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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 250/05 
 
Urteil vom 30. September 2005 
I. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Schön, Kernen und Frésard; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Parteien 
G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, 6210 Sursee, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 10. März 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Kostengutsprache vom 30. Oktober 2003 übernahm die IV-Stelle Luzern die Kosten für die Abgabe von zwei Hörgeräten an den 1940 geborenen G.________ im Betrag von Fr. 5244.-. Am 5. April 2004 meldete G.________ der IV-Stelle, sein Junghund habe die Hörgeräte zerbissen, und stellte den Antrag auf Kostenübernahme für die Ersatzversorgung. Mit Verfügung vom 3. August 2004 lehnte die IV-Stelle den Anspruch auf Übernahme der Kosten der neuen Hörgeräte ab, woran sie mit Einspracheentscheid vom 29. September 2004 festhielt. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 10. März 2005 ab. 
C. 
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die IV-Stelle zur Bezahlung der Kosten der Ersatzversorgung zu verpflichten; eventualiter sei die IV-Stelle zur Übernahme dieser Kosten unter Leistung eines Beitrags des Versicherten zu verpflichten. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
D. 
Mit Verfügung vom 6. Juli 2005 forderte der Instruktionsrichter das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) zu einer Stellungnahme auf. Diesem Anliegen kam das BSV mit Eingabe vom 15. Juli 2005 nach. Die Stellungnahme des BSV wurde den Parteien zur Kenntnisnahme und allfälligen Stellungnahme zugestellt. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Zwischen den Parteien ist der Hergang, welcher zum Verlust der Hörgeräte führte (Ablegen der Hörgeräte auf dem Nachttisch, Zerbeissen derselben durch den infolge der offen stehenden Tür ins Schlafzimmer gelangenden Junghund), unbestritten. Streitig ist, ob das Verhalten des Beschwerdeführers als schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung vom 29. November 1976 (SR 831.232.51; HVI) zu bezeichnen ist und demnach die Invalidenversicherung für die Kosten der Versorgung mit neuen Hörgeräten nicht aufzukommen hat. 
2. 
2.1 Gemäss Art. 6 Abs. 1 HVI sind die von der Invalidenversicherung abgegebenen Hilfsmittel sorgfältig zu verwenden; wird ein Hilfsmittel wegen schwerer Verletzung der Sorgfaltspflicht oder Nichtbeachtung besonderer Auflagen vorzeitig gebrauchsuntauglich, hat die versicherte Person eine angemessene Entschädigung zu leisten (Abs. 2). Weder aus der französischen noch der italienischen Fassung der Norm ("avec soin" resp. "enfreint gravement l'obligation qu'il a d'en prendre soin"; "la debita cura" resp. "gravi violazioni del dovere di diligenza") lässt sich etwas Genaueres zum Sorgfaltsmassstab ableiten. Dasselbe gilt auch für die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Unfallversicherung vom 18. Oktober 1984 (SR 832.205.12; Art. 5 Abs. 1 HVUV; "sorgfältig"; "avec soin"; "la debita cura") und das Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI; Rz. 5.07.19 in fine; vgl. auch Rz. 1056). Sowohl die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung vom 28. August 1978 (SR 831.135.1; HVA) als auch das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) enthalten keine entsprechende Regelung. 
2.2 Von der Frage der Sorgfaltspflicht zu trennen ist die Frage der angemessenen Entschädigung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 HVI. Die HVI enthält keine Anhaltspunkte hiezu. Im Rahmen der invaliditätsbedingten Anpassung von Fahrzeugen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass sich die Invalidenversicherung bei vorzeitiger Neuanschaffung anteilsmässig zum Ablauf der Amortisationsdauer an den Kosten einer erneuten invaliditätsbedingten Anpassung zu beteiligen hat (BGE 119 V 255). Diese grundsätzliche Überlegung ist auch Basis der Rz. 1056 KHMI. Danach hat sich die versicherte Person im Falle fahrlässig verlorener oder durch ihr Verschulden unbrauchbar gewordener Hilfsmittel sowie Hilfsmitteln, die infolge schwerer Verletzung der Sorgfaltspflicht oder mit unklarer, nicht nachvollziehbarer Begründung vorzeitig ersetzt werden müssen, im ersten Amortisationsdrittel zu 75 %, im zweiten Drittel zu 50 % und im letzten Drittel zu 25 % an den Kosten einer vorzeitigen Neuanschaffung zu beteiligen. Bei Hilfsmitteln in Form von Hörgeräten ist für die massliche Beteiligung der versicherten Person vor Ablauf der üblichen Gebrauchsdauer von sechs Jahren der Tarifvertrag massgebend (siehe auch Rz. 5.07.19 KHMI). Gemäss diesem bezahlt die Invalidenversicherung in den ersten zwei Jahren nach Zusprechung eines Hörapparates nichts an eine Neuanschaffung; nach drei Jahren beteiligt sie sich zu einem Viertel, nach vier Jahren zur Hälfte und nach fünf Jahren zu drei Vierteln. Nachdem die Frage der angemessenen Entschädigung bei Hörgeräten im Sinne von Art. 6 Abs. 2 HVI im nicht publizierten Urteil W. vom 30. Juni 1992, I 326/91, noch offen gelassen worden war, ist hier die Abstufung gemäss Tarifvertrag gestützt auf die Rechtsprechung von BGE 119 V 255 als rechtskonform zu bestätigen. 
3. 
Die IV-Stelle lehnte die Übernahme einer Kostenbeteiligung an der Neuanschaffung der Hörgeräte mit der Begründung ab, der Versicherte habe grobfahrlässig gehandelt, indem er die Hörgeräte während des Nichtgebrauchs nicht sicher aufbewahrt habe. Der Beschwerdeführer hätte die teuren Geräte vernunftsgemäss in einer Schublade oder an einem anderen für den Hund nicht zugänglichen Ort aufbewahren müssen, um die Gefahr der Beschädigung zu beheben. 
 
Das kantonale Gericht hat eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht bejaht, da es gerichtsnotorisch sei, dass junge Hunde Gegenstände als Spielzeug oder Kaumaterial missbrauchen und dadurch beschädigen würden. Daher sei diesen gegenüber eine erhöhte Aufmerksamkeit gefordert. Daran habe es vorliegend jedoch gemangelt, indem der Versicherte während seines Mittagsschlafes die teuren Hörapparate nicht in einem Behälter aufbewahrt, sondern auf dem Nachttisch habe liegen lassen; zumindest hätte er darauf bedacht sein müssen, dass die Türe zum Schlafzimmer stets geschlossen gewesen sei. 
 
Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, die Invalidenversicherung habe den Schaden zu übernehmen, sofern es ihm gelinge, den Nachweis zu erbringen, dass er seinen Hund zweckmässig beaufsichtigt habe und ihm höchstens eine leichte Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden könne. In analoger Anwendung des haftpflichtrechtlichen Begriffs der Grobfahrlässigkeit liege keine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne mangelhafter Aufsicht vor; denn der Hund habe sich nie alleine im Schlafzimmer aufgehalten, weshalb er und seine Ehefrau davon ausgehen durften, dass für Gegenstände auf dem Nachttisch keine Gefahr bestehe. Auch auf Grund des Charakters des Hundes (gut erzogen, folgsam, nicht spielsüchtig) seien keine besonderen Massnahmen angebracht gewesen. Im Übrigen könne ein Haustier nicht permanent beaufsichtigt werden und die Privathaftpflichtversicherung übernehme den Schaden nicht, weil eben gerade kein Verschulden seitens des Beschwerdeführers vorliege. 
 
Das BSV vertritt in seiner Stellungnahme den Standpunkt, junge Hunde seien entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers immer bis zu einem gewissen Grade unberechenbar. Dass der Privathaftpflichtversicherer von keinem Verschulden ausgehe, sei für die Invalidenversicherung nicht von Belang. Vorliegend sei aber von Bedeutung, dass der Versicherte die Hörgeräte offen auf dem Nachttisch habe liegen lassen, ohne sie in einem Behälter oder zumindest einer Schublade unterzubringen. Aus diesen Gründen erachte das BSV die Einschätzung von IV-Stelle und Verwaltungsgericht als zutreffend. 
4. 
Grobfahrlässig handelt nach ständiger Rechtsprechung, wer jene elementaren Vorsichtsgebote unbeachtet lässt, die jeder verständige Mensch in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen befolgt hätte, um eine nach dem natürlichen Lauf der Dinge voraussehbare Schädigung zu vermeiden (vgl. für die Unfallversicherung BGE 121 V 45 Erw. 3b, für die Militärversicherung BGE 114 V 190 Erw. 2a, für die Alters- und Hinterlassenenversicherung BGE 112 V 159 Erw. 4 und für die Invalidenversicherung BGE 111 V 189 Erw. 2c, je mit Hinweisen). 
 
Mit dem BSV und der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass bei einem über Fr. 5000.- kostenden Hilfsmittel dieses bei Nichtgebrauch mit aller Sorgfalt aufbewahrt wird. Angesichts der Grösse der Hörgeräte darf erwartet werden, dass diese auch schon bei kurzzeitigem Nichtgebrauch in einem entsprechenden Behälter (Dose, Schachtel, Etui) oder zumindest einer Schublade untergebracht werden, um sie vor Beschädigungen irgendwelcher Art (z.B. unabsichtliches Herunterstossen, Wegwerfen, Zerdrücken o.ä.) zu schützen. Somit stellt das offen Herumliegenlassen der Hörgeräte an sich - auch ohne zusätzliches Gefahrenpotenzial durch den jungen Hund - eine massgebliche Missachtung der Sorgfaltspflicht dar. 
 
In diesem Zusammenhang ist mit der IV-Stelle darauf hinzuweisen, dass die Invalidenversicherung die Hörgeräte nur leihweise abgibt. Im Rahmen der (privatrechtlichen) Gebrauchsleihe haftet der Entleiher bei Beschädigung oder Untergang der entliehenen Sache für jedes Verschulden (Art. 305 ff. in Verbindung mit Art. 97 ff. OR; vgl. auch Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 3. Aufl., Basel 2003, Art. 306 N 4 f. sowie Higi, Zürcher Kommentar, Zürich 2003, Art. 306 N 24 f. und 43 ff.). Demnach liegt es nahe, dass auch für den Begriff der Grobfahrlässigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 2 HVI ein strenger Massstab gilt. Dies ist sachgerecht. Denn von einer versicherten Person darf verlangt werden, dass sie die von der Invalidenversicherung leihweise erhaltenen Gegenstände so sorgfältig behandelt, wie wenn sie bei Verlust oder Beschädigung die entsprechenden Kosten einer Reparatur oder Neuanschaffung selbst tragen müsste. 
 
Nach dem Gesagten ist es nicht zu beanstanden, dass Vorinstanz und Verwaltung das Verhalten des Beschwerdeführers als grobfahrlässig im Sinne von Art. 6 Abs. 2 HVI qualifizierten und einen Kostenbeitrag an die Neuanschaffung der Hörgeräte ablehnten. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Metzger und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 30. September 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: