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148 IV 298


30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_120/2021 vom 11. April 2022

Regeste

Champ d'application de l'ancien art. 260ter ch. 1, respectivement de l'art. 260ter al. 1 CP, de l'art. 2 al. 1 de la loi fédérale interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" et les organisations apparentées du 12 décembre 2014 et de l'art. 74 al. 4 LRens; compatibilité de l'art. 2 al. 1 de la loi avec le principe de la légalité et l'exigence de précision; éléments constitutifs objectifs et subjectifs.
Application de la loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" confirmée, parce que le comportement reproché à la recourante relève du champ d'application temporel de cette loi. La loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique", adoptée par voie d'urgence, est une loi au sens formel, qui respecte le principe de la légalité ancré à l'art. 1 CP. La question de savoir si le comportement de la recourante tombe également sous le coup de l'ancien art. 260ter CP peut rester ouverte (consid. 6.4.1). L'art. 74 al. 4 LRens ne prime pas l'art. 2 de la loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" tant qu'une interdiction fédérale d'Al-Qaïda et de l'Etat islamique (EI) au sens de l'art. 74 al. 1 LRens n'a pas été édictée par le Conseil fédéral et que la loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" est encore en vigueur (consid. 6.4.2).
L'art. 2 al. 1 de la loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" est compatible avec l'exigence de précision de la base légale ancrée à l'art. 1 CP. Par cette disposition, le législateur voulait réprimer tous les actes qui visent à fournir à Al-Qaïda, à l'EI et aux organisations apparentées un soutien matériel ou personnel. Une certaine proximité entre le comportement en cause et les activités criminelles de l'organisation interdite est toutefois exigée (consid. 7.2).
La recourante s'est rendue, en raison de sa foi radicale et en connaissance des atrocités commises par l'EI, avec son frère sur le territoire régi par l'EI, où elle a vécu pendant plusieurs mois avec le soutien financier de l'EI et a participé à la vie de l'EI en tant que membre de la société, tout en accomplissant les tâches qui lui incombaient dans la maison en tant que femme selon les règles de l'EI. Il s'agit là objectivement et subjectivement d'un soutien à l'EI au sens de l'art. 2 al. 1 de la loi interdisant les groupes "Al-Qaïda" et "Etat islamique" (consid. 7.4 et 7.5).

Faits à partir de page 300

BGE 148 IV 298 S. 300

A. Das Jugendgericht des Bezirks Winterthur sprach A.A. (damals noch A.B.) mit Urteil vom 26. Februar 2019 der Widerhandlung gegen Art. 2 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 2014 über das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen (SR 122; nachfolgend: Al-Qaïda/IS-Gesetz) schuldig. Es ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 14 JStG an. Zudem verurteilte es A.A. zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten, wovon es 9 Monate als durch Haft sowie durch die Anrechnung von Schutzmassnahmen als erstanden erklärte. Für die Dauer der einjährigen Probezeit erteilte es A.A. die Weisung, sich zu regelmässigen Treffen mit dem Gewaltschutz der Kantonspolizei Zürich einzufinden.
BGE 148 IV 298 S. 301
Von der Erteilung weiterer Weisungen sah es ab. Das Genugtuungsbegehren von A.A. wies es ab.
Gegen dieses Urteil erhoben A.A. Berufung und die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich Anschlussberufung.

B. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtete mit Urteil vom 22. Oktober 2020 auf die Anordnung einer ambulanten Massnahme und die Erteilung einer Weisung an A.A. Im Übrigen bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.
Das Obergericht hält folgenden Sachverhalt für erwiesen:
Die damals 15-jährige A.A. flog am 18. Dezember 2014 nach entsprechenden Vorbereitungen mit ihrem damals 16 Jahre alten Bruder von Zürich in die Türkei, von wo aus sie aus ihrem radikalen Glauben und vollster Überzeugung heraus handelnd und in Kenntnis der Gräueltaten des Islamischen Staates (IS) mit ihrem Bruder nach Syrien in das Gebiet des IS reiste. Dort wohnten A.A. und ihr Bruder anfänglich nach Geschlechtern getrennt mit jungen Menschen aus verschiedenen Nationen und danach gemeinsam in einer Wohnung. Sie waren nie länger getrennt und hielten sich insbesondere in Manbij auf. Dabei übernahmen sie die nach den Regeln des IS dem jeweiligen Geschlecht zufallenden Aufgaben in der Gesellschaft; A.A. im Haus als Hüterin von Haus und Herd und ihr Bruder in der Koranschule und ausserhalb des Hauses, wo er auch ein Waffenholster trug. Sie wurden durch den IS finanziell unterstützt, wobei A.A. das Geld verwaltete. Im September oder Oktober 2015 kam ihre Mutter zu ihnen und lebte mit ihnen bis zur Flucht aus Syrien zusammen, welche ihnen nach einem missglückten Fluchtversuch im Oktober 2015 am 17. Dezember 2015 gelang.

C. A.A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen und für die erstandene Haft, das "electronic monitoring" sowie für die Videovorführung über die Köpfung von US-amerikanischen Soldaten zu entschädigen. Ihr Verteidiger sei entsprechend den eingereichten Honorarnoten zu entschädigen. A.A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Considérants

Aus den Erwägungen:

6.

6.1 In rechtlicher Hinsicht beanstandet die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz bringe das Al-Qaïda/IS-Gesetz zur Anwendung, ohne zu
BGE 148 IV 298 S. 302
begründen, weshalb dieses Art. 260ter StGB vorgehe. Ein Schuldspruch gestützt auf die Verordnung der Bundesversammlung vom 23. Dezember 2011 über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen (AS 2012 1; nachfolgend: Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011) komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des Dringlichkeitsrechts nicht erfüllt seien und ein solcher Schuldspruch mangels eines Gesetzes im formellen Sinne gegen das in Art. 1 StGB verankerte Legalitätsprinzip verstossen würde. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz sei ebenfalls im Dringlichkeitsrecht erlassen worden. Formelle Gesetze seien weder dringlich noch befristet. Die Existenz von Art. 74 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 25. September 2015 über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG; SR 121) und von Art. 260ter StGB belege, dass in den letzten 18 Jahren genügend Zeit bestanden habe, korrektes formelles, unbefristetes Gesetzesrecht zu schaffen. Damit liege ein Missbrauch des Dringlichkeitsrechts vor, weshalb kein Schuldspruch gestützt auf das Al-Qaïda/IS-Gesetz ergehen dürfe. Weiter sei das Al-Qaïda/IS-Gesetz seit Inkrafttreten von Art. 74 Abs. 4 NDG nicht mehr anwendbar. Ohnehin gebiete Art. 2 Abs. 2 StGB die Anwendung von Art. 74 Abs. 4 NDG als milderes Recht. Ein Schuldspruch gestützt auf diese Bestimmung komme nicht in Betracht, da der Bundesrat den IS nicht entsprechend Art. 74 Abs. 1 NDG verboten habe. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz sei im Zeitpunkt ihrer Einreise in das IS-Gebiet im Dezember 2014 zudem noch gar nicht in Kraft gewesen. Da die Ausreise ohne Genehmigung des IS nicht möglich gewesen sei, liege de facto ein nicht strafbarer Aufenthalt des "Überrolltseins" vor, weshalb der Vorsatz fehle. Die Vorgängerverordnung sei zudem deutlich milder gewesen.

6.2

6.2.1 Nach aArt. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB (Fassung in Kraft bis am 30. Juni 2021) i.V.m. Art. 1 Abs. 2 lit. m JStG (SR 311.1) macht sich strafbar, wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Ebenso macht sich strafbar, wer eine solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt (aArt. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB). aArt. 260ter Ziff. 1 StGB sah als Strafandrohung Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn die Organisation ihre verbrecherische Tätigkeit ganz oder teilweise
BGE 148 IV 298 S. 303
in der Schweiz ausübt oder auszuüben beabsichtigt; Art. 3 Abs. 2 StGB ist anwendbar (aArt. 260ter Ziff. 3 StGB).
Art. 260ter StGB wurde mit dem Bundesbeschluss vom 25. September 2020 über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität (AS 2021 360; nachfolgend: Bundesbeschluss vom 25. September 2020 über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus) einer Revision unterzogen, welche am 1. Juli 2021 in Kraft trat. Mit der Gesetzesrevision ging eine Anpassung einzelner gesetzlicher Kriterien für das Vorliegen einer kriminellen oder terroristischen Organisation, die eine massvolle Ausweitung der Strafbarkeit zu Folge hat, und eine Erhöhung der Strafandrohung einher (Botschaft vom 14. September 2018 zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018 6427 ff.). Art. 260ter Abs. 1 StGB sieht als Sanktion im Erwachsenenstrafrecht neu Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe vor.

6.2.2 Die Rechtsprechung stellte bereits unter dem alten Recht klar, dass sich aArt. 260ter StGB nicht nur auf die organisierte Kriminalität im eigentlichen Sinne bezieht, sondern auch terroristische Organisationen erfasst (BGE 146 IV 338 E. 4.4.1; BGE 145 IV 470 E. 4.1; Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1 und 1.3.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1 und 1.3.1). Dazu gehören die terroristischen Netzwerke des sogenannten "Islamischen Staates" oder von "Al-Qaïda", bei welchen es sich um kriminelle Organisationen im Sinne von aArt. 260ter Ziff. 1 StGB handelt (BGE 145 IV 470 E. 4.1; BGE 142 IV 175 E. 5.8; Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.3.1 und 6.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.3.1; 1B_412/ 2016 vom 5. Dezember 2016 E. 3.4). Allerdings bestehen insoweit auch gewisse Sonderregelungen (Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1). Der Bundesrat erliess im November 2001 gestützt auf Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV die Verordnung vom 7. November 2001 über das
BGE 148 IV 298 S. 304
Verbot der Gruppierung "Al-Qaïda" und verwandter Organisationen, womit er auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagierte. Er verlängerte die Geltungsdauer der Verordnung in den Jahren 2003, 2005 und letztmals im Jahr 2008 bis zum 31. Dezember 2011 (Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1).

6.2.3 Per 1. Januar 2012 wurde die Verordnung des Bundesrates in die auf drei Jahre befristete Al-Qaïda-Verordnung der Bundesversammlung vom 23. Dezember 2011 überführt. Diese Verordnung enthielt in Art. 1 ein Verbot für die Gruppierung Al-Qaïda (lit. a) sowie für Tarn- und Nachfolgegruppierungen der Al-Qaïda und Organisationen und Gruppierungen, die in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit der Al-Qaïda übereinstimmen oder in ihrem Auftrag handeln (lit. b). Wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Art. 1 der Verordnung verbotenen Gruppierung oder Organisation beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert, wird, sofern nicht strengere Strafbestimmungen zur Anwendung kommen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 2 Abs. 1 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011). Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn er in der Schweiz verhaftet und nicht ausgeliefert wird. Art. 7 Abs. 4 und 5 StGB ist anwendbar (Art. 2 Abs. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011).

6.2.4 An die Stelle der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 trat per 1. Januar 2015 das Al-Qaïda/IS-Gesetz vom 12. Dezember 2014. Dieses enthält in Art. 1 ein Verbot für die Gruppierung "Al-Qaïda" (lit. a), die Gruppierung "Islamischer Staat" (lit. b) sowie von Tarn- und Nachfolgegruppierungen der Gruppierung "Al-Qaïda" oder der Gruppierung "Islamischer Staat" sowie Organisationen und Gruppierungen, die in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit der Gruppierung "Al-Qaïda" oder der Gruppierung "Islamischer Staat" übereinstimmen oder in ihrem Auftrag handeln (lit. c). Wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Art. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes verbotenen Gruppierung oder Organisation beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert, wird im Erwachsenenstrafrecht mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes). Strafbar ist auch, wer die Tat im
BGE 148 IV 298 S. 305
Ausland begeht, wenn er oder sie in der Schweiz verhaftet und nicht ausgeliefert wird. Art. 7 Abs. 4 und 5 StGB ist anwendbar (Art. 2 Abs. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes).

6.2.5 Am 1. September 2017 trat zudem das NDG in Kraft. Danach kann der Bundesrat eine Organisation oder Gruppierung verbieten, welche mittelbar oder unmittelbar terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert, unterstützt oder in anderer Weise fördert und damit die innere oder äussere Sicherheit konkret bedroht (Art. 74 Abs. 1 NDG). Nach Art. 74 Abs. 4 NDG macht sich strafbar, wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Art. 74 Abs. 1 NDG verbotenen Organisation oder Gruppierung beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert. Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn er in der Schweiz verhaftet und nicht ausgeliefert wird. Art. 7 Abs. 4 und 5 StGB ist anwendbar (Art. 74 Abs. 5 NDG). Art. 74 Abs. 4 NDG sah in der bis am 30. Juni 2021 geltenden Fassung als Sanktion im Erwachsenenstrafrecht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Mit dem am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Bundesbeschluss vom 25. September 2020 über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus wurde die Strafandrohung auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe erhöht (vgl. Art. 74 Abs. 4 NDG).

6.2.6 Seit dem 1. Juli 2021 kennt das StGB zudem den Tatbestand der Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat im Sinne von Art. 260sexies StGB, der im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils jedoch noch nicht in Kraft war.

6.3

6.3.1 Art. 2 Abs. 1 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 war nur anwendbar, sofern nicht strengere Strafbestimmungen zur Anwendung gelangten. aArt. 260ter StGB drohte Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an und war damit strenger als Art. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011. Das Bundesgericht entschied daher, aArt. 260ter StGB habe Vorrang vor Art. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011. Ein Verhalten, das den Tatbestand von Art. 260ter StGB erfülle, sei nicht auch nach Art. 2 der
BGE 148 IV 298 S. 306
Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 strafbar. Nur Handlungen, die weder als Beteiligung an einer kriminellen Organisation noch als Unterstützung einer solchen gemäss Art. 260ter StGB zu qualifizieren seien, könnten nach Art. 2 der Al-Qaïda-Ver ordnung vom 23. Dezember 2011 strafbar sein (Urteile 6B_1132/ 2016 vom 7. März 2017 E. 1.2.3, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.2.2).

6.3.2 Mit dem Al-Qaïda/IS-Gesetz vom 12. Dezember 2014 wurde der nunmehr auf einer formell-gesetzlichen Grundlage basierende obere Strafrahmen, abweichend von den bestehenden Verordnungen, von drei auf fünf Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Damit fand eine Angleichung an die damals geltenden Strafbestimmungen von aArt. 260ter StGB sowie von Art. 260quinquies StGB statt (Botschaft vom 12. November 2014 zum Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen, BBl 2014 8925 ff., 8934). Auf einen gesetzlichen Verweis auf strengere Strafbestimmungen, wie er in Art. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 enthalten war, wurde in Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes aus diesem Grund verzichtet (BBl 2014 8925 ff., 8934). Der Bundesrat hielt in der Botschaft zum Al-Qaïda/IS-Gesetz dafür, die Anwendbarkeit weiterer Strafbestimmungen, insbesondere aus dem Kernstrafrecht, bleibe gemäss den allgemeinen Grundsätzen über die strafrechtlichen Konkurrenzen vorbehalten. So könne im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Täter durch seine Handlung neben der Unterstützung einer kriminellen Organisation noch andere Straftatbestände erfüllt habe oder inwieweit diese durch die Anwendung der vorgeschlagenen Gesetzesbestimmung konsumiert würden (BBl 2014 8925 ff., 8934).
In der Botschaft vom 22. November 2017 zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen "Al Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen, wies der Bundesrat darauf hin, dass Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes der Strafbestimmung von aArt. 260ter StGB gemäss der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts als jüngeres Spezialgesetz vorgeht, Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes aArt. 260ter StGB mit anderen Worten konsumiere (BBl 2018 87 ff., 100).
In der Botschaft vom 14. September 2018 zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus stellte der Bundesrat klar, dass der neue Art. 260ter StGB Art. 74 Abs. 4 NDG als strengere Strafbestimmung vorgeht (BBl 2018 6427 ff., 6511) und die Strafbestimmungen von Art. 260sexies und Art. 260ter StGB bzw. Art. 74 NDG in echter Konkurrenz zur Anwendung gelangen können, wenn die Anwerbung, Ausbildung oder das Reisen bloss einen Teilbereich der Unterstützung oder Beteiligung an einer Organisation darstellt (BBl 2018 6427 ff., 6511 f.).
BGE 148 IV 298 S. 307

6.4

6.4.1 Die Beschwerdeführerin flog am 18. Dezember 2014 nach Istanbul, von wo aus sie nach Syrien in das Gebiet des IS reiste. Wann genau sie dieses erreichte, kann dem angefochtenen Entscheid nicht entnommen werden. Fest steht indes, dass die Beschwerdeführerin das Gebiet des IS im Oktober 2015 anlässlich eines missglückten Fluchtversuchs zu verlassen versuchte und dass ihr die Ausreise aus Syrien schliesslich am 17. Dezember 2015 gelang.
Die Vorinstanz geht daher zu Recht von der Anwendbarkeit des Al-Qaïda/IS-Gesetzes aus, da das der Beschwerdeführerin vorgeworfene Verhalten in den zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz datiert vom 12. Dezember 2014 und trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Zuvor statuierte die von der Bundesversammlung gestützt auf Art. 173 Abs. 1 lit. c BV und Art. 7c und 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010) erlassene Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 ein identisches Verbot. Art. 7d Abs. 2 lit. a Ziff. 2 RVOG sieht die Ablösung von unmittelbar auf Art. 185 Abs. 3 BV gestützten Verordnungen des Bundesrates durch eine (längstens drei Jahre gültige) Verordnung der Bundesversammlung im Sinne von Art. 173 Abs. 1 lit. c BV vor (vgl. Botschaft vom 18. Mai 2011 zur Verordnung der Bundesversammlung über das Verbot der Gruppierung Al Qaïda und verwandter Organisationen, BBl 2011 4495 ff., 4497). Davon, dass die Beschwerdeführerin vom Inkrafttreten des Al-Qaïda/IS-Gesetzes überrascht und ihr ein gesetzeskonformes Verhalten mangels Ausreisemöglichkeit gar nicht möglich gewesen sein soll, kann daher keine Rede sein. Dass die im Zeitpunkt der mutmasslichen Einreise der Beschwerdeführerin in das Gebiet des IS geltende Strafbestimmung von Art. 2 Abs. 1 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 eine im Vergleich zu Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes mildere Strafandrohung vorsah, ist vorliegend zudem insofern unerheblich, als für den oberen Strafrahmen ohnehin auf Art. 25 Abs. 1 JStG abzustellen ist.
Die Gesetzgebung bei Dringlichkeit ist in Art. 165 BV und Art. 77 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10) geregelt. Die Dringlichkeitserklärung hatte zur Folge, dass das zeitlich befristete Al-Qaïda/IS-Gesetz bereits vor Ablauf der Frist für das fakultative Referendum in Kraft treten konnte (vgl. Art. 141 Abs. 1 lit. b und Art. 165 Abs. 1 BV) und dass wegen der Dringlichkeit kein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt wurde (BBl 2014 8925 ff., 8929).
BGE 148 IV 298 S. 308
Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich beim Al-Qaïda/ IS-Gesetz um ein Gesetz im formellen Sinne handelt (vgl. BBl 2014 8925 ff., 8934), das dem in Art. 1 StGB verankerten Legalitätsprinzip gerecht wird, auch wenn es auf dem Dringlichkeitsweg erlassen wurde.
Die Vorinstanz geht davon aus, das Verhalten der Beschwerdeführerin falle auch unter aArt. 260 ter StGB. Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes gehe aArt. 260 ter StGB als "lex specialis" (Spezialgesetz) jedoch vor. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, da die Beschwerdeführerin nicht behauptet, sie habe sich nach aArt. 260 ter StGB strafbar gemacht.

6.4.2 Fehl geht auch der Einwand der Beschwerdeführerin, das NDG gehe dem Al-Qaïda/IS-Gesetz gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB als milderes Recht vor. Die Geltungsdauer des Al-Qaïda/IS-Gesetzes wurde vom Parlament am 15. Juni 2018 trotz des per 1. September 2017 in Kraft getretenen NDG bis zum 31. Dezember 2022 verlängert (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes). Das Al-Qaïda/IS-Gesetz ist daher nach wie vor in Kraft. Mit der Verlängerung der Geltungsdauer des Al-Qaïda/IS-Gesetzes wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass bis zum Inkrafttreten der bezüglich der Strafandrohung sowie der Bundesstrafkompetenz zu revidierenden Bestimmung von Art. 74 NDG und deren Umsetzung eine Bestrafung gestützt auf Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes weiterhin möglich ist (vgl. BBl 2018 87 ff., 88 ff.). Der Bundesrat hielt in der Botschaft vom 22. November 2017 zudem ausdrücklich fest, dass keine Kollision zwischen den beiden Gesetzen zu befürchten sei, da ein reibungsloser Übergang vom Al-Qaïda/IS-Gesetz auf den revidierten Art. 74 NDG sichergestellt werden könne, indem das Al-Qaïda/IS-Gesetz zum Zeitpunkt aufgehoben werde, an dem die auf Art. 74 NDG gestützte Verfügung über das Organisationsverbot in Kraft trete. Solange der Bundesrat kein Verbot verfüge, bestehe Art. 74 NDG nur auf dem Papier. Während das Al-Qaïda/IS-Gesetz in Kraft sei, habe der Bundesrat keinen Grund, das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie der verwandten Organisationen zu verfügen (BBl 2018 87 ff., 100). Damit brachte der Bundesrat klar zum Ausdruck, dass Art. 74 Abs. 4 NDG Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes nicht vorgehen soll, solange noch kein bundesrätliches Verbot von Al-Qaïda und des IS im Sinne von Art. 74 Abs. 1 NDG erlassen wurde und das Al-Qaïda/IS-Gesetz noch in Kraft ist. Ohnehin sehen der geltende Art. 74 Abs. 4 NDG und Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes identische Strafbestimmungen vor. Auf rein
BGE 148 IV 298 S. 309
verwaltungsrechtliche Bestimmungen gelangt der in Art. 2 Abs. 2 StGB und Art. 15 Abs. 1 Satz 3 Uno-Pakt II (SR 0.103.2) verankerte Grundsatz der "lex mitior" nach der Rechtsprechung nicht zur Anwendung (BGE 123 IV 84 E. 3b; Urteil 6B_1355/2020 vom 14. Januar 2022 E. 5.2.2 mit weiteren Hinweisen).

6.5 Die Vorinstanz stellt für die Beurteilung der Strafbarkeit der Beschwerdeführerin daher zu Recht auf Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. a JStG ab.

7.

7.1 Die Beschwerdeführerin kritisiert weiter, aus dem angefochtenen Entscheid gehe nicht hervor, welche Tatbestandsvariante von Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes erfüllt sei, weshalb eine sachgerechte Anfechtung des Schuldspruchs nicht möglich sei. Darin liege eine gravierende Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Beschwerdeführerin rügt zudem eine Verletzung des in Art. 7 EMRK verankerten Bestimmtheitsgebots. Sämtliche zur Diskussion stehenden Gesetzesbestimmungen würden nicht explizit das Betreten von IS-Gebiet verbieten und aus den Normen lasse sich nicht ableiten, dass das Betreten von IS-Gebiet per se strafbar sei. Eine personelle Unterstützung und die Eingliederung würden eine Tätigkeit mit verbrecherischer Zielsetzung erfordern wie das Teilnehmen oder Unterstützen des Kampfes des IS, die Finanzierung der verbrecherischen Ziele mit Beträgen, die dem IS zum Beispiel erlaubten, Waffen zu kaufen oder Söldner anzuwerben. Mit der Wendung "in anderer Weise" könnten nur Sachverhalte erfasst sein, die die verbrecherischen Ziele des IS verfolgen. Aus der angeblich verpönten personellen Unterstützung sei nicht ableitbar, dass das blosse Betreten des Territoriums des IS strafbar sein könnte.

7.2 Das Bundesgericht befasste sich im Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 mit der Frage, ob Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes dem in Art. 1 StGB verankerten Bestimmtheitsgebot gerecht wird. Es erwog, der Gesetzgeber habe mit Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes sämtliche Aktivitäten von Al-Qaïda, des IS und verwandter Organisationen in der Schweiz und im Ausland unter Strafe stellen wollen, ebenso wie alle Handlungen, die darauf abzielten, diese materiell oder personell zu unterstützen. Die Bestimmung bezwecke den Schutz der öffentlichen Sicherheit schon im Vorfeld von Straftaten. Die Bedrohung durch den IS manifestiere sich in einer aggressiven Propaganda. Es bestehe das Risiko, dass diese Propaganda Personen in der Schweiz zur Verübung von
BGE 148 IV 298 S. 310
Anschlägen oder zum Anschluss an andere terroristische Organisationen verleite. Die Strafbestimmung bewirke eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, indem sie schon das Unterstützen und Fördern der im Titel des Gesetzes benannten terroristischen Organisationen unter Strafe stelle (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.1; vgl. auch Urteil 6B_169/2019 vom 26. Februar 2020 E. 2.1).
Die Generalklausel der "Förderung auf andere Weise" gemäss Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes umschreibe das strafbare Verhalten in einer Weise, welche in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa") von Art. 1 StGB stehe. Soweit man für die Begründung der Strafbarkeit bereits eine äquivalente Kausalität zwischen einer Tathandlung und den Verbrechen des IS als ausreichend ansehen wollte, würden alle denkbaren Fälle erfasst, so dass nicht mehr vorhersehbar wäre, welches Verhalten vom Tatbestand erfasst werde. Damit würde in der Tat die Grenze zwischen strafbarem und erlaubtem Verhalten verwischt. Dass der Gesetzgeber allgemeine Begriffe verwende, die nicht eindeutig allgemeingültig umschrieben werden könnten und deren Auslegung und Anwendung er der Praxis überlassen müsse, lasse sich indes nicht vermeiden. Soweit sich jedenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden Tragweite und Anwendungsbereich der Bestimmung zuverlässig ermitteln liessen, sei die Verwendung von Allgemeinbegriffen regelmässig unbedenklich. In diesem Sinne sei das mit Strafe bedrohte Verhalten im zu beurteilenden Fall insofern einzuschränken, als auf eine gewisse Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS abzustellen sei. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots sei nicht zu erkennen (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1). Daran ist weiterhin festzuhalten.

7.3 Im Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 zu beurteilen war eine geplante Ausreise in die Türkei (der Abflug wurde nur durch das Eingreifen der Polizei verhindert) mit dem Ziel des Betroffenen, sich dem IS in Syrien anzuschliessen und als Märtyrer zu sterben. Das Bundesgericht entschied, dieses Verhalten erfülle den Tatbestand von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes. Der IS werde in seiner verbrecherischen Tätigkeit auch dann gefördert, wenn sich eine Einzelperson von ihm so beeinflussen lasse, dass sie dessen radikalisierende Propaganda in objektiv erkennbarer Weise bewusst weiterverbreite oder sich im vom IS propagierten Sinn gezielt aktiv verhalte. Dem Aufbruch nach Syrien, um sich dem IS
BGE 148 IV 298 S. 311
anzuschliessen und in den Jihad aufzubrechen, komme für zurückgebliebene potentielle Nachahmer eine erhebliche propagandistische Wirkung zu. Indem der Betroffene den vom IS über das Internet und soziale Netzwerke verbreiteten Aufrufen, sich dem "heiligen Krieg" in Syrien mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Staats anzuschliessen, gefolgt sei, habe er nicht nur Bewunderung bei Gleichgesinnten ausgelöst, eine mögliche Nachahmung begünstigt und der Anziehungskraft der terroristischen Gruppierung Vorschub geleistet. In der Identifizierung mit den Zielen des IS und damit auch mit der Art und Weise, wie diese verfolgt würden, sei vielmehr auch eine aktive Werbung für diese Ziele zu sehen. Diese würden namentlich auch die von der terroristischen Gruppierung mit grosser Grausamkeit verübten Verbrechen umfassen, deren Videoaufnahmen über ihre Medienbüros weltweit verbreitet würden. Es treffe offensichtlich nicht zu, dass die Abreise des Betroffenen keine Propagandawirkung entfaltet habe, da dieser vier Tage vor der geplanten Abreise vor der Moschee des Islamischen Vereins D. in U. von allen Personen, welche die Moschee verlassen hätten, auffällig begrüsst oder verabschiedet worden sei. Die Anwesenden seien über die bevorstehende Abreise des Beschwerdeführers daher im Bilde gewesen (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2).

7.4 Der Beschwerdeführerin wird im angefochtenen Entscheid nicht vorgeworfen, sie habe aktiv Werbung für den IS betrieben oder sich an Kampfhandlungen des IS beteiligen wollen. Die Vorinstanz betont vielmehr, die Abreise der Beschwerdeführerin sei heimlich erfolgt. Sie und ihr Bruder hätten ihren Plan mit grosser Akribie und Sorgfalt sowie höchster Geheimhaltung verfolgt und alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit ihre Abreise gelinge und nicht entdeckt werde. Indes blieb es bei der Beschwerdeführerin nicht beim Versuch, zwecks Unterstützung des IS nach Syrien zu reisen, sondern sie lebte effektiv während mehrerer Monate in der Gemeinschaft und mit der finanziellen Unterstützung des IS, zunächst in einer nach Geschlechtern getrennten Unterkunft und danach in einer eigenen Wohnung mit ihrem Bruder. Dort übernahm sie gemäss der Vorinstanz die für eine Frau vorgesehene Rolle im Haus; sie bedeckte sich mit einer Vollverschleierung, war für den Haushalt und das Wohl ihres Bruders zuständig, unterrichtete Kinder in Englisch, gab sich mit den Frauen ab und nahm in dieser Form als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teil. Darin liegt gemäss den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz eine Unterstützung des IS im
BGE 148 IV 298 S. 312
Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes. Die von der Rechtsprechung geforderte Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1) ist gegeben, da die Beschwerdeführerin vor Ort als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teilnahm und sie dort die ihr nach den Regeln des IS als Frau zufallenden Aufgaben erfüllte. Entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin geht es daher nicht darum, das blosse Betreten des Gebiets des IS unter Strafe zu stellen. Nicht erforderlich ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes demgegenüber, dass die inkriminierte Tätigkeit direkt auf die Förderung der vom IS verübten Gewaltstraftaten ausgerichtet ist, da das Al-Qaïda/IS-Gesetz die Gruppierung "Islamischer Staat" als solches verbietet (vgl. Art. 1) und Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes in der Generalklausel explizit jede Förderung der Aktivitäten des IS unter Strafe stellt.
Unerheblich ist für den Schuldspruch, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin unter die Tathandlung der "Beteiligung am IS" oder der "personellen Unterstützung" oder unter die Generalklausel der "Förderung auf andere Weise" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes fällt (vgl. Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2). Darin, dass sich die Vorinstanz diesbezüglich nicht festlegt, liegt entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da das Verhalten in allen Fällen nach Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes strafbar ist.

7.5 Auch der subjektive Tatbestand ist ohne Weiteres erfüllt, da die Beschwerdeführerin die Reise gemäss den willkürfreien und damit verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz im Wissen um die Situation in Syrien und die Gräueltaten des IS unternahm und es ihrem Willen entsprach, sich als Mitglied der Gesellschaft am Leben des IS zu beteiligen. Die Vorinstanz geht mit dem Bezirksgericht gestützt auf die Aussagen der Beschwerdeführerin davon aus, diese habe erst ungefähr ab Sommer 2015 in die Schweiz zurückkehren wollen, wobei ihr erster erfolgloser Fluchtversuch erst im Oktober 2015 stattfand.

7.6 Die Beschwerdeführerin rügt, dem angefochtenen Entscheid lasse sich nicht entnehmen, ob für sie als Minderjährige aufgrund ihrer intellektuellen Entwicklung und ihres Reifegrades überhaupt erkennbar sein konnte, dass sie mit der Reise eine Straftat beging. Urteile über die Bestrafung von Reisenden in das IS-Gebiet habe es damals
BGE 148 IV 298 S. 313
noch nicht gegeben. Das eidgenössische Departement des Äussern (EDA) habe in seinen damaligen und heutigen Reisewarnungen zudem nur erklärt, dass keine diplomatischen und anderen Hilfestellungen erbracht würden, wenn das Gebiet des IS aufgesucht werde. Einen Hinweis, dass das Betreten des IS-Gebiets verboten sei, habe die Reisewarnung nicht enthalten. Es erschliesse sich ihr nicht, weshalb allein schon die Präsenz auf dem Gebiet des IS, alltägliche, harmlose Tätigkeiten wie die Verrichtung von Hausarbeiten, Kontakt mit Frauen aus dem Dorf und das Erteilen von Englischunterricht an Kinder als Unterstützung des IS gewertet werde.
Damit macht die Beschwerdeführerin einen Verbotsirrtum im Sinne von Art. 21 StGB i.V.m. Art. 1 Abs. 2 lit. a JStG geltend, ohne jedoch rechtsgenügend aufzuzeigen, weshalb die Voraussetzungen hierfür erfüllt sein könnten. Ein Verbotsirrtum im Sinne von Art. 21 StGB ist nach der Rechtsprechung ausgeschlossen, wenn der Täter aufgrund seiner laienhaften Einschätzung weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht, bzw. wenn er das unbestimmte Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun. Nicht erforderlich ist, dass der Täter die exakte rechtliche Qualifikation seines Verhaltens kennt (Urteile 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4; 6B_141/ 2020 vom 9. Juli 2020 E. 1.2.1; je mit Hinweisen). Ob der Täter weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht bzw. er ein unbestimmtes Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun, ist eine Sachverhaltsfrage, welche das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüft (BGE 141 IV 336 E. 2.4.3; Urteil 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4). Willkür ist weder rechtsgenügend dargetan noch ersichtlich.

7.7 Ebenfalls nicht weiter einzugehen ist auf den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen, da die Beschwerdeführerin damit von den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz abweicht.

7.8 Der vorinstanzliche Schuldspruch ist nach dem Gesagten bundesrechtskonform.

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Etat de fait

Considérants 6 7

références

ATF: 143 IV 145, 145 IV 470, 146 IV 338, 142 IV 175 suite...

Article: art. 74 al. 4 LRens, art. 1 CP, Art. 260ter StGB, art. 74 al. 1 LRens suite...