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Chapeau

123 I 152


15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. März 1997 i.S. G. und Mitbeteiligte gegen Kantonsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 85 let. a OJ; déclaration de nullité de l'initiative populaire soleuroise "Pour une représentation à droits égaux des femmes et des hommes dans les autorités cantonales - initiative 2001".
Rapport entre l'art. 4 al. 2 phrase 1 Cst. et l'art. 4 al. 2 phrase 2 Cst. L'interdiction de la discrimination constitue une limitation relative de l'obligation de réaliser l'égalité; elle exclut des inégalités de traitement disproportionnées entre les sexes (consid. 3a et 3b).
Exigence de pesée des intérêts dans l'examen de l'admissibilité de mesures positives tendant à la réalisation effective de l'égalité des sexes (consid. 3b-3d).
Conséquences de l'initiative, qui exige de façon impérative, et sans égard aux qualifications, que la représentation des femmes au parlement, au gouvernement et dans les tribunaux corresponde à leur part dans la population (consid. 4).
Examen de cette mesure selon les critères du principe de la proportionnalité (consid. 5-7). Le quota proposé représente une atteinte disproportionnée à l'interdiction de discrimination de l'art. 4 al. 2 phrase 1 Cst. (consid. 7). Dans la mesure où il s'applique à des autorités élues par le peuple, il viole le droit général et égal d'élire et d'être élu, garanti par le droit constitutionnel de la Confédération (consid. 8).

Faits à partir de page 153

BGE 123 I 152 S. 153
Am 7. Juni 1995 wurde bei der Staatskanzlei des Kantons Solothurn eine von 3274 Stimmberechtigten unterzeichnete Volksinitiative "Für eine gleichberechtigte Vertretung der Frauen und Männer in den kantonalen Behörden - Initiative 2001" (im folgenden abgekürzt: Initiative 2001) eingereicht. Die Initianten stellten im Sinne einer Anregung das Begehren, die betreffenden Gesetzesbestimmungen seien wie folgt zu ändern:
"Im Kantonsrat und im Regierungsrat sind Frauen und Männer entsprechend ihrem kantonalen Bevölkerungsanteil vertreten.
In den kantonalen juristischen Behörden sind Frauen und Männer entsprechend dem Bevölkerungsanteil des Wahlkreises vertreten.
BGE 123 I 152 S. 154
Diese Regel gilt erstmals für die seit der Annahme der Initiative stattfindenden Regierungs- und Kantonsratswahlen.
Für die Wieder- bzw. Bestätigungswahlen von Mitgliedern der Gerichtsbehörden, die vor der Annahme der Initiative in die Gerichtsbehörden gewählt worden sind, ist die Regel der anteilsmässigen Vertretung der Geschlechter nicht anwendbar".
Zur Begründung führten sie aus, die Frauen machten mehr als die Hälfte der Solothurner Bevölkerung aus. In den politischen und juristischen Behörden seien sie hingegen nach wie vor krass untervertreten. Wichtige politische Entscheide der kantonalen Behörden würden deshalb vor allem aus dem Blickwinkel der Männer getroffen. Die andere Lebensrealität der Frauen werde höchstens am Rande mitberücksichtigt. Eine gleichberechtigte Vertretung von Frauen und Männern sei vorderhand nur durch Quoten erreichbar.
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragte dem Kantonsrat mit Botschaft vom 23. Oktober 1995, die Initiative für ungültig zu erklären. Er hielt in der Zusammenfassung fest, die von den Initianten verlangte Quotenregelung wäre in ihren Auswirkungen kompliziert, wenig transparent und schwer verständlich. Das Gleichbehandlungsgebot würde zu stark zurückgedrängt und die Grundsätze des Wahlrechts, nämlich Freiheit, Gleichheit und Allgemeinheit der Wahlen, würden übermässig beschnitten. Die hier in Frage stehende Quotenregelung sei kein verhältnismässiges Mittel zur Verwirklichung der Geschlechtergleichheit. Sie kollidiere sowohl mit Art. 4 Abs. 1 und 2 BV als auch mit Art. 74 BV. Die Initiative verstosse offensichtlich gegen Bundesrecht. Eine verhältnismässige Ausgestaltung der Quotenregelung sei aufgrund der Bestimmtheit des Initiativbegehrens ausgeschlossen. Es bestehe daher keine andere Möglichkeit, als die Initiative als offensichtlich rechtswidrig zu bezeichnen.
In der Sitzung vom 13. Februar 1996 stimmte der Kantonsrat dem Antrag des Regierungsrats mit 75 gegen 49 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) zu und erklärte die Initiative für ungültig.
Gegen diesen Beschluss des Solothurner Kantonsrates reichten G. und 8 Mitbeteiligte gestützt auf Art. 85 lit. a OG beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 123 I 152 S. 155

Considérants

Aus den Erwägungen:

2. a) Über die Gültigkeit einer Initiative entscheidet der Kantonsrat. Er erklärt eine Volksinitiative für ungültig, wenn sie den Formvorschriften widerspricht, offensichtlich rechtswidrig oder undurchführbar ist (Art. 31 der Verfassung des Kantons Solothurn, KV). Der Kantonsrat erklärte die hier in Frage stehende Initiative für ungültig, weil sie offensichtlich Bundesrecht verletze. Die Beschwerdeführerinnen halten diesen Entscheid für falsch.
b) Bei Stimmrechtsbeschwerden prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen. Die Anwendung anderer kantonaler Vorschriften und die Feststellung des Sachverhalts prüft es nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (BGE 121 I 334 E. 2b mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob die Initiative 2001 mit dem Bundesrecht vereinbar sei. Diese Frage prüft das Bundesgericht frei (BGE 121 I 334 E. 2b).
c) Für die Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Initiative ist deren Text nach den anerkannten Interpretationsprinzipien zu prüfen. Grundsätzlich ist vom Wortlaut der Initiative auszugehen und nicht auf den subjektiven Willen der Initianten abzustellen. Die beigefügte Begründung des Volksbegehrens und Meinungsäusserungen der Initianten dürfen allerdings mitberücksichtigt werden. Es ist von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten jene zu wählen, welche einerseits dem Sinn und Zweck der Initiative am besten entspricht und zu einem vernünftigen Ergebnis führt und anderseits im Sinne der verfassungskonformen Auslegung mit dem Recht von Bund und Kanton vereinbar erscheint. Dabei ist der Spielraum grösser, wenn eine in der Form der allgemeinen Anregung gehaltene Initiative zu beurteilen ist. Kann der Initiative in diesem Rahmen ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht klarerweise als unzulässig erscheinen lässt, ist sie als gültig zu erklären und der Volksabstimmung zu unterstellen (BGE 121 I 334 E. 2c; BGE 119 Ia 154 E. 2b; BGE 111 Ia 292 E. 2).
d) In Anwendung dieser Grundsätze ist die hier in Frage stehende Initiative unter dem Gesichtspunkt von Art. 4 Abs. 2 BV und unter jenem der politischen Rechte zu prüfen.

3. a) Gemäss Art. 4 Abs. 2 BV sind Mann und Frau gleichberechtigt (Satz 1). Das Gesetz sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem
BGE 123 I 152 S. 156
in Familie, Ausbildung und Arbeit (Satz 2). Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit (Satz 3).
Mit der Vorschrift von Art. 4 Abs. 2 BV hat der Verfassungsgeber den in Art. 4 Abs. 1 BV enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatz gewissermassen selbst konkretisiert und autoritativ festgestellt, dass die Zugehörigkeit zum einen oder andern Geschlecht grundsätzlich keinen rechtserheblichen Aspekt darstellt. Mann und Frau haben somit für die ganze Rechtsordnung im wesentlichen als gleich zu gelten (BGE 116 V 198 E. II/2a/bb S. 208 mit Hinweis auf ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 79). Seit dem Inkrafttreten des Art. 4 Abs. 2 BV am 14. Juni 1981 ist es dem kantonalen und dem eidgenössischen Gesetzgeber grundsätzlich verwehrt, Normen zu erlassen, die Mann und Frau ungleich behandeln. Die Verfassungsbestimmung schliesst die Geschlechtszugehörigkeit als taugliches Kriterium für rechtliche Differenzierungen aus. Eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau ist nur noch zulässig, wenn auf dem Geschlecht beruhende biologische oder funktionelle Unterschiede eine Gleichbehandlung schlechthin ausschliessen (BGE 120 V 312 E. 2a; BGE 117 Ia 262 E. 2a, 270 E. 2a; BGE 117 V 318 E. 2a; BGE 116 V 198 E. II/2a/bb S. 208; BGE 108 Ia 22 E. 5a).
Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV beauftragt den Gesetzgeber, die Gleichstellung von Mann und Frau zu verwirklichen. Besonders hervorgehoben sind die Bereiche Familie, Ausbildung und Arbeit, doch verpflichtet die Verfassung den Gesetzgeber zur Beseitigung geschlechtsspezifischer Ungleichbehandlung in allen Rechtsgebieten und Lebensbereichen (JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Bern 1991, S. 231; HAEFLIGER, a.a.O., S. 92). Der Gesetzgeber ist gehalten, überall dort Rechtsnormen zur Verwirklichung der Geschlechtergleichheit zu erlassen, wo die richterliche Korrektur einer Anordnung, die im Widerspruch zu Art. 4 Abs. 2 BV steht, unzulässig ist oder nicht ausreicht, um das in dieser Bestimmung verankerte Ziel zu realisieren (BGE 117 Ia 262 E. 2b). Das Bundesgericht hat in zwei Urteilen vom 28. September 1990 (BGE 116 Ib 270 E. 7a, 284 E. 7a) ausgeführt, die Vorschrift von Art. 4 Abs. 2 BV gewährleiste in Satz 1 ein verfassungsmässiges Recht, das mit bestimmten Ausnahmen eine rechtliche Differenzierung nach dem Geschlecht verbiete und unmittelbar anwendbar sei; Satz 2 enthalte einen Gesetzgebungsauftrag, der tatsächliche Gleichstellung in der sozialen Wirklichkeit schaffen solle. Es wies in diesen Urteilen darauf hin, das Diskriminierungsverbot
BGE 123 I 152 S. 157
als formalrechtliche Gleichstellung einerseits und das Egalisierungsgebot als Auftrag, materielle Chancengleichheit zu schaffen, anderseits, stünden dabei in einem gewissen Widerspruch und müssten zum Ausgleich gebracht werden.
b) Nach der Initiative 2001 soll den in den politischen und juristischen Behörden des Kantons Solothurn untervertretenen Frauen von Gesetzes wegen eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Zahl von Sitzen in Parlament, Regierung und Gerichten garantiert sein. Bei einer solchen Regelung, welche die Frauen im Hinblick auf das Egalisierungsgebot privilegiert, jedoch vom Diskriminierungsverbot abweicht, treten der erste und der zweite Satz von Art. 4 Abs. 2 BV miteinander in Widerstreit. Der Konflikt zwischen den beiden Verfassungsregeln ist - wie in der Rechtslehre gesagt wird - durch eine Abwägung der Interessen zu lösen (BEATRICE WEBER-DÜRLER, Aktuelle Aspekte der Gleichberechtigung von Mann und Frau, ZBJV 128/1992, S. 369; GEORG MÜLLER, Quotenregelungen - Rechtssetzung im Spannungsfeld von Gleichheit und Verhältnismässigkeit, ZBl 91/1990, S. 310; ANDREAS AUER, Les mesures positives et l'art. 4 al. 2 Cst., AJP 1993, S. 1347; YVO HANGARTNER, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Band II, Zürich 1982, S. 190; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 3. Aufl., Zürich 1993, Rz. 1561b, S. 488 f.).
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, Massnahmen, welche die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel hätten, seien mit Art. 4 Abs. 2 BV "grundsätzlich vereinbar". Sie schliessen daraus, dass die diesem Zweck dienenden positiven Massnahmen, welche die Initiative 2001 verlange, "grundsätzlich verfassungsmässig" seien und nicht geprüft werden müsse, ob sie dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprächen, da sich der Staat nicht auf diesen Grundsatz berufen könne.
Diese Betrachtung ist einseitig und die Folgerung unzutreffend. Die mit der Initiative verlangte positive Gleichstellungsmassnahme steht, wie erwähnt, im Widerspruch zum Gebot der Gleichbehandlung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV. Da sich aus der Verfassung kein Vorrang für das eine oder andere Interesse herleiten lässt und das "Prinzip praktischer Konkordanz" gebietet, dass keines der entgegenstehenden Interessen völlig zu Lasten des anderen verwirklicht wird, ist, wenn eine Frauenförderungsmassnahme vom Diskriminierungsverbot abweicht, jeweils abzuwägen zwischen dem Interesse an der Schaffung der Voraussetzungen faktischer Gleichheit und demjenigen an der Gleichbehandlung der Geschlechter (GEORG
BGE 123 I 152 S. 158
MÜLLER, Kommentar zur BV, Art. 4, Rz. 137c; derselbe, Quotenregelungen, a.a.O., S. 310). Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit ist zu untersuchen, ob die unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau für die Erfüllung des Auftrags zur Herstellung der tatsächlichen Gleichstellung im konkreten Fall geeignet und erforderlich ist, und die vorgeschlagene Massnahme ist mit dem Zweck der faktischen Gleichstellung zu vergleichen. Das Zweck-Mittel-Verhältnis verlangt eine Abwägung zwischen dem Ziel der Gleichstellung und der Wirkung der mit der Massnahme verbundenen Eingriffe in die Grundrechtsstellung Dritter. Je schwerer diese Einwirkungen sind, desto grösser muss im entsprechenden Sachbereich das Interesse an der Herbeiführung der Gleichstellung der Geschlechter sein (GEORG MÜLLER, Kommentar zur BV, Art. 4, Rz. 137c; derselbe, Quotenregelungen, a.a.O.,S. 312 ff.; KATHARINA SIMONE ARIOLI, Frauenförderungsmassnahmen im Erwerbsleben, Diss. Zürich 1992, S. 236 ff.; MARIANNE SCHWANDER CLAUS, Verfassungsmässigkeit von Frauenquoten, Diss. Bern 1995, S. 80 ff.).
Zum Verhältnis von Satz 1 zu Satz 2 des Art. 4 Abs. 2 BV ist festzuhalten, dass diese Vorschrift positive Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter, insbesondere Frauenförderungsmassnahmen, und damit unter Umständen eine Abweichung vom Diskriminierungsverbot zulässt, sofern diese in einem vernünftigen Verhältnis zum Regelungsziel steht. Im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter bildet das Diskriminierungsverbot demnach bloss eine relative Schranke des Egalisierungsgebots:
Es schliesst "unverhältnismässige" Ungleichbehandlungen der Geschlechter aus (vgl. GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 310).
c) Gleiches ergibt sich aus Art. 25 lit. c des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2; abgekürzt UNO-Pakt II; für die Schweiz in Kraft seit 18. September 1992). Danach hat jeder Staatsbürger das Recht, ohne Unterschied nach den in Art. 2 des Pakts genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen "unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben" ("d'accéder, dans des conditions générales d'égalité, aux fonctions publiques de son pays"). Positive Diskriminierung zur beschleunigten Herbeiführung einer de facto-Gleichberechtigung von traditionell besonders benachteiligten Gruppen der Bevölkerung wie z.B. Frauen gilt, solange diese Massnahmen angemessen und vorübergehend sind, nicht als Diskriminierung im Sinn von Art. 2 UNO-Pakt II (MANFRED NOWAK, UNO-
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Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll:
CCPR-Kommentar, Kehl, Strassburg, Arlington 1989, Rz. 35 zu Art. 25 UNO-Pakt II, S. 484). Die grundsätzliche Zulässigkeit von angemessenen positiven Massnahmen zugunsten der Frauen folgt auch aus Art. 2 lit. a in fine und b, Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 lit. a und b des UNO-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979, das von der Schweiz am 4. Oktober 1996 genehmigt wurde (BBl 1996 IV, S. 860) und dessen Inkrafttreten unmittelbar bevorsteht (vgl. in diesem Zusammenhang Art. 18 lit. b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, SR 0.111).
d) Am Erfordernis der Interessenabwägung, die bei der Prüfung der Zulässigkeit geschlechtsspezifischer Förderungsmassnahmen vorzunehmen ist, hat das am 1. Juli 1996 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151) nichts geändert. Art. 3 GlG, der das Diskriminierungsverbot umschreibt, legt in Abs. 3 fest, dass angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung keine Diskriminierung darstellen. In der parlamentarischen Debatte führte Bundesrat Arnold Koller aus, der in Art. 3 Abs. 3 GlG enthaltene Vorbehalt zugunsten von Frauenförderungsmassnahmen beziehe sich auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse; er bilde "im öffentlichen Bereich keine Rechtsgrundlage" für Gleichstellungsprogramme oder Förderungsmassnahmen, vor allem sei er "keinerlei Basis für die Einführung irgendwelcher Quoten im öffentlich-rechtlichen Bereich" (Amtl.Bull. SR 1994, S. 821; gleicher Meinung IVO SCHWANDER/RENÉ SCHAFFHAUSER, Das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann, St. Gallen 1996, S. 26). Ob der erwähnte Vorbehalt tatsächlich nur für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse gilt, braucht hier nicht abschliessend geprüft zu werden. Selbst wenn man annähme, er komme auch im öffentlichrechtlichen Bereich zur Anwendung, würde das an den oben dargelegten Kriterien für die Überprüfung der Zulässigkeit einer Frauenförderungsmassnahme nichts ändern. Art. 3 Abs. 3 GlG spricht von "angemessenen Massnahmen" zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass Förderungsmassnahmen nur dann keine (unzulässige) Diskriminierung im Sinne dieser Vorschrift darstellen, wenn sie verhältnismässig sind.
Es ist im folgenden zu prüfen, ob der Solothurner Kantonsrat mit Recht zum Schluss gelangte, die mit der Initiative 2001 verlangte
BGE 123 I 152 S. 160
Quotenregelung sei kein verhältnismässiges Mittel zur Verwirklichung der Geschlechtergleichheit.

4. a) Die in Form einer Anregung eingereichte Initiative 2001 verlangt eine dem kantonalen Bevölkerungsanteil entsprechende Vertretung von Frauen und Männern im Kantons- und Regierungsrat sowie eine dem Bevölkerungsanteil des Wahlkreises entsprechende Vertretung von Frauen und Männern in den kantonalen juristischen Behörden. Nach den Angaben in der Botschaft des Regierungsrates machen - gemäss Erhebung per 31. Dezember 1994 - die Frauen 50,74%, die Männer 49,26% der kantonalen Bevölkerung aus. Es ist zu vermuten, dass der Bevölkerungsanteil der Frauen und Männer auch in den Wahlkreisen (z.B. für die Amtsgerichte) ungefähr diesem prozentualen Verhältnis entsprechen dürfte. Nach dem Initiativbegehren müssten somit im Kanton Solothurn die Frauen mit einem Anteil bzw. einer Quote von 50,74% in Parlament, Regierung und juristischen Behörden vertreten sein.
b) Bevor im einzelnen auf die Auswirkungen der verlangten Massnahme einzugehen ist, sind verschiedene, im Zusammenhang mit Quotenregelungen verwendete Begriffe zu klären. In der Literatur wird unterschieden zwischen strikten, starren Quoten einerseits und flexiblen, leistungsbezogenen Quoten anderseits (CLAUDIA KAUFMANN, Les quotas valent mieux que leur réputation, in L'égalité entre hommes et femmes, Lausanne 1988, S. 274 f.; ERNST BENDA, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Senatskanzlei - Leitstelle Gleichstellung der Frau - der Freien und Hansestadt Hamburg, Freiburg i. Br. 1986, S. 43 f.; HEIDE M. PFARR, Quoten und Grundgesetz, Baden-Baden 1988, S. 203 f.; ARIOLI, a.a.O., S. 146 ff.; SCHWANDER CLAUS, a.a.O., S. 14). Bei den strikten, starren Quoten wird - unabhängig von der Qualifikation der Bewerber für eine Arbeitsstelle oder eine Position - eine fixe Quote für Frauen und Männer festgelegt und mithin ein bestimmter Anteil der Stellen oder Positionen für das eine oder andere Geschlecht reserviert (ARIOLI, a.a.O., S. 147; SCHWANDER CLAUS, a.a.O., S. 14). Bei den flexiblen, leistungsbezogenen Quoten entscheidet zunächst unter mehreren Bewerbern die bessere Qualifikation. Nur wenn bei mehreren Bewerbern eine gleiche Qualifikation vorliegt, werden Frauen so lange bevorzugt eingestellt oder befördert, bis ihr Anteil dem festgelegten Prozentsatz entspricht (BENDA, a.a.O., S. 44). Als Beispiel einer leistungsbezogenen Quote sind die vom Bundesrat am 18. Dezember 1991 erlassenen Weisungen über die
BGE 123 I 152 S. 161
Verbesserung der Vertretung und der beruflichen Stellung des weiblichen Personals in der allgemeinen Bundesverwaltung zu nennen. Ziffer 31 der Weisungen verlangt, dass die Wahlbehörde bei der Besetzung von Stellen Frauen bei gleichwertiger Qualifikation wie männliche Bewerber so lange vorrangig zu berücksichtigen hat, bis innerhalb einer grösseren Verwaltungseinheit (z.B. Bundesamt, Abteilung) ein paritätisches Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten besteht (BBl 1992 II, S. 604 f.). Ferner sind flexible Quoten auch als Zielvorstellungen möglich. Die über Einstellung oder Beförderung entscheidende Stelle kann die Einzelentscheidung nach den allgemeinen Kriterien treffen; sie ist aber gehalten, innerhalb eines mehr oder weniger präzise festgelegten Zeitraums den Frauenanteil entsprechend der Zielvorstellung zu verstärken (BENDA, a.a.O., S. 44).
c) Mit der Initiative 2001 wird eine starre Quotenregelung verlangt, indem für Parlament, Regierung und Gerichte eine fixe Quote für Frauen und Männer festgelegt und somit eine bestimmte Anzahl von Sitzen in diesen Gremien für das eine oder andere Geschlecht gemäss dem jeweiligen Bevölkerungsanteil reserviert wird.
aa) Wie ausgeführt, müssten nach dem Begehren der Initianten die Frauen im Kanton Solothurn mit einem Anteil bzw. einer Quote von 50,74% im Parlament und in der Regierung vertreten sein. Der Kantonsrat zählt 144, der Regierungsrat 5 Mitglieder (Art. 66 und Art. 77 Abs. 2 KV). Im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids (13. Februar 1996) setzte sich der Kantonsrat aus 95 Männern und 49 Frauen, der Regierungsrat aus 4 Männern und einer Frau zusammen. Aufgrund der Quotenregelung müssten die Frauen im Kantonsrat mit 73 und im Regierungsrat mit 3 Mitgliedern vertreten sein. Dies hätte zur Folge, dass bei Erneuerungswahlen des Kantonsrates Frauen mit tieferem Stimmenergebnis vor Männern mit höherer Stimmenzahl als gewählt erklärt werden müssten, bis die festgelegte Quote erfüllt wäre. Sodann könnten bei Ersatzwahlen in den Regierungsrat nur noch Frauen gewählt werden, bis der Anteil von 3 Sitzen erreicht wäre.
bb) Was die "kantonalen juristischen Behörden" anbelangt, so ergibt sich aus der Begründung der Initiative, dass damit die "kantonalen Gerichtsbehörden" gemeint sind. Nach der Auffassung des Regierungsrates sind darunter folgende Gerichte bzw. Kommissionen zu verstehen: Obergericht, Kriminalgericht, Kassationsgericht, Verwaltungsgericht, Versicherungsgericht, Steuergericht, Schätzungskommission, Finanzausgleichs-Rekurskommission, Schiedsgericht
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in der Kranken- und Unfallversicherung, landwirtschaftliche Schätzungskommission, Rekursschätzungskommission der Gebäudeversicherung, Rekurskommission für Investitionskredite und Betriebshilfe in der Landwirtschaft, Spezialgericht für Viehversicherungssachen. Es ist mit dem Regierungsrat davon auszugehen, dass nach dem Sinn der Initiative auch die Amtsgerichte, die Jugendgerichte und die Arbeitsgerichte, die zwar genau genommen nicht kantonale Gerichte, sondern Gerichte der Amtei sind, zu den "kantonalen Gerichtsbehörden" zu zählen sind. Gemäss Initiativbegehren müssten in allen diesen Gerichten bzw. Kommissionen die Frauen zu 50,74% bzw. entsprechend dem Bevölkerungsanteil in den einzelnen Wahlkreisen vertreten sein. Das Obergericht besteht aus 9, das Kriminalgericht aus 5, das Kassationsgericht aus 5, das Verwaltungsgericht aus 5, das Versicherungsgericht aus 3, das Steuergericht aus 7, die Schätzungskommission aus 3 und die Finanzausgleichs-Rekurskommission aus 5 Mitgliedern (§§ 23, 35, 44, 47, 53, 55, 58 und 59bis des Solothurner Gesetzes über die Gerichtsorganisation). Gegenwärtig setzt sich das Obergericht aus 8 Männern und einer Frau, das Kriminalgericht aus 3 Männern und 2 Frauen, das Kassationsgericht aus 4 Männern und einer Frau zusammen. Im Verwaltungsgericht, im Versicherungsgericht, im Steuergericht, in der Schätzungskommission, in der Finanzausgleichs-Rekurskommission, in der Rekursschätzungskommission der Gebäudeversicherung und in der Rekurskommission für Investitionskredite und Betriebshilfe in der Landwirtschaft sind die Frauen nicht vertreten.
Diese Angaben zeigen, dass auch hier die von den Initianten verlangte Massnahme eine erhebliche Sitzverschiebung zugunsten der Frauen zur Folge hätte. In der Initiative wird darauf hingewiesen, die Regel der anteilsmässigen Vertretung der Geschlechter sei auf die Wieder- bzw. Bestätigungswahl jener Mitglieder der Gerichte, die vor der Annahme der Initiative gewählt worden seien, nicht anwendbar. Bei Ersatz- und Neuwahlen hingegen beziehe sich die Regel auf das betreffende Justizorgan in seiner Gesamtheit. Wie erwähnt, setzt sich das Obergericht zur Zeit aus 8 Männern und einer Frau zusammen. Nach der verlangten Regelung müssten die Frauen im Obergericht mit 5 Mitgliedern vertreten sein. Bei den nächsten vier Ersatzwahlen müsste somit für jeden ausscheidenden Oberrichter jeweils eine Frau gewählt werden, um die Quote zu erfüllen.
Bei den Amtsgerichten sieht das Geschlechterverhältnis anders aus als bei den oben erwähnten Behörden. Der Regierungsrat
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führte in der Botschaft aus, zur Zeit seien im Kanton 12 Amtsrichterinnen und 8 Amtsrichter tätig. Wenn man die Suppleantinnen und Suppleanten hinzuzähle, seien die Frauen mit 21 Sitzen gegenüber 19 Sitzen der Männer ebenfalls in der Mehrzahl. Eine gleichmässige Vertretung der Geschlechter (je zwei Amtsrichtersitze und zwei Suppleantenstellen) sei nur in der Amtei Bucheggberg-Wasseramt gelungen. In zwei Amteien stünden 6 Frauen 2 Männern gegenüber, in einer Amtei sei es umgekehrt. Die kantonale Behörde hielt fest, auch wenn die Frauen in der Mehrzahl seien, müsste die Quotenregelung bei Ersatz- und Neuwahlen Anwendung finden. Es müsste bei jeder Ersatzwahl geprüft werden, ob aufgrund der bestehenden Verteilung im Amtsgericht ein Mann oder eine Frau zu wählen sei. Praktisch würde dies eine Sperre für die Kandidatur des anderen Geschlechts bedeuten.
cc) Eine Regelung, die dem einen Geschlecht eine bestimmte Quote an Sitzen in Parlament, Regierung und Gerichten garantiert, führt unmittelbar zu einer entsprechenden Diskriminierung des andern Geschlechts (vgl. GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 314; Weber-Dürler, a.a.O., S. 368; SCHWANDER CLAUS, a.a.O., S. 158). Die mit der Initiative 2001 verlangte Quotenregelung hätte nach dem Gesagten einen Eingriff in das Diskriminierungsverbot nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV zur Folge. Es ist aufgrund der oben (E. 3b-d) dargelegten Kriterien zu prüfen, ob der Eingriff mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar ist.

5. a) Die kantonale Behörde prüfte die Frage, ob die mit der Initiative verlangte Massnahme zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau geeignet sei. Sie führte aus, Quoten zielten darauf ab, den zahlenmässigen Anteil der Frauen zu erhöhen, so dass zwischen den Geschlechtern ein Gleichgewicht bestehe. Wenn das Ziel erreicht sei, werde die Quotenregelung unnötig und verliere ihre Rechtfertigung. Eine solche Regelung könne daher nur Übergangscharakter haben. Als Instrument stelle sie grundsätzlich eine geeignete Massnahme dar, um eine Untervertretung der Frauen aufzuheben. Der Regierungsrat betonte jedoch, bei der Realisierung faktischer Gleichheit der Geschlechter könne das Ziel nur Chancenverbesserung sein, denn Art. 4 Abs. 2 BV gebiete die Egalisierung der Voraussetzungen für die Ausübung der Rechte, nicht Gleichheit der sozialen Position. Die Initiative 2001 wolle eine "soziale Gleichheit" herbeiführen, welches Anliegen über jenes der Chancenverbesserung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV hinausgehe.
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b) Das Bundesgericht hat, wie ausgeführt, erklärt, Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV enthalte einen Auftrag an den Gesetzgeber, tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in der sozialen Wirklichkeit bzw. materielle Chancengleichheit zu schaffen (BGE 116 Ib 270 E. 7a, 284 E. 7a). Auch in der Rechtslehre wird das Egalisierungsgebot in diesem Sinne verstanden (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 317; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., Rz. 1561b, S. 488; Yvo Hangartner, Gleicher Zugang von Männern und Frauen zu öffentlichen Ämtern, AJP 1995, S. 1557 f.; derselbe, Umstrittene Frauenförderung: Chancengleichheit oder Quotengleichheit?, ZBJV 132/1996, S. 357 f.; ASTRID EPINEY/NORA REFAEIL, Chancengleichheit: ein teilbarer Begriff?, AJP 1996, S. 186; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Chancengleichheit und Rechtsgleichheit, Festschrift für ULRICH HÄFELIN, Zürich 1989, S. 220 ff.). Bei der Chancengleichheit geht es nach den Worten von JÖRG PAUL MÜLLER darum, die tatsächlichen Voraussetzungen auszugleichen, unter denen von den rechtlich garantierten Freiheiten Gebrauch gemacht werden könne. Nicht tatsächliche Gleichheit der Menschen in ihrem Denken, Tun, Unterlassen, Erscheinen und Besitzen könne und dürfe Ziel des Rechts sein, sondern Angleichung der Chancen, insbesondere von den grundrechtlichen Freiheiten Gebrauch zu machen (Soziale Grundrechte in der Verfassung?, 2. Aufl., Basel und Frankfurt am Main 1981, S. 223 f.). Der Autor weist darauf hin, der Begriff der Chancengleichheit habe auch einen begrenzenden Gehalt: Recht schlechthin, auch "soziales" Recht könne nicht mehr als "Chancen sinnvoller Lebensverwirklichung bereitstellen". Sinnerfüllung menschlichen Lebens bleibe dem Recht entzogen. Wo es diesen Anspruch erhebe, mache es den Menschen zum Objekt seiner Zielsetzungen (JÖRG PAUL MÜLLER, Soziale Grundrechte, a.a.O., S. 224 f.). In ähnlichem Sinn äussert sich Georg Müller zum Begriff der Chancengleichheit. Er hält fest, im Grunde würde man, wenn es um die "soziale" im Gegensatz zur "rechtlichen" Gleichheit gehe, besser von "Chancenverbesserung" sprechen: Der Staat solle die wirtschaftlichen und sozialen Hindernisse für die Entfaltung des einzelnen abbauen, die Wahrnehmung von Bildungs-, Berufs- und anderen Lebenschancen erleichtern. Er könne und dürfe aber nicht versuchen, die Individuen in der sozialen Wirklichkeit gleichzustellen, namentlich ihre ökonomischen Situationen völlig anzugleichen. Ein Staat, der solche Ergebnisgleichheit anstrebe, werde zum Zu- und Umverteiler von Rechten und Gütern, der Freiheit nicht ermögliche, sondern verdränge (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 317).
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Diesen Überlegungen ist zuzustimmen. Es geht bei dem in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV enthaltenen Gebot, tatsächliche Gleichstellung bzw. Chancengleichheit von Mann und Frau in der sozialen Wirklichkeit zu schaffen, um die rechtliche und faktische Möglichkeit eines jeden, seine Stellung in der Gesellschaft ohne den Einfluss geschlechtsspezifischer Hemmnisse zu gestalten. Die angestrebte Gleichheit ist eine Gleichheit der Chancen und nicht des Resultats. Die Chancengleichheit zielt ausschliesslich auf die Gleichheit der Startbedingungen ab, wobei sie im Zusammenhang mit der Frauenfrage nicht eine Angleichung der Startbedingungen "in jeder Hinsicht" herbeiführen, sondern lediglich die Geschlechtszugehörigkeit als einen für die gesellschaftliche Stellung des einzelnen bestimmenden Faktor ausschalten soll (vgl. ULRICH MAIDOWSKI, Umgekehrte Diskriminierung, Berlin 1989, S. 38; allgemein zum Begriff der umgekehrten Diskriminierung, insbesondere nach europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht vgl. Astrid Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, Köln 1995). Quotenregelungen, welche eine paritätische Vertretung der Geschlechter vorschreiben oder anstreben, zielen auf Ergebnisgleichheit ab und gehen über das Ziel der Chancengleichheit hinaus (WEBER-DÜRLER, Aktuelle Aspekte, a.a.O., S. 370; GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 317 f.). Es ist mit den Solothurner Behörden davon auszugehen, dass die hier in Frage stehende Massnahme klar über das Ziel des in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV enthaltenen Egalisierungsgebotes hinausgeht. Sie will eine dem Bevölkerungsanteil von Männern und Frauen entsprechende Verteilung der Kantons- und Regierungsratsmandate sowie der Richterstellen herbeiführen und zielt daher offensichtlich auf Ergebnisgleichheit ab. Der Sinn des Egalisierungsgebots besteht aber nicht darin, dass alles und jedes, was in der Gesellschaft geschieht, zu gleichen Anteilen von Männern und Frauen realisiert werden soll. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV bietet keine Handhabe für eine paritätische Verteilung der politischen Mandate und Richterstellen zwischen Männern und Frauen (in diesem Sinne HANGARTNER, Gleicher Zugang von Männern und Frauen zu öffentlichen Ämtern, a.a.O., S. 1556 f.; derselbe, Umstrittene Frauenförderung, a.a.O., S. 357).
In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Luxemburg zu erwähnen, in welchem es ebenfalls um die Frage der Zulässigkeit einer Quotenregelung ging. Der EuGH erklärte am 17. Oktober 1995 eine Regelung, die im deutschen Bundesland Bremen über
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Beförderungen im öffentlichen Dienst getroffen worden war, als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar (Urteil des EuGH vom 17.10.1995 in der Rs. C-450/93, Kalanke, Slg. 1995, S. I-3051 ff. = EuGRZ 1995, S. 546 ff.). Die beanstandete nationale Regelung sah vor, dass bei gleicher Qualifikation eine Bewerberin einem Bewerber vorgezogen werde, solange im betreffenden Verwaltungsbereich nicht mindestens zur Hälfte Frauen vertreten seien. Der Gerichtshof hatte zu prüfen, ob diese Regelung mit Art. 2 der Richtlinie 76/207 des Rats der Europäischen Gemeinschaften vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (im folgenden abgekürzt: Richtlinie) vereinbar sei. Art. 2 der Richtlinie statuiert den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter (Abs. 1), steht aber Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, nicht entgegen (Abs. 4). Der Gerichtshof stellte fest, eine nationale Regelung, wonach bei gleicher Qualifikation von Bewerbern verschiedenen Geschlechts den Frauen in Bereichen, in denen sie untervertreten seien, bei einer Beförderung automatisch der Vorrang eingeräumt werde, diskriminiere die Männer aufgrund des Geschlechts (Ziff. 16 des Urteils). Nach Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie seien zwar Massnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen zulässig (Ziff. 17). Eine Regelung, die den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen absolut und unbedingt den Vorrang einräume, gehe jedoch über eine Förderung der Chancengleichheit hinaus und überschreite damit die Grenzen der in Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme (Ziff. 22). Ausserdem setze eine solche Regelung insofern, als sie darauf abziele, dass auf allen Funktionsebenen einer Dienststelle ebensoviel Frauen wie Männer vertreten seien, an die Stelle der Förderung der Chancengleichheit das Ergebnis, zu dem allein die Verwirklichung einer solchen Chancengleichheit führen könnte (Ziff. 23). Der EuGH gelangte daher zum Schluss, die betreffende nationale Regelung sei mit Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie nicht vereinbar.
Das Urteil des EuGH im Fall Kalanke ist bindend für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Die Schweiz ist nicht Mitglied dieser Gemeinschaft. Es besteht indes kein Anlass, den Entscheid für die Schweiz als unbeachtlich anzusehen. Sowohl die Europäische Gemeinschaft als auch die Schweiz anerkennen die
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Gleichberechtigung von Mann und Frau, und beide Rechtsgemeinschaften sehen Massnahmen zur Beseitigung von Chancenungleichheiten zwischen Angehörigen der beiden Geschlechter vor (HANGARTNER, Umstrittene Frauenförderung, a.a.O., S. 359; vgl. auch EPINEY/REFAEIL, a.a.O., S. 186). Nach der Auffassung des EuGH ist selbst eine leistungsbezogene Quotenregelung unzulässig, wenn sie unter gewissen Voraussetzungen den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen automatisch den Vorrang einräumt und damit über eine Förderung der Chancengleichheit hinausgeht.
Ferner wird in der Rechtslehre mit Grund betont, Zweifel an der Eignung von Quotenregelungen zur Realisierung der faktischen Gleichstellung der Geschlechter seien auch deshalb angebracht, weil die Untervertretung der Frauen in oberen und leitenden Positionen nicht in erster Linie ein rechtliches Problem sei, sondern vor allem auf soziale und gesellschaftliche Ursachen zurückzuführen sei. Der Erlass positiver Massnahmen könne daher nur ein "essai précaire et incertain" zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau sein (AUER, a.a.O., S. 1347).
Aus all diesen Gründen kann nicht gesagt werden, die hier in Frage stehende Quotenregelung sei ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau.

6. Der Regierungsrat hat die Frage, ob die Quotenregelung zur Verwirklichung der faktischen Gleichstellung der Geschlechter erforderlich sei, verneint, da dieses Ziel auch durch andere, mildere Massnahmen erreicht werden könne. Er führte aus, der Schlüssel zur wesentlichen Verbesserung der Vertretung der Frauen in den politischen und juristischen Gremien liege bei den Parteien. Sie hätten den Frauen ausreichend Profilierungsmöglichkeiten zu bieten. Erfolg verspreche sodann die privilegierte Behandlung der Frauen bei der Listengestaltung (Zuweisung sog. Spitzenplätze auf den Listen). Das Stimmrecht der Wähler werde durch solche Massnahmen nicht tangiert, da es den Stimmberechtigten immer noch freistehe, wen sie wählen oder nicht wählen wollten. Die Listenplazierung könne ferner mit Massnahmen wie der Unterstützung bei öffentlichen Auftritten im Wahlkampf und besonderen Aufrufen zur Wahl der Kandidatinnen begleitet werden. Um die Frauenpräsenz in den politischen Gremien zu erhöhen, könnten auch Verbesserungen im Bereich Aus- und Weiterbildung, Förderung der Teilzeitarbeit, Erleichterung des Wiedereinstiegs in den Beruf, Bereitstellen von Einrichtungen wie Kinderkrippen und Tagesschulen angestrebt werden. Von allen diesen Massnahmen greife keine so einschneidend
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in die Grundrechtspositionen ein wie eine Quotenregelung. Im weiteren hielt die kantonale Behörde fest, bei den letzten Kantonsratswahlen vom März 1993 hätten die Frauen ihre Positionen wesentlich verbessern können. Die Zahl der im Kantonsrat vertretenen Frauen sei von 22 auf 50 angestiegen. Dieser Anteil entspreche 34,7%, was zu jenem Zeitpunkt der grösste von Frauen je erreichte Anteil in den Parlamenten der Schweiz gewesen sei. Auch seien die Frauen bei der letzten Kantonsratswahl beinahe doppelt so erfolgreich gewesen wie die Männer. Der Erfolg der Frauen setze sich somit kontinuierlich fort. In Anbetracht dieser Entwicklung und in Berücksichtigung der Prognose für die Zukunft lasse sich die hier in Frage stehende Massnahme nicht rechtfertigen.
Das in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV enthaltene Egalisierungsgebot ist, wie dargelegt, als Auftrag zur Verwirklichung der Chancengleichheit zu verstehen. Chance bedeutet die Möglichkeit, von den Freiheitsrechten, den Wahlrechten und den Verfahrensrechten effektiv Gebrauch machen zu können (WEBER-DÜRLER, Chancengleichheit, a.a.O., S. 221). Die Frauen haben - ebenso wie die Männer - die Möglichkeit, für ein politisches Mandat oder eine Richterstelle zu kandidieren. Es steht ihnen sodann frei, als Stimmberechtigte bei Wahlen ins Parlament oder in die Regierung ausschliesslich Frauen zu wählen. In der Beratung des Kantonsrates über die Gültigkeit der Initiative führte der Sprecher der Justizkommission aus, die Frauen hätten es mit ihrer Stimmkraft bereits nach dem heute geltenden Wahlgesetz in der Hand, bei der Ämterbesetzung sogar Mehrheiten zu erlangen. Es gebe absolut keine gesetzlichen Hindernisse, die dazu den Weg versperren würden. Der Regierungsrat wies ferner darauf hin, bei der Prüfung der Notwendigkeit der Massnahme stelle sich auch die Frage, in welchem Zeitraum die Geschlechterparität herzustellen sei. Er vertrat die Ansicht, es könne auf harte rechtliche Massnahmen, wie es Quotenregelungen seien, verzichtet werden, da in den nächsten Jahren eine langsame Annäherung der Sitzzahlen der Geschlechter im Parlament zu erwarten sei.
Dieser Argumentation kommt einiges Gewicht zu. Den Angaben in der Botschaft des Regierungsrates ist zu entnehmen, dass der Frauenanteil im Solothurner Kantonsrat im Jahre 1973, nach Einführung des Frauenstimmrechts, 4,1% betrug; 1985 stieg er auf 9,3% (14 Mandate), 1989 auf 11% (16 Mandate) und 1993 auf 34,7% (50 Mandate). Die Frauen konnten mithin bei den Kantonsratswahlen 1993 ihre Zahl an Sitzen mehr als verdreifachen. Zu Beginn der 90er Jahre haben sich demnach die Wahlchancen der
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Frauen im Kanton Solothurn - wie auch in der Schweiz im allgemeinen - erheblich verbessert. Die Gleichberechtigung gibt den Frauen die Chance, von ihren Rechten in gleicher Weise Gebrauch zu machen, wie es die Männer tun (BERNHARD KEMPEN, Gleichberechtigung und Gleichstellung, Zeitschrift für Rechtspolitik 1989, S. 369; im gleichen Sinne GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 318, und YVO HANGARTNER, Geschlechtergleichheit und Frauenquoten in der öffentlichen Verwaltung, AJP 1992, S. 837 f.). Die kantonale Behörde hat zu Recht erwogen, die mit der Initiative 2001 verlangte Quotenregelung sei nicht erforderlich.

7. Selbst wenn angenommen würde, diese Regelung sei zur Realisierung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter geeignet und erforderlich, wäre sie gleichwohl unzulässig, da die Verhältnismässigkeit im engeren Sinn offensichtlich fehlt.
a) Auch eine geeignete und notwendige Massnahme kann unverhältnismässig sein, wenn der mit ihr verbundene Eingriff im Vergleich zur Bedeutung des angestrebten Ziels unangemessen schwer wiegt, mithin keine vernünftige Zweck-Mittel-Relation vorliegt. Dieser Aspekt wird auch als Frage der Zumutbarkeit bezeichnet (JÖRG PAUL MÜLLER, Kommentar zur BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 149; ULRICH ZIMMERLI, Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im öffentlichen Recht, ZSR 97/1978 II, S. 17). Das Gebot der Verhältnismässigkeit im engeren Sinne zwingt zur Prüfung, ob eine Massnahme ausser Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Nachteilen steht, d.h., ob ein Missverhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Wert des realisierbaren Erfolgs besteht und deswegen auf den Eingriff zu verzichten ist (ZIMMERLI, a.a.O., S. 16).
b) Wie ausgeführt, geht die hier in Frage stehende Quotenregelung weit über das Ziel der in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV garantierten Chancengleichheit hinaus, indem sie Ergebnisgleichheit herbeiführen will. Schon aus diesem Grund stellt sie offensichtlich kein verhältnismässiges Mittel zur Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter dar. Es wurde bereits erwähnt, dass der EuGH im Fall Kalanke selbst eine leistungsbezogene Quotenregelung als unzulässig erachtete, weil sie über eine Förderung der Chancengleichheit hinausging (E. 5b).
Die von den Initianten vorgeschlagene Massnahme sieht für Parlament, Regierung und Gerichte eine mehr als paritätische Vertretung der Frauen verbindlich und ohne Berücksichtigung von Qualifikationen vor. In der Literatur wird ausgeführt, eine Massnahme,
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nach welcher Frauen bei der Besetzung von Stellen in einer bestimmten Verwaltungsabteilung so lange vorrangig berücksichtigt würden, bis ein paritätisches Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten bestehe, sei mit dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV unvereinbar (AUER, a.a.O., S. 1345). Sodann wird die Meinung vertreten, starre, relativ hohe Quoten, die keine genügende Berücksichtigung der Qualifikationen der Bewerber erlaubten, würden sich "praktisch immer als unverhältnismässig erweisen", weil Männer in grösserer Zahl und über längere Zeit trotz besserer Eignung von einer beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen würden und der Arbeitgeber gezwungen werde, weniger qualifiziertes Personal zu beschäftigen (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 316). Selbst Autorinnen, welche Quotenregelungen grundsätzlich befürworten, erklären, starre Quoten ohne jegliche Bezugnahme auf bestimmte Zulassungsvoraussetzungen seien nicht zumutbar (ARIOLI, a.a.O., S. 241); sie würden gegen das Leistungsprinzip verstossen, weil die Auswahl nicht nach Eignung erfolgen könne und damit allenfalls ungeeignete Bewerberinnen eingestellt werden müssten (ARIOLI, a.a.O., S. 246). Je höher die fachlichen Anforderungen für ein politisches Fachgremium seien, desto unverhältnismässiger sei ein Quotenmodell ohne Qualifikationsbezug; folglich sei ein solches Modell zur Bestellung von politischen Gremien, bei denen fachliche Qualifikationen im Vordergrund stünden, verfassungswidrig (SCHWANDER CLAUS, a.a.O., S. 164 f.). Auch in Deutschland, wo die Zulässigkeit von Frauenquoten verfassungsrechtlich und politisch heftig umstritten ist, vertritt z.B. Ernst Benda im zitierten Rechtsgutachten betreffend Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst die Auffassung, unzulässig sei jede starre Quote, die für Frauen einen festen Anteil an den Positionen ohne Rücksicht auf die individuelle Qualifikation vorschreibe; Quoten müssten immer leistungsbezogen sein (a.a.O., S. 223). Ferner wird in dem von Michael Sachs herausgegebenen Kommentar zum Deutschen Grundgesetz (GG) ausgeführt, nur um sog. leistungsabhängige Quoten könne "überhaupt verfassungsrechtlich ernsthaft gestritten werden", und zwar deshalb, weil berufliche Chancengleichheit stets Gleichheit nach dem Massstab gleicher beruflicher Qualifikation bedeuten müsse (Osterloh, in Sachs, Grundgesetz-Kommentar, München 1996, Rz. 287 zu Art. 3 GG).
Die hier in Frage stehende Quotenregelung, welche verbindlich und ohne Qualifikationsbezug eine dem Bevölkerungsanteil
BGE 123 I 152 S. 171
(50,74%) entsprechende Vertretung der Frauen in Parlament, Regierung und Gerichten verlangt, betrifft die höchsten politischen Ämter und die obersten Richterstellen des Kantons. Geht es um die Besetzung solcher bedeutender Ämter und Positionen, so muss im Hinblick auf das optimale Funktionieren der betreffenden Gremien die Qualifikation der sich für das Amt bewerbenden Person beachtet werden. Das Geschlecht darf nicht das entscheidende Kriterium bilden, weshalb grundsätzlich jede Quotenregelung in diesem Bereich unzulässig sein dürfte. In diesem Sinne wird in der Rechtslehre ausgeführt, Quotenregelungen wären allenfalls bei solchen staatlichen Entscheidungsgremien zu erwägen, die nicht primär nach fachlichen Qualifikationen zu bestellen seien, wie z.B. bei Laiengerichten, Aufsichtsorganen, Schulkommissionen usw. (JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, a.a.O., S. 232). Die mit der Initiative 2001 verlangte Quotenregelung würde, wie dargelegt, zu erheblichen Sitzverschiebungen zugunsten der Frauen und zu Lasten der Männer führen. Sie hätte zur Folge, dass für die Männer der Zugang zum Amt eines Regierungsrates oder eines Oberrichters unter Umständen auf Jahre hinaus versperrt wäre.
Es ist mit den kantonalen Behörden davon auszugehen, dass diese Auswirkungen nicht mehr als zumutbare Nachteile bezeichnet werden können, welche im Interesse der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter in Kauf zu nehmen sind. Die von den Initianten vorgeschlagene Massnahme stellt daher einen unverhältnismässigen Eingriff in das Diskriminierungsverbot nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV dar.

8. Soweit die Regelung vom Volk gewählte Behörden, d.h. im vorliegenden Fall Kantonsrat, Regierungsrat und Amtsgerichte (Art. 27 Ziff. 2 u. 3 KV), betrifft, kollidiert sie mit den politischen Rechten beider Geschlechter. Die kantonale Instanz erklärte, die Quotenregelung würde die Wahlrechtsgleichheit und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahlen beeinträchtigen; Art. 4 Abs. 1 und Art. 74 BV wären verletzt. Die Beschwerdeführerinnen wenden mit Grund ein, die Berufung auf Art. 74 BV sei verfehlt, denn diese Vorschrift befasst sich nach herrschender Meinung nicht mit dem Stimmrecht in den Kantonen und Gemeinden. Der Grundsatz des allgemeinen und gleichen Stimm- und Wahlrechts wird für eidgenössische Wahlen und Abstimmungen in Art. 74 Abs. 1 BV ausdrücklich festgehalten. Für Abstimmungen und Wahlen in den Kantonen und Gemeinden folgt er - trotz des in Art. 74 Abs. 4 BV
BGE 123 I 152 S. 172
statuierten Vorbehalts des kantonalen Rechts - aus dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes sowie aus dem Gebot der Rechtsgleichheit gemäss Art. 4 Abs. 1 BV (BGE 121 I 138 E. 3; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, a.a.O., S. 215 u. 377; HAEFLIGER, a.a.O., S. 19; PIERRE TSCHANNEN, Stimmrecht und politische Verständigung, Basel und Frankfurt am Main 1995, S. 45, Rz. 70; TOMAS POLEDNA, Wahlrechtsgrundsätze und kantonale Parlamentswahlen, Diss. Zürich 1988, S. 23 ff.). Aus dem Stimmrecht wird der Anspruch darauf abgeleitet, dass jeder Stimmbürger, der die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen erfüllt, mit gleichen Chancen an einer Wahl soll teilnehmen können, sei es als Wähler oder als Kandidat (BGE 113 Ia 291 E. 3a). Dieses Recht wird auch durch die Wahlfreiheit geschützt, die zunächst als Auswahlfreiheit zu verstehen ist, d.h. übermässige Beschränkungen des Vorschlagsrechts oder des Rechts zur Kandidatur untersagt (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 311; POLEDNA, a.a.O., S. 236).
Die Quotenregelung hätte zur Folge, dass ein Mann bzw. eine Frau für ein zur Wahl ausgeschriebenes politisches Mandat oder für eine Richterstelle unter Umständen gar nicht kandidieren könnte oder dass er bzw. sie als nicht gewählt erklärt würde, falls die Quote des betreffenden Geschlechts bereits erfüllt wäre. Die gleichmässige Zulassung aller zu den Wahlen wäre nicht mehr gewährleistet, und das passive Wahlrecht würde eingeschränkt.
Das aktive Wahlrecht sodann schliesst ein, dass jeder Wähler die Freiheit und Auswahl unter den Kandidaten haben muss und selbst muss bestimmen können, durch wen er sich vertreten lassen will. Die durch die Initiative vorzunehmende Regelung würde dieses Recht einschränken. Das Abstellen auf das Geschlecht würde zu einer Beschränkung der Auswahlfreiheit führen, wenn die Wähler nicht mehr die Person ihrer Wahl bestimmen könnten, sondern wenn, wie z.B. bei einer Ersatzwahl in den Regierungsrat, das Kriterium des Geschlechts vorgegeben wäre. Ferner hätten die Stimmen jener Stimmbürger, welche Frauen wählen, eine erheblich höhere Stimmkraft bzw. einen grösseren Erfolgswert, wenn Frauen ungeachtet einer niedrigeren Stimmenzahl solange vor Männern als gewählt erklärt würden, bis sie entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind. Dadurch wären die bei Wahlen geltenden Prinzipien der Stimmkraft- und der Erfolgswertgleichheit verletzt (vgl. POLEDNA, a.a.O., S. 27 ff.). Die Quotenregelung würde somit das durch das Verfassungsrecht des Bundes und im übrigen auch durch Art. 25
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lit. b UNO-Pakt II
gewährleistete allgemeine und gleiche Recht, zu wählen und gewählt zu werden, einschränken.
Das allgemeine und gleiche Stimm- und Wahlrecht gilt grundsätzlich absolut (POLEDNA, a.a.O., S. 24 ff.; HAEFLIGER, a.a.O., S. 57). Einschränkungen sind nur zulässig, soweit sie notwendig sind, um ein Wahlsystem zu verwirklichen (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 315). Als Beispiele sind Wahlkreiseinteilungen oder Mandatszuteilungen im Hinblick auf die Funktionen eines Organs in einem bestimmten politischen System zu nennen, wie etwa die Vertretung der Kantone im Ständerat (Art. 80 BV) oder die Mindestvertretungsgarantie im Nationalrat (Art. 72 Abs. 2 BV). Das Abstellen auf das Geschlecht der zu Wählenden ist keine solche systembedingte Abweichung. Sodann räumt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete Stimm- und Wahlrecht dem Bürger allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 121 I 138 E. 3; BGE 119 Ia 271 E. 3a; BGE 118 Ia 259 E. 3, je mit Hinweisen). Wenn die mit der Initiative 2001 verlangte Quotenregelung eingeführt würde, so wäre im Ergebnis unausweichlich, dass in bestimmten staatlichen Behörden zwingend Frauen und Männer entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil Einsitz haben. Dieses Ergebnis wäre die Folge davon, dass die vorgeschlagene Quotenregelung das menschliche Geschlecht zum determinierenden Kriterium erhebt. Das ist indes sowohl bezüglich des aktiven wie auch hinsichtlich des passiven Wahlrechts grundsätzlich ein unzulässiges Kriterium, denn es kann nicht mehr gesagt werden, eine Wahl, die durch eine geschlechtsbezogene Quotenregelung bestimmt wird, bringe den "freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck". Die durch eine derartige Quotenregelung bewirkten Ungleichheiten des aktiven und passiven Wahlrechts und Einschränkungen der Wahlfreiheit können, wie in der Literatur mit Recht gesagt wird, durch verfassungsrechtlich gebotene Verbesserung des Geschlechterproporzes im politischen Bereich nicht gerechtfertigt werden (GEORG MÜLLER, Quotenregelungen, a.a.O., S. 315).
In diesem Zusammenhang sind auch zwei Entscheide ausländischer Instanzen von Interesse, welche allerdings die Ausgestaltung der Wahllisten betreffen. Das französische Parlament verabschiedete im Jahre 1982 Bestimmungen zum Wahlgesetz, nach denen bei den Gemeinderatswahlen in Gemeinden mit über 3'500 Einwohnern
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auf einer Wahlliste nicht mehr als 75% Kandidierende eines Geschlechts aufgeführt werden durften. Der französische Verfassungsrat erachtete diese Regelung, die den Zugang von Frauen zu politischen Gremien fördern wollte, als unzulässige Einschränkung des in der Verfassung gewährleisteten allgemeinen Stimm- und Wahlrechts (Urteil vom 18. November 1982, publ. in Recueil des décisions du Conseil constitutionnel, 1982, S. 66 ff.). Auch in Italien waren, um den Zugang von Frauen zu politischen Gremien zu fördern, gesetzliche Regelungen getroffen worden, nach denen in Gemeinden mit einer bestimmten Einwohnerzahl auf den Wahllisten für die Gemeinderatswahlen nicht mehr als zwei Drittel Kandidierende eines Geschlechts aufgeführt werden durften. Das italienische Verfassungsgericht erklärte diese Regelungen als verfassungswidrig. Es vertrat die Ansicht, es sei mit dem in der Verfassung enthaltenen Gleichheitssatz unvereinbar, die Möglichkeit zur Wahl und Kandidatur für ein öffentliches Amt von der Zugehörigkeit zum einen oder anderen Geschlecht abhängig zu machen (Urteil der Corte Costituzionale vom 12. September 1995, publ. in: Il Foro italiano, 1995, S. 3386 ff.).
Bei der mit der Initiative 2001 vorgeschlagenen Quotenregelung würde die Geschlechtszugehörigkeit zu einem zentralen Kriterium bei der Wahl von Mitgliedern des Parlaments, der Regierung und der Amtsgerichte. Das Ziel einer an wirklicher Chancengleichheit orientierten Politik muss es aber gerade sein, dass die Geschlechtszugehörigkeit als relevantes Kriterium bei einer Wahl keine Rolle mehr spielt. Im übrigen würde die Quotenregelung bei Wahlen, wie gesagt, zu unhaltbaren Situationen führen, da unter Umständen eine Kandidatin oder ein Kandidat als gewählt erklärt werden müsste, obwohl ein Konkurrent oder eine Konkurrentin des anderen Geschlechts mehr Stimmen erhalten hat.

9. Zusammenfassend ergibt sich folgendes: Die mit der Initiative 2001 verlangte Quotenregelung privilegiert die Frauen im Hinblick auf das in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV enthaltene Egalisierungsgebot, weicht aber vom Diskriminierungsverbot nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV ab. Dieses bildet eine relative Schranke des Egalisierungsgebotes und schliesst unverhältnismässige Ungleichbehandlungen der Geschlechter aus. Ob eine positive Massnahme zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter mit Art. 4 Abs. 2 BV vereinbar ist, muss im konkreten Fall aufgrund einer Interessenabwägung beurteilt werden. Die hier in Frage stehende Massnahme, mit der verbindlich und ohne Qualifikationsbezug eine
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dem Bevölkerungsanteil entsprechende Vertretung der Frauen in Parlament, Regierung und Gerichten verlangt wird, geht weit über das Ziel der in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV garantierten Chancengleichheit hinaus, indem sie Ergebnisgleichheit herbeiführen will. Die Quotenregelung stellt daher einen unverhältnismässigen Eingriff in das Diskriminierungsverbot nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 BV dar. Soweit die Regelung vom Volk gewählte Behörden betrifft, verletzt sie das durch das Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete allgemeine und gleiche Recht, zu wählen und gewählt zu werden, da die Anknüpfung an das menschliche Geschlecht grundsätzlich ein unzulässiges Kriterium darstellt. Die Initiative 2001 verstösst offensichtlich gegen Bundesrecht. Sie lässt keinen Spielraum für verfassungskonforme Auslegung offen. Da an der inhaltlichen Unzulässigkeit der Initiative keine Zweifel bestehen, durfte sie der Kantonsrat als ungültig erklären, ohne dadurch die politischen Rechte der Beschwerdeführerinnen zu verletzen. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.

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