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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_149/2022  
 
 
Urteil vom 19. Januar 2023  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Abrecht, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Andrea Steiner Lettoriello, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Neuanmeldung; Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. Januar 2022 (IV.2019.00526). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1968 geborene A.________ meldete sich Anfang März 2016 erstmals bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Durchführung verschiedener Abklärungen, insbesondere Einholung eines orthopädisch-psychiatrischen Gutachtens bei der IME, Interdisziplinäre Medizinische Expertisen, St. Gallen, vom 22. September 2016, verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich einen Rentenanspruch mit Verfügung vom 17. November 2016. Auf die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit rechtskräftigem Beschluss vom 20. Januar 2017 nicht ein.  
 
A.b. Anfang Juni 2017 reichte A.________ unter Hinweis auf einen am 24. Dezember 2016 erlittenen Verkehrsunfall eine Neuanmeldung ein. Die Verwaltung zog daraufhin die Akten der Unfallversicherung sowie weitere medizinische Berichte hinzu und veranlasste schliesslich beim Swiss Medical Assessment- and Business Center (nachfolgend: SMAB), Bern, eine polydisziplinäre Expertise vom 20. Dezember 2018. Mit Verfügung vom 12. Juni 2019 lehnte sie das Leistungsbegehren erneut ab.  
 
B.  
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich holte bei Dr. med. B.________ ein psychiatrisches Gerichtsgutachten vom 9. August 2021 ein. Nachdem sich A.________ dazu - unter Einreichung einer Stellungnahme seines Hausarztes, Dr. med. C.________, vom 11. November 2021 - geäussert hatte, wies es die Beschwerde mit Urteil vom 7. Januar 2022 ab. Die für die Begutachtung in Rechnung gestellten Kosten von Fr. 6500.- überband das kantonale Gericht der IV-Stelle. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Verfügung vom 12. Juni 2019 sei ein psychiatrisches Obergutachten in Auftrag zu geben. Eventualiter sei die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter seien ihm Leistungen der Invalidenversicherung zuzusprechen. Sodann sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen bzw. diese für die Dauer des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens anzuordnen sowie ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen. Ferner lässt A.________ die Einholung der vorinstanzlichen Akten beantragen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht holt die vorinstanzlichen Akten bei Bedarf ein (Art. 102 Abs. 1 und 2 BGG). Dies ist hier geschehen. Ein zweiter Schriftenwechsel findet nur ausnahmsweise auf Anordnung des Gerichts statt (Art. 102 Abs. 3 BGG). Vorliegend besteht in Anbetracht des Verfahrensausgangs (vgl. nachfolgend E. 7) kein Anlass, überhaupt einen Schriftenwechsel durchzuführen. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). 
Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) sowie des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar. 
 
4.  
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zu Invalidität, Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 f. ATSG) und zum Rentenanspruch bzw. dessen Umfang (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG) korrekt dargelegt. Zutreffend wiedergegeben hat es auch die Rechtsprechung betreffend die Annahme eines psychischen Gesundheitsschadens (BGE 145 V 215 E. 5; 143 V 409 E. 4; 141 V 281) sowie die Beweiskraft von Gerichtsgutachten (BGE 143 V 269 E. 6.2.3.2; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/aa). Richtig sind ausserdem die Ausführungen hinsichtlich der Anspruchsprüfung bei Neuanmeldung nach vorausgegangener Rentenverweigerung (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2) unter analoger Anwendung der Grundsätze zur Rentenrevision nach Art. 17 ATSG (BGE 134 V 131 E. 3; 133 V 108; 130 V 71 E. 3.1; 117 V 198 E. 3a). Darauf wird verwiesen. 
 
5.  
Die Vorinstanz hat dem Gerichtsgutachten des Dr. med. B.________ vom 9. August 2021 Beweiskraft zuerkannt, womit abschliessend davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht seit dem 16. August 2017 in seiner Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt sei. Alsdann hat sie erwogen, da auch orthopädisch ein halbes Jahr nach dem Unfall vom 24. Dezember 2016 keine Einschränkungen mehr bestanden hätten, habe die Beschwerdegegnerin eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers seit der rentenabweisenden Verfügung vom 17. November 2016 zu Recht verneint. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht die rentenabweisende Verfügung vom 12. Juni 2019 bestätigt. 
 
6.  
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, verfängt nicht. 
 
6.1. Beschwerdeweise wird in formeller Hinsicht als Erstes geltend gemacht, der psychiatrische Gerichtssachverständige Dr. med. B.________ sei gegenüber dem Beschwerdeführer (negativ) voreingenommen gewesen, weshalb das Gutachten nicht verwertbar sei. Das kantonale Gericht hat sich mit den diesbezüglichen Einwänden bereits einlässlich und in nicht zu beanstandender Weise auseinandergesetzt. Zu ergänzen ist einzig, dass es zur Aufgabe des (Gerichts-) Gutachters gehört, den vom ihm erhobenen Befund anhand der Klinik kritisch zu überprüfen und dessen Auswirkungen bei der Untersuchung und im Alltag detailliert darzulegen. So darf der oder die medizinische Sachverständige die Angaben des Exploranden im Rahmen der klinischen Untersuchung nicht vorbehaltlos als richtig ansehen. Bestandteil einer stichhaltigen Begutachtung bilden unter anderem Angaben zum ärztlich beobachteten Verhalten, Feststellungen über die Konsistenz der gemachten Angaben wie auch Hinweise, welche zur Annahme von Aggravation führen können (statt vieler: Urteile 9C_38/2022 vom 24. Mai 2022 E. 4.3; 8C_390/2017 vom 9. November 2017 E. 4.1 mit Hinweis). Nichts anderes beinhalten die in der Beschwerde kritisierten Anmerkungen des psychiatrischen Experten Dr. med. B.________, welche - wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat - auch deutlich als solche gekennzeichnet sind. Dabei ist weder ersichtlich noch in der Beschwerde (substanziiert) dargelegt, inwieweit den geschilderten Einschränkungen (Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Schmerzen) nicht hinreichend und ernsthaft Rechnung getragen worden sein soll. Hinzu kommt, dass die psychiatrische Exploration von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei erfolgen kann. Sie eröffnet dem begutachtenden Psychiater oder der begutachtenden Psychiaterin praktisch immer einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen verschiedene medizinisch-psychiatrische Interpretationen möglich, zulässig und zu respektieren sind, sofern bei der Begutachtung - wie hier - lege artis vorgegangen wird (Urteile 8C_28/2021 vom 9. April 2021 E. 4.2; 8C_720/2020 vom 8. Januar 2021 E. 4.2; 8C_107/2020 vom 17. April 2020 E. 4.1.3; je mit Hinweisen). Demnach besteht, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, kein Anhaltspunkt für eine Befangen- oder Voreingenommenheit des psychiatrischen Gerichtsgutachters.  
 
6.2. Aus materieller Sicht hat das kantonale Gericht rechtsfehlerfrei begründet, weshalb das Gerichtsgutachten vom 9. August 2021 überzeugt. Es hat sich insbesondere mit dem Vorwurf, Dr. med. B.________ habe die Befunde unvollständig respektive mangelhaft erhoben und insbesondere nur deshalb nicht nach den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F62.0, nachfolgend: PTBS) gefragt, um keine solche diagnostizieren zu müssen, ausführlich auseinandergesetzt (vgl. vorinstanzliche Erwägung 4.3). Demgegenüber beschränkt sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen darauf, hinsichtlich der von ihm behaupteten PTBS-Diagnose die eigene Sichtweise darzulegen sowie zum fundierten Gerichtsgutachten und zu der darin berücksichtigten Praxis betreffend Latenzzeit (statt vieler: Urteil 8C_270/2019 vom 5. September 2019 E. 4.1.2 in fine mit Hinweis) im Widerspruch stehende Schlüsse zu ziehen. Anders als in der Beschwerde behauptet, fehlt es zudem an nennenswerten diagnostischen Diskrepanzen zwischen der Gerichtsexpertise des Dr. med. B.________ und dem psychiatrischen Vorgutachten des Prof. Dr. med. D.________ aus dem Jahr 2016. Letzterer konnte beim Beschwerdeführer nämlich ebenfalls keine PTBS finden, sondern attestierte ihm lediglich ein Betroffensein von Katastrophen, Krieg und sonstigen Feindseligkeiten (ICD-10 Z65.5), was ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit bleibe (vgl. psychiatrisches IME-Gutachten vom 29. August 2016). Mithin werden in der Beschwerde lediglich einzelne Passagen des Gerichtsgutachtens herausgegriffen und verschiedene Fragen zur Interpretation der vom Gutachter erhobenen Beobachtungen und Befunde aufgeworfen. Dabei übernimmt der Beschwerdeführer in erster Linie die schon im vorinstanzlichen Verfahren (vgl. Stellungnahme vom 16. November 2021) geäusserte Kritik, ohne dies weiter zu substanziieren. So legt er keine zwingenden Gründe (vgl. BGE 134 V 465 E. 4.4 mit Hinweis) dar - und solche sind auch nicht erkennbar -, welche die Beweiskraft des Gerichtsgutachtens - das sich an den massgeblichen normativen Rahmenbedingungen (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.4) orientiert - als Ganzes ernsthaft in Frage stellen könnten.  
 
6.3. Im Übrigen enthält die Beschwerde hauptsächlich Tatsachenrügen, die im Lichte der gesetzlichen Kognition (vgl. E. 2 hievor) nicht zu hören sind. Eine diesbezügliche Verletzung von Bundesrecht erblickt der Beschwerdeführer hauptsächlich darin, dass das kantonale Gericht betreffend die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit dem Gerichtsgutachten des Dr. med. B.________ gefolgt ist und nicht auf die hausärztlichen Angaben des Dr. med. C.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, vom 11. November 2021 abgestellt hat. Indessen hält die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts ohne Weiteres vor Bundesrecht stand (vgl. vorinstanzliche Erwägung 4.5). Mithin ist - abgesehen davon, dass die Vorinstanz auch dazu Stellung genommen hat - auf den Unterschied zwischen Behandlungs- und Begutachtungsauftrag hinzuweisen (BGE 125 V 351 E. 3b/cc; Urteile 9C_561/2018 vom 8. Februar 2019 E. 5.3.2.2 und 8C_740/2010 vom 29. September 2011 E. 6). Ebenso fällt ins Gewicht, dass Dr. med. C.________ über keinen einschlägigen Facharzttitel für Psychiatrie und Psychotherapie verfügt. Auch die sonstigen Vorbringen lassen die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts nicht als unhaltbar oder willkürlich erscheinen. Damit verletzt der vorinstanzliche Verzicht auf ergänzende Abklärungen auch keine Beweiswürdigungsregeln (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG; antizipierende Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3). Die im angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit respektive betreffend den seit der abweisenden Verfügung vom 17. November 2016 unverändert gebliebenen Gesundheitszustand bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 2 hievor; BGE 132 V 393 E. 3.2).  
 
7.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet und daher abzuweisen. 
 
8.  
Mit dem Entscheid in der Sache wird das ohnehin nicht näher begründete Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
9.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Januar 2023 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder