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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 703/04 
 
Urteil vom 14. April 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Traub 
 
Parteien 
H.________, 1971, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Markus Trottmann, Eisengasse 5, 4051 Basel, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel 
 
(Entscheid vom 17. August 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1971 geborene H.________ war von Mai 1999 bis Dezember 2001 als Betriebsarbeiter in der Verpackungsabteilung bei der Firma B._________ AG tätig. Nachdem sich der Versicherte am 16. Januar 2002 unter Hinweis auf Rückenschmerzen (chronisches lumbospondylogenes Syndrom) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hatte, untersuchte die IV-Stelle Basel-Stadt die medizinischen und erwerblichen Verhältnisse und lehnte den Anspruch auf eine Invalidenrente unter Annahme eines Invaliditätsgrades von 25 % ab (Verfügung vom 8. April 2003). Mit Einspracheentscheid vom 24. September 2003 wurde diese Festlegung im Ergebnis - bei Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 29 % - bestätigt. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt ab (Entscheid vom 17. August 2004). 
C. 
H.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Rechtsbegehren, es sei die Angelegenheit, unter Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichem Entscheid, zur Vervollständigung der Entscheidungsgrundlagen um ein ergänzendes psychiatrisches Gutachten an eine der Vorinstanzen zurückzuweisen. Eventuell sei ihm eine halbe, subeventuell eine Viertelsrente, verbunden mit der Anweisung, die Voraussetzungen für eine Härtefallrente zu prüfen, zuzusprechen. Schliesslich sei die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf Vernehmlassung. 
D. 
Am 14. April 2005 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durch. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Strittig und zu prüfen ist vorab, ob der angefochtene Entscheid auf vollständigen Grundlagen hinsichtlich des leistungsbegründenden Gesundheitsschadens beruht (Art. 4 Abs. 1 IVG [sowohl in der bis Ende 2002 als auch in der ab dem 1. Januar 2003 geltenden Fassung]; Art. 7 f. ATSG). 
1.1 Der Beschwerdeführer leidet nach fachärztlichem Befund in erster Linie an einem seit Dezember 1999 bestehenden chronischen lumbospondylogenen Syndrom. Es seien eine leichte Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, aber keine weiteren neurologischen oder rheumatologischen organischen Schädigungen (so eine Wurzelkompression oder eine entzündliche Erkrankung) nachweisbar; eine radikuläre Reizsymptomatik L4 oder L5 sei eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht vollständig auszuschliessen. Die bisherige Tätigkeit als Betriebsarbeiter im Kühllager eines fleischverarbeitenden Betriebs sei ihm, wie jede andere schwere körperliche Arbeit, die mit repetitiver Tragbelastung durch Gewichte von über zehn Kilogramm oder mit Zwangshaltungen "ohne Möglichkeit zur Wechselbelastung zwischen Stehen, Gehen oder Sitzen" verbunden sei, nicht mehr möglich. Dagegen seien leichte und mittelschwere, leidensangepasste Tätigkeiten zu 70 % zumutbar, sofern ein ergonomisch gut eingerichteter Arbeitsplatz für eine wechselbelastende Tätigkeit ohne repetitive schwere Tragarbeit zur Verfügung stehe. In diesem (zeitlichen) Rahmen sei das Leistungsvermögen nicht weiter eingeschränkt (Untergutachten der Rheumatologischen Klinik X.________ vom 22. Januar 2003). 
Nachdem im Verlauf der medizinischen Behandlung ein Verdacht auf psychische Störungen (somatoforme Schmerzstörung, depressive Entwicklung) aufgekommen war, beauftragte die IV-Stelle die Psychiatrische Klinik Y.________ mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens. Gemäss dieser vom 22. August 2002/22. Januar 2003 datierenden Expertise leidet der Versicherte an keiner nach dem Klassifikationssystem ICD-10 (Weltgesundheitsorganisation [WHO], International Classification of Diseases, 10. Auflage 1992) diagnostizierbaren psychischen Störung mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit. 
1.2 Die Rheumatologische Klinik X.________ hatte im Frühjahr 2001 festgehalten, es bestünden Hinweise für eine somatoforme Schmerzstörung (Bericht vom 3. April 2001). Im rheumatologischen Untergutachten vom 22. Januar 2003 wird sodann ausgeführt, es seien "mehrere Zeichen für nicht organisch bedingte Schmerzen positiv". Mediziner aus dem Fach der Rheumatologie sind zwar nicht zuständig, abschliessende Feststellungen bezüglich dieses psychosomatischen Befundes zu treffen (vgl. BGE 130 V 353 Erw. 2.2.2). Eine beschränkte Beurteilungskompetenz besteht gleichwohl, zumal der Übergang von rheumatologischen Schmerzzuständen zu symptomgleichen psychosomatischen Beschwerdebildern oft fliessend ist (Urteil G. vom 28. Dezember 2004, I 704/03, Erw. 4.1.1). Der Hinweis ist als solcher mithin durchaus ernstzunehmen. Jedoch haben die psychiatrischen Sachverständigen, dabei federführend die stellvertretende Oberärztin der Psychiatrischen Klinik Y._________, in Kenntnis dieser vorläufigen Einschätzung das Vorliegen eines Gesundheitsschadens aus psychiatrischer Sicht vorbehaltslos verneint. Die festzustellende Einengung der Gedanken auf aktuelle Probleme (Unterhalt der Familie) und die (subjektive) Hoffnungslosigkeit bezüglich der Zukunft stufen sie als Befindlichkeitsstörung ein, die nicht einem psychiatrischen Krankheitsbild entspreche. Diese Bewertung ist nachvollziehbar. Das Gutachten weist auch in den übrigen entscheidungserheblichen Punkten die nach ständiger Rechtsprechung massgebenden Merkmale eines beweiswertigen Arztberichts auf (vgl. im Einzelnen BGE 125 V 352 Erw. 3a). 
2. 
Steht somit fest, dass für die Bemessung der Invalidität mit dem kantonalen Gericht auf die Schlussfolgerungen der mit dem rheumatologischen Teilgutachten vom 22. Januar 2003 koordinierten Expertise der Psychiatrischen Klinik Y.________ vom 22. August 2002 abzustellen ist, so bleibt zu prüfen, ob die Vorinstanz auch das Invalideneinkommen korrekt ermittelt hat. In diesem Zusammenhang ist die Frage des leidensbedingten Abzugs (BGE 126 V 75) klärungsbedürftig. 
2.1 Gesundheitlich beeinträchtigte Versicherte, die nicht mehr voll leistungsfähig sind, haben erfahrungsgemäss eine Reduktion des üblichen Lohnansatzes hinzunehmen. Neben leidensbedingten Faktoren können weitere persönliche und berufliche Merkmale einer versicherten Person, wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe zeitigen. Diesen Umständen gilt es mit einem Abzug am Tabellenlohn Rechnung zu tragen. Das Ziel, ausgehend von statistischen Daten ein Invalideneinkommen zu ermitteln, welches der im Einzelfall möglichen und zumutbaren erwerblichen Umsetzung der Restarbeitsfähigkeit am besten entspricht, darf aber nicht mit einem schematischen Abzug, sondern muss in Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles erfolgen. Dies in dem Masse, in welchem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Versicherte wegen eines oder mehrerer der genannten Merkmale seine gesundheitlich bedingte Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann. Der so zu ermittelnde Abzug vom statistischen Lohn erfolgt sowohl bei Versicherten, die vollzeitig eine ihrem Leiden angepasste Arbeit ausüben, als auch bei bloss teilzeitig einsetzbaren Personen. Er ist rechtsprechungsgemäss auf insgesamt höchstens 25 % zu begrenzen (BGE 126 V 78 ff. Erw. 5 mit Hinweisen, bestätigt in AHI 2002 S. 62). 
2.2 Das kantonale Gericht erkannte, ein gesonderter Abzug rechtfertige sich nicht. Dazu ist festzustellen, dass die Annahme, "invaliditätsfremde Chronifizierungsfaktoren" seien bereits in die rheumatologische Zumutbarkeitsbeurteilung (Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer geeigneten leichten oder mittelschweren Tätigkeit) eingeflossen, im Wortlaut des Untergutachtens vom 22. Januar 2003 keine Stütze findet. Immerhin ist für eine schwere (rückenbelastende oder mit Zwangshaltung verbundene) Arbeit eine vollständige Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen. Demgegenüber wurden gewisse Nachteile auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 und 16 ATSG), die sich lohndämpfend auswirken könnten, mit der Zugrundelegung eines tiefen Invalideneinkommens effektiv bereits aufgefangen: Das kantonale Gericht hat das Invalideneinkommen in praxiskonformer Weise mit dem Valideneinkommen (hypothetischer Lohn ohne Gesundheitsschaden) "parallelisiert", welches auf dem früher erzielten, seinerseits deutlich unterdurchschnittlichen Gehalt basiert (vgl. BGE 129 V 225 Erw. 4.4; RKUV 1993 Nr. U 168 S. 104 Erw. 5b; ZAK 1989 S. 458 Erw. 3b; Urteil S. vom 16. April 2002, I 640/00, Erw. 4a/aa). Gegen einen weiteren Abzug unter diesem Titel spricht auch, dass es sich um einen jungen Versicherten handelt, bei welchem der Ausländerstatus kaum einschlägig ins Gewicht fällt, da er über eine Niederlassungsbewilligung verfügt. 
Die leidensbedingten Umstände im engeren Sinne indes sind nicht zureichend berücksichtigt worden. Die Verwertung der Restarbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten, leichten oder mittelschweren Tätigkeit ist davon abhängig, dass ein ergonomisch gut eingerichteter Arbeitsplatz zur Verfügung steht, der "eine Wechselbelastung zwischen Stehen, Sitzen und Gehen" zulässt, und dass die Tätigkeit nicht mit repetitiver Tragbelastung von Gewichten über zehn Kilogramm verbunden ist (vorerwähntes Gutachten vom 22. August 2002/22. Januar 2003). Diese funktionellen Zumutbarkeitsvorgaben sind insgesamt so beschaffen, dass der Versicherte auch im ausgeglichenen Arbeitsmarkt beruflich nur dann Fuss zu fassen vermag, wenn ihn ein neuer Arbeitgeber zu einem unterdurchschnittlichen Lohn einstellen kann. 
2.3 Der für alle einkommensrelevanten Umstände des Einzelfalls gesamthaft vorzunehmende Abzug stellt eine Schätzung dar, bei deren Überprüfung es nicht darum gehen kann, dass die kontrollierende richterliche Behörde ihr Ermessen an die Stelle desjenigen von Verwaltung und Vorinstanz setzt. Bei der Überprüfung der Angemessenheit (Art. 132 lit. a OG) geht es wohl um die Frage, ob der Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Will das Sozialversicherungsgericht aber in das Verwaltungsermessen eingreifen, muss es sich auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 126 V 81 Erw. 6, 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen). Das Gleiche gilt mit Bezug auf die bundesgerichtliche Überprüfung kantonaler Gerichtsentscheide. 
Die IV-Stelle hat im Einspracheentscheid einen Abzug von 10 % als angemessen bezeichnet. Diese Einschätzung erscheint in Anbetracht aller relevanten Umstände richtig. Es besteht kein Anlass, davon abzuweichen. Bei einem - unbestrittenen - Valideneinkommen von Fr. 42'900.- ist daher vom tabellarisch hergeleiteten, die zeitliche Einschränkung von 30 % sowie die invaliditätsfremden Gründe, welche zu einem unterdurchschnittlichen Valideneinkommen führten, bereits berücksichtigenden Gehalt von Fr. 30'030.- ein zusätzlicher Abzug von 10 % vorzunehmen. Daraus errechnet sich ein massgebendes Invalideneinkommen von Fr. 27'027.-. Der sich aus dem Vergleich dieser Eckwerte ergebende Invaliditätsgrad von 37 % ist nicht rentenbegründend (Art. 28 Abs. 1 IVG). 
3. 
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 135 in Verbindung mit Art. 152 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Trottmann, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Promea und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 14. April 2005 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: