Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
[AZA 0/2] 
5P.253/2001/RTN/bnm 
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ******************************** 
 
 
13. September 2001 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung, 
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Meyer und 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
--------- 
 
In Sachen 
Z.________ AG in Liquidation, Beschwerdeführerin, vertre- ten durch Rechtsanwalt Jodok Wicki, Hottingerstrasse 21, Postfach 526, 8024 Zürich, 
 
gegen 
Y.________ SpA in liquidazione e concordato preventivo, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Ernesto Ferro, Bahnhofstrasse 35, Postfach 5288, 8022 Zürich, Obergericht (Justizkommission) des Kantons Z u g, 
 
betreffend 
Art. 9 BV u.a.m. (definitive Rechtsöffnung), 
wird im Verfahren nach Art. 36a OG 
festgestellt und in Erwägung gezogen: 
 
1.- In der Betreibung Nr. x des Betreibungsamtes Zug gegen die Z.________ AG in Liq. ersuchte die Y.________ SpA in Liq. für Fr. 586'556. 50 nebst 5% Zins seit 14. Oktober 1999 und Fr. 200.-- Betreibungskosten um definitive Rechtsöffnung. 
Sie stützte ihre Forderung auf das - gleichzeitig für vollstreckbar zu erklärende - Urteil des Tribunale di Cremona vom 2. Oktober 1997, das die Z.________ AG in Liq. 
zur Bezahlung verschiedener Geldbeträge verpflichtet. Das Urteil ist in Italien vorläufig vollstreckbar, aber formell nicht in Rechtskraft erwachsen; eine Berufung ist beim Appellationsgericht in Brescia hängig. 
 
Das Kantonsgerichtspräsidium Zug erteilte die definitive Rechtsöffnung für Fr. 584'030. 10 nebst Zins zu 5% seit 
16. Oktober 1999 (Verfügung vom 19. Februar 2001). Die von der Z.________ in Liq. dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht (Justizkommission) des Kantons Zug ab (Urteil vom 29. Juni 2001). Beide kantonalen Instanzen erklärten dabei das Urteil aus Italien nach den Bestimmungen des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (SR 0.275. 11, Lugano-Übereinkommen, LugÜ) für vollstreckbar (vgl. Art. 31 LugÜ) und lehnten die verlangte Aussetzung des Verfahrens wegen Hängigkeit der Berufung beim italienischen Appellationsgericht ab (vgl. Art. 38 LugÜ). 
 
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens und von Art. 9 BV (Schutz vor Willkür) beantragt die Z.________ AG in Liq. dem Bundesgericht zur Hauptsache, das obergerichtliche Urteil aufzuheben; der staatsrechtlichen Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Auf Einladung hin, sich zum Gesuch um aufschiebende Wirkung vernehmen zu lassen, hat die Y.________ SpA in Liq. die Anträge gestellt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell das Gesuch abzuweisen und eine allfällige Parteientschädigung sicherzustellen. Das Obergericht hat der Erteilung der aufschiebenden Wirkung nicht opponiert. Der staatsrechtlichen Beschwerde ist die aufschiebende Wirkung zuerkannt, das Sicherstellungsbegehren hingegen als gegenstandslos abgeschrieben worden (Präsidialverfügung vom 16. August 2001). 
 
2.- Eine Verletzung von Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens und damit einhergehend eine willkürliche Anwendung der einschlägigen Vorschriften des SchKG erblickt die Beschwerdeführerin darin, dass das Obergericht das Cremoneser Urteil einem "vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG gleichgestellt habe, obwohl jenes nur vorläufig vollstreckbar und deshalb nicht formell rechtskräftig sei. Sodann stütze sich das Obergericht auf eine Vollstreckungsmassnahme des italienischen Berufungsgerichts, deren Anerkennung bzw. Vollstreckung gar nicht verlangt worden sei. 
 
a) Vorab die Prozessökonomie und die Vermeidung von widersprechenden Urteilen über den gleichen Streitgegenstand zwischen den nämlichen Parteien legen nahe, dass das im einen Staat ergangene Urteil in einem andern Staat anerkannt und vollstreckt wird, statt dass der Kläger in jedem Staat, in dem er ein Interesse an der Durchsetzung seiner Ansprüche hat, ein neues Verfahren einleiten muss. Durch die Anerkennung eines ausländischen Urteils wird grundsätzlich die Gleichstellung mit einem inländischen Urteil bewirkt, und mit der Vollstreckbarerklärung kommt dem ausländischen Urteil zusätzlich die Qualität eines Vollstreckungstitels im Inland zu (zum Begrifflichen statt vieler: Spühler/Meyer, Einführung ins internationale Zivilprozessrecht, Zürich 2001, S. 81). 
Die Rechtsbeziehungen zwischen Italien als dem Urteils- und Erststaat und der Schweiz als dem Anerkennungs-, Vollstreckungs- und Zweitstaat sind im Lugano-Übereinkommen geregelt, das in Italien seit dem 1. Dezember 1992 und in der Schweiz seit dem 1. Januar 1992 gilt. Das Lugano-Übereinkommen stellt kein Erfordernis auf, dass Entscheidungen rechtskräftig sein müssen, um vollstreckt werden zu können (z.B. 
Spühler/Meyer, a.a.O., S. 94 f.). Die Beschwerdeführerin bestreitet denn auch nicht ernsthaft, dass selbst vorläufig vollstreckbare Urteile anerkannt und vollstreckt werden können und dass das gegen sie gerichtete Urteil die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des Lugano-Übereinkommen erfüllt (vgl. etwa Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6.A. 
Heidelberg 1998, N. 22 zu Art. 25 und N. 10 zu Art. 31 LugÜ; Donzallaz, La Convention de Lugano, II, Bern 1997, N. 2177 S. 181, N. 3525 S. 679 und N. 3531-3534 S. 681 f.; Kaufmann-Kohler, L'exécution des décisions étrangères selon la Convention de Lugano, SJ 1997 S. 561 ff., S. 564 Ziffer 3; Kren Kostkiewicz, Anerkennbare und vollstreckbare Titel nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, in: FS Vogel, Freiburg i.Ue. 
1991, S. 419 ff., S. 438). 
 
Lautet das italienische Urteil auf Geldzahlung oder Sicherheitsleistung (Art. 38 Abs. 1 SchKG), ist es grundsätzlich Sache des Rechtsöffnungsgerichts - vorfrageweise bzw. 
inzidenter - im Rechtsöffnungsverfahren über die Vollstreckbarerklärung zu entscheiden (Art. 81 Abs. 3 SchKG). Die Lehre nimmt allerdings an, die Vollstreckbarerklärung könne auch in einem selbstständigen Verfahren festgestellt werden. Zu dieser Kontroverse ist (auch) vorliegend nicht Stellung zu nehmen (vgl. dazu BGE 125 III 386 E. 3a S. 387). Denn beide Wege führen - bei hier nicht interessierenden Unterschieden in der Verfahrensausgestaltung - zu demselben Ergebnis: Sofern die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, ist das Urteil in der ganzen Schweiz vollstreckbar und hat die Qualität eines Rechtsöffnungstitels im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG (statt vieler: Spühler/Meyer, a.a.O., S. 102 ff.). Die abweichende Darstellung der Beschwerdeführerin ist unzutreffend. 
 
b) Die Beschwerdeführerin beanstandet die gezeigte Umsetzung in das nationale Recht. Sie vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass das italienische Urteil zwar nach dem Lugano-Übereinkommen für vollstreckbar erklärt werden könne, dass es in der Schweiz aber trotzdem nicht zur definitiven Rechtsöffnung berechtige; ein bloss vorläufig vollstreckbares Urteil könne einem "vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG nicht gleichgestellt werden, weil nur das formell rechtskräftige Urteil, d.h. nur das Urteil, das nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden kann, einen definitiven Rechtsöffnungstitel abgebe (unter Verweis auf D. Staehelin, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Basel 1998, N. 7 zu Art. 80 SchKG). Das Obergericht hätte sich deshalb fragen müssen, welche Institute des Schweizer vollstreckungsrechtlichen Numerus Clausus der italienischen Anordnung entspreche und wie diese in das Schweizer Recht konvertiert werden könne. Im Gegensatz zum Staatsvertragsrecht kann das Bundesgericht die Anwendung des nationalen Rechts nur auf Willkür hin überprüfen (Art. 9 BV; BGE 126 III 438 E. 3 S. 440). 
 
Nach dem Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 SchKG muss das gerichtliche Urteil "vollstreckbar" sein. Dass es endgültig vollstreckbar oder formell rechtskräftig sein müsste, verlangt das Gesetz nicht. Aus systematischer Sicht fällt sodann auf, dass nicht alle "vollstreckbaren gerichtlichen Urteil(e)" im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG die gleiche Qualität als Rechtsöffnungstitel haben; die Ordnung der Einwendungen in Art. 81 SchKG unterscheidet zwischen "einem vollstreckbaren Urteil" des Bundes und des Kantons, in dem die Betreibung eingeleitet ist (Abs. 1), einem ebensolchen aus einem andern Kanton (Abs. 2) und dem ausländischen "Urteil" (Abs. 3). 
Richtig ist hingegen, dass Vollstreckbarkeit in der Regel eintritt, wenn ein Urteil mit keinem ordentlichen Rechtsmittel mehr angefochten werden kann und einem eingelegten ausserordentlichen Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung nicht gewährt worden ist. "Vollstreckbarkeit" bedeutet indessen nicht unbedingt "Rechtskraft". In der Neuauflage des Kommentars "Jaeger" wird eine Gleichsetzung der Begriffe ausdrücklich abgelehnt; ficht der Schuldner den ihn zur Geldzahlung verpflichtenden Entscheid mit Rekurs an, soll der insoweit nicht rechtskräftige Entscheid gleichwohl vollstreckbar sein, wenn dem Rekurs die aufschiebende Wirkung entzogen worden ist (Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4.A. Zürich 1997, N. 4 zu Art. 80 SchKG). 
Bloss vorläufig vollstreckbare Urteile als Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG zuzulassen, könnte gestützt darauf nicht als willkürlich bezeichnet werden (vgl. zum Willkürbegriff: BGE 127 III 232 E. 3a S. 234). 
 
Der staatsvertragliche Blickwinkel führt zu keinem andern Ergebnis: Vorläufig vollstreckbare ausländische Gerichtsentscheidungen, die nach dem Lugano-Übereinkommen in der Schweiz vollstreckbar erklärt werden müssen, gelten als definitive Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 SchKG, obgleich das Institut des vorläufig vollstreckbaren Urteils dem schweizerischen Recht an sich fremd ist und für den Gesetzgeber diesbezüglich Handlungsbedarf bestehen könnte (Bericht der Expertengruppe für die Prüfung der Anpassungsbedürftigkeit der Revisionsvorlage SchKG an das Lugano-Übereinkommen, 1993, S. 39 Ziffer 6.3.2; vgl. dazu Gilliéron, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Lausanne 1999, N. 39 zu Art. 80 SchKG mit weiteren Beispielen in N. 79 f. zu Art. 30a SchKG). 
 
c) Schliesslich wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht vor, es habe die Verfügung des Berufungsgerichts vom 11. Mai 2000 einbezogen, für die weder die Anerkennung noch die Vollstreckung verlangt worden sei; auf diese Verfügung habe das Obergericht Bezug genommen, wenn es die Frage aufwerfe und offen lasse, ob nicht auch in der Schweiz die Schaffung einer provisorischen Vollstreckung nicht rechtskräftiger Urteile in Betracht zu ziehen wäre. Die Rüge ist haltlos. Die Fragestellung steht unmissverständlich vor dem Hintergrund eines unlängst veröffentlichten Aufsatzes, der eine solche Anregung enthält und zitiert wird (Siegenthaler, Für eine vorläufige Vollstreckung nicht rechtskräftiger Urteile betreffend Geldforderungen - ein Diskussionsbeitrag, AJP 2000 S. 172 ff.). Davon klar getrennt ("Schliesslich kann ...") und damit eindeutig im Zusammenhang mit dem "Einwand der Beschwerdeführerin, der Schuldner komme beim inzidenten Anerkennungsverfahren nicht in den Genuss von Sicherungsmassnahmen", wird die besagte Verfügung des Berufungsgerichts erwähnt, deren Vollstreckbarkeit damit nicht einmal ansatzweise zur Diskussion steht (E. 2b S. 8 des angefochtenen Urteils). 
 
3.- Aus den dargelegten Gründen hat das Obergericht weder Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens verletzt noch nationales Recht willkürlich angewendet; gegen die Abweisung ihres Antrags auf Verfahrenssistierung (vgl. Art. 38 LugÜ) wendet sich die Beschwerdeführerin nicht. Ihre staatsrechtliche Beschwerde muss abgewiesen werden. Die Beschwerdeführerin wird damit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat die Beschwerdegegnerin für die Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung zu entschädigen, hingegen nicht für die Vernehmlassung in der Sache, die die Beschwerdegegnerin unaufgefordert eingereicht hat (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.- Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für die Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung mit Fr. 500.-- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (Justizkommission) des Kantons Zug schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 13. September 2001 
 
Im Namen der II. Zivilabteilung des 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: