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Urteilskopf

113 III 82


17. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. März 1987 i.S. J. gegen J. (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Direkte Auszahlung der Zusatzrente gemäss Art. 34 IVG an die Ehefrau; zulässige Einwendung gegen die definitive Rechtsöffnung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG.
Es ist nicht willkürlich, davon auszugehen, dass gerichtlich festgelegte Unterhaltsbeiträge durch eine direkt an die unterhaltsberechtigte Ehefrau ausbezahlte Zusatzrente gemäss Art. 34 Abs. 1 und 3 IVG getilgt werden, und die definitive Rechtsöffnung zu verweigern, soweit der Unterhaltsverpflichtete durch eine Bestätigung der Ausgleichskasse die direkte Auszahlung der Zusatzrente an die unterhaltsberechtigte Ehefrau beweist (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 83

BGE 113 III 82 S. 83

A.- Gemäss Verfügung vom 11. April 1975 des Gerichtspräsidenten II von Bern hat J. seiner getrennt lebenden Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 850.-- zu bezahlen. Seit 1. Januar 1985 bezieht er eine ganze IV-Rente. Die Zusatzrente für die Ehefrau gemäss Art. 34 IVG wird dieser direkt ausbezahlt. Der Ehemann hat deswegen seine Unterhaltsleistungen um den gleichen Betrag gekürzt.

B.- Die Ehefrau leitete in der Folge beim Betreibungsamt Seftigen gegen ihren Ehemann Betreibung im Betrage von Fr. 3'986.-- für nicht bezahlte Unterhaltsbeiträge ein. Das Gesuch um definitive Rechtsöffnung wurde vom Gerichtspräsidenten von Seftigen mit Entscheid vom 13. Oktober 1986 abgewiesen.
Die von der Ehefrau erhobene Appellation wies der Appellationshof des Kantons Bern am 10. November 1986 ab.

C.- Gegen diesen Entscheid wendet sich die Ehefrau mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. In der Betreibung Nr. 7020 des Betreibungsamtes Seftigen sei für den Betrag von Fr. 3'986.-- nebst Zins zu 5% seit dem 1. April 1986 definitive Rechtsöffnung zu erteilen.
J. beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Appellationshof des Kantons Bern hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil im Sinne von Art. 80 SchKG, das von einer Behörde des Bundes oder des Betreibungskantons gefällt worden ist, so gewährt der Richter gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG die Rechtsöffnung,
BGE 113 III 82 S. 84
wenn der Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Urteils getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
Zu prüfen bleibt, ob der Rechtsöffnungsrichter in Willkür verfallen ist, indem er die Einwendung des Beschwerdegegners, die durch Verfügung des Eheschutzrichters ausgewiesene Alimentenforderung von monatlich Fr. 850.-- sei teilweise durch die Auszahlung der IV-Zusatzrente getilgt worden, als zulässige Einrede im Sinne dieser Bestimmung berücksichtigt hat. Ebenso ist zu prüfen, ob der Rechtsöffnungsrichter dabei von einem willkürlichen Verständnis von Art. 34 IVG ausgegangen ist, wie die Beschwerdeführerin behauptet.
a) Willkür in der Rechtsanwendung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 4 BV u.a. dann vor, wenn ein Entscheid eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder sonst in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es jedoch nicht, wenn sich nur die Begründung des angefochtenen Entscheides als unhaltbar erweist. Die Aufhebung des angefochtenen Entscheides rechtfertigt sich nur, wenn dieser im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 110 Ia 3 f.; 108 III 42; BGE 106 Ia 314 f.).
b) Gemäss Art. 34 Abs. 1 IVG haben rentenberechtigte Ehemänner, denen keine Ehepaarrente zusteht, Anspruch auf eine Zusatzrente für die Ehefrau. Sorgt der Ehemann nicht für die Ehefrau, oder leben die Ehegatten getrennt oder sind sie geschieden, so ist die Zusatzrente nach Absatz 3 dieser Gesetzesbestimmung auf Verlangen der Ehefrau auszubezahlen, wobei abweichende zivilrichterliche Anordnungen vorbehalten bleiben.
Dieser klaren gesetzlichen Vorschrift kann entnommen werden, dass es sich bei der fraglichen Zusatzrente für die Ehefrau um einen Anspruch des Ehemannes handelt. Dies gilt auch dann, wenn die Zusatzrente wie im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 34 Abs. 3 IVG der Ehefrau ausbezahlt wird, weil die Ehegatten getrennt leben. Denn eine solche Unterhaltsrente dient - unabhängig vom Auszahlungsmodus - grundsätzlich der Erleichterung der Unterhaltspflicht des invalid gewordenen Ehemannes, nicht der Bereicherung des Unterhaltsempfängers (BGE 103 V 98; BIGLER-EGGENBERGER, Soziale Sicherung der Frau, S. 129, 137 f.; TH. KOLLER, Die eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung im Verhältnis zum schweizerischen Eherecht, Diss. Bern 1983, S. 144a ff., insbesondere 144d f.; derselbe, AHV und Eherecht
BGE 113 III 82 S. 85
- Standortbestimmung und Ausblick, in: ZBJV 121/1985, S. 317 und 319; vgl. auch BBl 1971 II 1090 f., 1025 in Verbindung mit 1137).
In BGE 103 V 98 ist zwar zu Recht festgehalten worden, diese Rechtsprechung beziehe sich auf Verheiratete und bei geschiedenen Eheleuten seien die Verhältnisse grundlegend anders geregelt. Zunächst entfalle bei diesen die umfassende Unterhaltspflicht des Ehemannes und, sofern eine solche Unterhaltspflicht überhaupt noch bestehe, beschränke sie sich auf einen Beitrag an den Unterhalt, der vom Richter oder durch Konvention genau begrenzt sei. Hieraus vermag die Beschwerdeführerin jedoch nichts zu ihren Gunsten abzuleiten, nachdem ihre Ehe nicht geschieden, sondern nur getrennt ist. Entgegen ihrer Auffassung entfällt die eheliche Unterhaltspflicht des Ehemannes im Falle einer Trennung nicht. Dessen Unterhaltsleistungen werden im Trennungsurteil einzig genau festgelegt (vgl. TUOR/SCHNYDER, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 10. Aufl., S. 175). Dies rechtfertigt jedoch keineswegs, die getrennte Ehe in bezug auf die Unterhaltsleistungen wie eine geschiedene zu behandeln. Entscheidend bleibt vielmehr, dass die eheliche Unterhaltspflicht des Ehemannes weiterhin Bestand hat. Die Rüge einer willkürlichen Anwendung von Art. 34 Abs. 3 IVG, welche die Beschwerdeführerin darin erblickt, dass der Rechtsöffnungsrichter den Wegfall der Unterhaltspflicht des Ehemannes bei der getrennten Ehe als fundamentalen Unterschied zur intakten Ehe nicht beachtet habe, erweist sich daher als unbegründet.
Ob im übrigen bei einer freien Prüfung davon auszugehen wäre, dass die von der Ausgleichskasse erbrachten Leistungen auf die privatrechtliche Unterhaltsverpflichtung des Beschwerdegegners anrechenbar seien, ist hier nicht zu prüfen (verneinend: BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 106 und 121 der Vorbemerkungen zu Art. 149-157 ZGB; Extraits FR, 1964 S. 17 ff.; ebenso BGE 86 I 140 ff. E. 3 in bezug auf Waisenrenten). Entscheidend bleibt einzig, dass es aufgrund des Umstandes, wonach es sich bei der IV-Zusatzrente gemäss Art. 34 Abs. 1 und 3 IVG um einen Anspruch des Ehemannes handelt, mit dem diesem grundsätzlich die Erfüllung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Ehefrau ermöglicht werden soll, nicht als willkürlich erscheint, wenn von einer solchen Anrechenbarkeit ausgegangen wird.
c) Zum Beweis der erfolgten Zahlung, die im übrigen auch unbestritten ist, hat der Beschwerdegegner eine Bestätigung der AHV-Ausgleichskasse über die an die Beschwerdeführerin erfolgte
BGE 113 III 82 S. 86
Ausrichtung der IV-Zusatzrente eingereicht. Es erscheint nicht als willkürlich, wenn der Rechtsöffnungsrichter angenommen hat, der erforderliche Urkundenbeweis im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG sei damit geleistet. Wie bei einer Tilgung der Forderung durch Verrechnung nur die Gegenforderung des Schuldners durch Urkunden nachgewiesen werden muss, die übrigen Voraussetzungen der Verrechnung aber sonstwie dargetan werden können (vgl. FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, S. 242), muss es jedenfalls unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür haltbar sein, wenn der Schuldner durch Urkunden lediglich die Zahlung durch einen Dritten nachweist, im übrigen aber sonstwie dartut, dass dadurch ein ihm zustehender Anspruch ins Vermögen des Anspruchsberechtigten übergegangen ist. Angesichts der klaren Rechtslage, wonach es sich bei der Zusatzrente gemäss Art. 34 Abs. 1 und 3 IVG grundsätzlich um einen Anspruch des Ehemannes handelt, kann dem Rechtsöffnungsrichter auch nicht eine offensichtliche Überschreitung seiner Kompetenz vorgeworfen werden, indem er in unzulässiger Weise über eine heikle materiellrechtliche Frage befunden habe. Ebensowenig geht es um eine Frage, bei der verschiedene Umstände zu beurteilen wären und das Ermessen eine erhebliche Rolle spielen würde.
d) Unbehelflich ist schliesslich der Hinweis auf Art. 285 Abs. 2 ZGB. Aus dieser Bestimmung des Kindesrechts, wonach Kinderzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, vorbehältlich einer anderen Regelung durch den (ordentlichen) Richter zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen sind, lässt sich nichts für eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung im vorliegenden Fall herleiten.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2

Referenzen

BGE: 103 V 98, 110 IA 3, 108 III 42, 106 IA 314 mehr...

Artikel: Art. 34 IVG, Art. 81 Abs. 1 SchKG, Art. 34 Abs. 1 und 3 IVG, Art. 34 Abs. 3 IVG mehr...