäss Art. 9 und 10 SchGG unpfändbar. Das hatte, da alle auf dem Grundstück erstellten weiteren Bauten Bestandteile desselben werden (Art. 667 Abs. 2 ZGB), zur Folge, dass das Kindergartengebäude nie zum Finanzvermögen, sondern vom Beginn der Bauarbeiten an zum Verwaltungsvermögen der Gemeinde gehörte und eine gesonderte Pfändung und Verpfändung des Gebäudes nie in Frage kam. Damit erweist sich auch die Rüge, das Obergericht habe Art. 11 SchGG willkürlich verletzt, als unbegründet.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 2 4

Referenzen

BGE: 93 I 62, 86 I 265, 89 I 43

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