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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_531/2020  
 
 
Urteil vom 7. Juli 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 24. März 2020 (OG.2019.00010). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ wird vorgeworfen, am 4. November 2015 um ca. 19.15 Uhr während der Fahrt mit ihrem Personenwagen im Zentrum der Ortschaft Glarus einen entgegenkommenden Personenwagen auf gerader Strecke seitlich gestreift zu haben. Sie sei weitergefahren, obwohl sie bei der Streifkollision einen dumpfen Knall bemerkt und auch erkannt habe, dass der linke Seitenspiegel an ihrem Fahrzeug kaputt gegangen war. Dadurch habe sie die Polizei um die Möglichkeit gebracht, ihre Fahrfähigkeit zu überprüfen. 
 
In Bestätigung eines erstinstanzlichen Urteils des Kantonsgerichts Glarus vom 9. November 2018 sprach das Obergericht des Kantons Glarus A.________ der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a Abs. 1 SVG) schuldig und belegte sie mit einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen (Probezeit zwei Jahre). Wie schon die Vorinstanz stellte das Obergericht das Verfahren betreffend verschiedener Verkehrsregelverletzungen (Übertretungen) infolge Verjährung ein (Urteil vom 24. März 2020). 
 
B.   
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und sie von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG macht sich schuldig, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt hat. Damit soll verhindert werden, dass der sich einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit korrekt unterziehende Fahrzeugführer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt (BGE 145 IV 50 E. 3.1 S. 51 mit Hinweisen).  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin rügt Verletzungen des Untersuchungs- und Anklagegrundsatzes sowie der Unschuldsvermutung. Sie habe von Anfang an darauf hingewiesen, zum Zeitpunkt der Streifkollision im Auto laute Musik gehört und infolgedessen nur einen dumpfen Knall wahrgenommen zu haben. Dieses Geräusch habe sie aber nicht einem Unfallereignis zugeordnet. Weder die Untersuchungsbehörden noch die Vorinstanzen hätten abgeklärt, "mit welcher Lautstärke eine Kollision von Aussenspiegeln im Inneren des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin wahrnehmbar ist und inwieweit die Wahrnehmung dieses Kollisionslärms durch das Hören von Musik im Inneren des Fahrzeugs beeinträchtigt wird" (Beschwerdeschrift Rz. 10). Dies sei nachzuholen. Sollte sich herausstellen, dass der Kollisionslärm durch lautes Musikhören abgedämpft werde, könne ihr keine Vereitelungsabsicht vorgeworfen werden. Allenfalls habe sie den Kollisionslärm unzutreffend interpretiert. Fahrlässige Vereitelung sei indessen nicht strafbar.  
 
Die Vorinstanz stellt fest, es sei nicht glaubhaft, wenn die Beschwerdeführerin angebe, wegen laut aufgedrehter Musik im Auto die Streifkollision nicht unmittelbar wahrgenommen zu haben. Das komplette Abtrennen des Seitenspiegels - nach der Kollision sei nur noch ein Reststück der Halterung lose an einem Kabel gebaumelt - habe ein vernehmbar lautes Geräusch verursacht, zumal die Spiegelbüchse an die Scheibe der Fahrertüre anprallte und diese beschädigte. Dies müsse die Beschwerdeführerin unbekümmert um die Lautstärke der Musik akustisch wahrgenommen haben. Auch visuell könne ihr der Vorgang nicht entgangen sein; der Seitenspiegel sei direkt im seitlichen Sichtfeld der Lenkerin geborsten (angefochtenes Urteil E. 3.2.4). Ergänzend ist festzuhalten, dass das denkbar nahe Passieren des entgegenkommenden Fahrzeugs die erwähnten akustischen und visuellen Wahrnehmungen der Beschwerdeführerin eindrücklich unterstrich. Die vorinstanzliche Feststellung, dass die Beschwerdeführerin die Kollision tatsächlich bemerkt hat, ist willkürfrei (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 IV 154 E. 1.1 S. 155 f.; 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244). Die Vorinstanz war nicht veranlasst, den Sachverhalt weiter abzuklären. 
 
Der für den vollendeten Tatbestand erhebliche Sachverhalt ist erstellt. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Beschwerdeführerin das Fehlen des Seitenspiegels auf dem Nachhauseweg beim Linksabbiegen oder später beim Verlassen des Fahrzeugs bemerkt haben müsste. Die Rüge, wonach der Vorwurf, sie habe spätestens nach Erreichen des Fahrziels mit Blick auf den beschädigten Aussenspiegel die Polizei informieren müssen, ein pflichtwidriges Verhalten nach Art. 92 SVG betreffe, das schon verjährt sei, ist demnach gegenstandslos. 
 
1.3. Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, die Vorinstanz habe Art. 91a SVG bundesrechtswidrig ausgelegt. Diese Strafnorm sei nur auf Situationen anwendbar, in denen ein Fahrzeuglenker damit rechnen müsse, dass die Polizei eine Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit durchführe. Die Berührung von zwei Aussenspiegeln führe überwiegend wahrscheinlich nicht zu solchen Massnahmen. Denn dies setze u.a. einen erheblichen Sachschaden voraus. Hier sei der Sachschaden indes gering.  
 
In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass die Vorinstanz entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin keineswegs auf dem Umweg von Art. 91a SVG die Strafbarkeit einer fahrlässigen Sachbeschädigung einführt: Art. 91a SVG deckt ein anderes Rechtsgut ab (vgl. oben E. 1.1). Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient (Zweckzusammenhang), (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Alkoholkontrolle angeordnet hätte (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1 S. 326; Urteil 6B_441/2019 vom 12. September 2019 E. 2.1.1). Während die Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer solchen Untersuchungsmassnahme nach der bisherigen Rechtsprechung von den konkreten Umständen des Falles (Art, Schwere und Hergang des Unfalls, Zustand sowie Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall) abhängig gemacht wurde (vgl. BGE 131 IV 36 E. 2.2.1 S. 39; 126 IV 53 E. 2a S. 55), muss nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich bereits mit der Anordnung einer Alkoholkontrolle gerechnet werden, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist (BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f. S. 326 f.; vgl. Art. 55 Abs. 1 SVG). Anders verhält es sich (nur), wenn die Kollision zweifelsfrei auf einen vom Fahrzeuglenker unabhängigen Umstand zurückzuführen ist (Urteil 6B_461/2017 vom 26. Januar 2018 E. 2.3 mit Hinweisen). 
 
Hier steht kein von der Fahrzeuglenkerin unabhängiger Umstand zur Diskussion, auf den die Kollision zweifellos zurückzuführen wäre. Da davon auszugehen ist, dass es sich beim fraglichen Ereignis um einen Unfall gehandelt hat, den die Beschwerdeführerin auch wahrgenommen hat (oben E. 1.2), musste sie nach der zitierten aktuellen Praxis damit rechnen, dass eine Alkoholkontrolle durchgeführt wird. Hinzu kommt, dass die Streifkollision auf einem geraden, breiten und gut ausgeleuchteten Strassenabschnitt geschah; sie stellt ein "ausserordentlich merkwürdiges Ereignis" dar (angefochtenes Urteil E. 4.2). Auch insofern hätte die Polizei bei der Beschwerdeführerin ohne Zweifel einen Atemlufttest angeordnet, wie sie es auch beim Unfallgegner getan hat. Die weiteren Tatbestandsmerkmale sind nicht strittig. 
 
Der Tatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG ist erfüllt. 
 
2.   
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde unbegründet. 
 
Die Beschwerdeführerin wird ausgangsgemäss kostenpflichtig und hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Juli 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub