137 I 16
Urteilskopf
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3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Nef gegen Axel Springer Schweiz AG und Mitb. sowie Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_322/2010 vom 6. Oktober 2010
Regeste
Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II; Art. 16 Abs. 3 BV; Art. 53 StGB; Prinzip der Justizöffentlichkeit; Informationsfreiheit; Anspruch auf Einsicht in eine rechtskräftige Einstellungsverfügung.
Der in Art. 30 Abs. 3 BV verankerte Grundsatz der Justizöffentlichkeit konkretisiert für den Bereich gerichtlicher Verfahren die Informationsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 3 BV (E. 2.2). Art. 30 Abs. 3 BV findet auch auf Einstellungen nach Art. 53 StGB Anwendung (E. 2.3). Vorliegend ergibt sich das schutzwürdige Informationsinteresse aus der Kontrollfunktion der Medien (E. 2.4).
A. Am 27. September 2006 erstattete Frau X. bei der Stadtpolizei Zürich gegen ihren ehemaligen Lebenspartner Roland Nef eine Strafanzeige wegen Nötigung etc. Gegen Roland Nef wurde in der Folge bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat ein Strafverfahren eröffnet, welches mit Verfügung vom 20. November 2006 an die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich abgetreten wurde. Diese stellte das Verfahren mit Verfügung vom 23. Oktober 2007 ein.
Im Juli und August 2008 ersuchten unter anderem die Axel Springer Schweiz AG und die Weltwoche Verlags AG sowie die Journalisten Dominique Strebel und Alex Baur um Einsicht in die Einstellungsverfügung vom 23. Oktober 2007.
Mit Verfügung vom 15. Dezember 2008 hiess die Staatsanwaltschaft I die entsprechenden Gesuche teilweise gut. Sie ordnete an, die Einstellungsverfügung sei den Gesuchstellern auszuhändigen, wobei alle Hinweise, welche die Person der Anzeigeerstatterin beträfen, zu anonymisieren sowie Erwägung 7 und Dispositiv-Ziff. 3 der Einstellungsverfügung unkenntlich zu machen seien.
Dagegen erhob Roland Nef Rekurs an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit dem Antrag, die Aktenherausgabe sei zu verweigern. Mit Entscheid vom 28. April 2009 hiess die Oberstaatsanwaltschaft den Rekurs gut und untersagte die Herausgabe der Einstellungsverfügung.
B. Gegen diesen Entscheid gelangten die Axel Springer Schweiz AG, die Weltwoche Verlags AG sowie die Journalisten Dominique Strebel und Alex Baur ans Bundesgericht, welches das Verfahren zunächst sistierte, da die genannten Beschwerdeführer zugleich eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich eingereicht hatten. Dieses verneinte indes mit Beschluss vom 29. Juli 2009 seine Zuständigkeit und leitete die Sache ans Obergericht des Kantons Zürich weiter. Mit Entscheid vom 24. September 2009 trat das Obergericht auf die Angelegenheit nicht ein. Auch gegen die beiden letztgenannten Entscheide gelangten die vorerwähnten Beschwerdeführer ans Bundesgericht. Mit Urteil vom 14. Januar 2010 hiess dieses die Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts gut und überwies diesem die Sache zur Beurteilung (BGE 136 I 80).
C. Mit Entscheid vom 19. Mai 2010 hiess das Verwaltungsgericht die von der Axel Springer Schweiz AG, der Weltwoche Verlags AG sowie von Dominique Strebel und Alex Baur erhobene
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Beschwerde gut, soweit es darauf eintrat. Das Verwaltungsgericht hob den am 28. April 2009 ergangenen Entscheid der Oberstaatsanwaltschaft auf und stellte die Verfügung der Staatsanwaltschaft I vom 15. Dezember 2008 wieder her.
D. Mit Eingabe vom 28. Juni 2010 führt Roland Nef Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
2.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, im BGE 134 I 286 E. 6, auf welchen sich die Vorinstanz in ihrer Entscheidbegründung beziehe, habe das Bundesgericht Art. 30 Abs. 3 BV zwar auf Einstellungs- und Nichtanhandnahmeverfügungen ausgedehnt, jedoch gleichzeitig erwogen, ein Informationsbedürfnis könne sich insbesondere bei systematischen bzw. auffällig häufigen Verfahrenserledigungen ergeben. E contrario sei Art. 30 Abs. 3 BV auf den hier zu beurteilenden Einzelfall per se nicht anwendbar. Ohnehin fehle es aber jedenfalls an einem schutzwürdigen Informationsinteresse seitens der Beschwerdegegner. Der Beschwerdeführer präzisiert, der Inhalt der Einstellungsverfügung sei irrelevant für die Beurteilung der Hintergründe, welche zu seiner Ernennung zum Chef der Armee und zur späteren Auflösung seines Arbeitsverhältnisses geführt hätten. Die Einstellung des Strafverfahrens sei nach eingehender Prüfung der Voraussetzungen von Art. 53 StGB ergangen. Diese Bestimmung ermögliche es der beschuldigten Person einen öffentlichen Prozess zu vermeiden, sodass die Vertraulichkeit gewahrt bleibe. Wenn der Gesetzgeber mit der Verabschiedung von Art. 53 StGB mehr Privatautonomie im Strafverfahren zulasse, müsse auch akzeptiert werden, dass das öffentliche Interesse zurückzutreten habe. Mit einer Herausgabe der Einstellungsverfügung würde mithin Art. 53 StGB ad absurdum geführt. Schliesslich - so hebt der Beschwerdeführer hervor - komme die Vorinstanz auch ihrer Verpflichtung zur Interessenabwägung nicht nach, indem sie lapidar feststelle, besondere Geheimhaltungsinteressen seien nicht auszumachen.
2.2 Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) verankern das Prinzip der Justizöffentlichkeit. Das Öffentlichkeitsprinzip hat zudem Eingang in die kantonale Verfassung gefunden (vgl. Art. 17, 49 und 78 KV/ZH [SR 131.211]); zu
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dessen Umsetzung hat der kantonale Gesetzgeber das Gesetz über die Information und den Datenschutz vom 12. Februar 2007 erlassen (IDG/ZH; LS 170.4).Art. 16 Abs. 1 BV garantiert die Informationsfreiheit, wobei das Recht auf freie Informationsbeschaffung gemäss Art. 16 Abs. 3 BV auf Quellen beschränkt ist, die allgemein zugänglich sind. Als allgemein zugänglich gelten gemäss Art. 30 Abs. 3 BV Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung. Die Bestimmung konkretisiert insofern die Informationsfreiheit für den Bereich gerichtlicher Verfahren (MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 965; vgl. auch BGE 127 I 145 E. 4c/aa S. 153).
Das Prinzip der Justizöffentlichkeit und die daraus abgeleiteten Informationsrechte sind von zentraler rechtsstaatlicher und demokratischer Bedeutung. Sie sorgen für Transparenz in der Rechtspflege, was eine demokratische Kontrolle durch das Volk erst ermöglicht, und bedeuten damit eine Absage an jede Form geheimer Kabinettsjustiz (BGE 134 I 286 E. 6.1 S. 289). Ohne Gerichtsöffentlichkeit sind Spekulationen, ob die Justiz einzelne Prozessparteien ungebührlich benachteiligt oder privilegiert, unvermeidlich. Kritik an einseitiger oder rechtsstaatlich fragwürdiger Ermittlungstätigkeit oder mangelhafter Verfahrensleitung bliebe ausgeschlossen. Die öffentliche Urteilsverkündung im Sinn einer Publikums- und Medienöffentlichkeit ist als Teilgehalt von Art. 30 Abs. 3 BV primär für nicht direkt am Verfahren beteiligte Dritte von Bedeutung, wobei den Medien die Rolle eines Bindeglieds zwischen Justiz und Bevölkerung zukommt (vgl. GEROLD STEINMANN, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 37 zu Art. 30 BV).
2.3 Im BGE 134 I 286, auf welchen im angefochtenen Entscheid wie auch in der Beschwerde Bezug genommen wird, hat das Bundesgericht erwogen, die Einsichtnahme auf Urteile zu beschränken und bei Einstellungs- und Nichtanhandnahmeverfügungen generell auszuschliessen, erscheine zu formalistisch und trage dem Öffentlichkeitsgrundsatz nicht ausreichend Rechnung. Die Öffentlichkeit könne durchaus ein legitimes Interesse an der Klärung der Frage haben, weshalb es zu nichtgerichtlichen Verfahrenserledigungen ohne Straffolgen durch Sach- und Prozessentscheide komme. Bestehe ein solches schutzwürdiges Interesse der Öffentlichkeit sei dieses im Lichte des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes gegen die
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entgegenstehenden Interessen der Justizbehörden und der Verfahrensbeteiligten abzuwägen. Zu prüfen sei dabei, ob den Geheimhaltungsinteressen durch Kürzung oder Anonymisierung der Verfügung ausreichend Rechnung getragen werden könne (vgl. BGE 134 I 286 E. 6.3 und 6.6 S. 290 f.).Diese Erwägungen beziehen sich auf Einstellungs- und Nichtanhandnahmeverfügungen, bei welchen im Hinblick auf eine gerichtliche Beurteilung mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Freispruch (mangels Beweisen oder mangels Strafbarkeit) erfolgen würde (BGE 134 I 286 E. 6.2 S. 289). Im Unterschied dazu steht hier die Einsichtnahme in eine gestützt auf Art. 53 StGB vorgenommene Verfahrenseinstellung zur Diskussion. Nach dieser Bestimmung mit dem Randtitel "Wiedergutmachung" sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen; zugleich müssen die Voraussetzungen für die bedingte Strafe (Art. 42 StGB) erfüllt (lit. a) und das Interesse der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sein (lit. b).
Art. 53 StGB ist Ausdruck des verfahrensrechtlichen Opportunitätsprinzips. Grundlage eines Verzichts auf die Anklageerhebung bzw. Überweisung ans Gericht ist nicht eine Schuldfeststellung, sondern ein hinreichend geklärter belastender Sachverhalt. Die beschuldigte Person muss die Normverletzung aber jedenfalls anerkennen (BGE 135 IV 12 E. 3.5.3 S. 25). Erfolgt die Strafbefreiung, wie vorliegend, im Untersuchungsstadium, basiert diese auf einer hypothetischen Beurteilung der Schuldfrage, geht es doch um den Verzicht auf Weiterführung eines Verfahrens, welches unter Umständen nicht zu einer Verurteilung führen würde (TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2008, N. 4 vor Art. 52 StGB).
Wenn Art. 30 Abs. 3 BV selbst bei Einstellungsverfügungen, bei welchen bei einer gerichtlichen Beurteilung mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Freispruch erfolgen würde, Anwendung findet (BGE 134 I 286 E. 6.2 S. 289), muss dies erst recht für Einstellungen nach Art. 53 StGB gelten, bei welchen die beschuldigte Person die Normverletzung ausdrücklich anerkennt und bei welchen bei einer Überweisung ans Gericht eine Verurteilung in Betracht käme. In solchen
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Fällen liegt es auf der Hand, dass schutzwürdige Informationsinteressen Dritter bestehen können. Wie im Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zum vorliegend zu beurteilenden Fall zutreffend erwogen wird, "lässt sich aus der Einstellung des Verfahrens gerade nicht folgern, dass am Verfahren 'nichts dran' gewesen sei und dass deshalb auch grundsätzlich kein öffentliches Interesse an der Kenntnis des konkreten Inhalts des Strafverfahrens seitens der Wahlbehörde besteht bzw. bestanden hat" (Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom 28. November 2008 über die Umstände der Ernennung von Roland Nef zum Chef der Armee, BBl 2009 3478).
2.4 Voraussetzung für die Einsicht Dritter in Einstellungsverfügungen ist, wie erwähnt, das Vorliegen eines schutzwürdigen Informationsinteresses (BGE 134 I 286 E. 6.3 S. 290). Dieses Erfordernis geht auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Akteneinsichtsrecht bei abgeschlossenen Verfahren gemäss Art. 29 Abs. 2 BV zurück (BGE 129 I 249 E. 3 S. 253).
Bei den Beschwerdegegnern ergibt sich das schutzwürdige Informationsinteresse ohne Weiteres aus der Kontrollfunktion der Medien.
Zunächst steht die Bedeutung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer in Zusammenhang mit dessen Wahl zum Armeechef in Frage. An die persönliche Integrität des Chefs der Armee sind hohe Anforderungen zu stellen. Neben der Anstellungsvoraussetzung eines untadeligen Leumunds muss von ihm zudem erwartet werden können, dass er charakterliche Eigenschaften aufweist, die Gewähr dafür bieten, dass er seiner Position auch in einer Krisensituation gerecht wird. Dementsprechend besteht an der Beantwortung der Frage, welches mutmassliche Verhalten des Beschwerdeführers zur Eröffnung eines Strafverfahrens führte, ein gewichtiges öffentliches Interesse (vgl. auch Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats, a.a.O.).
Des Weiteren geht es um die Überwachung der Justiz und die Klärung der Hintergründe und Umstände der Verfahrenseinstellung gegenüber dem Beschwerdeführer als Person des öffentlichen Lebens. Im Kern ziehen die Beschwerdegegner den korrekten Ablauf der Untersuchung in Zweifel und werfen die Frage auf, ob der Beschwerdeführer allenfalls aufgrund seiner Stellung privilegiert worden sei. An der Klärung dieser Vorwürfe besteht ein gewichtiges Interesse. Zweck der Entscheidöffentlichkeit nach Art. 30 Abs. 3 BV
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ist es gerade, Spekulationen, dass gewisse Personen von der Justiz bevorzugt werden, zu begegnen und Transparenz zu schaffen (vgl. ZELLER, Gerichtsöffentlichkeit als Quelle der Medienberichterstattung, Medialex 2003 S. 16 f.). Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats, welche selber keinen Einblick in die Einstellungsverfügung erhielt, gelangte zwar zum Schluss, das Strafverfahren sei korrekt durchgeführt worden (Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats, a.a.O., BBl 2009 3477). Diese Einschätzung vermag jedoch die demokratische Kontrolle durch die Öffentlichkeit nicht zu ersetzen.
2.5 Dem Grundsatz der Entscheidöffentlichkeit bzw. der Gewährleistung der Einsicht in die Einstellungsverfügung ist immanent, dass hierdurch die Persönlichkeitsrechte des Beschwerdeführers tangiert werden. Dessen Geheimhaltungsinteressen vermögen die dargestellten gewichtigen Informationsinteressen der Beschwerdegegner jedoch nicht aufzuwiegen, zumal der Beschwerdeführer sich als Person des öffentlichen Lebens (auch ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 30 Abs. 3 BV) eher Eingriffe in seine Privatsphäre gefallen lassen muss (vgl. BGE 127 III 481 E. 2c S. 488).
Die gewährte Einsicht ist schliesslich auch verhältnismässig ausgestaltet, indem bestimmt wird, dass die Person der Anzeigeerstatterin zu anonymisieren ist und jene Passagen der Einstellungsverfügung unkenntlich zu machen sind, an deren Einsichtnahme kein schutzwürdiges Interesse besteht. Daran ändert auch entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nichts, dass der Name von Frau X. in den Akten der Staatsanwaltschaft I erwähnt wird und bereits in den Medien kursiert haben soll. Die Akten des Untersuchungsverfahrens sind nicht öffentlich, und der Umstand, dass der Name von Frau X. allenfalls in gewissen Medienberichten Erwähnung fand, spricht nicht dagegen, dass eine Anonymisierung aus Opferschutzgründen weiterhin sachgerecht erscheint.