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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_111/2008 
 
Urteil vom 8. Juli 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Frésard, 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Parteien 
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Yves Abelin, Effingerstrasse 4a, 3011 Bern, 
 
gegen 
 
Branchen Versicherung Schweiz (vormals Metzger Versicherungen), Postfach, 8032 Zürich, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli, Stationsstrasse 66a, 8907 Wettswil. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21. Dezember 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.________, geboren 1962, ist deutscher Staatsangehöriger, verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Er arbeitete als Metzger für die Firma W.________ AG und war in dieser Eigenschaft bei der Metzger-Versicherungen (heute: Branchen Versicherung; nachfolgend: Branchen Versicherung) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. An seinem Wohnort in X.________ zog er sich am späten Abend des 6. Mai 2005 gemäss Unfallmeldung vom 16. Juni 2005 anlässlich einer Auseinandersetzung mit Nachbarn bei Schlägen auf seinen Kopf eine Contusio cerebri mit Kalottenfraktur occipito-parietal links zu. Laut Beschluss vom 5. Oktober 2006 stellte das Amtsgericht Y.________ das Strafverfahren gegen zwei beteiligte Nachbarn wegen gefährlicher Körperverletzung nach Bezahlung eines Schmerzensgeldbetrages von 5'000 Euro an A.________ ein. 
 
Mit Verfügung vom 25. Oktober 2006 kürzte die Branchen Versicherung sämtliche Geldleistungen wegen Beteiligung an einer Rauferei und Schlägerei um 50 %, woran sie mit Einspracheentscheid vom 22. Januar 2007 festhielt. 
 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 21. Dezember 2007 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides beantragen, eventualiter sei die Sache "zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese sei anzuweisen, den Sachverhalt unter Berücksichtigung der im Sozialversicherungsrecht massgeblichen Grundsätze festzustellen und gestützt darauf neu zu entscheiden." 
 
Während die Branchen Versicherung auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Kürzung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 39 UVG in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung), insbesondere die mindestens hälftige Kürzung der Geldleistungen bei Beteiligung an Raufereien und Schlägereien (Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV), sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (RKUV 1991 Nr. U 120 S. 89 f. E. 3a und b, U 26/90, mit Hinweisen; siehe auch BGE 107 V 234 E. 2a S. 235 und RKUV 2005 Nr. U 553 S. 311, U 360/04) zutreffend dargelegt. Richtig ist insbesondere, dass als Beteiligung im Sinne der genannten Verordnungsbestimmung jedes Verhalten gilt, welches - objektiv - bereits das Risiko einschliesst, in Tätlichkeiten überzugehen oder solche nach sich zu ziehen. Nicht notwendig ist, dass der Versicherte selbst tätlich geworden ist. Entscheidend ist vielmehr nur, ob er die Gefahr einer tätlichen Auseinandersetzung erkannt hat oder erkennen musste (SVR 1995 UV Nr. 29 S. 85 E. 2c, U 106/92, mit Hinweisen). Korrekt sind auch die Ausführungen zu dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
 
2. 
2.1 Nach den eigenen, vom Beschwerdeführer unterschriftlich anerkannten Aussagen anlässlich der Beschuldigtenvernehmung vom 24. Mai 2005 kennt er die 1947 geborene, in der Nachbarschaft wohnende Frau L.________ seit vielen Jahren, da er mit ihren Töchtern befreundet ist. Am 6. Mai 2005 erhielt er telefonisch von seiner jüngeren Tochter T.________ Kenntnis davon, dass Frau L.________ T.________ an der Haustüre des Versicherten zu Hause beschimpft und beschuldigt hatte, mit dem Enkelkind der Frau L.________ gestritten zu haben. Dabei habe Frau L.________ T.________ am Arm gepackt, sie dort festgehalten und geschüttelt, bevor sie T.________ wieder losgelassen und sich zurückgezogen habe. Als der Beschwerdeführer am Abend nach Hause kam, habe er telefonisch "versucht, Frau L.________ zur Rede zu stellen." Diese sei "direkt ausfallend" geworden, habe ihn beleidigt und ihn mit Worten wie "Schmarotzer, Verbrecher, Asozialer, Penner" und dergleichen betitelt. "In die Beschimpfungen hinein" habe er Frau L.________ gesagt, dass sie sein Grundstück nicht mehr betreten und seine "Tochter so anmachen dürfe, da [er] ansonsten andere Saiten aufziehen müsse". Darauf habe sie zu ihm gesagt: "Komm doch her, ich schlage dich kaputt!" Dann habe er einfach den Hörer aufgelegt. Höchstens fünf Minuten später "klingelte es Sturm an [seiner] Haustür." Er habe die Türe geöffnet. Frau L.________ sei vor ihm gestanden. Sie sei hysterisch gewesen und habe versucht, direkt auf ihn loszugehen. Daraufhin habe er sie zurück aus seiner Haustüre hinaus geschubst. Nachdem sie wieder auf ihn losgegangen sei, habe er sie an ihren Sachen gepackt und von der Haustüre weggezogen. Dann habe er einen Mann auf ihn zukommen sehen, der einen Baseballschläger in den Händen hielt. Im gleichen Moment habe ihn Frau L.________ mit beiden Händen an den Haaren gepackt, seinen Kopf hinunter gezogen und gerufen: "Schlag, schlag!" Dann habe er einen oder mehrere Schläge auf den Kopf bekommen und sei bewusstlos geworden. Bei der Beweisaufnahme gab der als Zeuge einvernommene Versicherte anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Y.________ am 9. März 2005 (recte: 9. März 2006) zu Protokoll, es stimme, dass er "in den 80-er Jahren mit Schlägereien zu tun" gehabt habe. 
 
2.2 Nach ausführlicher Beweiswürdigung gelangte das kantonale Gericht zur Auffassung, der genaue Ablauf des Streites vom 6. Mai 2005 könne angesichts der sich teils widersprechenden Angaben der Beteiligten und Zeugen nicht bis in jedes Detail zuverlässig ermittelt werden. Doch stehe gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers fest, 
- dass es zunächst zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Frau L.________ und seiner jüngeren Tochter an der Haustüre des Versicherten gekommen sei, 
- dass sich die Tochter bei ihm über die ungerechtfertigte Anschuldigung der Frau L.________ telefonisch beklagt habe, 
- dass er deshalb anschliessend Frau L.________ in einem Telefongespräch habe zur Rede stellen wollen, 
- dass sich während dieses Telefongespräches ein heftiger Wortwechsel entwickelt habe, 
- dass ihm dabei Frau L.________ Tätlichkeiten angedroht habe, 
- dass es höchstens fünf Minuten nach diesem Telefonat an seiner Haustüre "sturmgeklingelt" habe und 
- dass der Beschwerdeführer von Seiten der ihm damals seit Jahren bekannt gewesenen Frau L.________ nach der unmittelbar vorangehenden Entwicklung des Streites mit einer handgreiflichen Auseinandersetzung und dem einer Rauferei inhärenten Verletzungsrisiko habe rechnen müssen. 
 
Trotz dieser offensichtlich ungünstigen Vorzeichen (vgl. RKUV 2005 Nr. U 553 S. 311 E. 2 S. 314, U 360/04) nahm der Versicherte in der spannungsgeladenen Situation eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung mit Frau L.________ in Kauf, indem er sich mit ihr in Handgreiflichkeiten einliess (vgl. Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 115/00 vom 2. November 2000, E. 3). Der Beschwerdeführer zeigte damit ein Verhalten, welches objektiv gesehen bereits das Risiko einschloss, in Tätlichkeiten überzugehen oder solche nach sich zu ziehen, ohne dass er dafür selber tätlich zu werden brauchte (RKUV 2005 Nr. U 553 S. 311, U 360/04, mit Hinweisen; SVR 1995 UV Nr. 29 S. 85 E. 2c, U 106/92, mit Hinweisen). 
 
2.3 Der Versicherte vermag aus dem angeführten Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 336/05 vom 17. August 2006 nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Denn entgegen seiner Behauptung hatte sich das "hohe Mass an Aggression" der beiden Fussgänger gemäss dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt nicht bereits bei der ersten Begegnung mit den beiden Autofahrern auf dem Trottoir gezeigt, sondern erst später, zu Beginn des sich dann erst entwickelnden Geschehensablaufes, als die beiden Autofahrer im Begriff waren, mit dem Fahrzeug wegzufahren, die beiden Fussgänger auftauchten, den Autolenker und seinen Beifahrer am Wegfahren aus dem Parkplatz hinderten, sich auf die Motorhaube des Personenwagens legten und die Beifahrertüre von aussen öffneten. Die beiden Fussgänger waren den Autofahrern zuvor nicht bekannt. Im Gegensatz dazu kannte der Beschwerdeführer seine Nachbarin seit vielen Jahren, war in Bezug auf deren Verhalten gegenüber seiner Tochter informiert und darüber erzürnt, wollte die Nachbarin telefonisch zur Rede stellen und war sich bewusst, dass das Telefongespräch bis zur Androhung körperlicher Gewalt von Seiten der Nachbarin ihm gegenüber eskalierte. Dennoch öffnete er ihr wenige Minuten später seine Haustüre, setzte sogleich die Auseinandersetzung mit ihr fort und liess sich in gegenseitige Handgreiflichkeiten ein. Dieses Verhalten schloss - objektiv gesehen - das Risiko des Übergangs zu Tätlichkeiten mit ein und war insofern unerzwungen, als dem Versicherten im Sinne von Handlungsalternativen das Nichtöffnen der Haustüre, der sofortige Rückzug und das Wiederverschliessen der Haustüre oder der Beizug der Polizei zur gewaltsamen Durchsetzung des zuvor für sein ganzes Grundstück ausgesprochenen Hausverbots offen standen. Dass der entscheidende K.o.-Schlag auf den Kopf des Beschwerdeführers erst im Verlaufe der tätlichen Auseinandersetzung mit Frau L.________ nicht durch sie selber, sondern durch ihren - von Anfang an dabei gestandenen oder erst etwas später hinzugetretenen - Lebenspartner Herrn S.________, geboren 1930, geführt wurde, ist irrelevant. Ungeachtet des Ausganges des Strafverfahrens in Deutschland setzt eine Kürzung der Geldleistungen wegen Beteiligung an einer Rauferei im Sinne von Art. 39 UVG in Verbindung mit Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV weder ein Verschulden der versicherten Person voraus, noch ist erheblich, aus welchen Motiven sie sich beteiligt hat, ob sie selbst tätlich geworden ist und wer mit einem Wortwechsel oder Tätlichkeiten begonnen hat (SVR 1995 UV Nr. 29 S. 85 E. 2c, U 106/92, mit Hinweisen). 
 
2.4 Der Versicherte legt nicht dar, inwiefern konkret die auf seinen eigenen, unterschriftlich anerkannten Aussagen beruhenden vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen (vgl. E. 2.2 hievor) unzutreffend seien. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, weshalb nicht auf diese "Aussagen der ersten Stunde" (BGE 121 V 45 E. 2a S. 47 mit Hinweisen) vom 24. Mai 2005 abgestellt werden sollte, gelangte doch auch das Amtsgericht Y.________ gemäss Darstellung des Beschwerdeführers zur Auffassung, es sei eine Frage der Beweiswürdigung, welchem Zeugen was zu glauben sei. In antizipierter Beweiswürdigung sei das Amtsgericht Y.________ schliesslich den Aussagen des Versicherten gefolgt. Entgegen dessen Einschätzung besteht nach dem Gesagten keine Veranlassung zu weiteren Beweisvorkehren, weil davon mit Blick auf die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung keine entscheidwesentlichen neuen Erkenntnisse zu erwarten wären (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S. 162, je mit Hinweisen). 
 
2.5 Zusammenfassend bleibt es somit dabei, dass sich der Beschwerdeführer nach dem heftigen verbalen Streit am Telefon - trotz objektiver Gefahr, dass die Auseinandersetzung in eine Tätlichkeit übergehen oder eine solche nach sich ziehen könnte - in eine weitere handgreifliche Eskalation mit Frau L.________ vor seiner Haustüre einliess. Die von der Vorinstanz bestätigte Kürzung der Geldleistungen ist somit nicht zu beanstanden. 
 
3. 
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 8. Juli 2008 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Hochuli